Smart #1 im Test
Kann Smart auch Crossover?

Aus einem für alle wird einer für alles: Der urbane Champ Fortwo weicht einem Crossover. Nutzwert und Preis schießen nach oben, das Alleinstellungsmerkmal fehlt. Hat der Teuto-Chinese trotzdem das Zeug zum Hit?

Smart #1
Foto: Rossen Gargolov

Laut Karl Lagerfeld fängt Persönlichkeit dort an, wo der Vergleich aufhört. Der Smart Fortwo war fast unvergleichlich. Toyota mischte sich im Segment der Mikros mal kurz mit dem iQ ein. Jetzt versucht sich Smart, nicht mehr als reine Mercedes-Tochter, sondern als Joint Venture von Mercedes und Geely, im Schmelztigel der Elektromobilität: der Kompaktklasse. Nirgendwo sonst prallt die alte Welt so frontal auf die neue. Traditionelle Hersteller finden frische Gegner aus China, verbrennerbasierte E-Mobile treffen auf dedizierte Plattform-Stromer.

Der große E-Ratgeber

So einer ist auch der #1, dessen SEA-Plattform von Geely stammt und auch dem neuen Volvo EX30 zugrunde liegt. Während die Konzeption und das Design von Mercedes stammen, ist die Technik made in Huangzhou. Trotzdem spricht der Smart Schwäbisch mit dir. Wie bitte? Nun, er fährt angenehm rund, federt Bodenwellen mit seinen nicht-adaptiven Dämpfern sauber aus, rollt hier und da mit seinen 19-Zöllern etwas harscher ab und schickt Passagiere nur auf sehr üblen Abschnitten in die Hüpfburg, wenn das Fahrwerk zu stärkeren Aufbaubewegungen neigt.

Die Lenkung arbeitet zwar nicht mit außerordentlichem Elan in Sachen Direktheit oder Feedback, mit hinreichender Präzision und harmonischem Handmoment sorgt sie aber für einen simplen Mensch-Maschine-Austausch. Zumal der Smart trotz Heckantrieb eh nicht den Kurvenkratzer gibt, auch wenn das Fahrverhalten mit spürbarem Krafteinsatz an der Hinterachse gar nicht mal von der stumpfen Sorte ist. Das ESP greift später als beim sportlicher positionierten Cupra Born ein, was jedoch nicht zulasten der Fahrsicherheit geht. Beim Slalom und Ausweichtest zeigt sich der #1 neutral bis leicht übersteuernd, jedoch stets sicher von der Stabilitätselektronik angeleint.

Macht nicht schlapp

Smart #1
Rossen Gargolov
6,3 Sekunden verbringt der #1 beschleunigend gen 100 km/h – stattliche 0,4 Sekunden schneller als die Smart-Werksangabe. Auch bis 180 km/h bricht die Beschleunigung kaum ein.

Kurzum: Der Smart fährt sich europäisch, was ihn von vielen seiner Landsfahrzeuge unterscheidet. Es gibt womöglich noch Leisere, aber er spart sich auffällige Antriebs- oder Windgeräusche. Der Smart wäre kein Elektroauto, würde es ihm nicht besonders leicht fallen, mit seinem 200-kW-Permanentmagnet-Synchronmotor längsdynamische Ausrufezeichen zu setzen: In 6,3 Sekunden liegen 100 km/h an. Beachtlich auch, wie er dort weitermacht, wo viele Stromer zum Bauteilschutz Leistung zurücknehmen. 160 km/h? 15,3 Sekunden! Ein BMW 330i kann das nur zwei Zehntel schneller. Ein Grund dafür: In der Ausstattungslinie Premium kommen Silizium-Karbid-Inverter zum Einsatz, die nicht nur die Effizienz verbessern (plus 20 km WLTP-Reichweite gegenüber der Basis), sondern auch hohe Ströme länger abkönnen.

