Honda NSX NA1 im Test
Unterschätzter Japan-Sportler aus den 90er

Ein unterschätzters Auto als den Honda NSX? Hat es unter der Sonne wohl nie gegeben. Als „Der Alte im Test“ lässt er die langen Schatten der Vergangenheit hinter sich.

Unterschätzter Japan-Sportler aus den 90er
Foto: Hans-Dieter Seufert

Als der Morgen durch die Nacht drängt, rennt der NSX der Dunkelheit hinterher, die tief im Westen hängt, doch weiter schwindet, je näher er ihr kommt. So viele Sonnenaufgänge, so viele neue Tage, in deren erstem Licht keiner weiß, was sie bringen, welche Erinnerung sie schaffen werden. Eine Erinnerung ist wie ein Pfad im Dschungel unserer Gedanken. Durchforsten wir ihn nicht regelmäßig nach einer Erinnerung, überwuchert sie die Zeit, überlege ich. Dann endet das Tempolimit, der V6 spult hoch auf sieben drei, da sausen die Kolben an den Titanpleueln mit 19 m/s mittlerer Geschwindigkeit im Zylinder auf und ab. Doch als sich die Sonne in der Reflexion des Rückspiegels über den Horizont hebt, stapft aus dem Dickicht meiner Gedanken eine Erinnerung: 9.204 Tage alt, ganz banal, und doch schließt sie einen Kreis.

Hans-Dieter Seufert
Gibt es denn sowas? Ein Supersportwagen mit 274 PS und 6,1 Sekunden für den Spurt von 0 auf 100 km/h? Oh ja, es kommt ja nicht auf Zahlen an, sondern auf die Darbietung.

Es ist ein Foto. Im Bericht zum Grand Prix auf dem Hockenheimring zeigt es drei Autos. Vor dem Ernst-Wilhelm-Sachs-Haus stehen zwei S-Klassen, die eine von Bernie Ecclestone, die andere von Max Mosley. Daneben parkt der NSX von Weltmeister Ayrton Senna. Keiner weiß, warum man sich an so etwas erinnert, an anderes nicht. Die Unabhängigkeitserklärung Abchasiens und das Luftverkehrsabkommen zwischen der Dominikanischen Republik und Deutschland vom 23. Juli 1992 oder Kasachstans Beitritt zur Weltbank am 24. Juli? Längst vergessen, nicht aber, wo Senna den NSX am 25. Juli abstellte. Exakt dort, wo dieser bald stehen wird.

Zuvor zieht der NSX über die A 6, der Fahrtwind streift leise über Klappscheinwerferfront und Glaskuppelcockpit zum Heckflügel, der den Auftrieb an der Hinterachse bei Tempo 200 auf 134 Newton drückt. Selbst an diesem frühen Morgen gibt es viele viel schnellere Autos als den Honda. Er stammt aus einer Zeit, in der Motorleistung noch nicht turbogepusht inflationär und beliebig verfügbar ist, sondern jenen vorbehalten, die damit umzugehen vermochten.

Straßen der Erinnerung

Kreuz Walldorf, A 5, kurz nach Norden, dann auf die L 723, bis es rechts nach Hockenheim geht. Am Ortseingang ist unsere Stammtankstelle. Vor ein paar Wochen geriet der Weltenlauf hier ins Stocken, als wir mit dem Porsche 959 ankamen. Den NSX umschwirren keine Passanten, filmen keine Handykameras, auch die Waschanlage, die beim Porsche noch aussetzte, überfeudelt ihn, als sei er ein Civic.

Was für eine Unterschätzung. Tatsächlich zählt der NSX zu den hervorragendsten Sportwagen seiner Zeit – und seine Zeit dauerte lange, über mehr als eineinhalb Jahrzehnte erstreckte sich seine Karriere. Honda stellt ihn 1989 auf der Chicago Motor Show vor und informiert, er lege es auf eine Rivalität mit dem Ferrari 328 an. Ach, kleiner haben sie es nicht in Tokio, denken sich da manche. Und merken an, dass die Japaner erst 1963 mit dem S500 begonnen haben, Autos zu bauen – da habe Ferrari schon sechs Titel in der Formel 1 gewonnen.

Nein, kleiner haben sie es nicht und müssen sie sich auch nicht machen bei Honda, bei dem Aufwand, den sie betreiben: Alu-Bleche bekleiden ein Semi-Monocoque, an dem das Alu- Fahrwerk ankert. Die Einzelradaufhängung mit filigranen Doppel-Dreiecksquerlenkern nennt Formel-1- Starkonstrukteur Gordon Murray „ein Meisterwerk“. Für den NSX entwickelt Honda eine Traktionskontrolle und eine elektrische Servolenkung, die erst das Automatikmodell bekommt.

Beim Antrieb experimentieren die Techniker mit V8- und V6-Biturbomotoren. Weil der NSX aber absolut alltagstauglich sein soll, entscheiden sie sich für den V6-Sauger. Als Basis nutzen sie den 2,7-Liter aus dem Legend, einerseits wegen Zuverlässigkeit und Wartungskosten (Zahnriemenwechsel alle acht Jahre/100 000 km, beim 328 sind es drei Jahre/20.000 km). Andererseits komme man auch mit dem auf „genügend Leistung“, wie Hondas Entwicklungschef Nobuhiko Kawamoto feststellt. Sein Team vergrößert den Hubraum des V6, packt einen neuen Zylinderkopf drauf, rüstet ihn mit Technik aus der Formel 1 und Innovationen aus der Serie auf: Titanpleuel, Vierventiltechnik samt variablen Steuerzeiten, zwei obenliegenden Nockenwellen pro Zylinderreihe. So kommt der V6 auf 274 PS. Wegen der Selbstbeschränkung der japanischen Hersteller auf maximal 280 PS haben auch spätere NSX mit 3,2 Litern Hubraum (ab 1997) nicht mehr Leistung. Daher betreibt Honda Feinschliff: Alle Teile werden immer feiner ausgewuchtet, Toleranzen minimiert, Reibungen reduziert.

Auch sonst perfektioniert Honda jedes Detail am NSX. Für ihn entsteht ein Werk in Tochigi. Nur wer sich bereits zehn Jahre verdient gemacht hat, kommt infrage, dort am NSX mitarbeiten zu dürfen. Über dessen Entwicklungskosten gibt es keine offiziellen Angaben. Aber es heißt, jedes der 18.000 Exemplare hätte 50.000 Euro Verlust eingebracht.

Der Motor ist hinter dir her

Die Ampel der Waschanlage springt auf Grün. Wir steigen ein, schnallen uns vor den V6, der quer hinter der weit vorgerückten Pilotenkanzel sitzt. Hier passt das Wort, als Vorbild für das Cockpit nehmen sich die Designer den F-16-Kampfjet – wegen der Rundumsicht. Vorn nur schmale A-Säulen zwischen den großen Scheiben, dazu das Panorama-Heckfenster – alles so übersichtlich von den ausgeklappten Scheinwerfern bis zum Heckflügel. Schlüsseldreh. Der V6 startet, Kupplung kommt, der Sportwagen rollt los, so leicht und unspektakulär, dass man ihm sagen möchte, er solle mal nicht so zurückhaltend sein. Bisschen Auspuffbollern, Leerlaufgezeter, Kupplungsrupfen, so was.

Ist aber nicht. Wir fahren rüber ins Motodrom, stellen den NSX erst auf die Waage, deren Skala bis auf 1.373 kg springt. Nicht viel, bedenkt man, dass er ja allerlei Luxus mitschleift: Soundsystem, elektrische Ledersitze und Fensterheber sowie eine Klimaautomatik, die sich im Testwagen darin gefiel, unkoordinierbar zwischen Untätigkeit und voller Heizleistung zu wechseln. Ja nun, jetzt mal den hochsolide verarbeiteten Innenraum vermaßen. Das Platzangebot reicht bis auf die knappe Kopffreiheit aus, ohne auf die Intimität zu verzichten, die es in Sportwagen stets zu romantisieren gilt.

Wir befestigen die GPS-Antenne auf dem Dach. Bevor es auf die Strecke geht, checken wir den Reifendruck. Neben den Werten dafür finden wir in der 220 Seiten dürren Bedienungsanleitung den Hinweis, wonach „der Versuch, eine Anhängerkupplung an Ihrem NSX anzubringen, schwere Beschädigungen am Fahrgestell verursachen“ könne. Ach! Ein Kapitel beschäftigt sich mit den Themen „Alkohol und Drogen“, kann unsere Erwartungen jedoch nicht erfüllen.

Jetzt aber raus. Als Erstes messen wir die Tachoabweichung – bei 270 km/h Vmax und einer Tachoskala bis 280 bleibt da wenig Toleranz. Doch der Honda braucht sie nicht – auch darin zeigt sich die Detailperfektion dieses Supersportwagens.

Supersportwagen mit 274 PS? Oh ja, bei der Leistung mag den NSX heute ein Civic Type R weit übertreffen, aber gerade bei Sportwagen kommt es ja auf die Qualität der Darbietung an. Darin überragt der NSX noch immer. Schon allein, wie perfekt du drin sitzt, weit vorn, fast schon monopostig, weil sich alles in vollkommener Ergonomie um den Fahrer zentriert.

Am Ende der langen Geraden: Traktionskontrolle aus. Blick nach vorn. Hinten dreht der V6 hoch auf 6.000. Kupplung schnappt. Kurzes Reifenraspeln, dann Grip, und der NSX stemmt sich voran, dreht, nein springt die Drehzahltausender geradezu empor, hoch bis 8.200/min. Zweiten der fünf eng gestaffelten und – klar – hochpräzise schaltbaren Gänge rein, kurz danach übersprintet der Honda die 100-km/h-Marke (6,1 Sekunden), rennt weiter, rennt und rennt. Wirkt dabei nie gequält oder auch nur angestrengt. Selbst wenn du ihn den ganzen Morgen hochbeschleunigtest, könnte Tante Trude danach mit ihm zum Einkaufen fahren. Wie seltsam der Mensch ist, denken wir uns da. Benörgelt Mangel an Emotionen an diesem japanischen Präzisionsrenner und bejubelt den sicheren Ruin, in den ihn alte divenhafte Sportwagen aus Italien führen.

Präzision, Sonnenschein

Allerdings können die Bremsen mit grob regelndem Vierkanal-ABS ab der dritten Vollverzögerung nicht mehr mit der unermüdlichen Beschleunigung mithalten. Egal, vor der Mercedes-Tribüne ist der Slalom aufgereiht.

Unser Vorserien-NSX hat keine Servounterstützung in der Zahnstangenlenkung, aber eine variable Übersetzung. Und, Freunde, wie der Honda die Pylonen umschwirrt, ist noch immer sensationell. Es hat sich ja auch nicht irgendeiner um das Set-up gekümmert, sondern der beste Fahrer der Welt: Ayrton Senna stimmte den Wagen mit den Ingenieuren in Suzuka ab. Fahrten auf der Nordschleife vollendeten das Set-up, das Weltmeister begeistert und Eher-nicht-so-Weltmeister dennoch nicht überfordert. Der NSX schnellt in Kurven – ansatzlos, skalpellig-scharf, exakt, komplett spielfrei. Die Lenkung: schwergängig, ja, aber mit fast zehntelgradgenauer Präzision und unmittelbarer, ungefilterter Rückmeldung. Das Fahrwerk: straff, klar, aber doch erstaunlich komfortabel – ein Kompromiss aus den Zeiten vor Adaptivdämpfern, der Langstreckenfähigkeit mit sich bringt, aber auch deutliche Karosseriebewegungen im Slalom und beim Ausweichtest.

Hans-Dieter Seufert
Obereilig und enorm präzise kurvt der Honda im Slalom.

Gleichzeitig ergibt sich so ein Grenzbereich statt einer Grenzlinie wie bei anderen Mittelmotorsportwagen. Sicher geht es irgendwann dahin, wenn Gier und das Giermoment zu groß werden. Doch davor bleibt die Chance, heldenhaft zu driften oder zumindest den NSX glücklich wieder einzufangen. Andere Supersportwagen wollen ihren Fahrer mit ihrer Überlegenheit oder Unberechenbarkeit überfordern, ja fast demütigen. Hat der Honda nicht nötig, deshalb ist er ein wahrer Champion.

Gleich werde ich heimfahren, dabei noch einmal ganz versinken in der Drehwütigkeit des Motors, der Präzision des Fahrwerks und der Harmonie eines ziemlich vollkommenen Autos. Davor halte ich kurz vor dem Ernst-Wilhelm-Sachs-Haus, stelle den NSX auf den rechten Parkplatz, steige aus und sehe 25 Jahre in einem einzigen Moment. Erinnerungen sind die Zukunft der Vergangenheit.

Vor- und Nachteile
Karosserie
weit vorgerückte, fast mono- postige Sitzposition, so sind Kurven noch schneller da, und selbst Hockenheim- Mitte sieht ein wenig nach Casino-Vorplatz-Monaco aus
hervorragende Rundumsicht
hochwertige Einrichtung ohne Verzicht auf LCD-Digi- taluhr, trotz wenig Zuladung Bereitstellung eines mittel- motorgewärmten Laderaums
Fahrkomfort
erstaunlich umgänglicher Federungskomfort
Klimaautomatik bringt ihre ganz eigenen Ideen ein
bequeme, haltstarke Sitze
Antrieb
Antrieb
drehwütiger Hightech-V6, der gute Manieren aus dem Legend mitbekommen hat
präzises, eng gestuftes Fünfganggetriebe
Fahreigenschaften
Handling: weltmeisterlich,
breiter Grenzbereich, jenseits dessen sich für weniger weltmeisterliche Fahrer noch wirkliche Abgründe auftun
präzise, exakte Lenkung mit variabler Übersetzung, trägt zudem ihren Teil zur Körperertüchtigung bei
Sicherheit
Bremsen verzögern vehement – zumindest einmal
Fahrer- und Beifahrerairbag
Umwelt
dem Tempo und dem Auftritt angemessener Verbrauch
unterschätzt den NSX immer
Kosten
erstaunlich erreichbarer Supersportwagen, also beim reinen Kauf, …
… nicht beim Unterhalt

Fazit

Wir haben nur fünf Sterne. So gibt es einen für die Präzision, je einen, weil er unzickig und zuverlässig ist, einen für den V6 und einen, weil er sich 15 Jahre treu und immer ein Supersportwagen blieb.

Technische Daten
Honda NSX
Grundpreis83.852 €
Außenmaße4425 x 1810 x 1175 mm
Kofferraumvolumen154 l
Hubraum / Motor2977 cm³ / 6-Zylinder
Leistung201 kW / 274 PS bei 7300 U/min
Höchstgeschwindigkeit270 km/h
0-100 km/h6,1 s
Verbrauch14,0 l/100 km
Testverbrauch14,0 l/100 km