Mitfahrt im Ford Focus RS
Allrad-Drifter mit 350 PS

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Ein kompakter Allradler mit dem Handling eines Hecktrieblers – zugegeben, das hört sich wieder schwer nach Marketing-Märchen an. Das Unglaubliche: Ford hat es offensichtlich wahr gemacht. Erste Eindrücke eines Copiloten.

Ford Focus RS - Kompaktsportwagen - Mitfahrt
Foto: Ford

Bestimmt kennen Sie das fiese Gefühl: Man hat gerade was Tolles erlebt, etwas Fantastisches, darf es aber niemandem erzählen – weil man’s versprochen hat. Trotzdem verraten? Nun ja, dann wäre Ford mächtig sauer auf uns und würde uns womöglich mit dem Testwagen hinhalten. Und das darf man nicht riskieren, weil der Ford Focus RS so ein hammermäß… – tja.

Allradantrieb wie im Ford Focus RS gab es noch nie

Mag sein, dass Sie sich jetzt verschaukelt vorkommen, aber die ganze Geheimniskrämerei hat auch einen Vorteil: nämlich den, dass wir uns hier mal den Hintergründen widmen können, für die im richtigen Fahrbericht vor lauter Liebesbekundungen definitiv kein Platz mehr sein wird. So, und mehr wird jetzt nicht mehr zwischen die Zeilen geschrieben.

Der erste Kontakt mit dem neuen Focus RS findet auf Fords Testgelände in Lommel statt: auf einer Hebebühne, um ein wenig in der Unterwäsche zu wühlen, und auf einer in sich verknäulten Handling-Strecke, über die einen die diversen Entwicklungs-Ingenieure dann chauffieren – „chauffieren“ kommt übrigens aus dem Französischen und bedeutet „heizen“. Nur so nebenbei.

Zuvor muss aber noch Theorie gebüffelt werden. Tyrone Johnson, Chef des RS-Teams, erzählt, dass es immer eine technische Innovation gibt, einen USP, um den man ein RS-Modell schließlich herumstrickt. Beim ersten Focus RS war es die Vorderachssperre, beim vergangenen der Fünfzylinder – ja, Ford war da früher dran als Audi mit dem RS 3 –, und diesmal ist es der Allradantrieb. Und auch wenn Sie jetzt zu Recht einwenden, dass das längst nichts Neues mehr sei in der Kompaktklasse, sage ich: Oh doch, denn so einen gab es bislang noch nicht.

Weniger Emotion? Nur motorisch!

Aber fangen wir mit der schlechteren Nachricht an, also mit der, die nicht ganz so gut ist wie alle folgenden. Und die betrifft den Motor, der ein wenig bitter nachschmeckt, na, sagen wir, zartbitter. Nicht dass er selbst was dafür könnte: Der 2,3-Liter-Vierzylinder stammt grundsätzlich aus dem Mustang, macht sich aber mit einem speziellen Twin-Scroll-Lader, einem Alu-Zylinderkopf von Cosworth und einer gegendruckreduzierten Klappen-Abgasanlage für den Ford Focus RS etwas frisch – und auch richtig Betrieb.

Dennoch fehlt ihm im Vergleich zum fünfzylindrigen Vorgänger der Charme, die Klangfülle und dieses Wilde: Statt mit seinem Turbo zu kämpfen, harmonieren die beiden nun miteinander. Gemeinsam ziehen sie sich aus dem Drehzahlkeller, legen nach und nach an Vehemenz zu und lassen – auch das ist neu – obenraus nicht locker. Und ehe uns Ford nun des Fahreindrucksverrats bezichtigt: Ja, all das merkt man vom Beifahrersitz aus.

Ford Focus RS mit 350 PS und Handschaltung

Emotionalität hin oder her, nominell steckt der Ecobooster den alten Zwo-Fünfer in den Sack: 350 PS, 440 Nm, in den kurzen Overboost- Phasen sogar 470 Nm – damit liegt er ziemlich exakt auf dem Level des RS 500, jenes mattschwarz folierten Sondermodells, das die vergangene Baureihe krönte.

Geschaltet wird – Szenenapplaus dafür – manuell, ausschließlich, über das bekannte Sechsganggetriebe. „Wir haben natürlich auch über ein Doppelkupplungsgetriebe nachgedacht“, beichtet Johnson. „In der Beschleunigung auf hundert hätte das drei Zehntel gebracht – aber eben auch Nachteile. Vor allem gewichtstechnische.“ Rund 30 Kilo hätte man gegenüber der Handschaltung schlucken müssen – zu Lasten der Vorderachse. „Außerdem sollte der Focus RS ein fahraktives Auto werden, und da passt der Handschalter einfach besser.“

Eine Launch Control wurde im neuen Ford Focus RS trotzdem installiert. Wie das geht? So: ESP ausschalten – komplett, der Focus RS gestattet das. Dann Vollgas, jetzt regelt der Vierzylinder die Drehzahl bei 5.000/min ein, Kupplung fliegen lassen, die Schaltbefehle befolgen, und ab geht die Lutzi. Wie gut die Nummer tatsächlich funktioniert, wird sich zeigen müssen, in der Theorie sprintet der 1.450-Kilo-Allradler jedenfalls in 4,7 Sekunden auf 100 – in seiner Standardkonfiguration mit Straßenreifen, wohlgemerkt.

Launch Control und Sportreifen

Und das spielt insofern eine Rolle, da Ford offiziell nun auch Semislicks anbietet. Michelin Pilot Sport Cup 2, um genau zu sein, speziell aufgekochte, klar. Die bringen nicht nur im Sprint noch mal ein paar Zehntel, vor allem erhärten sie den Verdacht, dass es Ford endlich ernst meinen könnte mit der Performance. Nicht falsch verstehen, auch der Vorgänger war mehr als ein WRC-Maskottchen, definitiv, allerdings fehlte ihm stets die Grundlage für veritable Fahrdynamik – Revo-Knuckle hin, Quaife-Sperre her.

Dieses Problem dürfte sich nun ziemlich grundlegend erledigt haben. Wegen der durchweg aggressiveren Reifenwahl, wegen reichlich Kleinvieh wie Schmiederädern, einer richtig derben Dämpferkennlinie im Track-Mode, der versteiften und zusätzlich am Längsträger angebundenen Hinterachse und eben wegen dieses – um den Punkt endlich mal springen zu lassen – Allradantriebs. „Zuerst hatten wir einen Prototyp nach dem Haldex-Prinzip gebaut, wie es auch die Wettbewerber benutzen“, erzählt Johnson. „Allerdings war das dann nicht das, was wir uns fahrdynamisch vorstellten. Also haben wir uns was anderes ausgedacht.“

Das neue GKN-System arbeitet über eine Power Transfer Unit (PTU), die bis zu 70 Prozent der Kraft an die Hinterachse durchdrückt. Dort sitzen zwei Kupplungen, eine für jedes Rad, die sie dann aufsplitten – je nach Fahrmodus und vollvariabel. Dadurch entsteht der bekannte Torque-Vectoring-Effekt, also ein Eindrehimpuls in Richtung Kurvenscheitel. Nur mit dem Unterschied, dass er hier eben nicht wie üblich mittels Bremseingriff geschieht, sondern progressiv – mit beeindruckenden Auswirkungen.

Ford Focus RS für 39.000 Euro

Nun darf man freilich davon ausgehen, dass die Ford-Jungs schon wissen, wie sie ihr Auto bewegen müssen, dass einem als Danebensitzendem die Kinnlade runterklappt. Doch eines ist klar: Was sie hier anstellen, ließe kein anderer Kompakter mit sich machen, kein Audi RS 3, kein Mercedes-AMG A 45, auch kein BMW M135i. Der Ford Focus RS vereine die Traktion eines Allradlers mit dem Handling eines Hecktrieblers. Das haben sie im Vorfeld erzählt. Schon klar, denkt man da: das Blaue vom Himmel. Aber dann hockst du da drin und bist selbst als Passagier völlig baff, wie sich das Ding in Kurven windet und unter Last mit dem Hintern drückt – kontrolliert, ausschweifend, anscheinend ganz wie man will, im Drift-Modus mehr, im Track-Programm nicht mehr als nötig.

Die große Frage: Warum bringen das die anderen nicht fertig, die Konkurrenz, der wir jedes Mal Untersteuern ins Zeugnis schreiben? Ganz einfach: Sie würden nie ihren Baukasten aufbrechen, erst recht nicht für ein unbedeutendes Derivat. Beispiel RS 3. Klar ist der dicker motorisiert und schärfer abgeschmeckt, aber sein Technikgerüst bleibt dasselbe wie in jedem anderen Quermotor-Allradler des Konzerns. Ford hingegen verrenkt sich für den Focus RS, betreibt Aufwand, konstruktiven und fertigungstechnischen. Und trotzdem ist die eigentliche Pointe der Preis: Denn das Ergebnis kostet vergleichsweise läppische 39.000 Euro. Daher: Nehmen Sie einen, auch wenn ich noch nicht dezidiert erläutern darf, warum unbedingt.

Technische Daten
Ford Focus RS RS
Grundpreis40.975 €
Außenmaße4390 x 1823 x 1470 mm
Kofferraumvolumen260 bis 1045 l
Hubraum / Motor2261 cm³ / 4-Zylinder
Leistung257 kW / 350 PS bei 6000 U/min
Höchstgeschwindigkeit268 km/h
Verbrauch7,7 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten