Lotus 3-Eleven im Test
Schnellster in Hockenheim

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Der Lotus 3-Eleven stößt keinen Geringeren als den Porsche 918 Spyder vom Thron und krönt sich zum schnellsten Serienfahrzeug auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim. Protokoll eines sehr, sehr schnellen Testtages.

Helmvisier öffnen, entspannt eine Hand vom Lenkrad nehmen und der Boxengasse entgegentrudeln – über die Rundenzeit von 1.14,9 Minuten in der gemütlichen Auslaufrunde wäre so mancher Kompaktsportler vom Schlage eines Golf R schon am absoluten Limit heilfroh. Egal ob auf der Auslaufrunde oder auf der schnellen Runde – der Lotus 3-Eleven fährt in einer anderen Liga. Mit einer Rundenzeit von 1.06,2 Minuten kürt sich das offene Spaßmobil zum schnellsten von sport auto je gemessenen Serienfahrzeug auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim. Dabei stößt der Lotus keinen Geringeren als den bisherigen Rekordhalter Porsche 918 Spyder vom Thron.

Hans-Dieter Seufert
Lotus bietet sowohl eine "Road Version" als auch eine "Race Version" des Open-Air-Sportlers an.

Der Weg dahin war jedoch kein leichter. Rückblick: Dienstagmorgen, Hockenheim – Schnee im Motodrom. Während der Winter ein Comeback feiert, spuckt die Laderampe den Nachfolger des Lotus 2-Eleven aus. Kleine Geschichtsstunde der Lotus-Modellhistorie: Als Hardcore-Schwestervariante der Elise rollte der offene Zweisitzer von 2007 bis 2011 an den Start. Blätter, blätter, blätter – sport auto-Ausgabe 5/2008 aufschlagen und die Ideallinienjagd des 2-Eleven begutachten. 776 Kilo, Vierzylinder-Kompressor mit 255 PS, Yokohama-Semislicks, ein Bremswert von 32,4 Metern und eine Rundenzeit von 1.11,9 Minuten „kratzten“ laut den damaligen Testern schon am „Mythos Porsche 911 GT3“.

In Hockenheim ist heute eher Zeit zum Eiskratzen als zur Rekordjagd. Volltanken, wir nutzen die Auszeit und wiegen den neuen 3-Eleven zunächst. Wenn unsere Testwaage jubeln könnte, wäre es jetzt so weit. Mit vollem 74-Liter-Tank wiegt der Hardcore-Sportler aus dem Lotus-Modellportfolio nur 979 Kilo. Zum Vergleich: Der Porsche 918 Spyder wog bei uns im Supertest mit 1.642 Kilo genau 663 Kilo mehr als der Lotus.

Einstieg fast wie in der Formel 1

Auch wenn einige Lotus-Fans jetzt beklagen, dass der 3-Eleven fast 200 Kilo schwerer geworden sei als sein 2-Eleven-Vorgänger – dieses Gewicht ist in der heutigen Zeit eine echte Kampfansage. Unter der knallgelben Folierung sitzt eine Carbon-Karosserie, die lediglich 40 Kilogramm wiegt. Unter der Karosserie wiederum findet sich das modifizierte Aluminium-Chassis aus der Exige, das im 3-Eleven durch einen Überrollbügel ergänzt wird. Optional kann ein FIA-zugelassener Überrollkäfig geordert werden.

Als Antrieb fungiert das bekannte Toyota-Triebwerk aus dem Evora 400. Und was leistet der 3,5-Liter-V6 im 3-Eleven? Lotus bietet sowohl eine „Road Version“ als auch eine „Race Version“ des Open-Air-Sportlers an. Sowohl die Straßen- als auch die vermeintliche Rennvariante bekommen laut Lotus offiziell eine Straßenzulassung. Die „Road Version“ geht mit 416 PS auf Idealliniensuche. In der „Race Version“ leistet das Sechszylinder-Triebwerk 466 PS. Sonstige Unterschiede zwischen den beiden angebotenen Modellen? In der „Road Version“ wird über ein manuelles Sechsganggetriebe geschaltet. Unsere gelbe „Race Version“ wechselt die Gänge über ein sequenzielles Sechsganggetriebe von Xtrac.

Lotus 3-Eleven – straßenzugelassene Rennstrecken-Konsequenz

Während man sich durch die Unterschiede der beiden Varianten kämpft, fällt immer mehr auf, dass die „Race Version“ alles serienmäßig trägt, was schnell machen soll. In der Straßenversion sind jene Bauteile jedoch alle optional verfügbar. Dazu zählen die Michelin Pilot-Sport-Cup-2-Reifen, die zweifach verstellbaren Öhlins-Dämpfer („Road Version“: serienmäßig mit einfach verstellbaren Öhlins-Dämpfern), die einstellbaren Stabis, der 5,3 Kilo leichte Carbon-Schalensitz sowie der Überrollkäfig. Ansonsten unterscheiden sich die Karosserievarianten der „Road Version“ und der „Race Version“ nicht. Beide Modelle tragen den gleichen Heckflügel und Frontsplitter. Lediglich die Flics an den vorderen Kotflügeln finden sich nur bei der „Race Version“.

Der 3-Eleven bewegt sich damit in ähnlichen Zulassungsklassen wie andere Exoten à la Radical SR3 SL oder KTM X-Bow. „Im Vergleich zu Großserienautos sind hier die Anforderungen im Bereich von Fußgänger- und Insassenschutz sowie beim Thema Radabdeckungen lockerer“, erklärte Zulassungsexperte Frank Fricke von der Dekra, als es um die Zulassung des Radical SR3 SL in Deutschland ging. Ähnlich verhält es sich jetzt auch mit dem Lotus 3-Eleven. Aber auch der 2-Eleven erlangte seinerzeit hierzulande problemlos eine Straßenzulassung.

Genug der Hintergrundinfos. Einen Tag später in Hockenheim: Der Schnee hat sich verzogen und bei strahlendem Sonnenschein ist alles angerichtet für die Rekordrunde unter den straßenzugelassenen Serienautos. Bein über die Karosserie heben und auf den Sitz stellen, dann mit den Armen auf der Cockpitverkleidung abstützen und die Beine voran in den nur hüfthohen Einsitzer gleiten lassen – schon die Einstiegs-Choreografie erinnert an die Formel-1-Startaufstellung. Oder anders: Was die Lebensgefährtin bisher nicht geschafft hat, wird nun im Lotus-Einsitzer zur Realität – Man(n) sitzt auf der Straße. Die optional angebotene Cockpitverkleidung aus Carbon macht den 3-Eleven nicht nur optisch zum Einsitzer, sie soll auch die Aerodynamik im Cockpitbereich deutlich verbessern.

Akustikspektakel im Cockpit

Hauptschalter für die Bordelektrik drücken, Zündschlüssel drehen, dann den Startknopf drücken. Kurzes Anlasserrasseln und der 3-Eleven erwacht dunkel wummernd zum Leben. Akustisch ist sofort klar, dass der V6 auch eine neue Abgasanlage trägt. Für den zu erwartenden Querdynamikeinsatz statteten die Lotus-Ingenieure den V6 außerdem neben einem neuen Ansaugtrakt unter anderem zusätzlich mit einer Trockensumpfschmierung aus.

Lotus 3-Eleven, Cockpit
Hans-Dieter Seufert
Schöne Aussicht: Mit optionaler Cockpitabeckung und nur einem Sitz fühlt sich der 3-Eleven schwer nach Formel-Monoposto an.

Rechte Kohlefaser-Schaltwippe am Lenkrad ziehen, krachend wirft das sequenzielle Xtrac-Getriebe den ersten Gang ein. Im Dashboard bestätigt jetzt eine leuchtende „1“, dass die erste Fahrstufe auch wirklich drin ist. Dann schnappt die Rennkupplung bissig zu. Wer plant, sich den 3-Eleven für die Stadt anzuschaffen, sollte lieber die Version mit manuellem Getriebe und humanerem Kupplungsverhalten wählen. Nach dem Anfahren hat die Rennkupplung dann Pause und die Gänge schießen sequenziell in Millisekunden rein.

Raus auf die Parabolika des Hockenheimrings, auf zur Längsdynamikprüfung mit dem neuen Über-Lotus. Nachdem die Michelin-Cup-2-Reifen wohltemperiert sind, geht es an die ersten Startversuche. Wer den Druckpunkt gefunden hat, beschleunigt den 3-Eleven mit der richtigen Portion Schlupf. Die zehnfach verstellbare Traktionskontrolle sollte zu diesem Zweck fast vollständig zurückgenommen werden. Der V6 hängt noch besser am Gas und dreht noch spritziger hoch als das Basistriebwerk. Die Maximaldrehzahl wurde von 7.000 auf 7.400/min angehoben.

Leichtbau zahlt sich aus

Ohne Launch Control jagt der Brite in 3,3 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und passiert die 200-km/h-Marke nach 8,6 Sekunden. Mit letzterem Wert stellt er sogar einen 700 PS starken Lamborghini Aventador LP 700-4 deutlich in den Schatten, der bei uns im Supertest „nur“ in 9,5 Sekunden auf 200 km/h sprintete. Allerdings war der italienische Stier mit 1.794 Kilo auch 815 Kilo schwerer als das britische Fliegengewicht. Leichtbau zahlt sich eben aus!

Schnell noch die Bremswerte prüfen. Das zehnfach verstellbare ABS von Bosch könnte besser mit den Michelin-Pilot-Sport-Cup- 2-Reifen harmonieren. In der für Regen vorhergesehenen Stellung liefert die Regelfrequenz auch im Trockenen die besten Bremswerte. Mit 33,5 Meter von 100 km/h auf null verzögert der 3-Eleven allerdings nicht ganz so zügig wie noch sein Vorgänger 2-Eleven (100–0 km/h: 32,4 m). Eine noch weichere Reifenmischung oder etwas mehr Gewicht auf der Vorderachse (aktuell: nur 351 kg) könnten vorteilhafter für das Bremsverhalten sein.

Rekordwerte bei der Querbeschleunigung

Weiter zum Kleinen Kurs, jetzt zählt die Rundenzeit. Sirrend, mahlend, kreischend – das Akustikspektakel des Antriebsstrangs erinnert schon in der Boxengasse verdächtig an die Formel 3. Unter Volllast macht der Klang des 3-Eleven sogar fast GT3-Rennfahrzeuge neidisch. Wenn du dann das erste Mal hinter dem Cockpitrand kauerst und mit dem 3-Eleven auf die Start-Ziel-Gerade einbiegst, dann kannst du dir lebhaft vorstellen, wie sich Hamilton, Vettel und Co. fühlen müssen. Während die Haupttribüne im Zeitraffer vorbeizieht, liefert der Lotus die fast perfekte Illusion, in einem Formel-Rennwagen unterwegs zu sein. Die Schaltlampen blitzen dabei immer wieder dem Drehzahlhöhepunkt entgegen, während der Fahrtwind sich gegen den Helm stemmt und die Nackenmuskulatur trainiert.

Mit 221 km/h rauscht der 3-Eleven über die Start-Ziel-Gerade und überflügelt dabei Sportler wie den Porsche 911 Turbo S oder den Audi R8 V10 Plus (beide 213 km/h) spielerisch. Die Kurvengeschwindigkeiten verraten, dass der 3-Eleven zu Höherem berufen ist. Mit 190 km/h und 1,45 g im schnellen Linksknick der Querspange stellt der Spaßrenner Querdynamikhelden wie den Gumpert Apollo (185 km/h, 1,30 g) oder den Porsche 918 (184 km/h, 1,35 g) in den Schatten. Info für Aerodynamikfans: Bei einer Geschwindigkeit von 240 km/h soll der 3-Eleven laut Lotus 215 Kilo Abtrieb produzieren.

Lotus 3-Eleven, Heckansicht
Hans-Dieter Seufert
Die schnelle Runde wird zum Balanceakt, ach was, viel zu harmlos ausgedrückt: Es wird ein Tanz auf Messers Schneide

Fahrspaß, aber Kampf am Limit

Doch der Lotus 3-Eleven ist keiner, in den du dich schnell hineinsetzt und wie im Porsche 918 Spyder eine Rundenzeit von 1.06,3 Minuten schon in den ersten schnellen Runden lässig raushaust. Die Themen „Fahrbarkeit“ und „penible Abstimmung“ beherrschen die Porsche-Mannen perfekt. Nach den ersten Runden im britischen Leichtgewicht macht sich Ernüchterung breit. Mit massivem Untersteuern kommt der 3-Eleven vorerst nicht über eine Rundenzeit von 1.08,2 Minuten hinaus.

Kein Wunder: mit 2,1 Grad Negativsturz an der Vorderachse und 2,6 Grad Negativsturz an der Hinterachse ist der 3-Eleven zu zahm für die engen Kurven des Kleinen Kurses abgestimmt. Glücklicherweise hat Lotus diesmal eine dreiköpfige Testcrew aus England mitgeschickt. Nach einer kurzen Lagebesprechung mit den Fahrdynamikern in England ändern sie unter anderem den Vorderachssturz auf das Maximum von minus 3,0 Grad.

Das Resultat: Der 3-Eleven lenkt anschließend besser ein. Besser heißt aber noch nicht perfekt. Im Grenzbereich neigt der Lotus jetzt einerseits zu einem leichten Einlenkuntersteuern und reagiert zudem noch relativ sensibel auf Lastwechsel – eine Mischung, die zu dauerhaften Lenkkorrekturen führt. Die aus der Exige angepasste Lenkung setzt Lenkbefehle messerscharf in die Tat um – ohne Servounterstützung versteht sich. Neben strammen Haltekräften melden sich Curbs oder Bodenwellen stößig und unmittelbar in der Lenkung zurück. Herrlich, so eine Ehrlichkeit ist man bei all den elektromechanischen Lenkungen der heutigen Zeit fast gar nicht mehr gewöhnt.

Lotus 3-Eleven ein Zehntel schneller als der 918

Die schnelle Runde wird zum Balanceakt, ach was, viel zu harmlos ausgedrückt: Es wird ein Tanz auf Messers Schneide. Neben Lenkradarbeit ist trotz Traktionskontrolle viel Feingefühl am Gaspedal gefragt – einerseits ein riesiger Fahrspaß, da man hier noch richtig ackern muss, andererseits steht man gefühlt immer kurz vor einem monströsen Abflug.

Oder anders gesagt: Während der Porsche-918-Spyder-Pilot nach der schnellen Runde schon genüsslich einen Cappuccino schlabbert, kämpfen im Lotus immer noch Mensch und Maschine – das aber höchst erfolgreich. Oder in Zahlen: 1.06,2 Minuten, ein Zehntel schneller als der bisherige Platzhirsch 918 – well done, Lotus 3-Eleven!

Fazit

Manchmal streuen wir ja schon ein bisschen stark, beispielsweise wenn wir übergewichtige SUV in unsere Testwagengarage einladen oder, wie in dieser Ausgabe, ein rollendes Luxus-Wohnzimmer namens Rolls-Royce Wraith präsentieren. Die gute Nachricht: Wir vergessen dabei niemals die echten sport auto-Werte, niemals! Der Lotus 3-Eleven ist Sportauto und sport auto in seiner reinsten Form. Mit 979 Kilogramm ist er nicht nur 1,4 Tonnen leichter als besagter Rolls-Royce, sondern auch erfrischend anders im Vergleich zu den Sportwagen, auf die wir sonst regelmäßig treffen. Außerdem schön zu sehen: Bei allem technischen Fortschritt der Regel- und Fahrwerkstechnik zahlt sich Leichtbau auch heute immer noch aus.

Technische Daten
Lotus 3 Eleven S
Grundpreis147.999 €
Außenmaße4120 x 1858 x 1201 mm
Hubraum / Motor3456 cm³ / 6-Zylinder
Leistung343 kW / 466 PS bei 7000 U/min
Höchstgeschwindigkeit290 km/h
0-100 km/h3,3 s
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten