Rekorde vom Elektro-Rennwagen VW ID. R
Onboard den Tianmen Shan Big rauf

Erst Pikes Peak und Goodwood, dann die Nürburgring-Nordschleife und nun die Tianmen Shan Big Gate Road in China: Alle Infos zu den Bestmarken des Elektro-Rennwagens Volkswagen ID. R.

Die Rekordreise des VW ID. R hat nun in Asien ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Werksfahrer Romain Dumas bezwang im Elektro-Rennwagen die Big Gate Road am Tianmen-Berg in China in 7:38,585 Minuten. Das ist ein neuer Rekord. Das geht auch gar nicht anders, schließlich ist noch nie jemand im Renntempo die 10,9 Kilometer lange und mit 99 Kurven gespickte Strecke hinaufgejagt. Die verschlungene Straße wird zwar von Bussen genutzt, um Touristen auf den Berg zu transportieren. Sie ist ansonsten aber für den öffentlichen Verkehr gesperrt und wird auch nicht für Bergrennen oder Rallyes verwendet.

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„Sehr kurvig, extrem eng, sehr uneben“

Dumas sah das Vorhaben im Vorfeld als besondere Herausforderung: „Die Strecke ist sehr kurvig, teilweise extrem eng und dazu noch sehr uneben.“ Tatsächlich ist kaum eine Gerade länger als 50 Meter, der Höhenunterschied beträgt etwa 1.100 Meter. „Diese Rekordfahrt am Tianmen Mountain wird mir sicher auf ewig als mein spektakulärster Einsatz in Erinnerung bleiben“, sagte der 41-Jährige nach der Zieldurchfahrt. Durch die wenigen Informationen und Testfahrten, die das Team vorher hatte, sei die Unternehmung eine enorme Herausforderung gewesen.

09/2019, VW ID. R Tianmen
Volkswagen AG
99 Kurven, 10,9 km Länge, ca. 1.100 m Höhenunterschied: die Bergstraße am Tianmen Mountain.

Die Rekordfahrt am Tianmen-Berg kam nicht von ungefähr: China ist der mit Abstand größte Markt für Elektroautos und Volkswagen hat seine Firmenstrategie konsequent auf die E-Mobilität ausgerichtet. Um damit erfolgreich zu sein, sind hohe Verkaufszahlen in China unerlässlich. Um sich dort zu positionieren, sind weitreichende PR- und Marketing-Maßnahmen wie diese vonnöten.

Erst Pikes Peak, dann Goodwood

Ähnliches gilt für den US-Markt, weshalb dort zur Jahresmitte 2018 die Rekordserie des VW ID. R begann. Beim legendären Hillclimb am Pikes Peak pulverisierte der VW-Prototyp den Streckenrekord. Und zwar nicht nur den für Elektroautos, sondern den absoluten, den Sebastien Loeb 2013 mit einer Fabelzeit aufgestellt hatte. Der Elektro-Rennwagen von VW schaffte den Berg in 7:57.148 Minuten.

Im Juli 2018 schob VW gleich noch einen weiteren Streckenrekord nach, den auf der Hillclimb-Strecke im britischen Goodwood Park. Hier reichte die Rekordzeit zuerst nur als Bestmarke für Elektrofahrzeuge. Schnellstes Auto in Goodwood blieb erst einmal der Formel 1-McLaren MP4/13 unter Nick Heidfeld. Doch schon ein Jahr später war auch hier der Gesamtrekord fällig. Mit einer Zeit von 39,90 Sekunden unterbot Dumas die 20 Jahre währende Bestmarke um 1,7 Sekunden.

Ein Jahr später fiel die Bestmarke am Nürburgring, wenn auch wieder „nur“ jene für Elektroautos. Der ID. R umrundete die Nordschleife in 6:05.336 Minuten. Damit war er mehr als 40 Sekunden schneller als der bisherige elektrische Rekordhalter: Die Bestzeit von 6:45,90 Minuten von Peter Dumbreck im Nio EP9 stammte aus dem Jahr 2017. Der ID. R unterbot sogar die internen Vorgaben: Volkswagen Motorsport hatte sich eine Zeit von 6:15 Minuten zum Ziel gesetzt. Wie bei allen Rekordfahrten saß auch auf der Nordschleife VW-Werksfahrer Romain Dumas – ein viermaliger Gewinner des 24-Stunden-Rennens am Nürburgring – am Steuer.

Zwei E-Motoren mit 500 kW (680 PS)

Der für die Rekordversuche auf dem Nürburgring und in China weiterentwickelte ID. R wird von zwei Elektro-Motoren mit einer Systemleistung von 500 kW (680 PS) angetrieben und wiegt inklusive Fahrer weniger als 1.100 Kilogramm. Für die Nordschleife musste die richtige Balance zwischen Höchstgeschwindigkeit und der begrenzt zur Verfügung stehenden elektrischen Energie gefunden werden. Dafür passte das VW-Team die Antriebstechnologie an. Kleiner Fun-Fact am Rande: Eingestiegen wird durch das Dach. Die Türen sind lediglich für Notfallsituationen konzipiert.

Auch die Batterie und die Ladestrategie mussten optimal an die Anforderungen der Nordschleife angepasst werden. Schließlich sollten die 8 mal 56 Zellen, die in zwei Blöcken neben dem Fahrer und hinter dem Monocoque untergebracht sind, auch am Ende der Runde auf der Döttinger Höhe noch genug elektrische Energie liefern. „Nicht maximale Reichweite ist gefragt, sondern eine möglichst hohe Leistungsabgabe“, sagte Marc-Christian Bertram, Leiter Elektrik und Elektronik bei Volkswagen Motorsport, vor dem Rekordversuch. Deshalb wies die Batterie eine besonders hohe Leistungsdichte auf.

Elektro-Renner mit optimierter Aerodynamik

Zum Strom tanken nutzte VW zwei Ladesysteme, die in einem temporär errichteten Servicepark standen. Nach 20 Minuten war der Akku voll, obwohl die Anlage nur mit geringer Anschlussleistung versorgt wurde. „Dadurch bleibt die Hitzeentwicklung gering“, erklärte Bertram. Um die Batterie stets im idealen Temperaturfenster von etwa 30 Grad zu halten, verfügte sie über eine eigene Klimaanlage. Der Rest hing von der Rekuperation ab. Etwa zehn Prozent des Energiebedarfs gewann der ID. R beim Bremsen selbst zurück.

Eine noch größere Veränderung im Vergleich zur Pikes-Peak-Abstimmung passierte aber bei der Aerodynamik. Im Unterschied zum US-Klassiker am Pikes Peak mit dem Start auf 2.862 Metern und dem Ziel auf 4.302 Metern Höhe windet sich die Nordschleife lediglich zwischen 320 und 617 Metern über Meereshöhe durch die Eifel und hat nicht zuletzt durch die lange Gerade an der Döttinger Höhe einen ganz eigenen Charakter. Deshalb konfigurierte VW den ID. R nicht auf maximalen Abtrieb, sondern auf größtmögliche Effizienz und eine signifikant höhere Höchstgeschwindigkeit. Tempo 270 sollte möglich sein. Die Beschleunigung aus dem Stand bis Tempo 100 passierte in 2,25 Sekunden. Wobei der ID. R während der gesamten Rekordfahrt kein einziges Mal stand. Wie immer bei einem Rekordversuch gab es einen fliegenden Start.

DRS-Heckflügel wie in der Formel 1

Neben einem geänderten Unterboden sowie neuen Spoilern an der Fahrzeugfront war die auffälligste Neuerung beim ID. R im Jahr 2019 der neue Heckflügel, der den Elektrorennwagen in der Höhe um rund 22 Zentimeter auf nun 97,9 Zentimeter schrumpfen ließ. Das neue mehrflügelige Leitwerk des ID. R erzeugte in den mittelschnellen der 73 Kurven der Nordschleife dennoch einen hohen Anpressdruck.

Um den Luftwiderstand abschnittsweise weiter zu reduzieren, wies der Heckflügel eine aus der Formel 1 bekannte Technologie auf – das sogenannte Drag-Reduction-System (DRS). In der Königsklasse des Motorsports wird das DRS eingesetzt, um mit höherer Endgeschwindigkeit das Überholen zu erleichtern. Bei der Solo-Fahrt des ID. R wurde das umklappbare Element des Heckflügels dagegen ausschließlich dafür genutzt, die vorhandenen Energiereserven zu schonen. Im Vergleich zum Rekordlauf am Pikes Peak war der Luftwiderstand bei nicht aktiviertem DRS rund 33 Prozent niedriger. In Summe hatte Romain Dumas etwa zehnmal pro Runde Gebrauch vom DRS gemacht.

„Auf der Nordschleife viel näher ans Limit“

„Zwischen maximaler Anstellung und komplett flacher Position beträgt der Unterschied beim Abtrieb rund 20 Prozent“, erläutert Hervé Dechipre, verantwortlicher Ingenieur für die Aerodynamik des ID. R. Besondere Bedeutung hatte das DRS, als der ID. R die „Döttinger Höhe“ erreichte, die knapp drei Kilometer lange Gerade im letzten Nordschleifen-Sektor. „Mit aktiviertem DRS wird weniger Energie benötigt, um das Maximaltempo über die gesamte Döttinger Höhe zu halten“, sagt Dechipre. „Zudem erreicht der ID. R seine Höchstgeschwindigkeit schneller und mit geringerem Energieaufwand.“

Ebenfalls zumindest teilweise neu war die Bremsanlage. Sie bestand aus Kohlefaser und nicht mehr aus Keramik. So sollten die Bremsen nicht nur standfester sein, sondern auch dazu beitragen, die ungefederten Massen zu reduzieren. Romain Dumas erklärte vor seiner Runde dazu: „Beim Pikes Peak wussten wir nicht genau, was uns erwartet, und mussten deswegen an einigen Stellen Kompromisse eingehen. Für die Nordschleife gehen wir mit dem gesamten Auto viel näher ans Limit. Das fordert natürlich auch mich als Fahrer mehr. Zum Beispiel sind die in den Kurven auf mich einwirkenden Fliehkräfte deutlich höher.“

Zum absoluten Nordschleifenrekord fehlt dem VW ID. R aber noch ein gutes Stück. Den hatte Porsche im Juni 2018 aufgestellt. Im 919 Hybrid Evo raste Werkspilot Timo Bernhard in 5:19.546 Minuten durch die Grüne Hölle. Ein Grund, weshalb dieser Fabelrekord nicht in erreichbarer Nähe ist, ist die um fast 100 km/h geringere Höchstgeschwindigkeit des ID. R auf der Döttinger Höhe.

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Fazit

Pikes Peak, Goodwood, Nürburgring und Tianmen Road: Der VW ID. R hält nun vier Streckenrekorde, darunter jene auf den legendärsten Kursen der Welt. Da dürfte es in Zukunft schwierig werden, weitere sportliche Herausforderungen zu identifizieren. Die größte Challenge dürfte nun im Tagesgeschäft warten: Die Familie der ID-Serienautos am Markt zu etablieren.

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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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