Mercedes SL 400 vs. Porsche 911 Carrera Cabriolet
Schwäbische Cabrio-Ikonen im Duell

SL gegen 911 – mehr geht nicht bei deutschen Premium-Sportwagen. Und auf manche Fragen findet nicht einmal unsere Punktewertung eine Antwort. Doch lesen Sie selbst!

Mercedes SL 400, Porsche 911 Carrera Cabriolet, Frontansicht
Foto: Christian Schulte

Der Himmel ist nicht umsonst, das hatte unter anderem schon der große Klaus Westrup erkannt. Nur auf die frische Luft, erkannte er, komme es beim Cabriofahren gar nicht an, sonst täte es ja auch ein Golf Cabrio. Daher fuhr er vor ziemlich genau 30 Jahren mit einem Mercedes SL und einem 911 Cabrio durch die Gegend, und damit es nicht zu fad wurde, nahm er dazu noch einen Ferrari Mondial und einen Jaguar XJ-S mit. Für Interessierte nachzulesen in auto motor und sport, Heft 8 von 1986.

In unserem Fall kostet der Himmel mindestens 99.097 Euro, zu diesem Preis steht der neue Mercedes SL 400 in der Liste, komplett mit Neungangautomatik, LED-Licht und Panorama-Variodach. Bei Porsche wird ebenfalls zugelangt, das neue 911 Cabrio kostet 109.695 Euro, für PDK und LED-Licht wären zusätzlich 6.105 Euro fällig. Gute 140.000 Euro stehen beim miamiblauen Testwagen am Ende der Ausstattungsliste, doch auch im hyazinthroten SL 400 sind Extras im Wert von rund 28.500 Euro enthalten, besonders billig waren 911 und SL schließlich nie. Allein für die schmucken Sonderfarben sind 2.654 Euro (911) und 1.606 Euro (SL) fällig. Weil wir nun schon mal dabei sind, können wir gern mit weiteren Zahlen herumjonglieren: 1986 war der 500 SL das teurere Auto, er kostete 90.744 Mark, der Porsche 911 Carrera 3.2 war fast 9.000 Mark billiger. Und bevor wir uns nun endgültig dem Hier und Jetzt zuwenden: 245 und 231 PS hatten 500 SL und 911 damals, heute sind es 367 und 370.

Mercedes SL und Porsche 911 frisch modellgepflegt

Beide kommen ja recht frisch von der Modellpflege. Beim Mercedes hat diese unter anderem dafür gesorgt, dass jetzt der neue Dreiliter-V6 mit der Neunstufenautomatik im Maschinenraum sitzt, bei Porsche wurde der 3,4-Liter-Saugboxer durch einen Dreiliter-Biturbo ersetzt. Allein das macht ja schon neugierig, vor allem über das Porsche-Triebwerk wurde bereits sehr viel Nettes gesagt.

Porsche 911 Carrera Cabriolet, Heckansicht
Wolfgang Groeger-Meier
Im Heck des 911 Carrera wohnt jetzt ein Dreiliter-Boxer mit 370 PS, zu sehen ist er selbst bei geöffneter Motorhaube nicht - dafür jederzeit deutlich zu hören.

Recht haben natürlich alle, die den neuen Turbo für sein spontanes Ansprechen und die unverzügliche Gasannahme lobten, im Prinzip. Doch im wahren Leben, etwa im Stop-and-go des Stadtverkehrs, ist immer mal wieder ein winziges Turbolöchlein im Gasfuß ertastbar. Das ist jedoch schon das Schlimmste, was man dem Triebwerk nachsagen kann. Alles andere ginge bereits ins Geschmäcklerische; dem Turbo vorzuwerfen, dass er nicht heult und singt wie ein luftgekühlter 3,6er im 964 mit Cup-Auspuff, ist in etwa so, als wollte man Sängerin Adele vorhalten, sie klinge weniger herzerweichend als Janis Joplin. Ein anderes Kapitel freilich ist die optionale Sportabgasanlage. Sie veranstaltet je nach Gaspedal- und Klappenstellung ein gehöriges Spektakel, das vor allem bei längeren Autobahnfahrten lästig werden kann. Indes: Auf Knopfdruck kann sie auch mal die Klappe halten. Zurück bleibt dennoch der Eindruck, dass man es bei Porsche im Bemühen, dem gedämpften Turbosound des Dreiliters auf die Sprünge zu helfen, doch wohl ein wenig übertrieben hat.

SL 400 mit harmonischem Sechszylinder

Derlei liegt dem Mercedes fern, es passte auch gar nicht zum gepflegten Auftreten des SL. Der neue V6 läuft zwar nicht so seidenweich wie ein Reihensechser oder der V8 des R 107 von 1986, doch im R 231 von 2016 gibt das Triebwerk ein sehr harmonisches Bild ab. Die Zusammenarbeit mit der Neunstufenautomatik gestaltet sich entspannt und unhektisch, die Schaltpaddel hinterm Lenkrad kann man getrost vergessen, Motor, Drehmomentwandler und Getriebesoftware kommen ohne menschlichen Eingriff bestens zurecht.

Trotz fast identischer Leistung geht der SL deutlich weniger hurtig als der 911, das ist so wenig verwunderlich, dass es hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt wird. Fünf Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h sind ja dennoch ein Topwert, allerdings absolviert der Porsche die Übung acht Zehntel schneller, unterbietet gar die Werksangabe um 0,2 Sekunden. Viel beeindruckender als die bloßen Ziffern ist aber die gelassene und unaufgeregte Art, die der Mercedes dabei an den Tag legt. Er hebt die Nase in den Wind, scharrt kurz mit den Antriebsrädern und stiebt davon.

Porsche 911 Cabriolet bekennt sich zum Sportwagensein

Dass der Elfer dabei mehr Drama veranstaltet, gehört zu seinem Sportwagen-Naturell, alles andere wäre enttäuschend. Das PDK hat eine Launch-Funktion, doch viel mehr Spaß macht es, den Wählknopf am Lenkrad auf "Sport Plus" zu drehen, das Getriebe auf manuell zu schalten und Gas zu geben. In der Nähe des roten Bereichs schnippst du dann die nächste Welle rein, hinter dir krallen sich die Zwanzigzöller in den Asphalt und schießen den Porsche ansatzlos und ohne merklichen Schlupf nach vorn. So muss das sein.

Mercedes SL 400, Porsche 911 Carrera Cabriolet, Impression
Wolfgang Groeger-Meier
Der 911 ist der intensivere Frischluft-Sportwagen.

Noch viel schöner wird das, wenn es nicht nur geradeaus geht, sondern sich die ein oder andere Kurve vor den Wagen wirft. Anbremsen, runterschalten, einlenken, wieder ans Gas, das alles geht im 911 so chirurgisch und fein dosierbar vonstatten wie wohl in keinem anderen Auto in dieser Preisklasse, das macht der neue Turbo-911 gar nicht so sehr anders wie seine sämtlichen nicht turbogeladenen Vorfahren.
Auf öffentlichen Straßen ist man damit sehr schnell in den punkterelevanten Abschnitten des Bußgeld-Katalogs unterwegs, weshalb sich die Handlingstrecke des Bosch-Testzentrums in Boxberg als praktische Alternative anbietet. Dort unterstreicht der 911 sein Talent als agiler Kurvenkünstler, klebt stoisch im eng gesteckten Parcours, durcheilt ihn mit einem zart angehauchten Untersteuern und schier unendlichem Grip am Kurvenausgang.

Der SL ist das talentiertere Cabrio

Einige Sekunden langsamer folgt der SL, nicht ganz so exakt einlenkend, auch wegen der serienmäßigen nichtlinearen Direktlenkung, mit viel mehr Karosseriebewegung und im Grenzbereich bei ausgeschaltetem ESP übersteuernd. Der enorm präzise und neutrale 911 lässt sich nur durch gezieltes und heftiges Lastwechseln zum Querfahren animieren, beim SL geht das etwas leichter. Blickt man dabei auf die Stoppuhr, zeigt sie den Porsche in einer anderen Liga, er ist nun mal ein rennstreckentauglicher Sportwagen, was Wunder!

Doch die Welt beim Cabriofahren besteht ja nur zu sehr geringem Teil aus Handlingkurs, viel größer sollte der Anteil des genussvollen Fahrens mit wechselnden Geschwindigkeiten und unterschiedlichsten Strecken sein, schließlich könnte man sich ja sonst einen Macan oder GLC in die Garage stellen. Da wiederum erweist sich der Mercedes als talentierteres Cabriolet, auch weil er eine größere Bandbreite des Offenfahrens beherrscht.

Mercedes SL 400, Frontansicht
Wolfgang Groeger-Meier
Gediegener Komfort, garniert mit souveränen Fahrleistungen - das ist die Devise des SL 400.

Mit seinem Panoramadach, dem elektrisch ausfahrbaren Windschott (595 Euro) und wärmendem Luftschal (655 Euro) schafft er sich an jedem beliebigen Wintertag sein eigenes Cabrio-Klima, der Porsche erfordert da mehr Kompromisse. Nun müssen wir auch noch ein paar Zeilen zum Komfort schreiben, das gehört bei einem Vergleichstest dazu. Der SL 400 sammelt hier mehr Punkte als der 911, er federt angenehmer, hat die bequemeren Sitze, ist viel leiser und rollt geschmeidiger ab. Das wird alle 911-Freunde eher wenig stören, sie wollen ihr Cabrio so direkt und rückmeldungsintensiv wie möglich, und da werden sie hervorragend bedient, auch das ist keine Frage.

Zwei mal Platz 1?

Weil zu jedem ordentlichen Vergleichstest ein Punktesieger gehört, hat auch dieser einen, sehen Sie bitte unten nach. Doch in Wahrheit sind es eher zwei Sieger als einer. Wenn Sie mich fragen, hätte ich am liebsten beide behalten: den 911 zum Schnellfahren, den SL für alles andere. Und wenn Ihnen das jetzt alles zu fad war: Beim nächsten Mal nehmen wir ebenfalls einen Ferrari und einen Jaguar mit, mindestens.

Fazit

1. Mercedes SL 400
417 von 1000 Punkte

Mit seiner Variabilität, dem harmonischen Antrieb und dem hohen Komfort gewinnt der SL 400 diesen Vergleich, zudem ist er billiger und alltagstauglicher als der 911.

2. Porsche 911 Carrera Cabriolet
408 von 1000 Punkte

Nach Punkten liegt der Elfer diesmal knapp hinter dem SL, doch in der Eigenschaftswertung hat er ein paar Punkte Vorsprung. Fahreigenschaften und Fahrspaß sprechen für den 911.

Technische Daten
Mercedes SL 400 Porsche 911 Carrera Cabriolet Carrera
Grundpreis100.412 €114.515 €
Außenmaße4631 x 1877 x 1315 mm4499 x 1808 x 1289 mm
Kofferraumvolumen241 bis 345 l145 l
Hubraum / Motor2996 cm³ / 6-Zylinder2981 cm³ / 6-Zylinder
Leistung270 kW / 367 PS bei 5500 U/min272 kW / 370 PS bei 6500 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h290 km/h
0-100 km/h5,0 s4,2 s
Verbrauch8,6 l/100 km7,5 l/100 km
Testverbrauch11,5 l/100 km11,3 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten