VW Golf III VR6 (1991) im alten Test
Golf Nummer 3 mit 6 Zylindern

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Den Golf 3 bringt VW 1991 mit VR6-Motor und 174 PS. Ist der Kompakte mit dem Sechszylinder übermotorisiert oder gar ein Über-GTI? Der alte Test aus auto motor und sport 23/1991 nennt klar Stärken und Schwächen des Golf VR6.

VW Golf III VR6 (1991)
Foto: Hans Peter Seufert

Die Idee hat was. Ein schöner, relativ großvolumiger Sechszylinder in einer schön kompakten Limousine der unteren Mittelklasse – Stoff für eine ebenso attraktive wie dünn besetzte Marktnische. Eigentlich ist sie sogar verwaist, spätestens seit BMW, Spezialist für kompakte Sechszylinder, mit der neuen Dreier-Reihe im Format wie auch im Preis in höhere Gefilde gedriftet ist. Und daß es ausnahmsweise nicht die Japaner sind, welche die entstandene Vakanz ausfüllen, läßt hoffen.

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Ist der VR6 der neue Traum-Golf?

Beste Voraussetzungen also für den neuen VW Golf VR6, der treffsichersten Wolfsburger Nischenidee seit dem Ur-GTI vor 15 Jahren. Tatsache ist, daß die Verpflanzung des bereits aus dem Passat VR6 bekannten Sechszylinders in die Neuauflage des Bestsellers nicht nur ganz automatisch den zukünftigen Traum-Golf kreiert. Sie erschließt zugleich ein gänzlich neues Marktsegment, dessen einziger Vertreter bis auf weiteres der Golf VR6 sein wird.

Es fällt nicht schwer, sich die Wirkung dieser neuen Mischung auszumalen. Um so kritischer die erste, intensivere Begegnung mit dem vermeintlichen Wolfsburger Wunder. Euphorie oder wieder einmal die sich bei gefeierten Newcomern so häufig einstellende Ernüchterung?

Sechszylinder mit 15 Grad Zylinderwinkel

VW Golf III VR6 (1991)
Hans Peter Seufert
Der Motor hat einen ungewöhnlich engen Zylinderwinkel von 15 Grad.

Das Fazit ausnahmsweise gleich vorweg: weder noch. Der Golf VR 6 ist genau so, wie man ihn sich vorstellt – weder besonders aufregend noch enttäuschend, einfach nur gut, wohltuend gut. Nach den Ursachen für dieses Wohlgefühl braucht der Tester nicht lange zu fahnden. Sie liegen zum größten Teil auf der Hand. An erster Stelle natürlich die Zahl der Zylinder: Die sechs V-förmig, in einem ungewöhnlich schmalen Winkel von 15 Grad gruppierten Hubräume gewährleisten ein Maß an Seidigkeit, wie es in der Golf-Klasse nicht gekannt wird.

174 PS bei 1213 Kilogramm

Den kultivierten Tonfall untermalt ein dezentes, wohltemperiertes Grollen, das immer dann etwas mehr in den Vordergrund tritt, wenn Drehzahlen jenseits 5000/min aufgesucht werden. Dazu besteht indes selten Anlaß, und das leitet nahtlos zu einer weiteren Annehmlichkeit dieser Golf-Variante über. Kraft gibt es überall und im Überfluß, was bei 174 PS (128 kW) und 1213 Kilogramm zwar kein Wunder, aber auch keineswegs selbstverständlich ist. Denn weniger das Verhältnis von Leistung zu Gewicht prägt den Fahr­eindruck als die gewichtsspezifische Ausstattung mit Hubraum. Mit 2,8 Litern fällt sie in diesem Fall ausgesprochen üppig aus. In die Praxis übersetzt heißt das: Die eindrucksvollen Kraftreserven dieses Sechszylinders muß man nicht mühsam herauspressen; der VR6 schüttelt sie locker aus dem Ärmel.

Damit unterscheidet er sich übrigens auch vorteilhaft von der prestigeträchtigen Spezies der Vierventiler, allzu häufig Papiertiger, deren schwindelerregende Leistungsausbeute mit nicht weniger schwindelerregenden Drehzahlen verknüpft ist. Der VW-Sechszylinder ist ein Zweiventiler, und er beweist, daß diese Bescheidenheit durchaus ihr Gutes hat. Ein nicht zu leugnender Vorzug dieser lässigen, niedertourigen Kraftentfaltung ist ihr Komfort-Charakter. Der Golf VR6 ist keiner, der seinen Fahrer zu Hektik antreibt, somit auch kein typischer GTI, weshalb ihm seine Erzeuger diese drei Buchstaben wohlweislich erspart haben.

7,6 Sekunden von 0-100 km/h

VW Golf III VR6 (1991)
Hans Peter Seufert
Airbags sind 1991 im Golf noch nicht serienmäßig.

Den höchsten Genuß verspricht der Sechszylinder bei schaltfauler, komfortbetonter Fahrweise, ohne daß darin jedoch sein Repertoire erschöpft wäre. Was dieser luxuriös motorisierte Golf bei Nutzung seiner sämtlichen Möglichkeiten zu Wege bringt, dokumentieren in aller Eindeutigkeit die einschlägigen Werte: Beschleunigung von null auf 100 km/h in 7,6 Sekunden, auf 160 km/h in 18,7 Sekunden; Beschleunigung im vierten Gang von 60 auf 100 km/h in 8,7 Sekunden, im fünften von 80 auf 120 km/h in 12,5 Sekunden.

Das sollte genügen, wobei abschließend noch darauf hingewiesen sei, daß es selbst das beste Pferd im Stall der BMW Dreier-Reihe, der 325i, nicht besser kann, in puncto Elastizität ist er sogar klar schlechter. Die Abstufung des Fünfganggetriebes erscheint der stets willigen Kraftentfaltung des VR6 bestens angemessen.

225 km/h bei 6000/min

VW Golf III VR6 (1991)
Hans Peter Seufert
Dezenter Hinweis am Heck.

Die Höchstgeschwindigkeit von 225 km/h wird im Fünften bei knapp 6000/min erreicht, was bedeutet, daß bei gängigem Autobahntempo zivile Drehzahlen notiert werden. Das nützt auch der Sparsamkeit, wobei der Golf VR 6 einmal mehr beweist, daß große Hubräume nicht schrecken müssen. Entscheidender sind Drehzahlniveau und Fahrwiderstände, letztere abhängig von Luftwiderstand und Gewicht.

Da geht die Rechnung summa summarum für einen 2,8-Liter-Golf eben nicht viel schlechter aus als für die Basisversion mit gerade halb soviel Hubraum. Der Test ergab einen Durchschnitt von 11,1 Litern auf 100 Kilometer, bei verhaltener Fahrweise kommt man jedoch auch ohne weiteres auf weniger als zehn Liter.

Der Golf VR 6 wäre kein echter Golf, wenn die motorischen Qualitäten nicht im Einklang mit dem Rest des Autos stünden. Sie tun es. Von Übermotorisierung jedenfalls kann bei diesem Fronttriebler nicht die Rede sein, auch nicht von übertriebener Sportlichkeit. Statt dessen dominiert der Eindruck von Harmonie zwischen Antrieb und Fahrwerk.

Dahinter stecken gewisse technische Vorsorgen. Von gewöhnlichen Golf-Typen unterscheidet sich das VR6-Fahrwerk nicht nur durch die übliche Straffung und Tieferlegung. Hinzu kommen die gegen Antriebseinflüsse weniger empfindliche Geometrie der sogenannten Plus-Vorderachse sowie die serienmäßige Ausstattung mit der EDS genannten elektronischen Differentialsperre.

Das Ergebnis ist ein hohes Maß an Fahrsicherheit, kombiniert mit ausgeprägter Agilität, die den leichtfüßigen Charakter dieser Golf-Variante vortrefflich unterstreicht. Das leicht untersteuernde Kurvenverhalten läßt sich auch durch plötzliche Lastwechsel nicht aus der Ruhe bringen, ebensowenig wie durch die bei starken Fronttrieblern gefürchteten Traktionsprobleme.

Das weich, aber effektiv arbeitende EDS erweist sich hier als adäquate Lösung. Eine sensible, jedoch nicht nervöse Lenkung und standfeste, gut dosierbare Bremsen mit ABS tun ein übriges, so daß es selbst dem chronisch unzufriedenen Tester schwerfällt, diesem Golf den Stempel des Unvollkommenen aufzudrücken. Weil es denn sein muß, zum Schluß die Liste der offenen Wünsche: Die Federung könnte bei langsamer Fahrt komfortabler, die Fahrwerksgeräusche könnten besser gedämpft sein; die Innenverkleidungen wirken stellenweise billig, das Armaturenbrett unnötig sperrig.

Schwächen: hakelige Seilzugschaltung

Bleibt die bei VW inzwischen schon berüchtigte Kabelschaltung, die im VR6-Testwagen einmal mehr beweist, daß der aktuelle Entwicklungsstand das Optimum noch nicht sein kann. Ein kratzender erster Gang und Hakeln beim schnellen Schalten deuten darauf hin.

Nichts zu meckern gibt es indessen am Preis. Der Golf VR 6 kostet zweitürig und weitgehend komplett ausgestattet 37.995 Mark. Deshalb: Nie war er so wertvoll wie heute.

Technische Daten
VW Golf VR6
Grundpreis21.525 €
Außenmaße4020 x 1710 x 1405 mm
Kofferraumvolumen330 bis 687 l
Hubraum / Motor2792 cm³ / 6-Zylinder
Leistung128 kW / 174 PS bei 5800 U/min
Höchstgeschwindigkeit225 km/h