Mercedes GLS 400d und Range Rover D350 im Test
Duell der Diesel-SUV im XXL-Format

Modellwechsel? Wir müssen doch sehr bitten! Ist es an der Zeit, dass in der Dynastie der Range Rover eine neue Generation an die Macht kommt, erlangt das Ereignis den Rang einer Thronfolge. Was den Mercedes GLS kaum dazu bringen dürfte, dem Range im Vergleichstest der 700 Nm mächtigen Vollformat-SUV untertänigst den Vortritt zu lassen.

Mercedes GLS 400d, Range Rover D350
Foto: Hans-Dieter Seufert

Natürlich zuerst zu den Damen: Es wird freundlich gebeten, einen Hut zu tragen. Kleider und Röcke haben eine sittsame Länge aufzuweisen, so definiert, dass sie mindestens bis knapp oberhalb des Knies reicht. Ein Oberteil mit Spaghettiträgern ist unerwünscht, die Taille zu bedecken. Nun die Herren: Sie werden höflich daran erinnert, dass es eine Voraussetzung ist, einen schwarzen, grauen oder dunkelblauen Cutaway zu tragen, in Kombination mit: einer Weste, einer Krawatte (nicht ersetzbar durch Halstuch oder Fliege), einem schwarzen oder grauen Zylinder sowie schwarzen Schuhen mit Strümpfen. Womit wir das Wichtigste geklärt hätten, sollten Sie als geladener Gast nach vorheriger Bewerbung und unter Benennung eines zutrittsberechtigten Bürgen in den Royal Enclosure geladen sein, den abgeschlossenen Besucherbereich der Pferderennbahn von Ascot.

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Da strahlt es immer groß, Britannien, ein Land, das Ruhe, Würde und Pomp nicht nur nie verliert, sondern daraus Autos baut. Na gut, nicht nur, doch seit 52 Jahren und vier Generationen liegt es im Wesen des Range Rover, den Stil Britanniens in die unwirtlichsten Gegenden zu tragen. Der Auftritt eines Range Rover vermag selbst das Bullenrodeo in San Antonio zu Texas’ kleinem Ascot zu adeln.

Nun übernimmt Generation fünf der Range-Dynastie. Wenngleich es nicht zu den bewertbaren Kriterien eines Vergleichstests zählt, dürfen wir anmerken, dass der Rover mit Präsenz und Stil einen GLS in den Schatten zu stellen vermag, selbst (oder womöglich gar erst recht) wenn der sich zum Maybach emporkömmlingt.

Range Rover D350: Stil und Qualität

Range Rover D350, Cockpit
Hans-Dieter Seufert
Der Innenraum des Range Rover überzeugt mit hochwertigen Materialien.

Der Range baut auf eine Multitraktionsplattform auf. Sie lässt sich mit Benzin-, Diesel-, Plug-in-Hybrid- oder Elektro-Antrieben ausstatten und mit der MLA-Flex-Karosseriestruktur versehen, die zwei Radstandvarianten bietet, um fünf bis sieben Hochwohlgeborenen angemessen Platz zu verschaffen – und Bequemlichkeit. Um die auf ein besonders angemessenes Niveau zu heben, verfügt der Testwagen über den Executive-Class-Fond, der dort eine Reduzierung auf zwei Mitfahrer nahelegt. Denn die Sitzanlage lässt sich in zwei Separees teilen – durch elektrisches Herunterfahren einer Mittelkonsole von solcher Massivität, dass Lady Witworth nie fürchten muss, seine Lordschaft könnte, so ihn der Hafer sticht, im Übereifer zu ihr herüberflanken.

Auch sonst richtet sich der Range wie ein britischer Landsitz ein – nicht nur was den Stil, sondern auch die Vordergründigkeit der Qualität angeht. Hinter all die strahlenden Fassaden sollte man nicht genau blicken, manche Tasten nicht beherzt anpacken. Als Beispiel darf das Schauspiel gelten, mit dem sich die Rücksitzlehne elektrisch umlegt, um ein Ladeabteil zu kreieren, das von einem hohen Absatz und erstaunlich unvorteilhaft gestalteter Gesamttopografie geprägt ist. Das Knacken und Rattern, mit dem sich der Umbau vollzieht, in dessen Verlauf reichlich Gelegenheit bleibt, die Mechanik zu beschauen (den Abdeckungen mangelt es an der sittsamen Länge), hat das Potenzial, das Vertrauen in die Dauerhaltbarkeit der Funktion zu erschüttern. Immerhin: Nicht einmal die gut ablesbaren Digitalinstrumente und der trotz großer Bedienfülle eingängig durchsortierte Touchscreen vermögen es, den Stil der Einrichtung mit unangemessener Neumodigkeit zu belasten. Der Range ist ein stattlicher Wagen.

Mercedes GLS 400d: Mehr Platz und drei Reihen

Range Rover D350
Hans-Dieter Seufert
Der Platz im Kofferraum kann von 355 Litern mit dritter Sitzreihe auf bis zu 2.400 Liter erweitert werden.

Der Mercedes GLS ist ein sehr großer Wagen. Er übertrifft den Range im Raumangebot. Und wenn Mercedes feststellt, dass Platzgefüge in der dritten Sitzreihe reiche selbst für Passagiere bis zu einer Körpergröße von 1,94 Meter, so können wir das nur bestätigen. Auch der Komfort reicht bis dort hinten, gibt es doch selbst da eine eigene Klimazone, dazu Sitzheizung und eine diskrete Taste, mit der sich die zweite Reihe zum leichteren Ausstieg nach vorn rücken lässt. Damit ganz hinten mehr Platz entsteht, kann die Mittelreihe elektrisch um zehn Zentimeter nach vorn fahren. Dann bleiben von immensen 85 cm Normsitzraum 75, was noch immer drei mehr sind als die Weite, mit welcher der Range aufwartet.

Die Herumrückerei gelingt im GLS mit technischer Vollkommenheit – wie auch sonst alles, von der Assistenz bis zur Sprachsteuerung, mit der sich die letzten der wenigen Fragen vertrauensvoll besprechen lassen, vor die einen die eingängig strukturierte Bedienung stellen kann. Doch die Perfektion präsentiert der Mercedes in einer Sachlichkeit, die im Vergleich zum Range nicht schnörkellos, sondern fast etwas gewöhnlich wirkt.

Das gilt nicht fürs Fahren. Die Ingenieure können es zu Recht als Triumph feiern, wie behände dieses 5,21-Meter-2.597-Kilo-Trumm über Landstraßen kurvt. Dazu gleich. Davor: Dass er es mit der Enge der Stadt nicht so hat? Da hält sich die Überraschung in ebenso engen Grenzen wie bei der Erkenntnis, wie grandios der GLS die große Reise inszeniert. Entfernt aus dem Maschinenraum dringt das leise Poltern des OM656. Die Automatik legt derweil die Gänge diskret nach wie ein Butler einen Scheit Holz in den Kamin – der lodert auf, noch bevor Ihre Ladyschaft merkt, dass sie zu frösteln droht. Wobei das Getriebe eben mit der Fülle von 700 Nm hantieren kann. Die genügt auf Autobahnfahrten selbst dann für behagliche Gelassenheit drinnen, wenn das Land draußen in großer Hast an den Seitenfenstern vorbeirauscht. Etwas wattiger könnte dabei die Luftfederung ansprechen, die sich auf kurzen Unebenheiten mitunter verhaspelt. Lange Wellen jedoch verpuffen in den Federbälgen, die eine 400 Watt starke Pumpe auf Druck hält.

Teurer Spaß zur Wankminimierung

Mercedes GLS 400d, Cockpit
Hans-Dieter Seufert
Die Hydropneumatik kostet 7.735 Euro und verhindert unter anderem das Wanken in den Kurven.

Die Grundlast des Wagens trägt zwar die Luftfederung, doch die überlagert die Hydropneumatik des aktiven Wankausgleichs. Innerhalb der Achsen sitzt für jedes Rad ein Dämpfer mit Hydraulikspeicher und einem verstellbaren Ventil. Der Dämpfer ist über eine Hydraulikleitung mit einer 48-Volt-Motorpumpe verbunden. Jeder Dämpfer lässt sich separat ansteuern und kann durch Druckänderung aktive dynamische Kräfte aufbauen, die den Karosseriebewegungen entgegenwirken – oder sie übertreffen: In der intensivsten der drei Active-Curve-Kennlinien legt sich der GLS mit bis zu drei Grad in Kurven. Das System ist ebenso teuer (7.735 Euro) wie beeindruckend. Wie sich dieser Koloss in Kurven neigt, wie agil und neutral er sie umrundet, wie weit das den Grenzbereich nach oben verschiebt – das ist eine ingeniöse Meisterleistung. Doch verhindert sie neben dem Wanken auch, dass der GLS zu klarem Charakter findet. Will er ein perfekter Reise-SUV sein, Kurvenbezirzer oder Offroader?

Denn auch kraxeln kann der GLS, gerade mit großem Geländebesteck (Untersetzung, vollvariable Momentenverteilung, Offroad-Fahrprogramme, 2.261 Euro). In Kombination mit Wankausgleich verfügt der GLS über einen Freifahrmodus. Den darf man sich so vorstellen, als stünde ein Elefant auf weichem Sand und stampfe auf den Boden, um wieder festen Tritt zu bekommen: Die Hydraulik hebt jedes einzelne Rad an, lässt es dann mit Wucht nach unten fahren. Auch das hochingeniös, im Notfall eine Rettung, im Alltag aber, wenn man das so hört, ein bisschen ulkig.

Neues Allradsystem im Range Rover

Range Rover D350, Infotainment
Hans-Dieter Seufert
Das neue Allradsystem klinkt den Antrieb der Vorderachse zwischen 35 und 160 km/h aus, was die Schleppverluste und den CO2-Ausstoß senkt.

Dagegen kann der Range den großen Auftritt als "Elegant Arrival" inszenieren: Bei der Anfahrt senkt die Luftfederung die Karosserie zum galanteren Ausstieg fünf Zentimeter ab, dazu fahren seitliche Trittbretter aus. Für Abwegigeres als manikürte Kies-auffahrten bringt der Range aus dem Land-Rover-Clan die Erfahrung von 74 Jahren Herumgewühle mit – und das neueste Allradsystem. Es klinkt den Antrieb der Vorderachse zwischen 35 und 160 km/h aus, was die Schleppverluste um 30 Prozent senkt und den CO2-Ausstoß – putzig, bei 217 g/km – um vier Gramm. Beim Anfahren und im Gelände bleibt der Allrad aktiv, das Untersetzungsgetriebe ist serienmäßig, dazu gibt es ein aktives Hinterachsdiff, das die Kraftverteilung an die beiden Räder per Bremseingriff variiert.

Eh dabei: Terrain Response, das Differenziale, Gasannahme, Traktionskontrolle und per Luftfederung das Höhenniveau der Karosserie je nach Situation regelt. Im Wat-Modus verriegelt das System Schotts an allen Luftkanälen und pumpt den Wagen 13,5 cm über Normalniveau. So watscht der Range durch 90 cm hohe Fluten, der Wat-Tiefensensor meldet den aktuellen Pegelstand ans Infotainment. So beherrscht der Range die wüstesten Abseitigkeiten und bewahrt sich seine traditionelle Unabhängigkeit von befestigten Straßen.

Wobei er mit denen nun durchaus umgehen kann. Ob sich also etwas ergibt, was die Verwendung des Begriffs Handling nötig macht? Bewahre! Stattdessen majestätet er über Straßen. Dabei verschafft ihm allein seine Masse eine schwerwiegende Prunkfülle, mit der auch ein weniger talentiertes Fahrwerk als seines zurechtkäme. Doch strebt die Luftfederung nicht nach weniger als exzellentem Komfort. Bekommt sie vom Navi zugerufen, es gefiele der Straße, dieser widerborstigen Asphaltschlange, sich zu einer Kurve zu winden, strafft sich die Federung in umsichtiger Vorahnung, um sich Seitenneigung und anderen Karosseriebewegungen mit bis zu 1400 Nm entgegenzustemmen.

Sodann vollzieht der Range den Richtungswechsel mit pflichtdienlicher Sicherheit, aber hoheitsvollem Desinteresse. Das zeigt sich in der Geringschätzung von Präzision und Rückmeldung in der indirekten Lenkung wie auch darin, dass bei Weitem nicht alles Wanken Ausgleich findet.

Effektivere Hinterachslenkung im Range Rover

Range Rover D350
Hans-Dieter Seufert
11,7 Meter genügen dem Rover zum Wenden. Der Mercedes benötigt hingegen 12,4 Meter.

Sich in die Kurve legen wie der GLS? Ts-ts-ts, diese Deutschen. Nun, es zählt sicher nicht zu den Gepflogenheiten eines Range, sich den vorwitzigen Ideen des Straßenverlaufs noch anzubiedern. Immerhin hat er sich bereits eine gewisse Nachsicht gegenüber eher bürgerlichen Gepflogenheiten wie dem Befahren von Tiefgaragen oder dem Einparken in nicht zuvor abgesperrte und womöglich enge Parklücken angeeignet. Bis 50 km/h lenken die Hinterräder bis zu 7,3 Grad gegensinnig ein, was dieser Westminster Abbey der Geländewagen überraschende Gewandtheit verschafft. Der Range U-turnt in einem so engen Schwung, wendet auf solch kleinem Kreis, dass du im Eifer, im Parkhaus die äußeren Bordkanten und Pfeiler nicht zu streifen, fast an den inneren entlangschrabbst.

Doch ist es die große Reise, die er in noch überragenderer Vollendung beherrscht als der GLS. Ein wenig mag es an der um zehn Zentimeter herausgehobeneren Sitzposition liegen, ein wenig mehr noch an der weitschweifigen Aussicht, welche die niedrigere Fensterlinie und die steileren Dachsäulen eröffnen. Jedenfalls verreist es sich im Range in feudaler Luxusklassigkeit: diese grandiosen Sessel, diese flauschige Federung, diese Ruhe. Sie liegt nicht nur an der Geräuschunterdrückung per Antischall aus 35 Lautsprechern, sondern mehr noch in der Kraft.

GLS geringfügig sparsamer

Mercedes GLS 400d
Hans-Dieter Seufert
Auf 100 km verbraucht der Dieselmotor des GLS im Durchschnitt 10,3 Liter und damit etwas weniger als der Range Rover.

Der des Dreiliter-Diesels, den zwei Turbos der Reihe nach auf 700 Nm plustern. So stemmt sich der Range voran, ohne dass es die von einem 48-V-Mildhybrid assistierte Maschine je Anstrengung zu kosten scheint oder Grund, den Ton über ein sachtes reihensechszylindern zu erheben – als Wink an die Achtstufenautomatik, einen ihrer galanten Gangwechsel zu vollziehen. Bei so viel Harmonie scheint selbst der Verbrauch – mit 10,6 l/100 km im Test ein Drittelliterchen höher als beim GLS – keineswegs unangemessen. Das sind nur die langen Bremswege und die schlechte Dosierbarkeit des kabel- statt hydraulikverbundenen Brake-by-Wire-Pedals.

Der Rover gewinnt zwar nicht, ist aber ein erlauchtes Auto, dazu eines, mit dem man – ganz besonders unverdächtig in Ascot – Pferde stehlen könnte. Weil er so ein Kumpeltyp ist? Himmel, nein! Auch nicht nur wegen 3,5 Tonnen Anhängelast, Trailer-Rangierassistent und Beleuchtungscheck. Sondern weil die Society jeden Range-Fahrer für einen der untadeligen Ihren halten wird. Ehrenlord!

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Fazit

1. Mercedes GLS 400d
654 von 1000 Punkte

Falls es um weniger Exorbitanz bei Verbrauch und Kosten, dafür mehr Assistenz, Platzangebot und Variabilität geht, dürfen wir zum etwas nüchterneren, sperrigeren Mercedes raten.

2. Range Rover D350
593 von 1000 Punkte

Falls es um mehr Extravaganz im Stil und mehr Abtriebs- und Federungskultur geht, darf es der immens teure Range sein, den kein Gelände aufhält aber die Bremse zu zögerlich

Technische Daten
Range Rover D350 HSEMercedes GLS 400 d 4Matic
Grundpreis148.700 €101.251 €
Außenmaße5052 x 1990 x 1870 mm5207 x 1956 x 1823 mm
Kofferraumvolumen482 bis 1773 l355 bis 2400 l
Hubraum / Motor2998 cm³ / 6-Zylinder2925 cm³ / 6-Zylinder
Leistung257 kW / 350 PS bei 4000 U/min243 kW / 330 PS bei 3400 U/min
Höchstgeschwindigkeit234 km/h238 km/h
0-100 km/h6,7 s6,5 s
Verbrauch10,3 l/100 km
Testverbrauch10,6 l/100 km10,3 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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