Lotus Eletre
Elektrischer Klein-Lkw mit Skalpelllenkung

Der Eletre ist der erste SUV der Sportwagen-Marke. Schafft er es, die ganz und gar SUV-fremden Markenwerte auf einen Zweieinhalbtonner zu übertragen? Erste Ausfahrt mit dem bis zu 918 PS-starken 5,10-Meter-Brocken.

Porsche Cayenne, Lamborghini Urus, Ferrari Purosangue: Sie alle lösten einen Aufschrei aus. Kann ein Sportwagenhersteller einfach ein SUV bauen? Ja, kann er. Und vor allem viel Geld damit verdienen. Etwas, das Lotus zuletzt mehr schlecht als recht gelang, weswegen Lotus es unter Eigentümerschaft von Geely nun mit einem elektrischen Luxus-SUV versucht. Die große Frage: wie überträgt man die eigenen Markenwerte sinnvoll und vor allem glaubhaft auf einen solchen Hochsitz. Und hier dürfte es wohl kaum eine schwerere Aufgabe geben, als das Leichtbau- und Motorsporterbgut von Lotus in ein bis zu 2,6 Tonnen schweres, 5,10 Meter langes Auto zu verweben, das alles nicht ist, was Lotus bisher war.

Der große E-Ratgeber

Schwergewichts-Tanz

Die Antwort auf die zentrale Frage gibt die erste engere Kurve auf der Testfahrt mit dem Eletre S: Man macht es über die Lenkung. Denn die agiert so, als würde sie all die Masse, die da auf den Vorderrädern lastet, gar nicht interessieren. Sie reagiert direkt, relativ leichtgängig, ohne gespielte Aufgeregtheit aber mit inniger Präzision und sogar spürbarer Rückmeldung. Für ein SUV lenkt der Eletre schlicht herausragend ein. Und das obwohl er noch über um bis zu 3,5 Grad mit- und gegenlenkende Hinterräder verfügt, die bei den meisten Autos zwar die Agilität erhöhen, das Lenkgefühl jedoch eher verwässern. Seine hohe Präzision rührt auch daher, dass er sich mit aktiven Stabilisatoren und Adaptivdämpfern mit aller technischer Gewieftheit gegen die Seitenneigung wehrt, seine hohe Kommunikationswilligkeit auch von mangelnder Isolation: So befestigte man das Lenkgetriebe direkt am Hilfsrahmen, statt es aufwendig isoliert und gummigelagert abzukoppeln.

Auf der Straße erreicht er beachtliche Kurvengeschwindigkeiten und gibt mit eiserner Neutralität viel Vertrauen. In fünf Stufen lässt sich der technoide Fahrdynamikcocktail zuspitzen. Vom effizienten Range-, über den komfortablen Tour-Modus bis hin zu Sport. Dazu kommen noch ein Individual- und ein Offroadmodus, der die Zweikammer-Luftfedern auch ihre höchste Stufe bringt. Trotz aller Sportlichkeit ist der Eletre ja immer noch ein SUV. Und als solches erfüllt er auch die Erwartungen an den Komfort. Hier und da wirken die Luftfedern konzepttypisch etwas spröde und auch den Dämpfern merkt man hier und da noch sportliche Absichten an, aber insgesamt kann der Eletre auch eine Sänfte mimen. Gerade gröbere Unebenheiten schwingt er schnell und sanft aus. Kürzere Einschläge wie Gullideckel softet er ab, eliminiert sie aber nicht gänzlich.

Fahrassistenzsysteme noch am Anfang

Akustisch prägt den Lotus Eletre britische Zurückhaltung. Kein Soundmodul interpretiert Kompressor-Gekreische früherer Elise- und Exige-Modelle. Stattdessen dringt nur ein dezentes Sirren der Elektromotoren in den Innenraum. Windgeräusche entstehen erst, wenn das umfangreiche Assistenzarsenal zum Dienst antritt. Dann nämlich fahren am vorderen und hinteren Ende des Daches und über den vorderen Kotflügeln insgesamt vier Lidar-Systeme aus der Karosserie, die ein hörbares Zischeln in der Dachregion auslösen. Diese laserbasierte, wetterunempfindlichere und nachttauglichere Radar-Alternative soll zusammen mit weiteren sechs Radarsystemen und sieben Kameras den Eletre eines Tages nach Level 4 autonom fahren lassen.

Der Lotus-Fahrassistenz-Chef Regis Robert gibt aber offen zu, dass der Eletre zum Marktstart noch nicht auf dem Level der Konkurrenz ist, was Spurhalteassistent und Abstandstempomat angeht. "Uns fehlen einfach die Daten von der Straße." Das System soll mit Fahrdaten Stück für Stück verbessert werden. Auf der Fahrt dagegen neigte der piepsige Spurhalter zu Überkorrekturen, korrigierte zwar Linienüberfahrten, schubste den großen SUV dann aber auch manchmal über den gegenüberliegenden Streifen der Fahrspur. Der Abstandstempomat hatte vor allem Probleme mit gleichmäßigem Abbremsen beim Hinterherfahren und in Linkskurven mit Leitpfosten neben der Straße, die ihn immer wieder zu Bremsmanövern bewegten. Kurzum: Lotus hat im Fahrassistenzbereich noch viel Arbeit vor sich.

Antriebsgewalt in zwei Stufen

Wenig überraschend gibt der Eletre auch antriebsseitig wenig auf Zurückhaltung. Die Basisversion und das S-Modell setzen jeweils auf den gleichen Permanentmagnetsynchronmotor an Vorder- und Hinterachse und unterscheiden sich in erster Linie durch Ausstattungsumfänge und -optionen. Macht zusammen 450 kW (612 PS) und 710 Newtonmeter und eine Werksangabe für den Nullhundert-Sprint von 4,5 Sekunden. Die Dosierbarkeit der Leistung ist perfekt, die Traktion wirkt auch im Nassen unerschütterlich dank der präzisen Regelelektronik. Rekuperiert wird in festen Stufen, nicht adaptiv. Dafür muss das linke Paddel hinter dem Lenkrad oben oder unten gedrückt werden. Eine Segelfunktion gibt es ebenfalls, jedoch keinen vollständigen Ein-Pedal-Modus. Allen Varianten gemein ist die 112 Kilowattstunden fassende Batterie im Fahrzeugboden, bestehend aus NMC-Zellen des chinesischen Batteriegiganten CATL. Die Besonderheit der Lotus-eigenen EPA-Plattform, die dem Eletre zugrunde liegt, ist ihre Betriebsspannung von 800 Volt. Damit sind Ladeleistungen von bis zu 350 kW möglich. Lotus gibt eine Ladezeit für den Standardladehub von 10 bis 80 Prozent von nur 20 Minuten an. Einen 22 kW-AC-Lader gibt’s in allen Varianten serienmäßig. Das Leuchtband am Fahrzeugheck dient dabei als Ladestandsanzeige während des Ladevorgangs.

Für die potentere R-Version bittet Lotus auf einen kleinen Flugplatzkurs mit Pylonen und abgesteckter Gerade zum Beschleunigen. Während der Frontmotor der gleiche ist, schiebt hinten ein stärkerer Synchronmotor, der zudem mit einem Zweigang-Getriebe verkuppelt ist. Macht insgesamt 675 kW (918 PS) und 985 Newtonmeter. Zusätzlich gibt es exklusiv für die R-Version einen Track-Modus, der das ESP anlockert. Der ist auch nötig, um die volle Beschleunigungsgewalt zu erleben. Geht der Eletre S schon mit dieser elektroautotypischen stillen Macht nach vorn, packt der R nochmal spürbar Punch obendrauf. Im Normalmodus regelt er beim Sprintstart noch spürbar Leistung zurück, so dass der immense Schub sich erst so richtig ab 50 bis 60 km/h entfaltet. 2,95 Sekunden auf Hundert? Wohl eher nicht. Erst im Track-Modus arbeitet die Elektronik an der Schlupfgrenze und reißt den Eletre aus den Startblöcken, ohne, dass der Kopf gehirnerschütterungsgefährdend an die Kopfstütze knallt wie beim Start eines Porsche Taycan Turbo S. Trotzdem ist es schon beinahe herablassend der Physik gegenüber, wie der Eletre zwischen 50 und 150 trotz seiner Ausmaße und seines Gewichts beschleunigt. Bei knapp 135 km/h legt sich mit einem leichten Ruck der zweite Gang ein. Im Handling-Parcour zeigt sich der R trotz seines kräftigeren hinteren Motors sehr neutral. Auch auf Provokation übersteuert er kaum, und wählt eher einen sicheren Handling-Weg, der sich geschmacklich nicht wirklich von dem des Eletre S unterscheidet.

Windiger Durchströmer

Bei aller Beschleunigungsmacht muss der Eletre als Elektrofahrzeug auch einen gewissen Effizienzanspruch erfüllen. Seine wuchtigen Ausmaße helfen dabei genauso wenig wie das traktions- und performanceorientierte Antriebslayout mit zwei Synchronmotoren, die unbestromt Schleppverluste erzeugen. Dementsprechend fährt der Eletre in fast allen Fahrsituationen als Allradler. Mit den kleinsten, aerodynamisch optimierten Rädern und Kamera-Außenspiegeln erreicht er einen cw-Wert von 0,26. Lotus fährt auf aerodynamischer Seite so manchen Trick auf.

Neben einem in drei Stufen elektrisch verstellbaren Heckflügel – kein Spoiler, da das Leitelement ein aerodynamisches Profil besitzt – gibt es einen verschließbaren Frontkühlergrill und zahlreiche Durchströmungskanäle, zum Beispiel von der Frontschürze in die vordere Haube, am hinteren Kotflügel und entlang der D-Säulen. Trotzdem wird aus dem Eletre kein Effizienzmeister. Kommt die reguläre Variante noch auf bis zu 600 Kilometer Reichweite nach WLTP, kommt die R-Variante mit breiteren und performanteren Reifen, abtriebsfördernden Aerodynamik-Teilen und dem größeren Heckmotor je nach Konfiguration nur noch auf 410 bis 450 Kilometer nach WLTP, was gemessen an dem stattlichen Akku nicht gerade auf Effizienzrekorde hindeutet.

Wertigkeit aus Wuhan

Innen kreierte man ein völlig neues Cockpit: viel Leder, viel Alcantara, hochwertiges Ambiente. Die Verarbeitung des in Wuhan montierten Groß-Stromers kann sich sehen lassen. Einziger Negativpunkt: die Übergänge der Türtafelleisten passen nicht so recht zur Position derer an den Armaturenbrettabschlüssen. Schwere, fein klickende Tasten müssen am Lenkrad für die Tempomat und Mediensteuerung betätigt werden, während außer ein paar Klimatasten und der Temperaturregelung alles weitere über den großen QHD-Touchscreen läuft. Hier ist die Menüführung simpel, die Listenbildung hält sich in Grenzen und die Rechenzeiten sind ausgesprochen schnell. Einzig die Symbole und Bedienfelder sind in vielen Fällen zu klein für eine präzise Bedienung während der Fahrt. Eine elektroauto-gerechte Routenplanung beherrscht der Eletre ebenfalls, wobei sich das System hierbei mehrfach in langen Rechenzeiten verstrickte und die Route im Minutentakt änderte, was auf ein baldiges over-the-air-Update hoffen lässt.

Lotus Eletre, Innenraum, Cockpit, Lenkrad
Lotus
Einfach und gut: Logische Lenkradbedienung mit schön integrierten Tasten. Nervig: Digital-Außenspiegel mit stark geneigtem Display, das intuitives Einschätzen von Abständen und Positionen erschwert.

Anstelle eines großen Tachodisplays flimmern Fahrinformationen über einen kleinen Displaystreifen und ein großes Head-up-Display. Dementsprechend ist die Informationsdichte geringer als manchen Konkurrenzmodellen, an der Ablesbarkeit gibt es aber nichts zu kritisieren. Als echte Störfaktoren entpuppen sich die digitalen Außenspiegel, die ein Kamerabild auf zwei Displays in den Türecken werfen. Gelingt der Blick auf das rechte Display und die damit verbundene Einschätzung der Verkehrslage noch halbwegs intuitiv, stellt dich der linke vor echte kognitive Herausforderungen. Da das Display relativ zum Sichtfeld stark angewinkelt ist, erscheint die Straße stets schief, was eine Einschätzung der Geschwindigkeit und der Position des nahenden Gegenverkehrs gerade in Einfädelsituationen unnötig schwierig macht.

Zwar sparen die Außenspiegel dank besserer Aerodynamik wirksam Strom, sollten jedoch keinen negativen Einfluss auf die Verkehrssicherheit haben. Die verbauten Integralsitze bieten einen gelungenen Mix aus Sport und Komfort, könnten aber gemessen an der Klasse, in der sich der Eletre bewegt, noch etwas besseren Komfort oder mehr Seitenhalt bieten. Im Fond können Käufer zwischen einer dreisitzigen Bank oder zwei Einzelsitzen wählen. Die Einzelsitze sind die gleichen, die in der ersten Reihe verbaut sind und bieten vielfältige Einstellmöglichkeiten im äußerst geräumigen Fond. Nur die dreisitzige Rückbank bietet die Option, selbige auch umzulegen und so den 688 Liter großen Kofferraum auf 1.532 Liter zu erweitern. In der Viersitzer-Konfiguration beträgt das Kofferraumvolumen 611 Liter. Allen Varianten gemein ist der 46 Liter fassende Zusatzkofferraum unter der vorderen Haube, der sich gut für Kabel und anderen Kleinkram eignet.

Fast immer sechsstellig

Serienmäßig ab dem S-Modell und optional gegen 6.550 Euro Zuzahlung für die Basis verbaut Lotus ein Audiosystem der britischen Marke KEF. 23 Lautsprecher und 2.160 Watt Spitzenleistung sind die Eckdaten des Systems, das als eines der ersten Automobil-Soundsysteme Titel im Dolby-Atmos-Format abspielen kann. Das Sounderlebnis ist dabei äußerst beeindruckend, ähnlich dem in einem dieser aufwendigen Dolby-Atmos-Kinos. Allerdings gibt es noch nicht viele Streaming-Anbieter, die Songs mit diesem Audio-Standard führen. Spotify bietet es beispielsweise noch gar nicht an, über Tidal gibt es zumindest ein paar Playlisten.

Preislich startet die Basis bei 95.990 Euro. Das antriebsseitig gleiche aber deutlich besser ausgestattete S-Modell kostet bereits 120.990 Euro, während die R-Variante mindestens 150.990 Euro kostet. Handling- und Aerodynamikpakete gehen vor allem bei den kleineren Varianten heftig ins Geld. Lotus will mit neuen Lifestyle-Fahrzeugen den Sprung ins Luxussegment schaffen, die auch zu großen Teilen vom Lotus-Technical-Center im deutschen Raunheim entwickelt werden, während die Sportwagen-Kompetenz im britischen Hethel bleibt. Mit dem Eletre stehen die Chancen wahrlich nicht schlecht.

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Das ist genau der richtige Ansatz. Sportwagen und Elektrifizierung: Das passt. Das ist der falsche Weg. In den Sportwagen gehört ein Verbrenner. Und wenn das nicht geht, sollte etwas anderes her als Batterie-Technik.

Fazit

Der Lotus Eletre verbindet elektrische Antriebsgewalt mit einer Sportwagenlenkung und ordentlichem Komfort. Aber: Die Fahrassistenz muss besser werden und für Effizienzrekorde sind andere Fahrzeuge zuständig.

Technische Daten
Lotus Eletre BaseLotus Eletre SLotus Eletre R
Grundpreis95.990 €120.990 €150.990 €
Außenmaße5103 x 2019 x 1630 mm5103 x 2019 x 1630 mm5103 x 2019 x 1630 mm
Kofferraumvolumen688 bis 1532 l688 bis 1532 l688 bis 1532 l
Höchstgeschwindigkeit250 km/h250 km/h265 km/h
Verbrauch0,0 kWh/100 km0,0 kWh/100 km0,0 kWh/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten