Bentley Continental GT V8 im Test
Ganz ohne W-Klagen

Über Nacht hat es geschneit. Wir müssen zum Testen nach Italien ausweichen. Mit dem Bentley Continental GT V8 und seinem 507 PS-Turbobenziner auf Tour.

Bentley Continental GT V8, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Die Bentley-Boys waren junge Gentlemen mit unbescheidenem Vermögen, variablen Damenbekanntschaften und kühnem Mut. Sie genossen das Leben nicht nur in vollen Zügen, sondern legten sich auch gerne damit an. Etwa mit dem Train Bleu, dem Schnellzug von Cannes nach Calais. Woolf Bernato, Diamanten- und Goldminenerbe, Bentley-Anteilseigner sowie dreifacher Le Mans-Sieger, wettete: Ich schaffe es von der Riviera aus mit dem Auto nach London, bevor der Zug Calais erreicht. Am 13. März 1930 startet er im Speed Six. Am 14. erreicht er über rumpelige Routes National und nach einer Kanalüberquerung per Postschiff seinen Herrenclub in London vier Minuten, bevor der Zug in den Bahnhof von Calais einfährt. Seither gelten Bentley als Instanz der Kontinentalreise.

Bentley Continental GT V8 bleibt nur knapp unter dem W12

Seit 2002 trägt der Continental GT dieses Erbe weiter. 2011 haben sie bei Bentley ein neues Modell aufgelegt, das weiterhin auf dem VW Phaeton basiert. Den W12 ergänzt nun der V8-Biturbo aus dem Audi S8. Er ist gedacht für Menschen, die in jüngerer Zeit ein kleines Vermögen gemacht haben, statt ein altes, großes zu erben. Damit er nicht neureich wirkt, positioniert Bentley den Continental GT V8 als sportliches Modell. Die Handwerkskunst, in der er gefertigt wird, bettet zumindest den Wagen in standesgemäße Tradition.

Schnee rieselt auf den Bentley Continental GT V8, als er in Stuttgart ankommt. Zum Messen von Fahrleistungen, Bremsverzögerung und Fahrdynamik brauchen wir eine trockene Strecke. Morgen, denken wir, kann die Welt ja ganz anders aussehen. Tut sie nicht, als wir uns früh an der Teststrecke treffen. Wir können den Bentley nur wiegen: 2.355 Kg – gerade mal fünf weniger als der 68 PS stärkere W12. Während wir darüber fachsimpeln, versucht ein Gebläsewagen, die Gerade trocken zu pusten. Nach einer halben Stunde gibt der Fahrer auf, schüttelt den Kopf. Wir schauen uns an, der Lucyk, der Seufert, der Rupp, der Renz und nicken: Italien.

Distanzen schmelzen im Bentley Continental GT V8 auf einen Gasstoß zusammen

Anruf bei Pirelli. Ja, wir dürfen aufs Testgelände bei Mailand. Also los. Das Zündschloss ist links ins Edelholz-Armaturenbrett geschreinert. Ein Schlüsseldreh, ein Startknopfdruck, und der Bentley Continental GT V8 faucht sich warm. Der kühle Automatikwählhebel flappt auf D. Sacht aufs Gas, und als ob ein zarter Sturm den Bentley Continental GT V8 voranschöbe, fegt er los. Auf der Autobahn grummelt der V8 bei sachter Last, da kann er vier seiner acht Zylinder stilllegen – das soll zehn Prozent Kraftstoff sparen. Davon spürt und hört der Fahrer nichts – und reden wird er darüber auch nicht. In den Kreisen, die einen Bentley bewegen, könnten solche Sparmaßnahmen so ärmlich wirken, als könne Mylord den Westflügel nicht mehr heizen.

Wir ziehen das Tempo an, bei 140 km/h klappt der Heckflügel hoch. Die Automatik des Bentley Continental GT V8 eilt weich durch die acht Stufen. Zwei Lader plustern, haben bei 1.700/min ein Höhenmassiv an Drehmoment zementiert, auf 660 Newtonmeter über null. Ab 3.000/min bollert der V8 los, und wie er das Coupé vorandrängt, immer weiter, bis der Endwert des Tachos mit 340 gar nicht mehr übertrieben ist, macht den großen Reiz dieses Autos aus. Im Bentley Continental GT V8 rückt Europa zusammen, Italien ist nur einen Gasstoß entfernt.

Doch zuerst stellt sich die Schweiz dazwischen. Am Grenzübergang Basel hält ein Zollbeamter den Bentley an und fragt: „Woher kommen Sie?“ „Aus Stuttgart.“ Er schaut mich an, scheint zu überlegen, ob ich ein berühmter Popstar/Fußballer/Rennfahrer sein könnte, entscheidet sich enttäuschend schnell dagegen und fragt: „Wem gehört dieses Auto?“

Bentley Continental GT V8 kann auch sparsam

Die Schweiz ist nicht gerade das optimale Revier für einen 507 PS starken Bentley Continental GT V8 mit unterentwickeltem Respekt vor Radarfallen und der Autorität der Kantonspolizei. In den Stunden, die wir das Land queren, klappt der Heckflügel nicht ein einziges Mal hoch. Rückblickend habe ich die ganze Schweiz hindurch nur gebremst. Doch selbst wenn der Fahrtwind nur zart um die Doppelverglasung fächelt, brilliert der Conti mit seinem luftgefederten, adaptivgedämpften Fahrwerk, weitstreckenbequemen Sitzen und eingängiger Bedienung – von kleinen Ausnahmen abgesehen: Die Instrumente des Bentley Continental GT V8 spiegeln sich bei Dunkelheit in der Frontscheibe, und der Bordcomputer lässt sich nur umständlich über Lenkradtasten steuern. Außerdem fehlt dem Bentley Continental GT V8 neben Assistenzsystemen sogar Kurvenlicht.

Ein kurzer Tankstopp, obwohl der 90-Liter-Tank halb voll ist. Zahm gefahren begnügt sich der V8 mit 10,6 L/100 km – fast der Normwert. Im Testschnitt werden es 13,8 Liter – fünf weniger als beim W12.

Bentley Continental GT V8 düpiert den W12

In Schneegestöber geht es weiter Richtung Gotthardtunnel. Kurz davor biegen wir von der Autobahn ab, fahren durch die verschneite Gegend um Wassen. Allrad maximiert die Traktion, doch auch als V8 bleibt der Bentley Continental GT ein Auto vor allem für die langen, erfolgreichen Geraden im Leben. Er legt sich wuchtig in Kurven, braucht viel Platz, sein Gewicht drückt ihn ins Untersteuern, das beim Gaswegnehmen in sachtes Lastwechseldrängen umschlägt. Zum Handlingstar hat der Bentley die falsche Statur.

Zurück auf die A3. Dann verschluckt der Gotthard den Bentley. 17 Kilometer lang bollert er durch den Berg, dann blitzt Sonne durchs Tunnelportal. Blauer Himmel auf der Alpensüdseite. Auf den letzten 150 Kilometern nach Mailand wird es immer sonniger und wärmer. Dann sind wir da. Volltanken, Messsystem einbauen und los. In der nächsten Stunde des Messprogramms wird der Bentley Continental GT V8 den 22.134 Euro teureren W12 düpieren, ihm auf 100 km/h 0,4 Sekunden, bis 200 km/h 0,8 Sekunden abnehmen, ebenso vehement verzögern und ein klein bisschen schneller durch den Slalom kurven.

Es dürfte W12-Eigner kaum kümmern, der Zwölfer ist keine Frage der motorischen, sondern der finanziellen Potenz. Erwarteten Sie nun aber eine Kaufberatung, müssten wir den Bentley Continental GT V8 empfehlen. Der kühlt knisternd in der Sonne ab. Wenn wir gleich losfahren, könnten wir mit ihm morgen früh in London sein. Zum Continental Breakfast.

Vor- und Nachteile
Karosserie
Bentley Continental GT V8
hochklassig eingerichtetes Interieur
makellose Verarbeitung
Hohe Karosseriesteifigkeit
eingängige Bedienung
ausreichend großer Kofferraum
ungedrängtes Platzangebot vorn, nutzbarer Fond
etwas unbequemer Einstieg vorn, beschwerlicher nach hinten
Fahrkomfort
sehr bequeme Vordersitze
satter Federungskomfort
niedriges Innengeräusch
effektive Klimatisierung
leichte Tendenz zum Stuckern auf Querfugen
Antrieb
kultivierter und sehr leistungsfähiger V8
hervorragende Fahrleistungen
harmonische Automatik
Fahreigenschaften
sehr stabiler Geradeauslauf
präzise, rückmeldungsintensive Lenkung
hervorragende Traktion
ordentliches Handling
hohes Gewicht drückt auf die Agilität
viel Seitenneigung in Kurven
Sicherheit
standfeste, vehemente Bremse
keine Assistenzsysteme
Umwelt
für die Größe und Leistungsklasse akzeptabler Minimalverbrauch
absolut gesehen dennoch hoher Konsum und CO2-Ausstoß
Kosten
billiger als W12
aber immer noch sehr teuer
sehr hohe Unterhaltskosten
kurze Garantien

Fazit

Der V8 ist der bessere Continental GT, weil er bei eiligeren Fahrleistungen deutlich weniger verbraucht. Bis auf den Mangel an Assistenzsystemen auf der Höhe der Zeit, überzeugt er mit Komfort und Stil.

Technische Daten
Bentley Continental GTC V8
Grundpreis187.068 €
Außenmaße4806 x 1943 x 1403 mm
Kofferraumvolumen260 l
Hubraum / Motor3993 cm³ / 8-Zylinder
Leistung373 kW / 507 PS bei 6000 U/min
Höchstgeschwindigkeit301 km/h
0-100 km/h4,3 s
Verbrauch10,9 l/100 km
Testverbrauch13,8 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten