Neue Volkswagen-Strategie „Road to 6.5“
Blume opfert den Arteon in seinem VW-Umbauplan

Von Rendite bis Modellprogramm: Der neue VW-Chef will den Konzern tiefgreifend reformieren. Nun gibt die Kernmarke VW Einblicke, was sich alles ändern soll.

VW Arteon Shooting Brake und Oliver Blume
Foto: Volkswagen AG

Vor nicht ganz einem Jahr zog Oliver Blume anstelle von Herbert Diess ins Büro des Vorstandsvorsitzenden des VW-Konzerns ein. In dieser Zeit hat der neue Volkswagen-CEO, der im Nebenjob die Tochtermarke Porsche leitet, bereits erste Personalwechsel veranlasst – etwa an der Spitze der Design-Abteilung oder bei der Software-Tochter Cariad. Doch der ganz große Umbau folgt erst noch. Wie dieser aussehen soll, hat Blume bereits dem VW-Aufsichtsrat präsentiert. Am 21. Juni folgt die Verkündung vor den Investoren bei einem auf dem Hockenheimring veranstalteten "Kapitalmarkttag", nach dem wohl auch die Öffentlichkeit die Details des Plans erfahren wird.

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Die Kernmarke Volkswagen gab bereits bei einer Betriebsversammlung am Mittwoch (14.06.2023) Eckpunkte des Programms bekannt, das der Hersteller "Accelerate Forward – Road to 6.5" nennt. Bereits zuvor hat das "Handelsblatt" einen VW-Topmanager zitiert, der die Strategie als "größten Umbau seit Jahrzehnten" angekündigt hatte. Ein interessanter Superlativ, schließlich hat bereits Blumes Vorgänger Diess versucht, von Wolfsburg aus den Konzern auf vielen Ebenen umzukrempeln – bekanntlich mit überschaubarem Erfolg und oft gegen interne Widerstände, vor allem vonseiten des Betriebsrates. Vor diesem Hintergrund dürfte es spannend werden, wie sich die Arbeitnehmervertreter rund um die Betriebsratschefin Daniela Cavallo zu den neuen Plänen verhalten werden. Beide Seiten erwarten "harte Verhandlungen", aber Cavallo beruhigt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Konzerns bereits: "Wir sind uns einig, dass wir die angestrebten Einsparungen ohne Abstriche beim Tarif oder bei der Beschäftigungssicherung erreichen müssen." Die entscheidenden Hebel seien andere.

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Kosten senken, Gewinn erhöhen

Blumes vorrangiges Ziel ist es, die Kosten zu senken, und zwar überall: Verwaltung, Materialkosten, Preise/Mix, Fahrzeugbau, Vertrieb. So etwas bedingt meist Einschnitte bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dass es eines der vorrangigen Ziele ist, die deutschen Werke besser auslasten, indem sich die Vertreter der "Markengruppe Volumen" (VW Pkw sowie Nutzfahrzeuge, Skoda, Seat und Cupra) in der Produktion zusammenschließen, dürfte der Betriebsrat goutieren. Dadurch kommen wohl Neuerungen auf die Standorte zu. Osnabrück könnte bei Porsche eingegliedert werden, Dresden steht dem Bericht zufolge komplett auf der Kippe. Beim Stammwerk in Wolfsburg will Blume wohl die Kapazität senken (im Gespräch sind etwa 600.000 statt rund einer Million Autos pro Jahr), es dafür aber besser auslasten.

Eine weitere Prämisse des Konzernchefs: Doppelte Entwicklungsarbeiten eindämmen, was auch in Richtung der Konzerntochter Audi gemünzt ist. In diesem Bereich laufen aus Blumes Sicht noch zu viele Arbeiten innerhalb des Zwölf-Marken- und 600.000-Mitarbeiter-Konzerns parallel, was Jahr für Jahr Milliarden koste. VW-Markenchef Thomas Schäfer fasst es so zusammen: "Synergien heben und über alle Unternehmensbereiche hinweg effizienter, schneller und schlagkräftiger werden."

Arteon stirbt, ID.7 mit wenigen Varianten

Die Einzelmarken sollen künftig weniger Modelle anbieten, also nicht mehr jede vermeintliche Nische besetzen. Für VW seien perspektivisch zehn Baureihen geplant, bei denen es sich vor allem um Volumenmodelle handeln wird. Modelle von geringer Stückzahl sollen keine Nachfolger mehr bekommen; konkretes Beispiel ist der VW Arteon, der aktuell nur noch in der Shooting-Brake-Version angeboten wird. "Wir fokussieren uns auf wenige, dafür aber auf Kernmodelle. Das reduziert Komplexität und bringt mehr Ergebnis", sagt Thomas Schäfer. Auch bei den Ausstattungsvarianten schwingt VW die Axt. Der "Elektro-Passat" ID.7 wird 99 Prozent weniger Konfigurationsmöglichkeiten bieten als ein VW Golf 7.

Bei den anderen Herstellern der Markengruppe soll es ähnlich laufen. Für Skoda sind etwa halb so viele Baureihen geplant wie bei VW, für Cupra seien es "drei oder vier", so ein Konzern-Manager laut "Handelsblatt". Zudem sollen Plattformen länger laufen und deren Entwicklung anders als bisher auf die Marken verteilt werden. Die Verantwortung bei kleinen und kompakten Modellen liegt innerhalb der Volumen-Gruppe. Seat/Cupra kümmert sich um den sogenannten "Small-BEV-Family-Cluster", ist also federführend bei Entwicklung und Produktion des neuen Einstiegs-E-Autos für etwa 25.000 Euro (siehe Fotoshow oben im Artikel). Bei vorrangig von Verbrennern angetriebenen MQB-Modellen hat Skoda den Hut auf und in der Luxusklasse ist es wenig überraschend Porsche. Audi befindet sich in der Mitte des Sandwiches, was Fluch und Segen sein kann. Die Marke erhält neue Plattform-Verantwortung für die Mittelklasse. Doch bei allem, was nach unten und nach oben abstrahlt, sollen sich die Ingolstädter künftig stärker mit Wolfsburg und Stuttgart-Zuffenhausen abstimmen.

VW soll 6,5 Prozent Rendite schaffen

Dem Magazin zufolge soll Blume die einzelnen Markenchefs aufgefordert haben, jeweils Börsengänge zu simulieren. Abgesehen von Porsche, das im vergangenen Jahr an die Börse gegangen ist, erst einmal nur theoretisch. Ziel der Maßnahme war es, Margenziele für die einzelnen Marken zu formulieren. Mit einer operativen Umsatzrendite von 20 Prozent läge in dieser Hinsicht Porsche konzernweit vorn. Audi folgt mit zwölf bis 14 Prozent Marge, die Markengruppe Volumen soll im Schnitt von fünf auf acht Prozent klettern. Für die Kernmarke VW wird bis 2026 eine "nachhaltige" Umsatzrendite von 6,5 Prozent (daher der Name des Programms) angepeilt, was wohl noch nie erreicht wurde.

Das alles soll dazu führen, dass vom Umsatz höhere Gewinne als bisher übrig bleiben. So soll sich bis 2026 das Ergebnis allein bei der Kernmarke VW um rund zehn Milliarden Euro verbessern. Damit will der Vorstand den finanziellen Spielraum bei der technischen Entwicklung schaffen und außerdem verlorenes Terrain auf den besonders wichtigen Märkten China und USA zurückerobern. So möchte sich der Konzern in die Lage versetzen, das Geld aus seinem bereits abgesegneten 180-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm gezielter als bisher einzusetzen. Und zwar explizit auch für Maßnahmen, mit denen die Qualität wieder verbessert werden soll. Hier hat das aktuelle VW-Management Missstände identifiziert, die aus der Ära Diess stammen.

Wöllenstein leitet das Strategieprogramm

Einen Leiter des Strategieprogramms hat Volkswagen bereits auserkoren. Die Aufgabe übernimmt Stephan Wöllenstein, der bis vor Kurzem Volkswagens China-Geschäft verantwortet hatte, dort aber von Herbert Diess abgesetzt wurde. In einzelnen "Handlungsfeldern und Leuchtturm-Projekten" sollen die Mitglieder des Markenvorstandes die Leitung übernehmen und Wöllenstein zuarbeiten. Die konkreten Maßnahmen des Performance-Programms "Accelerate Forward – Road to 6.5" sollen bis Mitte September definiert werden. Im Oktober soll mit dem Segen des Betriebsrates der endgültige Startschuss ertönen.

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Fazit

Maßnahmen-Pakete, wie sie der aktuelle Vorstand rund um Oliver Blume gestrickt hat, gab es in den vergangenen Jahren immer wieder im VW-Konzern. Es mangelte also nicht an Konzepten, sondern an deren Umsetzung. Genau auf diese will das VW-Top-Management in Zukunft aber verstärkt drängen. Was bedeuten dürfte: Markenchefs, die nicht mitziehen, könnten mit einer ablehnenden Haltung ihre Absetzung beschleunigen. Zumindest Thomas Schäfer ist auf einer Linie mit Blume: "Das Programm hat für den gesamten Vorstand oberste Priorität", sagte der VW-Markenchef bei der Vorstellung der Strategie.

In Bezug auf die Modellpolitik heißt es künftig: weniger ist mehr. Genau wie beim Anspruch der Marktführerschaft. Es heißt, Volkswagen strebe nicht mehr danach, möglichst die Nummer eins der Welt zu sein, sondern pro Auto höhere Gewinne zu erzielen, um so sinkende Absatzzahlen abfedern zu können. In der Theorie erscheint das schlüssig und sinnvoll. Allerdings hat VW dieses Konzept nicht exklusiv. Zudem wird der Wettbewerb und mit ihm der Preisdruck eher härter als entspannter – die Expansion der chinesischen Hersteller auf die für VW wichtigen Märkte außerhalb Chinas fängt schließlich erst an.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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