Handling-Wettkampf
Sportwagen-Elite im Handling-Vergleich

Die internationale Sportwagenelite trifft sich im norditalienischen Vairano zum großen Handling-Wettkampf. Was passiert, wenn zehn Dynamiktalente ihre Piloten schwindlig fahren, zeigt der aufwendige Vergleich.

Lamborghini Gallardo LP 570-4 Superleggera
Foto: Hans-Dieter Seufert

Manch einer hält sich ja für den Nabel der Welt, doch an diesem sonnigen Sommertag liegt er – zumindest für Sportwagenfreunde – im norditalienischen Vairano. Genauer gesagt auf der Handlingstrecke der italienischen Autozeitschrift Quattroruote, rund 25 Kilometer südlich von Mailand. Zehn Supersportler treffen sich hier auf der 2,1 Kilometer langen Piste zum Längs- und Querbeschleunigen – ungestört von CO2-Diskussionen und Kofferraum-Ausliterei. Insgesamt wird der Asphalt dabei von fast 5.100 PS traktiert, akribisch beobachtet von Messinstrumenten. Klares Ziel: die schnellste Rundenzeit.

Lamborghini Gallardo LP 570-4 Superleggera mit schnellster Rundenzeit

Diese greift sich – wenn auch knapp – der knallorangefarbene Lamborghini Gallardo LP 570-4 Superleggera der wie eine Streitaxt in die automobile Gemeinde fährt. Der um 70 Kilogramm erleichterte Mittelmotor-Sportler verschreckt Zaghafte mit gewöhnungsbedürftiger Bedienung, einer unbequemen Sitzposition und einem V10-Urschrei nach dem Anlassen. Sportfahrer hingegen lächeln, greifen zum struppigen Alcantara-Lenkrad und bringen die Pirelli P Zero Corsa auf Temperatur. Sodann überfahren sie ungerührt das beim zaghaften Einlenken spürbare Untersteuern des allradgetriebenen 1,5-Tonners und genießen exorbitante Kurvengeschwindigkeiten sowie eine direkte Lenkung. Der 5,2-Liter schiebt mindestens so, wie er brüllt, der Grenzbereich liegt noch höher als das Drehzahllimit, bleibt aber ebenso greifbar wie die Leistungsentfaltung des 570-PS-Saugers. Störend: die leichte Ruppigkeit des sequenziellen Getriebes. Insgesamt will der Superleggera mit fester Hand geführt werden, kann dann allerdings sogar seinem Landsmann Ferrari 458 Italia davonziehen.

Ferrari 458 Italia auf Platz zwei im Handling-Vergleich

Obwohl sich das niemand so richtig vorstellen konnte. Selbst Leute, die nicht einmal im Dunkeln mit einem Ferrari-Poloshirt herumlaufen würden, bekommen glasige Augen, wenn sie von ihren Erlebnissen auf der Piste berichten. Leichtfüßiges Handling, tolle Rückmeldung und ein explosiver 4,5-Liter-Saugmotor. Hubraummanko? Weit gefehlt, der V8 dreht bis 9.000, reagiert von Standgas bis Begrenzer proportional, lässt je nach Pedalwunsch jedes seiner 570 Pferde einzeln von der Leine oder alle gemeinsam galoppieren. Unterstützt vom Doppelkupplungsgetriebe, das die Gänge quasi in Millisekunden einlegt. Kein Rucken, keine Schläge, keine Pause: Geschichte wird gemacht. Manche behaupten kühn: Einen so ausgefeilten Mittelmotor-Sportwagen gab’s noch nie.

Mit seinen Fahrprogrammen fördert der Italia, ohne zu fordern. Leichtgängige Lenkung und präzises Fahrwerk erfüllen fast jeden Linienwunsch. Einlenken, Gripgrenze erfühlen, herausbeschleunigen. Alles in einem Fluss, ohne langes Herantasten oder nasse Handflächen. Selbst abbauende Reifen bremsen den 458 Italia kaum. Bis auf den Mini-Rückstand bei der Rundenzeit liefert dieses Präzisionsinstrument eine perfekte Vorstellung ab, überraschend gefolgt von einem Japaner, dem Nissan GT-R bei dem Kontrast und Verwunderung kaum größer ausfallen könnten.

Nissan GT-R mit guter Fahrdynamik aber schwachen Bremsen

Der wuchtige Nissan GT-R hängt dem filigranen Ferrari auf der Piste im Nacken, zeigt dem Rest der Elite sogar seine vier Auspufftrompeten. Offensichtlich haben die Japaner seine Mechatronik effizient gebündelt. Die Kraftverteilung des Allradantriebs arbeitet unauffällig, die Lenkung direkt, der Biturbo-V6 schiebt muskulös, das Doppelkupplungsgetriebe legt die Stufen nach, ohne den Tempofluss zu bremsen. Bremsen: ein düsteres Thema. Die Stopper können Gewicht und Fahrdynamik des GT-R auf der Rundstrecke nur begrenzte Zeit standhalten, dann weisen langer Pedalweg und knatschiges Gefühl auf ein handfestes Defizit hin. Das Getriebe zeigt ebenfalls erhöhte Temperatur, bevor die Schaltqualität sukzessive nachlässt. Bis dahin wedelt der Nissan flott um den Kurs, passiert schnelle Biegungen mit satter Querbeschleunigung, ohne in engen Passagen Schwung zu verlieren. Seine größten Vorteile: Traktionsstärke, Neutralität und Spurstabilität.

Porsche 911 Turbo S bietet ausgeprägte Handlichkeit

Letzteres geht dem deutschen Kontrahenten Porsche 911 Turbo S im Grenzbereich etwas ab. Kurzer Radstand, hecklastige Gewichtsauslegung und die spürbar wechselnde Kraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse erfordern Eingewöhnung. Dafür bietet der Porsche eine nahezu perfekt rückmeldende Lenkung plus ausgeprägte Handlichkeit. Übermütige bekommen es beim Herausbeschleunigen aus Kurven schnell mit Übersteuern zu tun. Was zum einen an der Gewichtsverteilung, zum anderen am hervorragend präparierten 3,8-Liter-Boxermotor liegt.

Zwei Turbolader mit verstellbaren Leitschaufeln beatmen die sechs Zylinder so erfolgreich, dass der Turbo S eine Zweitkarriere im Dragster-Geschäft anstreben könnte. Zumal das Doppelkupplungsgetriebe die 530 PS und 700 Newtonmeter nahtlos weiterreicht. Doch trotz der Tricks: So spontan wie ein guter Sauger reagiert der Biturbo nicht auf Kommandos.

Mercedes SLS AMG – ermöglicht Kurvencarven mit beeindruckenden Tempi

Das kann er besser: der Mercedes SLS AMG bei dem klar der Motor dominiert. Der 6,2-Liter-V8 sitzt hinter der Vorderachse, äußerlich dokumentiert durch die lange Haube. Dann kommen die Insassen, bevor das Doppelkupplungsgetriebe vor der Hinterachse andockt. Das Transaxle-Prinzip sorgt für eine ausgewogene Gewichtsverteilung, Voraussetzung für sportives Handling und Traktion. Notwendig, wenn bis zu 571 PS und 650 Newtonmeter über die Hinterreifen herfallen. So lenkt der Mercedes SLS AMG agil und kalkulierbar ein, zudem ermöglicht er auf Anhieb ein sattes und sicheres Kurvencarven mit beeindruckenden Tempi. Bei abgeschalteter Hilfselektronik zeigt er tumben Tretern jedoch gern mal seine übersteuernde Ader.

Audi R8 V10 – Beherrschbarkeit und hohe Agilität

Das kann diesen zwar auch im Audi R8 V10 passieren, jedoch erst im äußersten Grenzbereich. Bis dahin erfreut der Mittelmotor-Audi mit einfacher Beherrschbarkeit und hoher Agilität, unterstützt von der leichtgängigen Lenkung und ausgeglichener Gewichtsverteilung. Der V10 ist eine Wucht, dreht gierig hoch, stört aber durch sein teils roh schaltendes sequenzielles Getriebe. Dennoch verlangt der allradgetriebene Audi nur kurze Eingewöhnung, um hohes Tempo und gute Zeiten auf Augenhöhe mit Porsche 911 und Mercedes SLS abzuliefern.

BMW M3 Coupé mit hohem Drift-Potenzial

Preislich und leistungsmäßig ein ganzes Stück von der Elite entfernt, gelingt es dem BMW M3 Coupé, tempomäßig dranzubleiben. Vor allem der seidenweiche, willig bis 8.000/min drehende V8-Sauger beweist Potenzial. Das manuelle Schaltgetriebe erfordert jedoch mehr Konzentration als die automatisierten Boxen, die sich sogar ums Zwischengas kümmern. Im BMW M3 obliegt das dem Piloten. Er kann sich mittels schaltbarer Hilfselektronik ans Limit herantasten, unterstützt von der präzisen Lenkung. Zwar fehlt dem hinterradgetriebenen Frontmotor-Coupé etwas die Balance der Mittelmotor-Konkurrenz, dennoch röhrt es zügig um den Kurs, überspringt die Ein-g-Querbeschleunigungs-Marke. Und erst sein Drift-Potenzial ...

Bentley Continental Supersports – Der Renn-Truck unter den Teilnehmern

Der Pilot des Bentley Continental Supersports hat dagegen mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Auf öffentlichen Straßen kaum störend, stempeln ihn seine 2,4 Tonnen Gewicht zum Renn-Truck. Wuchtig schiebt sein Biturbo-W12 an, untermalt von verheißungsvoll dunklem Sound. Der Allradantrieb bringt die 800 Nm (bei 1.700/min!) routiniert auf den Asphalt. Doch was sich in schnellen Kurven zart drängend andeutet, kulminiert in der hart anzubremsenden Schikane: Das Tier schiebt nicht nur beim Beschleunigen, sondern auch beim Bremsen. Und zwar geradeaus, was einen flüssigeren Fahrstil und moderate Bremspunkte nahelegt.

Jaguar XKR 5.0 Coupé kurvt etwas bemüht um den Handling-Kurs

Eine Erkenntnis, die außer im Bentley auch im Jaguar XKR 5.0 Coupé nützt. Das enorm antrittsstarke Luxus-Coupé wirkt im Kreis der Kurvenglüher ähnlich verloren wie der Bentley. Obwohl deutlich leichter als dieser, kurvt der Jaguar XKR ebenfalls etwas bemüht um den Handling-Kurs, macht aus seiner Vorliebe für gekieste Auffahrten keinen Hehl. Derb genommene Schikanen oder Hochgeschwindigkeitswechselkurven wecken bei ihm und seinem Piloten Protest. Alles scheint entkoppelt. Positiv betrachtet, könnte man es auch kultiviert nennen, zumal ein anderer Brite zeigt, wie es auf dem Rundkurs spaßiger läuft.

Lotus Evora ist das Schlusslicht im Handling-Vergleich

Der Lotus Evora ist zwar der Langsamste. Aber nicht der spaßärmste. Niedriges Gewicht und direkte Rückmeldung schnüren ein Fahrvergnügen-Paket, bei dem lediglich der 3,5-Liter-V6 lange Gesichter verursacht. Mit einem Ex-Toyota Camry-Motor lässt es sich halt schwer gegen die Elite anstinken. Aber der Lotus Evora nimmt es sportlich, spannt seinen Piloten im körpernah geschnittenen Cockpit ein, drückt ihm trocken den Handschaltknauf in die Hand und lässt ihn toben. Mittelmotortypische Neutralität mit leichter Tücke im Grenzbereich plus hohe Präzision helfen dem Briten-David, trotz krassen Leistungsrückstandes die Goliaths in den Kurven zu ärgern. Und um nichts anderes geht es Lotus-Piloten doch, oder?