Fakt ist, dass der #1 lieber Geschwindigkeit aufnimmt, statt sie abzubauen. Die Bremswege sind zwar konstant, aber mit hohen 36-Meter-Werten eher im unteren Mittelfeld. Neben den Fahrmodi Eco, Comfort und Sport lässt sich auch die Rekuperation dreifach verstellen, inklusive Einpedalmodus. Eine Segelfunktion fehlt. Mit der leicht verzögert einsetzenden Rekuperation braucht es Eingewöhnung, um die Passagiere nicht mit dem Kopf nicken zu lassen. Gleiches gilt für das Bremspedal, das nicht immer nachvollziehbar zwischen Rekuperation und hydraulischer Bremse überblendet.

Die Spur hält der Smart dagegen gut, auch wenn er das Lenkrad im vollassistierten Modus sehr stramm führt. Der Abstandsregeltempomat bremst bei engen Fahrspuren unnötig ab. Unterirdisch: die Verkehrszeichenerkennung, die gerne zu 100 km/h innerorts motiviert und nur einen Bruchteil der Tempolimits erkennt. Ob das am Unwillen des Testwagens lag, sich mit dem Internet zu verbinden? Die Nervigkeitskrone verdient sich der Aufmerksamkeitsassistent, der mit einer Kamera die Blickführung überwacht – nur gelingt ihm das nicht. Blickt man länger auf den Zentralmonitor, bleibt er meist stumm, bei regulärem Blick auf die Straße löst er dagegen ständig aus und piepst unaufhörlich.

Ein echter Blender

Smart #1
Rossen Gargolov
Der Smart verfehlt seine maximale Ladeleistung minimal, erreicht dafür aber die Werkszeit für den Standard-Ladehub von 10 bis 80 Prozent.

Die Effizienz überzeugt primär auf der Eco-Runde (18,2 kWh), der Testverbrauch ist im Klassenvergleich erhöht mit 26,5 kWh. Dem Smart sind mit seiner aufragenden, kurzen Karosserie aerodynamische Grenzen gesetzt. Trotzdem ist der cw-Wert von 0,29 noch sehr ordentlich.

Umso besser, dass eine gute Ladeflexibilität gegeben ist: 22-kW-AC-Laden ist serienmäßig. An Schnellladesäulen sind bis zu 150 kW möglich (siehe unten rechts). Während man trotz der nicht allzu üppigen Reichweite beim Laden echte Lichtblicke erkennen kann, blickt nachts vor allem der Gegenverkehr ins Licht – und zwar in das Fernlicht des Smart. Die CyberSparks-Scheinwerfer leuchten düstere Landstraßen zwar gleichmäßig und gut aus, blenden den Gegenverkehr aber oft nicht aus. Der antwortet oft mit Lichthupe.

Relativ wenige Antworten liefert die Sprachsteuerung, die wie viele Anwendungen im Fahrzeug darunter leidet, dass sich der Testwagen partout nicht mit mobilem Internet verbinden lässt. Erst über einen WLAN-Zugang können zahlreiche Funktionen getestet werden, aber eben nur im Stand – mit dem WLAN-Hotspot des Smartphones wollte er sich ebenfalls nicht verbinden – was der konzeptionell bedingten mobilen Anwendung eines Autos eher unzuträglich ist. Das Android-basierte Infotainment-System verschmäht Apple CarPlay und Android Auto. Die gesamte Bedienung läuft über den Touchscreen und kapazitive Direktwahlfelder darunter. Die Menüführung erfordert reichlich Eingewöhnung, die zahlreichen fragwürdigen Übersetzungen stürzen dich nur noch tiefer ins Digital-Dickicht. So lässt sich beispielsweise ein "Folgefahren-Modus" aktivieren (Kopplung des Lenkwiderstands an den Fahrmodus) oder eine "Ladetemperatur Wartung". Die dazu verfassten Erklärungen helfen mit ebenfalls holprigem Deutsch kaum weiter.

Die Bedienungsanleitung vielleicht? Tja, die gibt’s nur virtuell und ist ohne Internet nicht abrufbar. Das Navigationssystem erkannte zwar eine schier unendliche Anzahl an POIs wie Schreinereien, Wirtshäuser oder Kleintierzuchtvereine (kein Witz!), nur die Stuttgarter Heimat-Adresse war ihm nicht geläufig. Gleichzeitig fehlen dem Navigationsbildschirm Informationen wie Restkilometer zum Zwischenziel, wenn zum Beispiel eine Ladesäule angefahren werden soll.

Raum for four

Smart #1
Rossen Gargolov
Zur namensgebenden Nummer eins reicht es noch nicht. Smarts Crossover in der Kompaktklasse bietet reichlich Potenzial mit gutem Fahrverhalten, praktischer Karosserie und brauchbarer Ladepower.

Apropos Ladesäulen: Die findet der Smart mit Internetverbindung selbstständig und baut sie in eine Route ein. Nur scheint er zahlreiche Säulen nicht zu kennen, denn die Routen umfassen teils deutliche Umwege. Den erforderlichen Mindest-Ladestand für die Weiterfahrt zur nächsten Säule kommuniziert er ebenfalls nicht. Immerhin widerstand Smart der Versuchung, kapazitive Tasten am Lenkrad zu verwenden, und entschied sich für ein logisches Tasten-Layout. Denn abgesehen von der unfertigen Software ist der Innenraum des #1 gelungen. Die Qualität passt, abgesehen von der ruckeligen Rückfahrkamera und dem quietschenden Fahrerfenster. Zwar sind die Materialien nicht ganz auf Premium-Niveau, aber solide zusammengefügt.

Praktisch ist er außerdem: Dank verschiebbarer Rückbank lässt sich der Kofferraum vergrößern oder der Platz für Fondpassagiere auf Limousinenformat erweitern. Selbst der langhaxigste Kumpel mit 1,95 Metern stößt weder am Vordersitz noch am Dachhimmel an. Die angegebenen Kofferraum-Volumina von 313 bis 976 Litern erscheinen arg konservativ, denn gerade mit umgeklappter Lehne bietet der Smart mehr Platz als viele Kompakte. Für dieses Platzangebot in Fond und Kofferraum wird jedoch der Raum vorn links eingeschränkt. Man sitzt aufrecht sowie nah an Tür und B-Säule. Hier, im Innenraum, kann er sich mit seiner besonderen Gestaltung ein wenig Persönlichkeit zurückholen, ohne dass er je die Einzigartigkeit des Fortwo erreicht – oder sein Preisniveau.

Los geht’s ab 42.490 Euro für die bereits sehr gut ausgestattete #1-Basis. Der getestete Premium hat mehr Reichweite dank SIC-Inverter und Wärmepumpe. Der 48.990 Euro teure, 315 kW starke Brabus kommt mit zweitem Motor und einem 3,9-sekündigen Versprechen für den Standardsprint. Vor dem Vergleich wird er sich trotzdem nicht retten können. Die Gegner warten bereits.

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Karosserie
Clevere Ausnsutzung seiner 4,27-Meter-Karosserie
Übersichtliche Gestaltung
Geringe Zuladung
Ablenkende Bedienung
Sicherheit
Verkehrszeichenerkennung lässt Serienreife vermissen
Fehlende Finesse bei automatischer Fernlichtsteuerung
Bremsen könnten besser verzögern
Komfort
Guter Komfort
Scharfe Displays
Angenehmer Geräuscheindruck
Zugige Klimaanlage
Wirre Infotainment-Struktur
Antrieb
Antrittsstarker 200-kW-Motor
Passable Ladezeiten
Rekuperation setzt zu verzögert ein
Fahrverhalten
Fährt sicher und ausreichend präzise
Bosch-ESP arbeitet verlässlich
Umwelt
Geringer Eco-Verbrauch
Hohe Transport-Emissionen
Testverbrauch könnte niedriger sein
Kosten
Viel Klasse und Ausstattung für weniger Geld als europäische Konkurrenten
Typisch Stromer - kein Schnäppchen
Technische Daten
Smart #1 Premium
Grundpreis44.990 €
Außenmaße4270 x 1822 x 1636 mm
Kofferraumvolumen313 bis 976 l
Höchstgeschwindigkeit180 km/h
0-100 km/h6,3 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km
Testverbrauch26,5 kWh/100 km