Mercedes Vision AVTR auf der CES
Seitwärts in die Zukunft

CES 2020

Auf der CES in Las Vegas blickt Mercedes mit der Studie Vision AVTR ganz weit in die Zukunft der Interaktion zwischen Mensch und Auto. Entstanden ist die Konzeptstudie gemeinsam mit dem Hollywood-Regisseur David Cameron nach dem Vorbild des Avatar-Films.

Mercedes Vision AVTR
Foto: Daimler

Dass Mercedes auf der CES 2020 den CLS von übermorgen zeigt wäre zwar nicht falsch, aber wahrscheinlich einfach ein bisschen zu unromantisch. Denn auch wenn so eine Mercedes-Vision nie so ganz in der Unendlichkeit der Bedeutungslosigkeit verschwindet soll gerade der AVTR so viel mehr sein, als nur ein schnöder Ausblick auf ein neues Auto. „Der AVTR bringt Mensch und Auto zu einem Lebewesen zusammen!“, sagte Mercedes-Chefdesigner Gordon Wagener bei der Weltpremiere in Las Vegas. Das erinnert nicht zufällig an den Hollywood-Blockbuster Avatar, in dem Menschen über einen Avatar einen neuen Weg der Kommunikation mit einer anderen Rasse gefunden haben. Für die Vision AVTR haben sich die Daimler-Kreativen mit dem Team um Hollywood-Produzent James Cameron zusammengetan.

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Endlose Schleifen drinnen und draußen

Das muss man alles nicht ganz so pathetisch sehen, denn herausgekommen ist dabei vor allem mal ein wirklich hübscher Viersitzer. Unverschämt flach, betont sportlich und betont futuristisch. Sowas bekommt ein versiertes Design-Team für gewöhnlich auch ohne Hollywood-Unterstützung ganz gut hin. Spannend sind die anleihen an den Avatar-Blockbuster (der 2021 fortgesetzt wird) aber schon. Von der riesigen seitlichen Öffnung verläuft eine markante Linie bis in den Innenraum und scheint sich dort in nicht enden wollenden Schlaufen zu verlieren. Dieses so genannten „One Bow“-Design stammt im Kern von den Flugechsen, mit denen die blauen Na’vi in Avatar unterwegs sind. Eine Spielerei? Vielleicht. Ganz sicher aber auch ein Ausblick auf die Mercedes-Designsprache der Zukunft.

Mercedes Vision AVTR
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33 in alle Richtungen beweglich "Flaps" reagieren auf die Passagiere, erhöhen bei Bedarf den Abtrieb und kommunizieren mit der Umwelt.

Der AVTR kann die Haare sträuben

Ob dort auch die 33 hexagonalen Flaps auftauchen werden, muss man mal abwarten. Spektakulär sind die in alle Richtungen beweglichen Mini-Spoiler am Heck aber allemal. Sie können ganz profan den Abtrieb des Fahrzeug vergrößern, dienen aber eben auch der Kommunikation mit der Umgebung. Wie ein Tier, das die Ohren aufstellt oder sein Fell sträubt, wird der Fahrer von den zusätzlichen Flügelklappen begrüßt. Thema Beleuchtung: die fällt mehr als aufwändig aus. 20.000 LED sind im AVTR verbaut. Praktisch kein Bereich des Fahrzeugs ist unbeleuchtet. Das sieht nicht nur spektakulär aus, sondern soll den Eindruck verstärken, dass hier etwas „lebt“.

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Gemeinsam stellten Mercedes-Chef Ola Källenius (rechts) und James Cameron (links) die Vision AVTR in Las Vegas vor.

Vier Elektromotoren für den Krebsgang

Sehr irdisch, aber noch ein deutliches Stück von der Serie entfernt: der Antrieb des AVTR. Vier radnahen Elektromotoren (kombinierte Motorleisten 350 kW) sowie kugelförmige Räder („Bubble Wheels“) stehen für außergewöhnlich Fahrleistungen und ermöglichen in Verbindung mit einer vollvariablen Drehmomentverteilung eine sehr spezielle Fortbewegungsart: Durch die Möglichkeit, Vorder- und Hinterachse gleich bzw. gegensätzlich anzusteuern, kann sich der Vision AVTR um ca. 30 Grad seitwärts im Krebsgang fortbewegen.

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Licht spielt eine entscheidende Rolle bei der AVTR-Gestaltung: Im Fahrzeug sind 20.000 LED verbaut.

Die kompostierbare Batterie

Die Energie für den Elektroantrieb stammt aus einer komplett neuen Batterietechnologie, die auf graphenbasierter organischer Zellchemie basiert und völlig frei von seltenen Erden und Metallen ist. Die Materialien der Batterie sind sogar kompostierbar und damit vollständig recycelbar. Auf diese Weise würde die Elektromobilität unabhängig von fossilen Ressourcen. Warum der Konjunktiv? Weil es noch mindestens 10 Jahre dauern wird, bis entsprechende Batteriesysteme einsatzfähig sein werden.

Wichtig für Mercedes: Neben der Idee, die mystische Avatar-Welt mit aufzugreifen geht es für die Schwaben vor allem darum, digitalen Luxus zu definieren. Oder anders: Was unterscheidet einen Mercedes künftig von all den anderen Autos, die in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten autonom, bzw. weitestgehend automatisiert durch den Verkehr finden?

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Hand auflegen, schon nimmt man Kontakt mit dem AVTR auf. Das Fahrzeug erkennt den Puls und die Atmung seiner Passagiere.

Fahren per Joypad

Im AVTR findet sich als Antwort eine spektakuläre Mischung aus digitalem Mäuskino, Mensch-Maschine-Schnittstellen, Augmented Reality und natürlich einem Fahrzeug, das komplett autonom fahren kann. Ein Lenkrad oder klassische Steuerelemente gibt es nicht. Warum auch. Schließlich geht es um das Erlebnis während der Fahrt. Nicht um das Fahren selbst. Und um dieses Erlebnis so beeindruckend wie möglich zu gestalten, ist im AVTR alles, was wir als Cockpit kennen, Projektionsfläche. Über ein zentrales Bedienelement („Joypad“) zwischen den beiden vorderen Sitzplätzen wird mit dem Fahrzeug kommuniziert. Das Ding erinnert ein wenig an eine zu groß geratene Computermaus, kann aber deutlich mehr. Den Puls des Passagiers erfassen, zum Beispiel. Und diesen dann an den Sitz übertragen. Klingt banal, sorgt aber dafür, dass sich das Auto lebendig anfühlt. Zusätzlich reagiert der AVTR auf Gesten. Dabei werden die daraus abgeleiteten Befehle auf die Hand projiziert.

Vegan und recycelt

Spannend ist die Materialwahl: Der Innenraum des AVTR ist komplett vegan. Der Boden im Fahrzeug besteht aus einem speziellen Holz namens Karuun auf Rattan-Basis. Der wächst sehr schnell als natürlicher Rohstoff und wird in Indonesien von Hand geerntet. Die Sitze sind mit einer Mikrofaser bezogen, die komplett auf aus recycelten Plastikflaschen besteht.

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Fazit

Mercedes will von der Premium-Kundschaft der Zukunft geliebt werden und setzt deshalb alle Hebel in Bewegung, um sich als kreativer, nachhaltiger und innovativer Autobauer zu inszenieren. Der Mercedes von Übermorgen wird nicht einfach nur benutzt, er bringt Mensch und Maschine auf eine einzigartige Weise zusammen. Die Idee ist nachvollziehbar. Mit Blick auf Fahrzeuge, die künftig autonom, bzw. hochautomatisiert alleine durch den Verkehr finden, sind alle Autobauer auf der Suche nach einem Alleinstellungsmerkmal. Wie tragfähig das ist, wird sie zeigen: die Zukunft. Ob’s dafür die Hilfe einer Hollywood-Truppe gebraucht hat? Wahrscheinlich nicht.

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