Alternative Werkstoffe
Der Löwenzahn-Reifen

Autoreifen sollen nicht nur sparsamer und sicherer, sondern zugleich auch umweltfreundlicher werden. Dazu wird bei Continental ein alternativer Gummiwerkstoff aus Löwenzahn-Kautschuk entwickelt. Was bringt die neue Technik?

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Foto: Continental

Reifen werden aus überwiegend aus Erdöl gemacht. Aber nicht ganz: Reifen, speziell Winterreifen, können heute bereits mit hohen Anteilen nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden. Bei Winterpneus kann der Naturstoffanteil sogar bis zu 30 Prozent betragen. Neben den künstlichen Rohstoffen wie Synthetik-Kautschuk, industriell erzeugtem Ruß und verschiedenen Zuschlagsstoffen, die auch weiterhin aus der Chemiefabrik kommen, sind das vor allem der Naturkautschuk und das als Weichmacher verwendete Rapsöl. Naturkautschuk ist aber, auch wegen des Transports aus Gegenden nahe dem Äquator, recht teuer. Günstigere Alternativen sind gefragt – und das nicht erst seit gestern. Schon in den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts suchten die Sowjets nach Ersatz und wurden in der Wurzel des russischen Löwenzahns (lat.: Taraxacum) fündig.

Taraxagum, der neue Reifengummi

Aus dessen Milchsaft kann wie aus dem Kautschukbaum Naturkautschuk gewonnen werden. Wissenschaftlern des Fraunhofer- Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Münster gelang es, gemeinsam mit Chemikern und Ingenieuren von Continental ein Verfahren zur Produktion von Reifengummi zu entwickeln. Der logische Name: Taraxagum.

Auf dem Weg vom Gartenunkraut zum Gummilieferanten musste die unscheinbare kaukasische Pusteblume in einigen Punkten für die Reifenindustrie optimiert und angepasst werden: Überwiegend durch klassische Züchtung gelang es, Pflanzen mit vergrößerten Wurzeln heranzuziehen und den Kautschukgehalt der darin enthaltenen Milch zu steigern. Zusätzlich erlaubt die vergrößerte Wurzel, wie etwa bei Kartoffeln, eine effiziente maschinelle Ernte.

Bester Grip dank Naturkautschuk

Daran wird gearbeitet. Noch immer ist die Laufstreifenmischung das bestgehütete Geheimnis eines Reifens. Sie besteht im Wesentlichen aus Natur- und Synthetik-Kautschuk sowie Füllstoffen wie Ruß oder Silica, Ölen und Schwefel. Durch Vulkanisation (Erhitzen der Mischung auf circa 120–160 °C) bilden die Makromoleküle beider Kautschukarten langkettige Polymere, die durch Schwefelbrücken miteinander vernetzt werden – Gummi entsteht. Durch intelligentes Mischen der einzelnen Bestandteile lassen sich die Eigenschaften des Reifengummis in weiten Grenzen beeinflussen.

Der Vorteil des oft teureren Naturkautschuks gegenüber vielen Synthetik-Kautschuken ist: Er bleibt bei tiefen Temperaturen wesentlich flexibler. Hohe Anteile des teuren Gummis sichern dabei besonders bei Winterreifen besten Grip auf Schnee und Eis. Ein günstiger, aus der Löwenzahnwurzel gewonnener Werkstoff könnte die Leistungsfähigkeit solcher Reifen auch in Zukunft auf bezahlbarem Niveau sicherstellen oder auch verbessern.

Frühestens ab 2020 auf dem Markt

Es ist kein Geheimnis: Contis Ansporn für diese Zukunftsinvestition sind natürlich die günstigeren Produktionskosten der Reifen. Primär wird der Bedarf an teuren Rohölprodukten sowie konventionellem Naturkautschuk reduziert, und da der anspruchslose Löwenzahn auf brachliegenden Feldern in Fabriknähe selbst in unwirtlicheren Gegenden Europas angebaut werden kann, verringert sich durch die insgesamt kürzeren Transportwege auch der CO2-Ausstoß.

Wie weit ist die Entwicklung? Die ersten Ernten von Kautschuk made in Germany sind bereits eingefahren, die ersten Versuchsreifen gebacken. Aktuell wird der alternative Reifenwerkstoff in Winterreifen erprobt. Erste Conti WinterContact TS 850 P mit Taraxagum-Mischung laufen derzeit auf nordischen Pisten im Test. Ob der Löwenzahnreifen auf Schnee und Eis jedoch schon heute genauso kraftvoll zubeißen kann wie sein konventioneller Kollege, muss erst noch bewiesen werden. Mit einem Marktstart ist nach Conti-Angaben frühestens 2020 zu rechnen.

Gartenkraut-Reifen als Landwirtschaftsförderer

Der aus der Milch des russischen Löwenzahns gewonnene Kautschuk soll in Qualität und Konsistenz dem aus dem Kautschukbaum gewonnenen entsprechen und kann daher ohne gravierende Verfahrensänderungen zur Herstellung von Reifen und anderen Gummiartikeln eingesetzt werden. Löwenzahn als Kautschukspender könnte damit neue Impulse für Europas Landwirtschaft liefern: Während ein klassischer Kautschukbaum erst nach rund sieben Jahren Wachstum zur Milchentnahme genutzt werden kann, lässt sich Löwenzahn bereits ein Jahr nach dem Anbau ernten. Ein attraktiver Aspekt für Landwirte, die vergleichsweise schnell und flexibel auf die Nachfrage reagieren könnten.

Woraus besteht ein Autoreifen?

Der Laufstreifen: Mit eingeprägtem Profil stellt er den Kontakt zur Fahrbahn her. Die Gummimischung im Laufstreifen definiert zusammen mit dem Profil die wichtigsten Eigenschaften des Reifens wie Trocken- und Nassgriff, Haftung auf Schnee und Eis, Rollwiderstand und Verschleiß. Hier könnte das Löwenzahn-Gummi Taraxagum eingesetzt werden.

Die Gürtelabdecklage: Besteht aus Nyloncord oder sogar Kevlar und verstärkt die Lauffläche zusätzlich. Das macht den Reifen geschwindigkeitsfest und sorgt für eine gleichmäßigere Lastverteilung in der Lauffläche.

Der Stahlgürtel: Besteht aus mehreren gummierten Stahlgeweben. Er sorgt für Stabilität und ermöglicht so erst flache Reifenbauformen.

Textilcordeinlagen: Zusammen mit dem Stahlgürtel und der Gürtelabdecklage bilden sie die Karkasse, das tragende Gerüst des Reifens.

Innenschicht oder Innerliner: Die besonders luftundurchlässige Gummimischung auf der Reifeninnenseite schützt vor schleichendem Druckverlust.

Die Reifenseitenwand: Unterscheidet sich in der Gummimischung deutlich von der Reifenlauffläche. Ihre Eigenschaften und Konstruktion beeinflussen vor allem den Rollwiderstand, das Ansprechverhalten beim Lenken und auch den Abrollkomfort. Zusätzlich schützt sie den Reifen, etwa bei versehentlichem Bordsteinkontakt, vor Beschädigung.

Das Kernprofil: Zusammen mit dem Kernreiter Bestandteil des Wulstes, dient der Verstärkung der Karkasse und beeinflusst neben der Reifenverformung bei Seitenkräften auch die Lenkreaktion des Reifens und den Einfederungskomfort.

Der Stahlkern: Stabiler Ring aus Stahldrähten, umgeben von der Karkasse. Er sorgt für festen Sitz des Reifens auf der Felge.

Wulstverstärker: Versteifungen in der Reifenseitenwand, die bei sportlich orientierten Reifen für bessere Stabilität und Lenkpräzision sorgen.

Fazit

Zu den Wurzeln

Um die Nachfrage nach immer mehr Reifen zu decken und um die Wettbewerbsnachteile langer Transportwege gegenüber asiatischen Anbietern zu kompensieren, suchen die europäischen Gummiverarbeiter nach Alternativen. Mit dem Löwenzahn-Kautschuk Taraxagum ist Conti auf dem ökologisch richtigen Weg. Denn nur der kann vor Ort in Europa angebaut werden.