238 km/h im Raketenauto
Vor 90 Jahren stellt Opel Rekord auf

Inhalt von

Zum Serienstatus hat es der Raketenantrieb bei Autos nie geschafft – aber Opel ging es auch mehr um die Faszination an der ultramodernen Technik, als die Rüsselsheimer 1927 mit ihren Forschungen zu einem Raketenauto begannen. Begeistert von der neuen mächtigen Technologie feuerte Fritz von Opel bereits im Mai 1928 mit dem RAK 2 in Rekordzeit über die AVUS in Berlin.

Im Herbst 1927 startet die Geschichte von Opels spektakulären Raketenautos. Fritz von Opel, Enkel des Firmengründers Adam Opel, trifft sich mit dem Schriftsteller und Astronomen Max Valier, um sich an dessen Raketen-Forschungsprojekt zu beteiligen. Valier gilt als einer der Wegbereiter der Raketentechnik – da er 1930 in Berlin bei Triebwerksversuchen für Shell ums Leben kommt, gilt er auch als ihr erstes Todesopfer.

Unsere Highlights

Unternehmer, Ingenieur und Rennfahrer Fritz von Opel brachte in die Zusammenarbeit mit Valier Innovationen und Finanzen ein. Um den sogenannten Raketenmotor möglichst schnell umsetzen zu können, holten sich die beiden noch Friedrich Wilhelm Sander an Bord. Der Pyrotechnische Ingenieur stellte in seiner Firma unter anderem eine Leinen-Raketen-Pistole zur Rettung Schiffbrüchiger her. Die Zusammenarbeit der Raketen-Pioniere führt bereits 1928 zu Opels erstem Raketenauto RAK 1. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit finden Tests mit dem Fahrzeug statt: Am 11. April 1928 spurtet Opel-Ingenieur und Rennfahrer Kurt Volkhart mit dem flügelbewehrten Raketenrenner in acht Sekunden von null auf 100 km/h, maximal ist der Wagen 125 km/h schnell. Das Fahrzeug basiert auf einem Opel 4/12 PS und ist mit zwölf Sander-Feststoffraketen bestückt, die wiederum insgesamt 40 Kilogramm Sprengstoff in sich tragen. Als Opel den Erfolg der Presse mitteilt, ist die Resonanz so gewaltig, dass die Raketen-Pioniere beschließen, weitere Versuche mit höheren Geschwindigkeiten zu fahren.

Flügel und Feststoffraketen für den Raketenrenner

So entsteht auf dem Chassis eine Opel 10/40 PS der RAK 2. Er ist 4,88 Meter lang und somit länger als der Opel RAK 1. Zur verbesserten Aerodynamik zählen unter anderem auch größere Flügel. Die Zahl der Feststoffraketen im Heck des Wagens verdoppelt sich auf 24 – zusammen entwickeln sie einen Schub von sechs Tonnen. Dabei wiegt das Fahrzeug nur 560 Kilogramm – schließlich hat es weder einen konventionellen Verbrennungsmotor noch ein Getriebe. Das Gaspedal heißt beim Raketenauto „Zündpedal“: Per Pedaldruck werden die Raketen nacheinander elektrisch gezündet.

Opel Raketenauto, Opel RAK 2
Opel
Während der halsbrecherischen Fahrt brennen im Rücken von Fritz von Opel 24 Feststoffraketen ab. Die Rennstrecke wird dabei kräftig eingenebelt.

Großer Promi-Auftrieb beim Rekordversuch

Für die Rekordfahrt hat sich Opel die AVUS in Berlin ausgesucht, weil die heimische Teststrecke nicht über Geraden verfügt, die lang genug sind. Seinen Auftritt in Berlin inszeniert Fritz von Opel sorgfältig – er macht aus der geplanten Rekordfahrt ein Society-Event. So sind 3.000 Gäste geladen, auf den AVUS-Tribünen tummeln sich Prominente aus Politik, Wirtschaft und Kultur. So sitzen Boxer Max Schmeling, Dichter Joachim Ringelnatz und Metropolis-Regisseur Fritz Lang auf den Rängen. Der in Deutschland damals erst fünf Jahre alte Rundfunk überträgt den Rekordversuch live.

Monteure schieben den Opel RAK2 auf seine Startposition, erst dort werden die Raketen installiert. Fritz von Opel nimmt hinter dem riesigen Holzlenkrad Platz, Friedrich Sander drückt dem Fahrer die Hand, das Gemurmel auf den Tribünen verstummt. Dann tritt Fritz von Opel aufs Zündpedal und gerät in einen Rausch: „Ich trete nochmals, nochmals und – es packt mich wie eine Wut zum vierten Mal. Seitwärts verschwindet alles. ... Ich handele nur noch im Unterbewusstsein. Hinter mir das Rasen der unbändigen Kräfte.“ In der Nordkurve bäumt sich der Wagen auf, da die Flügel nicht genügend Abtrieb liefern. Von Opel meistert die Kurve und nach drei Minuten ist die Fahrt vorbei, der Wagen rollt, eine ständig größer werdende weiße Wolke hinter sich herschleppend, langsam aus. 238 km/h Höchstgeschwindigkeit sind ein neuer Streckenrekord, Fritz von Opel heißt ab sofort „Raketen-Fritz“ und Opel gilt umgehend als einer der fortschrittlichsten Autohersteller.

Fritz von Opel
Opel
Fritz von Opel steigt nach seiner spektakulären Rekordfahrt auf der AVUS aus dem raketenbetriebenen Opel RAK 2. Anlässlich des 90. Jahrestags der Rekordfahrt hat Opel das ursprünglich schwarzweiße Pressefoto von 1928 nachkolorieren lassen.

Knappe Rettung aus Raketenflugzeug

Von Opel und Sander setzen ihre Raketenversuche fort. Der Opel RAK 3 ist eine Raketen-Draisine, die am 23. Juni 1928 im niedersächsischen Burgwedel mit 256 km/h einen Geschwindigkeitsrekord für Schienenfahrzeuge aufstellt. Dann folgt das Opel Motoclub, ein Motorrad mit Raketenantrieb. Selbst der Luftfahrt wenden sich die beiden Raketen-Enthusiasten zu: Am 30. September 1929 findet auf der Wasserkuppe (950 Meter hoch) mit dem Hochdecker Opel-Sander RAK 1 der erste öffentliche Raketenflugzeug-Flug der Welt statt, der auf dem Gleiter „Ente“ basierende Flieger ist bis zu 100 km/h schnell. Der erste Startversuch schlägt fehl, beim zweiten Versuch brennen die beiden Feststoffraketen nacheinander jeweils 30 Sekunden, was für eine Strecke von 1.500 Metern reicht. Im dritten Versuch sollen beide Raketen gleichzeitig zünden. Dabei explodiert eine Rakete und setzt das Flugzeug in Brand. Der Pilot kann die Raketen-Ente gerade noch aus 20 Metern Höhe landen und fluchtartig verlassen, dann brennt der Flieger komplett nieder. Die Weltwirtschaftskrise beendet kurz darauf Opels sämtliche Raketenversuche, die Ressourcen wandern nun ausschließlich in die Fahrzeugentwicklung.

Die aktuelle Ausgabe
Motor Klassik 06 / 2024
Motor Klassik 06 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten