Mercedes EQV 300 im Test
Auch elektrisch erste Klasse?

Viel Raum, viel Komfort, viel Luxus – als Großraumwagen ist die V-Klasse erste Wahl. Gilt das auch für die neue Variante EQV mit Elektromotor?

Mercedes EQV 300, Exterieur
Foto: Rossen Gargolov

Über diesen bergkristallweißen EQV gibt es wirklich viel zu berichten, aber zwei Details sind besonders in Erinnerung geblieben. Erstens: Die vertraute Tankklappe links unten im Türholm der Fahrerseite klappt immer noch auf und zu, nur sind keine Stutzen für Diesel und AdBlue dahinter, sondern rein gar nichts. Und zweitens: das schnörkellose Starten. Keine versteckten oder kristallgläsernen Tasten mit Fingerscanner oder Shift-by-Wire-Glamour. Nein, einfach den großen Funkschlüssel ins Zündschloss stecken, umdrehen, den dürren Automatikwählhebel hinter dem Lenkrad auf "D" stellen, und ab geht’s.

Unsere Highlights

Allerdings nicht mit vehementem Schub, sondern sanftmütig und angemessen zügig. Schließlich belässt es Mercedes bei einem 150 kW (204 PS) starken Elektromotor über der Vorderachse, der 362 Nm bereithält. In den reichweitenoptimierten Fahrprogrammen E und E+ beträgt die Leistung gar nur 100 beziehungsweise 80 kW, und so eine mittellange V-Klasse ist ein ziemlich schweres Fortbewegungsmittel.

Reiseklasse für sich

Mercedes EQV 300, Interieur
Rossen Gargolov
Die Akkus lagern unter dem Fahrzeugboden. Entsprechend ist der EQV wahlweise ein Luxus-Bus oder ein Transporter mit 4.630 Litern Stauraum.

Der neue Elektrobus zieht sich seinen Strom aus einem unterflurig montierten 100-kWh-Batterieblock, der rund 700 Kilo wiegt. Entsprechend hoch das Leergewicht: 2.887 Kilo. Ein V 300 d brachte es kürzlich im Test auf 2,4 Tonnen. Dass sich so ein EQV für den 0–100-km/h-Sprint 11,3 Sekunden Zeit lässt und ab Richtgeschwindigkeit noch zahmer Fahrt aufnimmt, können wir gut nachvollziehen. Bei 140 wird dann elektronisch abgeregelt, wenn man nicht für 183 Euro eine Freischaltung auf 160 km/h geordert hat.

Angesichts von 3,25 Quadratmetern Stirnfläche sollte man bei derartigen Tempi den kompetenten Ladesäulensucher im Navi gut im Blick haben, denn solche Geschwindigkeiten drücken massiv die ohnehin knappe Reichweite. Unsere Messungen ergeben einen Testverbrauch von 31 kWh, und selbst bei sehr behutsamer Fahrt fordert der E-Bus 25 kWh. Entsprechend liegt die realistische Reichweite zwischen 306 und 380 Kilometern.

Gut oder schlecht? Es gibt (noch) keine vergleichbaren Fahrzeuge in diesem Format. Schwergewichte mit ähnlich dicken Akkus wie ein Mercedes EQC liegen mit 34,9 kWh etwas darüber. Ebenso ein Audi e-tron Sportback 55 Quattro (33,8 kWh), wobei beide mit 300 kW Systemleistung viel flotter unterwegs sind.

Mercedes EQV 300, Exterieur
Rossen Gargolov
Im Test verbrauchte der EQV 31,0 kWh auf 100 km, kommt so gute 300 km weit.

In jedem Fall sind es 300 höchst entspannte Kilometer. Zu hören sind nur Wind und Räder, aber kein brummeliger Diesel oder knarziges Mobiliar. Dazu kommen das umfangreiche Arsenal an Assistenzsystemen, breite sowie gemütliche Ledersitze und eine optionale Luftfederung (2.303 Euro), die nicht zu starke Aufbaubewegungen zulässt und kaum eine Querfuge weitergibt. Bei schroffem Untergrund kann sie die ganze Fuhre auch noch um 35 Millimeter liften. Viel bequemer kann man in einem Bus dieses Formats wirklich nicht reisen.

Längst nicht so geschmeidig fühlt sich die Bremse bei starkem Gefälle an. Der lange Pedalweg, ein undefinierter Druckpunkt und die maue Verzögerungsleistung fordern schon einen engagierten Piloten, der kräftig aufs Pedal drückt. Dieser Eindruck bestätigt sich auf der Teststrecke, denn die Verzögerungswerte sind schlecht: zehn Messungen aus 100 km/h und immer Werte über 40 Metern – trotz einer soliden Bereifung mit 18 Zoll großen Contis (PremiumContact 6). Für einen Mercedes, der es mit voller Beladung auf 3,5 Tonnen bringt, inakzeptable Werte. Dass der Hersteller auf Nachfrage nur mit dem Schultern zuckt und sich über die Angaben nicht weiter wundert, macht es nicht besser.

Entspannter laden im EQV

Zurück zu den Vorzügen, und neben dem Cruiser-Feeling zählt dazu auch das Warten an der Ladesäule – im Ernst. Denn hier profitiert der schwere EQV von seiner Statur sowie der flexiblen Einrichtung mit vielen Varianten. Warum nicht einfach den Fahrersitz drehen, Tisch und Laptop aufklappen und schon mal ein bisschen texten? Oder mit den Kindern lesen und schlummern? Ein Liegepaket mit Bettverlängerung und dunkler Verglasung kostet 1.083 Euro ex­tra. So lässt sich das Stromtanken entspannt überbrücken.

Mercedes EQV 300, Exterieur
Rossen Gargolov
Die Ladebuchse sitzt links im vorderen Stoßfänger – ideal für das Laden an schnellen HPC-Säulen. An Gleichstrom zieht der EQV bis zu 110 kW.

Viel Zeit bleibt dafür allerdings nicht, weil das Laden dank der inzwischen üblichen Ladeleistung von bis zu 110 kW ziemlich flott gelingt. Die Ladedose vorn links im Stoßfänger ist für große HPC-Lader an Autobahnen clever platziert, doch für das Nachladen an kleinen Säulen – etwa rechts am Gehsteig – ist schon mehr Parkkönnen gefragt. Schließlich ist der EQV mit 5,14 Metern eines der längsten E-Autos überhaupt. Tipp: Ein acht Meter langes Kabel gibt es für 44 Euro zusätzlich beim Händler, und eine 360-Grad-Kamera kann sicher auch nicht schaden.

Abschließend noch ein nüchterner Blick auf die Finanzen. Mit einem Grundpreis von 77.656 Euro steht der EQV 300 lang als Avantgarde in der Liste, doch nach Abzug des Umweltbonus (7.975 Euro) liegt der E-Bus nicht mehr weit über einem vergleichbaren V 300 d mit dem 235 PS starken Vierzylinder-Diesel (66.283 Euro). Nimmt man dann noch die Steuerbefreiung von zehn Jahren und geringere Unterhaltskosten hinzu, kann sich der EQV schnell rentieren. Allerdings bleiben die schwachen Bremsen und die bescheidene Reichweite als gravierende Mankos.

Konsequent langsam

Mercedes EQV 300, Ladekurve
Rossen Gargolov
Die Ladekurve an der Schnellladesäule. Erst nach 49 Minuten erhöht der EQV seinen Ladestand auf rund 80 Prozent.

Jedes E-Auto im Einzeltest muss im Testverlauf mit leeren Zellen an einen 350-kW-Schnelllader (HPC). Im Anschluss erhält die Testabteilung die Ladekurve. Der EQV allerdings kann nur mit maximal 110 Kilowatt laden und auch das nur bis zu einem Ladestand von gut 30 Prozent. Danach flacht die ohnehin niedrige Ladekurve auf 80 kW ab, die er dann immerhin bis 85 Prozent Ladezustand hält. Doch für den Ladehub von null auf 80 Prozent braucht der Mercedes 49 Minuten – das schafft etwa der viel günstigere Hyundai Ioniq 5 binnen 21 Minuten, auch weil er bis zu 45 Prozent mit 210 kW lädt.

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Fazit

Auch die Elektrovariante der V-Klasse besticht mit viel Platz und hohem Komfort zu akzeptablen Energiekosten. Zudem lädt sie fix, kommt aber mit einer Ladung nicht sehr weit. Schwach: die Verzögerung.

Technische Daten
Mercedes EQV 300 lang
Grundpreis74.554 €
Außenmaße5140 x 1928 x 1901 mm
Kofferraumvolumen1030 bis 4630 l
Höchstgeschwindigkeit140 km/h
0-100 km/h11,3 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km
Testverbrauch31,0 kWh/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten