ESP-Systeme im großen Test - Teil 2
Bremst uns das ESP im Trockenen?

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Im Nassen fehlte die Grundlage, um einen relevanten Vorsprung auf die ESP-Systeme herauszufahren. Jetzt, unter optimalen Trockenbedingungen, wächst der Abstand zwischen Mensch und Elektronik – aber zum Teil weit weniger drastisch als erhofft.

Porsche 911 Carrera S, Nissan 370Z Nismo
Foto: Rossen Gargolov

Manchmal ist einfach der Wurm drin. Und die vergangene Ausgabe war ein Paradebeispiel dafür. Erst verdarb uns das Wetter unseren fein säuberlich vorbereiteten Sport-ESP-Test, und dann streikte auch noch die Messdatenaufzeichnung, sodass der Vergleich zwischen Porsche 911 und Mercedes-AMG ohne Rundenzeitengrafik auskommen musste. Sie glauben nicht, wie wir geflucht haben vor Weihnachten.

Immerhin folgt ein Monat später nun das Glück im Unglück. Nicht nur, dass uns der Januar einen Messtag nach Hockenheim gezaubert hat, wie wir ihn uns nicht auszumalen getraut hätten. Sondern auch, weil sie bei Porsche mitgedacht haben und just jenen Carrera S schickten, der im Dezember gegen den AMG GT antrat.

Porsche 911 Carrera S, Elektronische Stabilitätsprogramme
Rossen Gargolov
Der 991 verfügt nach seinem Facelift nun auch über einen ausgewiesenen Sport-Modus des ESP.

Maximale Performance trotz eingeschaltetem ESP?

Der Grund, dass es diesmal sogar noch einen Tick schneller ging, mag in den Minusgraden zu suchen sein und/oder darin, dass der Sener einen richtigen Sahnetag erwischt hatte. Doch weder die Tatsache noch die Ursachen spielen für diese Geschichte eine Rolle. Denn wie schon beim ersten Teil, der wie gesagt im Regen stattfinden musste, geht es auch hier nicht um absolute Zeiten, sondern um relative, also um die Abstände, die man in den verschiedenen ESP-Stellungen rausfährt oder eben nicht. Im Klartext: Wir wollen wissen, was dran ist an der Aussage vieler Hersteller, wonach man das ESP zum Erreichen maximaler Performance gar nicht mehr abschalten müsse.

Im Nassen hatte sich dieses Horrorszenario tatsächlich bewahrheitet. Zumindest insofern, als der Unterschied zwischen den Zeiten mit und ohne ESP-Unterstützung derart gering gewesen ist, dass man von einem Unterschied eigentlich gar nicht mehr sprechen konnte. Das beste Beispiel lieferte der C 63. Er splittet sein Stabilitätsprogramm – wie heutzutage üblich – in drei Modi auf: On, Off sowie die Zwischenstufe Sport. Und obwohl sich die Unterschiedlichkeit all dieser Stellungen im Fahrgefühl klar bemerkbar machte, verdichteten sich alle drei Rundenzeiten in einem Bereich von zwei Zehntelsekunden. Und der ist praktisch zu vernachlässigen, wenn man bedenkt, dass man nicht jede Kurve in jeder Runde gleich gut trifft.

Kaum Differenzen bei feuchten Bedingungen

Doch wie lautet dann die Schlussfolgerung daraus? Heißt das wirklich, dass man als Fahrer keinen entscheidenden Vorsprung mehr auf die Elektronik herausholen kann? Unsere Antwort: ein energisches Nein. Denn die Ursache für die geringen Differenzen lag nicht im Geschick irgendwelcher Sensoren oder Eingriffe, sondern schlicht am geringen Reibwert und der Art und Weise, wie man damit umgehen muss.

Konkret: Unter nassen Bedingungen pushst du ein Auto nicht ans Limit, du balancierst es daran entlang. Statt es in Kurven zu werfen und voll rauszupowern, fährst du sensibel, tastest mit den Finger- und Zehenspitzen nach Grip respektive Traktion, sodass du den Punkt, an dem sich die ESP-Stellungen vermeintlich auseinanderdividieren, meist gar nicht erst erreichst – oder bestenfalls touchierst.

Nissan 370Z Nismo entweder fahrsicher oder fahrdynamisch

Im Trockenen ändern sich die Benimmregeln grundlegend, und damit auch die Anforderungen an die Regelung – mit deutlichen Auswirkungen, wie insbesondere der Nissan 370Z Nismo illustriert. Als Einzigem innerhalb dieses Quartetts fehlt ihm im Stabilitätsprogramm der sportliche Zwischenschritt. Bedeutet: Sein ESP kennt nur An oder Aus. Und das führt in seinem Fall zu einem Entweder-oder-Problem – entweder fahrsicher oder fahrdynamisch. Bei aktivierter Elektronik ist die Leine für die Rennstrecke schlicht zu kurz. Beim Einlenken spielt das zwar noch keine Rolle, weil man ihn erst mal an seinem Untersteuerdrang vorbeistreicheln muss. Ab dem Scheitelpunkt jedoch packt die Technik einen am Krawattl und lässt einen so lange nicht los, bis sie ganz, aber wirklich ganz sicher ist, dass Haftung in ausreichendem Maß vorhanden ist.

Nissan 370Z Nismo, Elektronische Stabilitätsprogramme
Rossen Gargolov
Im Off-Modus lässt der 370Z sein Heck fliegen, mit ESP hält er dich ständig fest.

Mit Abschalten des ESP vergrößert die Elektronik den fahrerischen Freiraum, jedoch ohne das Feld völlig freizuräumen. Die Traktionskontrolle ist dann zwar völlig lahmgelegt, sodass man kurvenausgangs das Heck fliegen lassen kann. Lastwechsel beim Einlenken gestattet sie aber grundsätzlich nicht. Ihnen entgegnet sie – genau wie im Nassen – energische Bremsimpulse an der Vorderachse, die alles sofort wieder in geordnete Bahnen lenken. Dennoch beträgt der Abstand zwischen den Modi On und Off am Ende überaus üppige 2,3 Sekunden, was den ursprünglichen Zweck eines ESP recht eindrucksvoll belegt.

Porsche 911 performt mit verschiedenen ESP-Modi

Sein Aufstieg vom Sicherheits- zum Performance-Tool zeigt sich indessen im 911, vor allem im Facelift-Modell, in dem sie erstmals eine ausgewiesene Sport-Stufe erhält. Doch es ist nicht nur die engere Abstufung zwischen den Modi, die den Unterschied macht, sondern die Sensibilität, mit der sie vorgeht. Im 370Z greift sie ein. Und zwar so, wie man sich Eingreifen vorstellt: hinlangen, anpacken. Der Porsche hingegen wird von ihr nur angestupst, ganz zart und nie länger als zwingend erforderlich. Entsprechend eng fällt der Zeitensplit aus. Zwischen Off-Modus und Vollzeitregelung liegen gerade mal neun Zehntel, der Sport-Modus kostet sogar nur deren vier – allerallerhöchstens! Denn solange man sauber fährt, sich an der Ideallinie einklinkt, spürt man von der Elektronik nichts. Dann lebt der Elfer von seinem mechanischen Grip und den ausgeklügelten Fahrdynamiksystemen wie Hinterachslenkung und Wankstabilisierung, mit denen er die Fliehkräfte schon kurveneingangs zu überlisten scheint.

Will man jedoch das Letzte rausholen, muss man ihn rannehmen, reinreißen in Kurven und beim Herausbeschleunigen über die Kerbs prügeln. Ersteres kapiert die Elektronik noch, selbst Schwimmwinkel beim Rausbeschleunigen lässt sie in ausreichendem Rahmen zu, bloß mit dem Gerüttel auf den Randsteinen ist sie sich nicht so richtig sicher. Und weil sie – bei allem Fokus auf die Fahrdynamik – ja vor allem für Sicherheit stehen muss, nimmt sie vorsorglich etwas Bewegung raus.

BMW M4 fordert sein ESP durch ausgeprägte Heckagilität

Beim BMW geht dieser Sicherheitsbezug noch weiter, was mit seiner deutlich laxeren Beziehung zur Straße zusammenhängt. Im Gegensatz zum Porsche ist der M4 permanent in Bewegung, dreht schon beim Einlenken aus der Hüfte mit und wird erst dann richtig flink, wenn man ihn im Slide aus Kurven powert. Dass da das ESP eher konservativ ausgelegt ist, leuchtet ein. Der Sport-Modus vertrüge trotzdem etwas mehr Freizügigkeit. Bis zum Scheitelpunkt lässt einen die Elektronik zwar machen, selbst wenn man letzte Rille in die Ecke wurstelt.

Sobald Drehmoment und Querbeschleunigung jedoch gleichzeitig anliegen, nimmt sie panisch Leistung weg – vom Prinzip her ein bisschen wie im Nissan. Und freilich schlägt diese – im Wortsinn – Zurückhaltung in die Zeiten durch: Über zwei Sekunden büßt der M4 mit der sogenannten Dynamikstellung auf eine Runde ohne ESP-Unterstützung ein.

