BMW-Chef-Designer van Hooydonk im Interview
Große Niere auch für Neue Klasse denkbar

BMW-Chef-Designer Adrian van Hooydonk spricht im Interview über die große Niere, wie die Neue Klasse das Verbrenner-Design prägen wird, welche Knöpfe trotz neuem Bedienkonzept nicht verschwinden werden und ob man Materialien Nachhaltigkeit ansehen darf.

BMW-Chef-Designer Adrian van Hooydonk im Interview
Foto: BMW
Die Neue Klasse soll BMWs grundlegend verändern, Elektrifizierung, Digitalisierung und Zirkularität sind die Schlagworte. Das Design des Vision Car Neue Klasse wirkt hingegen fast ein wenig retro, Heck und Proportionen erinnern den ersten 3er (E21). Sieht so die Zukunft der Marke aus und wie begründet der Designer das?

Ich sehe das nicht als Retro. Retro wäre ein 1:1-Zitat. Ich wüsste nicht, welches Element dieses Showcars direkt vom E21 kommen sollte. Und ich kenne das Auto sehr gut, ich besitze selbst eines. Und ich mag diese Periode aus dem BMW-Design. Aber natürlich hat das Visionsfahrzeug für die Neue Klasse mit einer Analyse unserer Historie begonnen. Vor allem mit dem Bestreben, uns weiter vom Wettbewerb und insbesondere von allen Start-ups zu differenzieren. Aber elektrisch, digital und nachhaltig war die Richtung.

Unsere Highlights

In der Tradition sind wir auf den BMW 1800 gestoßen, bei dem die sportliche Limousine von BMW ihren Anfang nahm. Die hat sich seitdem natürlich mit dem jeweiligen Zeitgeist stark verändert und so hat die Neue Klasse von heute nur wenig mit der von 1965 zu tun – das Auto ist größer, flacher, breiter.

Was die Neue Klasse von heute mit der alten gemein hat, ist die sehr saubere Oberfläche und die wenigen Linien – das ist wohltuend. Darin darf man unsere Historie ruhig erkennen. Denn in der Phase der Elektromobilität, die jetzt kommt, wollen wir stark in die Breite gehen und auch die Hard-Core-Fans der Marke erreichen – mit etwas, das an die Kernwerte von BMW erinnert und dennoch neu und modern ist. Diese Kombination könnte genau das sein, was uns von vielen Wettbewerbern und Start-ups unterscheidet.

Das Neue Klasse Design, wie es sich bislang andeutet, bringt jedenfalls eine deutliche Abkehr von der großen Niere, wie sie zuletzt neue Modelle gekennzeichnet hat, egal, ob diese elektrisch oder mit Verbrennungsmotoren fuhren. Warum verschwindet sie?

Sie wird nicht pauschal verschwinden. Aber die Nieren werden nach dem i7 nicht mehr größer werden. Das ist vielleicht für einige ihrer Leser eine Beruhigung (schmunzelt). Wir werden für das Design der Neuen Klasse alles, was einen BMW ausmacht, durchleuchten, auch die Ikonen wie die Niere werden wir anders gestalten. Ich glaube, dass man einen BMW dennoch immer erkennen wird. Sicherlich an der Front, aber wir werden dort eine gewisse Spreizung beibehalten, die wir ja heute auch. Nicht an jeder Baureihe ist die Niere gleich, auch die Scheinwerfer sind es nicht. Und ich glaube, dass das ein Schlüssel war für den Erfolg der letzten zehn Jahre, in denen wir stetig gewachsen sind. Für dieses neue Auto, eine Art elektrischer 3er, haben wir uns jetzt für die flache Niere entschieden.

Die neue Niere ist jedenfalls vor allem horizontal. Werden wir sie bei Neue-Klasse-SUVs bzw. Crossover wieder horizontaler erleben?

Ja, könnte schon sein. Wir werden das, noch ehe der Serienanlauf beginnt, alles präsentieren. In Form von Konzept- oder Visionsfahrzeugen. Wir haben vor, alles, was die Neue Klasse ausmacht, sehr detailliert zu zeigen. Wenn die Autos dann beim Händler stehen, wird das sehr logisch wirken.

Soweit wir wissen, wird das erste Neue-Klasse-Auto nicht die Limousine, sondern der iX3-Nachfolger. Ist das nicht für E-Autos eher ungünstig – mehr Stirnfäche, höhere Front, schlecht für Luftwiderstand und Reichweite … Ihr Chef hat schon von der Revitalisierung des Stufenhecks gesprochen … Werden SUVs auf der E-Architektur weniger hoch und weniger wuchtig?

Wir bemühen uns bei all unseren Baureihen um maximale Effizienz. Aber wir wollen unsere Kunden nicht bevormunden. Weder bei der Antriebsart noch bei der Karosserieform. Unsere erfolgreichen SUV-Baureihen waren dafür stets spitze beim cw-Wert und insgesamt sehr effizient – außerdem haben wir ein paar Tricks gelernt.

Zum Beispiel?

Für die Aerodynamik ist die Heckgestaltung extrem wichtig; man muss sie allerdings schon mitdenken, ehe man hinten angekommen ist. Gute Aerodynamik heißt, möglichst wenig Verwirbelungen am Heck. Dabei helfen klare Abrisskanten und ein Heckabschluss, der sich nach hinten verjüngt wie beim iX. Das reduziert den so genannten Totwasserbereich. Das klappt nur, wenn man das von Anfang an mitdenkt.

Der Aerodynamik zuträglich wären auch verkleidete Hinterräder. Was sagt der Designer dazu?

Das ist eine Möglichkeit, die wir immer wieder prüfen. Dabei habe ich gelernt, dass es am Ende gar nicht so hilfreich ist, weil es neue Probleme mit sich bringt: Man muss die Luft aus dem Radhaus auch wieder rauskriegen, denn ein drehendes Rad erzeugt Überdruck und Verwirbelungen, Bremsen brauchen Kühlluft – man kann nicht immer pauschal sagen, dass es hilft. Was viel hilft, ist die Gestaltung der Räder. Ein drehendes Rad kann funktionieren, als wäre es geschlossen, auch wenn es im Stehen sehr offen aussieht. Auch da sind wir inzwischen sehr geschickt.

Sind flachere Fronten etwas, das der E-Antrieb ermöglicht oder etwas, das ein dynamisches Design fordert?

Beides. Für eine sportliche Limousine wollen wir eine flache Front haben, vielleicht hilft auch, dass kein Reihen-Sechszylinder mehr unter der Haube steckt, aber das haben wir auch in der Vergangenheit gut hingekriegt.

Eine gute Aerodynamik kann optisch zu Stereotypen führen, viertürige Coupés bzw. Stufenhecks scheinen besonders strömungsgünstig darstellbar. Bleibt genug Spielraum für die Markendifferenzierung?

Ich sehe momentan bei den E-Autos noch wenig Stufenheck-Autos. Das, was wir mit der Neuen Klasse hier zeigen, ist für uns eigentlich der Archetypus eines BMW, der sportliche Sedan – wir nennen das Two-and-a-half-Box, weil bei uns das Heck in Relation zur Front immer sehr kurz ausfällt. Das sieht schon im Stand sehr dynamisch aus. Ich finde, das differenziert uns deutlich von zahlreichen Start-ups, die eher viertürige Coupés mit Fließheck zeigen. Selbst viele europäische Hersteller sagen, dass klassische Stufenheck-Limousinen im Zeitalter der E-Autos nicht mehr möglich sind. Wir glauben das schon. Das passt zu uns und ist ausbaufähig.

E-Autos sind auf einen geringen Luftwiderstand angewiesen. Wird das den SUV-Boom bremsen?

Ich glaube nicht. SUVs bieten auch Vorteile für den E-Antrieb: Die höhere Karosse erlaubt es beispielsweise besser, die Batterie unterzubringen. Aber wie gesagt: Wir wollen unsere Kunden nicht bevormunden, sondern ihnen ermöglichen, einen BMW zu fahren und das Leben zu führen, das zu ihnen passt. Wir machen Angebote, für die weder Antrieb noch Effizienz ein Hindernis sein sollen.

Die Neue Klasse ist rein elektrisch, aber Verbrenner wird es weiter geben. Folgen die dann anderen Designlinien?

Das wollen wir eher vermeiden. Das kann es nur hin- und wieder mal geben. Aber eigentlich ist unser Ziel, dass wir mit der Neuen Klasse eine neue Formensprache beginnen, die über alle Baureihen legen und dass dann ab 2025 allmählich die ganze Marke so aussieht. Wir wollen unsere Kunden nicht vor schwierige Fragen stellen – welcher Typ bin ich, welche Technik kann ich mit welcher Optik kombinieren? Wir möchten sie am Design der Neuen Klasse teilhaben, aber ihnen die Wahl lassen, welche Antriebsart sie bevorzugen. Wie beim Segment wollen wir sie nicht bevormunden.

Fensterflächen wurden im Auto-Design zuletzt immer kleiner, die Gürtellinien wanderten nach oben, auch das scheint bei der Neuen Klasse anders zu werden – obwohl oder weil das Fenster neben dem Blick auf die Realität draußen in Form des Head-up-Displays auch Projektionsfläche für die virtuelle Welt wird?

Wir wollen, dass unser Interieur geräumig, einladend und offen wirkt. Das ist uns über die Jahre ein wenig abhandengekommen. Auf das Niveau der Neuen Klasse von 1965 kann man es natürlich nicht zurückdrehen – so dünne Dachsäulen sind mit den ganzen Airbags bzw. den Sicherheitsanforderungen heute nicht mehr darstellbar. Aber wir wollen etwas mehr Raumwirkung erreichen, indem wir andere Dinge aufräumen. Gerade das Armaturenbrett wird weniger wuchtig, es wird auch faktisch mehr Innenraum geben in einem E-Auto. Und der Rest sind Materialien, die wärmer und wohnlicher werden.

Wie gehen große Glasflächen auch am Dach, Sonneneinstrahlung und Klimatisierung zusammen?

Ja, stimmt, mit großen Glasflächen heizt das Auto schneller auf, die Energie zum Runterkühlen kommt aus der gleichen Batterie wie die zum Fahren. Das sind klassische Zielkonflikte. Bei Glasdächern etwa muss man abschatten, oft braucht es dazu immer noch Rollos. Die wiederum machen das Fahrzeug höher, was die Stirnfläche vergrößert und so auch wieder Energie verbraucht. Aber ich bin da zuversichtlich, denn wir sehen nichts dogmatisch. Das ist wichtig, weil alles mit allem in Verbindung steht. Letztlich ist entscheidend: Ein E-Auto braucht in Summe, von der Entstehung bis zum Recycling weniger Energie als ein Verbrenner – bei der Herstellung ist es mehr, bei der Nutzung viel weniger. Ein Vorteil bei E-Autos: Sie können vorkonditionieren und kontinuierliches klimatisieren ist sparsamer als schnelles.

Die Neue Klasse wird dabei klassische Bedienelemente wie Knöpfe oder Hebel stark reduzieren. Wo ist da für BMW die Grenze?

Wir wollen nicht so weit gehen, dass wir keinen Knopf mehr zum Öffnen des Handschuhfachs haben. Wir werden immer ein paar Knöpfe haben, deren Bedienung schließlich einen haptischen Mehrwert bieten kann. Andererseits lässt sich die Digitalisierung nicht aufhalten. Denken Sie nur an Anwendungen, die von außen ins Fahrzeug kommen, die für eine Bedienung mit dem Touch-Display entwickelt wurden, wie Spotify etwa.

Soll man neuen BMWs ansehen, dass sie zirkulär gedacht sind, irgendwann recycelt werden?

Ich glaube schon, Hauptsache es ist attraktiv. Wir wollen aber dem Kunden nicht ins Gewissen reden, nach dem Motto: Eigentlich solltest du dies tun und jenes lassen, deswegen musst du das kaufen. Und wir wollen ihm nicht erzählen, dass er etwas schön finden muss, weil es recycelt ist. Es ist unsere Aufgabe, aus alten Autos neue zu machen, dem Kunden muss es gefallen und wenn es dann auch noch recycelt ist, umso besser. Da sind wir auf einem guten Weg. Die nächste Fahrzeuggeneration wird deutlich mehr Rezyklat enthalten als die bisherigen.

Will der Kunde künftig genau das zeigen wie teilweise beim i3 oder widerspricht das der Idee vom zeitlosen Automobil-Design, wenn man das Ende schon mitdenkt?

Ich glaube, da kann man keine pauschale Antwort geben. Wir werden es dem Kunden überlassen. So war es auch beim i3, wo mancher Kunde die nachhaltigen Materialien abgelehnt hat. Viele fanden es aber schön. Beim i3 war das ja sogar ein nachwachsender Rohstoff und somit ein CO₂-negatives Material. Das hat im positiven Sinne ein Nachspiel, denn wir sind immer noch an solchen Materialien dran. Am Ende muss man die Entscheidung dem Kunden überlassen, wie sehr er das zeigen will. Wir werden immer eine gewisse Bandbreite an Materialien zur Auswahl anbieten, denn auch das ist Premium.

Herr van Hooydonk, vielen Dank für das Gespräch!

Vita

Adrian van Hooydonk, Porträt, Mitarbeiter, Studie
Beate Jeske

Markentreu: Adrian van Hooydonk (2011) ist seit mehr als 30 Jahren bei BMW.

Adrian van Hooydonk ist seit Februar 2009 Leiter des BMW Group Designs, also auch für die Marken Mini und Rolls-Royce zuständig. Bei dem Münchner Autobauer hat er 1992 als Exterieur-Designer begonnen. Von 2000 bis 2004 leitete er das BMW-Designstudio in den USA (Newbury Park, Kalifornien), danach leitete er das Design der Marke BMW.

Hooydonk ist 1964 in den Niederlanden geboren und dort aufgewachsen. 1988 machte er in Delft einen Master in Industriedesign, 1992 schloss er zusätzlich am Art Center College of Design, Vevey (Schweiz) in Automobildesign ab.

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