Interview mit Porsche-Designchef Michael Mauer
„Porsche braucht keinen Cybertruck“

Porsche-Designchef Michael Mauer über richtiges E-Auto-Design, das richtige Verhältnis aus Progressivität und Konstanz, rollende Discokugeln und den Wert von Markenidentität.

Porsche-Designchef Michael Mauer
Foto: Kai-Uwe Knoth
Der neue Macan sieht aus wie ein Macan. Sie haben darauf verzichtet, den ersten E-SUV von Porsche revolutionär zu gestalten. Warum?

Man hat am Anfang der E-Mobilität alle Spielarten gesehen. Von "Ist nur ein anderes Schild drauf" bis "Muss ganz anders aussehen". Diese Diskussion hatten wir intensiv beim Taycan und haben klar entschieden, dass die Markenidentität über allem steht. Die Antriebsquelle ist wichtig, aber wir sind der Meinung, deshalb das Design nicht radikal ändern zu müssen – was über 50, 60 Jahre gewachsen ist, was eine gute Proportion beim Auto ist, wie eine gute Motorhaube aussieht, wie "schnell" eine Windschutzscheibe ist. Mit dem Macan haben wir bereits den Porsche in diesem Segment definiert – es war klar, dass wir diese Identität nicht aufgeben wollen. Ein Macan bleibt ein Macan, unabhängig von seiner Antriebstechnologie.

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Muss ich dem Kunden nicht auch einen großen Schritt zumuten, um nicht stehenzubleiben?

Wenn wir über eine neue Baureihe reden, vielleicht, aber wenn die Marke wie Porsche sehr stark ist, glaube ich, ist man gut beraten, das als Rückenwind zu nutzen. Ich brauche die optische Verbindung, die Markenidentität Porsche ist das höchste Gut. Bei einer weniger starken Marke muss das Produkt neu und anders sein, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der interessante Punkt ist natürlich: Wenn ich eine starke Marke habe, habe ich irgendwann das Risiko, zu wenig progressiv zu sein, Relevanz beim Kunden zu verlieren. Weit genug zu gehen, aber nicht zu weit: Diesen Sweetspot zu finden, ist für mich als Designer herausfordernd.

Würden Sie nicht gern mal ein Auto einfach vom weißen Blatt machen, ohne an den Elfer zu denken?

Als Designer grundsätzlich mal was anderes zu machen: ja. Aber für die Marke Porsche bin ich überzeugt, dass es wichtig ist, immer das Gefühl zu haben: Es ist ein Porsche. Wobei der Taycan ja schon weit gesprungen ist, unsere Showcars ebenfalls. Ich habe jedenfalls nicht das Bedürfnis, einen Cybertruck zu machen. Alles über den Haufen zu werfen, das reizt mich nicht. Man sieht bei vielen chinesischen Marken gut gemachtes Design. Doch wo stehen die Produkte im Zusammenhang mit der Marke? Ich bin von der sogenannten Selbstähnlichkeit überzeugt. Trotzdem muss sich das Design ständig weiterentwickeln. Mit dem 911 ist uns das ganz gut gelungen, dort dürfen die Schritte eher nicht so weit sein, bei anderen Modellen kann man das ein bisschen progressiver angehen. Die Konstanz ist ein Wert, ein Vorteil, den wir als deutsche Marke gegenüber den Chinesen haben.

Denken Sie, dass sich China zu einer echten Designmacht entwickeln könnte?

Davon bin ich überzeugt. Ich finde es erstaunlich, wie sie strategisch Themen klar identifizieren und besetzen. Sie sind sich nicht zu schade zu kopieren, nicht zu schade zu lernen. Das meiste Design dort stammt heute von europäischen Designern, doch laut Medienberichten studieren angeblich drei Millionen junge Menschen in China Design. Ich bin überzeugt, dass von dort Dinge kommen, die auch für uns in Europa interessant werden und Aufmerksamkeit erregen.

Wie macht man global funktionierendes Design?

Hinhören, interpretieren und dann eine starke Markenstrategie und Designphilosophie definieren. Dann entscheiden: Wo ist der Punkt, bis zu dem ich mitgehe, und wo ist Schluss? Ich habe eine Markenidentität, also Elemente, die sicherstellen, dass es ein Porsche wird. Dann habe ich die nächste Ebene Produktidentität, über die ich jedem Modell einen eigenen Charakter verleihe. Mit dieser Philosophie kann ich sogar eine Regionalidentität schaffen, in einzelnen Details etwa auf eher asiatisch geprägte Vorlieben eingehen. Dennoch werden Sie von uns keine rollende Discokugel sehen, keine Fläche am Auto, wo ich "Hello Kitty" draufschreiben kann.

Sie haben den Taycan innen ziemlich reduziert gestaltet, fast nüchtern. Beim Macan wirkt es ähnlich. Ist das nicht fast schon ein bisschen zu cool für manche Kunden?

Wir sind beim Taycan sehr weit gegangen, vielleicht sogar rückblickend einen halben Schritt zu weit. Das haben wir verstanden. Das andere ist: Was ist unsere Philosophie im Innenraum? Spannung erzeugen. Über Kontraste, in Farbe und Materialien, aber auch durch Kombination von Touchscreen und analogem Knopf. Das hat für mich auch noch zwei andere Gründe: Ein Auto ist kein Smartphone, kein Tablet. Wenn ich über eine Sportwagenmarke wie Porsche spreche, dann steht das dynamische Fahren im Vordergrund. Mit meinem Tablet sitze ich daheim auf dem Sofa. Mit meinem Elfer bin ich zügig auf der Autobahn unterwegs und will auf dem Touchscreen trotzdem alle Funktionen wählen können. Da ist der Knopf gegenüber einer rein digitalen Fläche die bessere Lösung. Ein weiterer Aspekt: Es ist nicht nur die Optik, es ist auch die Haptik, also wie sich etwas anfasst, ein Geräusch, das so ein Knopf erzeugt. Das mag nicht allen gefallen – dennoch bin ich der Meinung, dass das für Porsche der richtige Weg ist.

Taycan und Macan haben ja Bildschirme, trotzdem wird es Stimmen geben, die mehr brauchen. Was meinen Sie: Was ist hochwertig an großen Screens?

Verstehe ich auch nicht. Ich habe vor Jahren das Buch "Guts" von Bob Lutz gelesen. Darin beschreibt er das Desaster beim Ford Thunderbird. War mal ein knackiger Zweisitzer – dann kamen Kundenwünsche ins Spiel. Diese besagten, etwas mehr Platz wäre nicht schlecht. Am Ende kam eine Limousine mit Cabrioverdeck dabei heraus, die nichts mehr mit dem ursprünglichen Auto zu tun hatte. Ergo: Die Erfüllung sämtlicher Kundenbedürfnisse führt zu einem charakterlosen Produkt. Wir haben heute nicht das Problem zu weniger Informationen, sondern zu vieler. Somit steht die sinnvolle Verarbeitung dieser Informationen im Vordergrund. Da bin ich sehr froh, dass bei Porsche noch eine Diskussion stattfindet. Bei anderen Marken kommt das Gefühl auf, dass "The bigger, the better" die Maxime ist. Bei uns sind die Screens ebenfalls größer geworden, aber eben integriert, nicht frei stehend. Wir haben damit einen Weg gefunden, diesen Kundenwunsch für die Marke passend umzusetzen.

Sie sind jetzt seit 20 Jahren bei Porsche, haben ungefähr 200 Mitarbeiter. Sie sind der, der vorn steht und es allen verkaufen muss. Wie fühlt sich das an?

(lacht) Anstrengend. Im nächsten Leben werde ich Rhetorik studieren, Diplomatie, etwas Missionar und im Abendkurs lerne ich zeichnen. Das reine Gestalten ist nicht mehr unbedingt mein Job, sondern das Überzeugen. Als Designer haben Sie keine Zahlen, Daten, Fakten, sondern vor allem ein Bauchgefühl. Und da hilft es beim Überzeugen, wenn man schon eine Zeit lang im Unternehmen ist und ein gewisses Standing hat. Und dann kommt die Frage: Wie überzeuge ich? Intern den Vorstand – das ist eine beratende, missionarische Tätigkeit. Im Team bin ich davon überzeugt, ganz früh maximal offen zu sein. Aber meine eigenen Ideen behalte ich für mich. Würde ich eine Skizze in einem Meeting an die Wand hängen, würden ansonsten auf einmal alle Entwürfe in die Richtung gehen. Ich habe nicht den Anspruch, dass meine eigene Idee am Ende umgesetzt werden muss. Die Zusammenarbeit und der Austausch der Designer ist der Schlüssel zum Erfolg – das gilt auch für meine Rolle im Team.

Aber letztendlich stehen Sie schon vorn …

Das stimmt. Am Ende verantworte ich das Design und muss sicherstellen, dass Entwürfe passen und wir im Prozess vorankommen. Deshalb ist es wichtig, Meilensteine zu definieren, zu denen ich mich einbringe und gegebenenfalls korrigierend eingreifen kann.

Das Thema Nachhaltigkeit wird bei Porsche nicht so plakativ gespielt wie bei anderen.

Wir reden weniger darüber, wir machen lieber. Das bedeutet aber nicht, dass das Thema bei uns weniger Gewicht hat. Wir haben beispielsweise lederfreie Optionen im Interieur im Angebot. Doch meine Wahrnehmung ist, dass unsere Kunden sich das zwar leisten könnten, für nachhaltige Aspekte umweltmäßig sogar ein geschärftes Bewusstsein haben, aber dennoch Leder im Interieur bevorzugen. Aber: Auch hier spielt das Design eine ganz entscheidende Rolle. Was wir erleben: In dem Moment, wo wir zum Beispiel eine Textilmittelbahn mit einem ikonischen Muster – Stichwort Pepita – anbieten, funktioniert es.

Machen Sie sich Sorgen um elektrische Sportwagen? Beim Taycan gelang das sehr gut. Aber bei 718 und 911 …

Sorgen mache ich mir nicht, aber es ist richtig, die neue Antriebstechnologie hat Auswirkungen auf das Packaging und damit auch auf das Design. Ein Beispiel ist der Platzbedarf der Batterie – da sind wir bei einem echten Sportwagen wie dem Elfer natürlich an den Grundfesten. Mit der momentan verfügbaren Technik ist das eine große Herausforderung. Deswegen begannen viele Hersteller mit elektrischen SUV. Chinesische Hersteller bedienen sich gerne an Merkmalen, die an den Taycan erinnern, jedoch sind die Proportionen meist nicht stimmig. Gegenüber einem zweisitzigen Sportwagen ist die Umsetzung der Porsche-Designphilosophie im Macan etwas einfacher. Ich bin überzeugt, dass wir nach Taycan und Macan für jedes Modell ein stimmiges Design auch mit vollelektrischem Antrieb umsetzen können. Auch der elektrische 718 wird ein echter Porsche!

VITA

Michael Mauer
VW

Michael Mauer ist Porsche-Designchef.

Michael Mauer, Jahrgang 1962, geboren in Rothenburg an der Fulda, studiert bis 1986 in Pforzheim Automobildesign und beginnt bei Mercedes in Sindelfingen als Exterieur-Designer, wird nach drei Jahren leitender Designer der Nutzfahrzeuge und wechselt 1991 in den Pkw-Bereich. Nach einjähriger Arbeit im Studio Japan wechselt er 1999 als Chefdesigner zu Smart, arbeitet von 2000 bis 2004 für Saab. Seitdem leitet er die Porsche-Designabteilung, verantwortet von Ende 2015 bis 2020 zusätzlich den Designbereich bei Volkswagen, den er 2023 erneut übernimmt.

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