Mercedes-AMG C 63 mit freizügigem ESP-Sport-Modus

Und das ist viel, wenn man bedenkt, dass der C 63 beide Modi innerhalb von drei Zehnteln unterbringt. Auch seine Elektronik tritt in erster Linie als Traktionskontrolle in Erscheinung, also erst mit dem Scheitelpunkt. Allerdings gibt es zwei Unterschiede in der Art, wie sie zum Tragen kommen: Zum einen hat der Mercedes von Haus aus mehr Traktion, also schon mal weniger zu kontrollieren, zum anderen gestattet das ESP der Hinterachse im Sport-Modus mehr Spiel. Heißt im Umkehrschluss: Die Kraft darf früher fließen, oder besser gesagt: früher in höherer Dosierung.

Mercedes-AMG C 63, BMW M4 Coupé
Rossen Gargolov
Das ESP des M4 hat mit der Heckagilität mehr Mühe als sein Pendant im stringenteren C 63.

Nur, was heißt das jetzt generell? Nun ja, vor allem heißt es eines: nämlich dass das Dynamikpotenzial eines ESP weniger von der technischen Machbarkeit abhängt als vielmehr von der Philosophie des Herstellers und nicht zuletzt von den Rahmenbedingungen des jeweiligen Fahrzeugs. Mit anderen Worten: Dass der Porsche heraussticht, ist keine Überraschung. Denn kein Hersteller legt seine Elektronik derart konsequent auf Performance aus, und keiner hat eine Basis, die so viel Performance so gut verträgt.

Die Agilität bleibt unberührt

Dennoch gibt es am Ende eine Gemeinsamkeit, zumindest unter den drei deutschen Bewerbern: All deren Systeme treten erst unter Last so richtig in Aktion, also erst dann, wenn es darum geht, ein vermeintliches Missverhältnis aus Lenkwinkel und Motorkraft abzufangen. Die reine Agilität bleibt von Regelungen hingegen relativ unberührt, ablesbar vor allem an verschwindend geringen Zeitdifferenzen im Slalom. Die Ausnahme ist der simpel elektronisierte Nissan, der damit die Regel bestätigt.

Den ersten Teil des sport auto ESP-Tests finden Sie hier.

Fazit

Im ersten Teil dieser Testgeschichte verschwammen die Unterschiede zwischen den einzelnen ESP-Programmen noch im nassen Bodenbelag. Unter trockenen Bedingungen kristallisieren sie sich nun jedoch heraus – und vielleicht sogar klarer, als wir es im Vorfeld erwartet hätten. Es gibt zwei Extremfälle. Der eine ist der Nissan 370Z. Seiner Elektronik fehlt eine freizügige Zwischenstufe, und die braucht es eigentlich, um Sicherheit und Performance unter einen Hut zu bringen. Extremfall Nummer zwei ist der Porsche 911. Seine Fahrdynamik liegt in einem über Jahrzehnte ausgefeilten Konzept begründet, sodass die Elektronik schon von Haus aus nur gut aussehen kann. Ihr genügen minimale Impulse, um das Risiko gleich null, die Performance aber weit oben zu halten. Dennoch schafft es selbst sie am Ende nicht, fahrerischen Einsatz völlig zu entkräften.

C 63 und M4 veranschaulichen ihrerseits, in welcher Zwickmühle die Entwickler stecken. BMW zum Beispiel hat ein richtig heckagiles Auto gebaut. Und das soll vom Kunden auch ausgekostet werden, die Frage ist nur, in welchem Modus inwieweit. In München hat man sich eher für Nummer sicher entschieden und dem Sport-Modus unserer Meinung nach etwas zu wenig Raum gegeben. Wie es geht, zeigt der Mercedes. Der Regelbereich seiner ESP-Sportfunktion verläuft nur ganz knapp unterhalb seines tatsächlichen Limits, sodass sich die fahrerische Komponente nur noch auf die drei letzten Zehntel reduziert. Mit Betonung auf "noch".

Technische Daten
BMW M4 Coupé M4Mercedes AMG C 63 Mercedes-AMGPorsche 911 Carrera S Carrera SNissan 370Z NISMO 3.7 Nismo
Grundpreis76.400 €76.398 €115.586 €46.350 €
Außenmaße4671 x 1870 x 1383 mm4686 x 1810 x 1442 mm4499 x 1808 x 1295 mm4410 x 1870 x 1310 mm
Kofferraumvolumen445 l480 l145 l235 l
Hubraum / Motor2979 cm³ / 6-Zylinder3982 cm³ / 8-Zylinder2981 cm³ / 6-Zylinder3696 cm³ / 6-Zylinder
Leistung317 kW / 431 PS bei 5500 U/min350 kW / 476 PS bei 5500 U/min309 kW / 420 PS bei 6500 U/min253 kW / 344 PS bei 7000 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h250 km/h306 km/h250 km/h
Verbrauch8,3 l/100 km8,2 l/100 km7,8 l/100 km10,6 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten