OBFCM-Verbrauchsmessgeräte werden Pflicht
Wird das Auto endgültig zum Datenkraken?

Seit Jahresbeginn 2021 müssen die Hersteller die realen Verbräuche aller Neuwagen an die EU-Kommission melden. Wir verraten die Gründe, erklären die Technik und lassen die Kritiker zu Wort kommen.

VW Eco Up, Tankanzeige
Foto: Hersteller

Die aktuelle Lethargie ist schon erstaunlich: Da führt die EU etwas ein, das Autos beziehungsweise deren Hersteller und/oder Fahrer überwacht, und es gibt so gut wie keine Reaktion. Weder große Jubelarien noch übermäßige Empörung wurde(n) vernommen, seit bekannt wurde: Die EU überwacht den realen Verbrauch von Autos für den gesamten Fahrbetrieb. Pkw und leichte Nutzfahrzeuge messen fortan ihren Kraftstoff- beziehungsweise Energieverbrauch und deren Hersteller müssen dafür sorgen, dass die dabei erhobenen Daten an die EU-Kommission übermittelt werden.

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Probephase von 2021 bis 2026

Erste Pläne dafür wurden im Herbst 2017 bekannt und danach von den Mitgliedsstaaten und den EU-Gremien mehr oder weniger durchgewunken. Die Regelung startete bereits im Januar 2020 (für neue Typzulassungen), gilt seit Jahresbeginn 2021 für alle Neuwagen und ist bis 2026 als Erprobungsphase angelegt. In diesem Zeitraum soll jährlich ein Bericht mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen und den Tendenzen in Sachen Real- vs. Normverbrauch veröffentlicht werden. Spätestens 2030 muss die EU-Kommission dann ein konkretes Gesetz formulieren, um diese immer wieder von unabhängigen Stellen bestätigte Diskrepanz zu minimieren und Hersteller zu sanktionieren, falls die Lücke bei ihnen noch immer zu groß ist.

BMW 520d, Mercedes E 220 d, Tankstelle
Hans-Dieter Seufert
Wie groß ist die Diskrepanz zwischen Norm- und Realverbrauch? Das will die EU künftig genauer wissen.

Deshalb will sich die Politik nicht allein auf einen positiven Effekt des neuen Testzyklus' WLTP verlassen. Dieser gilt zwar als etwas realitätsnäher als das Vorgänger-Prozedere NEFZ, wird aber noch immer auf dem Prüfstand ermittelt – mit allen positiven und negativen Begleiterscheinungen. Deshalb die neue Vorgabe der EU-Regelhüter, die Teil des WLTP-Testverfahrens ist und sowohl für Fahrzeuge mit reinen Verbrennerantrieben als auch für Hybride und reine Elektroautos gilt.

Verbrauchsmessgerät aka "On-Board Fuel Consumption Meter"

Technisch funktioniert das über ein standardisiertes Verbrauchsmessgerät, das offiziell "On-Board Fuel Consumption Meter" (OBFCM) heißt. Dabei handelt es sich um eine Software, die bei reinen Verbrennern den Kraftstoff- und bei Elektroautos den Energieverbrauch sowie bei Hybriden beides erfasst. Bei Plugin-Hybriden wird zudem darauf geachtet, wie oft elektrisch und wie oft mit Unterstützung des Verbrennungsmotors gefahren wird. Zu den Stichtagen 1. Januar 2020 bzw. 2021 musste die OBFCM-Software in den entsprechenden Autos aktiv sein, zum letzten Jahreswechsel begann die Übermittlung an die EU.

Wie genau sie aus dem OBFCM an die europäischen Behörden übermittelt werden sollen, wird derzeit noch diskutiert; der entsprechende Durchführungsrechtsakt muss von der EU-Kommission noch verabschiedet werden. Einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion zufolge soll dieser jedoch DSGVO-konform sein. Allerdings sollen bei der Datenerfassung sowohl die Autohersteller als auch Kfz-Prüfstellen wie TÜV oder Dekra "eine wesentliche Rolle" spielen. Um Manipulationen seitens der Hersteller auszuschließen, ist "eine parallele Erfassung der Daten über die Prüfstelle im Rahmen der Hauptuntersuchung vorgesehen".

Wird die Fahrgestellnummer übermittelt oder nicht?

Bekannt ist, dass die Daten anonymisiert werden sollen. Aktuell sieht es allerdings so aus, dass dabei neben den OBFCM-Werten auch die Fahrzeug-Identifizierungsnummer übertragen wird, um die Daten einem konkreten Auto zuzuordnen. Das deutsche Parlament will sich aber dafür einsetzen, dass die Daten zusätzlich pseudonymisiert werden. Ein "Verzicht auf die Übertragung der Fahrzeug-Identifizierungsnummern wäre vorzugswürdig", heißt es dazu vonseiten der Bundesregierung.

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Mercedes-Benz, Deleker
Auch beim WLTP-Zyklus wird der Normverbrauch auf dem Prüfstand ermittelt.

Aber auch so hält sie die Konsequenzen für die Persönlichkeitsrechte der Halter und Fahrer für gering. "Bewegungsprofile lassen sich auf Grundlage der zu übertragenden Daten nicht erstellen", heißt es in der Antwort auf die FDP-Anfrage. Zudem geht sie davon aus, dass Fahrzeughalter die Erfassung der OBFCM-Daten nicht nur ablehnen, sondern die Daten auch selbst über die Onboard-Diagnose-Schnittstelle ihres Autos auslesen können, sofern sie über die entsprechende Technik verfügen.

