Bundesrat will Änderungen bei StVO-Novelle
Sicherheit vor Klimaschutz

Mission Zero soll verankert werden. Außerdem gibt es zu viele ungeklärte Rechtsbegriffe. Radfahrer müssen auf Fußgänger achten.

Umweltzone
Foto: philipk76/Adobe Stock

Der Verkehrsausschuss, der Innen- und der Umweltausschuss empfehlen dem Plenum des Bundesrats, der vorgeschlagenen StVO-Novelle nur unter Bedingungen zuzustimmen. So verlangt der Bundesrat, dass die Mission Zero, nach der es keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Verletzungen mehr geben soll, klar in der StVO verankert sein muss. Sämtliche Ziele der StVO seien nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip abzuwägen, was auch für die Einführung von Tempo-30-Zonen gelte. Die Sicherheit des Verkehrs habe eine so gewichtige Bedeutung, dass sich verkehrsrechtliche Maßnahmen aus Gründen des Umweltschutzes, des Gesundheitsschutzes und aus Gründen der städtebaulichen Entwicklung zumindest nicht nachteilig auf die Verkehrssicherheit auswirken dürfen.

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Seltsamer Änderungsvorschlag abgelehnt

Außerdem empfehlen die Ausschüsse dem Bundesrat, eine begleitende Entschließung zu fassen. Darin soll der Bundesrat unter anderem kritisieren, dass die neue Verordnung mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe einführe, die einer rechtlichen Klärung bedürfen. So begründe beispielsweise § 25 Absatz 3 Satz 1 StVO-E für Fußgänger die Verpflichtung, die Straße "auf dem kürzesten Weg" zu überqueren. Die neue Formulierung "auf kurzem Weg" stelle einen auslegungsfähigen und auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff dar, der längere Wegstrecken für Fußgänger im Fahrverkehr zulasse als die bisherige Formulierung. Die Ausschüsse betonen, dass Fußgänger, die sich auf Fahrstreifen des Fahrverkehrs befinden, während dieser Zeit einer erhöhten Gefährdung unterliegen und zugleich den Verkehrsfluss des Fahrverkehrs behindern. Daher sei es zu erwarten, dass die Änderung negative Auswirkungen auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs haben. Aus diesem Grund ist sie abzulehnen.

Radfahrer müssen auf Fußgänger Rücksicht nehmen

Eine weitere wichtige Neuregelung schlagen die Ausschüsse für gemeinsame Fuß- und Radwege vor. In der StVO sei bislang nicht geregelt, wie sich Radverkehr und Fußverkehr auf gemeinsamen Geh- und Radwegen (Zeichen 240) gegenseitig zu verhalten haben. Zum Schutz der Fußgänger schlagen die Ausschüsse vor, dass der Radverkehr auf den Fußverkehr Rücksicht zu nehmen und seine Geschwindigkeit gegebenenfalls anzupassen habe. Der dazugehörige Gesetzestext würde dann lauten: "Dabei ist auf den Fußverkehr Rücksicht zu nehmen. Der Fußverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Erforderlichenfalls ist die Geschwindigkeit an den Fußverkehr anzupassen."

Abschalterlaubnis für Notbremsassistenten

Weitere wichtige Änderungen wünschen die Ausschüsse für das Abschaltverbot von Notbremsassistenzsystemen für einzelne Fahrzeuge von Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz und Rettungsdiensten. Insbesondere bei Fahrzeugen mit nach vorn ragenden Anbauten funktioniert der Notbrems-Assistent nur eingeschränkt. Und auch bei Einsätzen, bei denen es um Leben und Tod gehe, sei das Ausschalten der Notbremsassistenzsysteme manchmal von Vorteil. Hier soll es entsprechende Ausnahmen geben.

Heftiger Expertenstreit vorausgegangen

Die geplante Änderung des StVO ist auch unter Experten heftig umstritten. Weder die Vertreter von Fahrrad- und Autofahrern, noch Verfassungsrechtler und Handwerker sind zufrieden.

Die neue StVO soll Kommunen bei der Gestaltung von Verkehrswegen mehr Rechte einräumen. Außerdem soll das Regelwerk nicht nur die Sicherheit im und Flüssigkeit des Verkehrs gewährleisten, inzwischen sind auch Ziele des Klima- und Umweltschutzes sowie der Gesundheit zu berücksichtigen. Als Allheilmittel gelten bei mancher Kommune dafür anscheinend Tempo-30-Zonen und Sonderfahrspuren.

Aus Sicht von Angela Kohls, Leiterin des Bereichs Verkehrspolitik beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), steht bei der Neufassung nicht der Mensch im Mittelpunkt, sondern das Kraftfahrzeug. Sie fordert, dass Kommunen ohne viel Bürokratie verkehrsberuhigte Zonen, Fußgängerwege und lückenlose Radwegenetze einrichten können sollen. Dazu müsste auch ohne erhöhte Unfallzahlen auf Hauptverkehrsadern Tempo 30 gelten können.

Sicherheit und Umweltschutz

Für ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand steht die Gefahrenabwehr im Vordergrund. Der StVO-Entwurf entspreche dem aber nicht, da er gleichrangig mehrere Ziele vorsehe. Die anderen rechtlichen Zielsetzungen seien aber bereits in anderen Regelwerken ausreichend behandelt. Verfassungsrechtler Professor Michael Brenner sieht das ähnlich: Umwelt- und Gesundheitsschutz dürfen im Straßenverkehrsrecht nicht über der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs stehen. Auch das Umweltrecht und der Schutz der Gesundheit müssten in einen gerechten Ausgleich gebracht werden. Professor Stefan Klinski von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sieht hingegen keine Probleme, Ziele des Umwelt- und Klimaschutzes sowie den Schutz der Gesundheit ins StVO mit einzubeziehen. Das Verfassungsrecht würde eine Berücksichtigung des Klimaschutzes sogar verlangen.

Vision Zero verwirklichen

Stefan Grieger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), sieht Defizite beim Schutzaspekt des StVO – seiner Einschätzung nach kommt die sogenannte "Vision Zero" nicht ausreichend zum Tragen. Teil der Vision ist, dass keine Menschen mehr durch Verkehrsunfälle ums Leben kommen oder schwere Verletzungen davontragen. Thomas Kiel d'Aragon sieht dies als Vertreter des Deutschen Städtetages ähnlich. Er fordert, dass Sicherheitsmaßnahmen präventiv möglich sind – und nicht erst bei steigenden Unfallzahlen. Markus Brohm vom Deutschen Landkreistag sieht in der Novelle keine gestärkten Entscheidungsmöglichkeiten für die Kommunen. Er möchte, dass Rad- und Fußverkehr begünstigt wird – begleitet von Geschwindigkeitsbegrenzungen.

Carsten Benke vom Zentralverband des Deutschen Handwerks betont, dass es auch weiterhin die Möglichkeit für das Abstellen gewerblicher Fahrzeuge geben müsste. Ansonsten müssten ansässige Betriebe die Gegend verlassen, was dem Leitbild einer nutzungsgemischten Stadt widerspräche. Der Beitrag des Handwerks beim Erhalt, der Entwicklung und Versorgung nachhaltiger Siedlungsstrukturen sollte in der StVO-Novelle ebenfalls berücksichtigt werden.

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Fazit

Die StVO gibt es in Deutschland seit 1934, die aktuell gültige Fassung datiert aus 2013. In den vergangenen Jahren haben sich die Mobilität der Menschen und die Sicht auf Aspekte wie Umwelt und Klimaschutz stark verändert – dem muss der Gesetzgeber auch mit einem Regelwerk wie dem StVO Rechnung tragen. Wie stark die neuen Aspekte in der anstehenden StVO-Novelle Niederschlag finden, ist unter Experten heftig umstritten.

Vertreter von Fahrradverbänden, Städten und Gemeinden wünschen sich eine bürokratiearme Installierbarkeit von Tempo-30-Zonen und Radwegen und die Möglichkeit, Tempo 30 bereits an Hauptverkehrsadern einzuführen, wenn die Behörden dort keine Unfallschwerpunkte festgestellt haben. Der ADAC und Rechtswissenschaftler weisen darauf hin, dass das StVO für die Regelungen im Verkehr gedacht ist – für den Klimaschutz gäbe es andere Gesetze. Und Handwerker weisen darauf hin, dass Siedlungsstrukturen nicht möglich sind, wenn Handwerker dort nicht ihre für die Arbeit benötigten Fahrzeuge abstellen können.

Der Verkehrsausschuss, der Innen- und der Umweltausschuss des Bundesrats schlagen jetzt massive Änderungen der Vorschläge vor – dies sei die Voraussetzung für eine Zustimmung. So ist den Ausschuss-Mitgliedern unter anderem wichtig, dass die Mission Zero, nach der es keine Toten oder Schwerverletzten mehr wegen Verkehrsunfällen geben soll, ausdrücklich in der StVO verankert ist. Außerdem mahnen sie die Klärung unbestimmter Rechtsbegriffe an. Dass nach der Gesetzes-Änderung Fußgänger die Fahrbahnen nicht mehr auf kürzestem Weg überqueren sollen, lehnen sie rundheraus ab. Und in der Tat ist es seltsam, dass so eine Neuerung in den Änderungsvorschlägen auftaucht. Es wäre interessant zu wissen, von wem dieser Vorschlag kam und was die Verantwortlichen mit diesem Änderungs-Wunsch bezweckt hatten.