Daten nur für einen begrenzten Zeitraum gespeichert

Gespeichert werden die Daten bei der Europäischen Kommission beziehungsweise der ihr unterstehenden Europäischen Umweltagentur. Allein diese Institutionen sind zugriffsberechtigt; sie sollen die Daten auch nur für eine begrenzte Zeit speichern dürfen. Unklar ist jedoch, welche Daten die EU-Kommission genau veröffentlichen wird. Die gemeinnützige Umwelt-Organisation "International Council on Clean Transportation" (ICCT) hält es für sinnvoll, sie auf einzelne Fahrzeugmodelle herunterzubrechen, damit Kunden diese direkt miteinander vergleichen können. Denkbar ist aber auch, dass die EU-Kommission nur einen allgemeinen Durchschnittswert der Diskrepanz zwischen Real- und Normverbrauch in ihren Berichten veröffentlicht.

Offiziell richtet sich die neue Regelung gegen die Hersteller, die damit zu mehr Transparenz und in letzter Konsequenz dazu verpflichtet werden sollen, die Kluft zwischen offiziellem WLTP- und Realverbrauch zu schließen. Diese ist bei Plug-in-Hybriden bekanntlich besonders groß, weil die Teilzeit-Elektriker einerseits beim Testzyklus bevorteilt werden (zum Beispiel, weil sie ihn mit vollständig geladener Batterie absolvieren dürfen). Aber auch, weil sie im Alltag aus Bequemlichkeit der Fahrer kaum nachgeladen und lieber mit Kraftstoff gefahren werden.

Potenzial zur Fahrerüberwachung?

In Zukunft ist natürlich denkbar, dass über das OBFCM-System auch die Emissionen des Straßenverkehrs oder jene bestimmter Autos kontrolliert werden. Dabei kann es um Kohlendioxid (CO2) gehen, aber auch Stickoxide (NOx) oder Rußpartikel. Und natürlich könnten die Autofahrer irgendwann selbst auf dem Prüfstand stehen. Theoretisch könnte die Datenauswertung zu einer individuellen CO2-Steuer führen nach dem Motto: Wer viel verbraucht, zahlt hohe Steuern, und wer kaum CO2 verursacht, entsprechend weniger. Oder Plug-in-Hybridfahrer, die kaum elektrisch unterwegs sind, müssen finanziell dafür büßen.

Mercedes A-Klasse Plug-in-Hybrid A250 e
Daimler AG
Zwingt die neue Regel Plugin-Hybrid-Fahrer künftig dazu, möglichst oft nachzuladen?

Genau dieses Potenzial der individuellen Überwachung von Autofahrern ruft Kritiker auf den Plan. Die FDP sieht das Thema Datenschutz in den bisherigen Plänen der EU-Kommission nicht genügend gewürdigt: "Selbst die Bundesregierung hat Bedenken bezüglich der bisherigen Pläne für Pkw-Verbrauchsdaten", sagt der verkehrspolitische Sprecher ihrer Bundestagsfraktion, Oliver Luksic. Bei diesem heiklen Thema brauche es soliden Datenschutz, gerade im Hinblick auf personenbezogene Informationen. "Der Bund muss daher bei der Kommission für eine stärkere Anonymisierung und begrenzte Speicherzeiten werben."

ADAC mahnt Datensparsamkeit an

Auch Verbraucherschützer fordern hinsichtlich der Datenspeicherung und deren Verwertung größtmöglichen Schutz. "Dazu ist nach unserer Ansicht ganz klar eine Anonymisierung der Daten erforderlich, damit sie nicht bestimmten Fahrerinnen oder Fahrern zugeordnet werden können", sagt ein Sprecher des ADAC. Das gelte schon seit Jahren für alle im Auto entstehenden Daten, für die der Automobilclub "einen zeitgemäßen Schutz, Transparenz gegenüber den Verbrauchern und grundsätzliche Datensparsamkeit" anmahnt.

Aber auch Umweltverbände üben Kritik. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) beispielsweise hält die beschlossene Praxis für unzureichend, weil die Daten vorerst nur zu Monitoring-Zwecken erhoben werden und bislang offen ist, wer Zugang zu diesen erhält und welche Konsequenzen bei festgestellten Verstößen erfolgen. Sie fordert weiterhin Messungen des realen Spritverbrauchs im Rahmen der Typzulassung sowie amtliche Nachmessungen. Zudem setzt sich die DUH dafür ein, dass Fahrzeughalter Zugang zu den Daten erhalten, um bei einem überhöhten Mehrverbrauch ihre Rechte gegenüber den Herstellern durchsetzen zu können.

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Tolle Sache. Endlich herrscht Transparenz und die utopischen Normverbräuche sind passé.Weg damit. Was geht die EU mein Sprit- oder Energieverbrauch an?

Fazit

Ob es noch einen Aufschrei gibt und – wenn ja – wie laut dieser ausfällt, dürfte in erster Linie davon abhängen, wie die EU-Kommission mit den OBFCM-Daten umgehen wird. Werden sie wirklich nur ausgewertet, um die Hersteller zu kontrollieren? Oder gibt es irgendwann den "gläsernen" Chaffeur? Letzteres dürften sich viele Autofahrer sicher nicht gefallen lassen.