Corvette Stingray gegen Porsche 911 GT3 Touring im Test
Hubraum contra Drehzahl

Zwei, die die Epoche der leistungsstarken Saugmotoren lustvoll verlängern: die Corvette mit dickem 6,2-Liter-V8, der Porsche mit wahnsinnigem 9.000-Touren-Boxer! Dabei bleibt der 911 GT3 auch als Touring ein Sekundenvernichter auf dem Kurs, während die jetzt in Europa erhältliche Mittelmotor-Corvette auf Gran Turismo setzt.

Chevrolet Corvette Stingray, Porsche 911 GT3 Touring
Foto: Achim Hartmann

Die 1948 von Columbia Records vorgestellte Schallplatte misst zwölf Zoll, wiegt circa 120 Gramm und lässt sich vom Teller 33-1/3-mal pro Minute drehen. Im Vergleich zu verlustfreien Digitalformaten ergeben sich offensichtliche Logistiknachteile und eine objektiv unterlegene Klangqualität. Fans der Vinylscheibe sprechen jedoch von einem wärmeren und lebendigeren Klangbild – es geht bei den Riesenscheiben also nicht nur um Retro und Coolness.

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Gleiches gilt für Benziner, die ohne Aufladung per Kompressor oder Abgasrecycling arbeiten. Zunächst setzen sie sich als Tonträger gefühlt besser gegen OPF durch, die neben Ottopartikeln eben auch Klänge filtern. Auf der Habenseite steht aber nicht nur die Antwort auf eine Hörgeschmacksfrage, denn Sauger sind leichter, brauchen im Regelfall weniger Kühlung und reagieren – anders als Turbomotoren – immer sofort auf Gaspedalbefehle.

Und die Nachteile? Na ja, hauptsächlich weniger Power bei gleichem Hubraum, was ja aber ein lösbares Problem darstellt. Die nun offiziell in Europa erhältliche Corvette C8 Stingray wählt dazu den amerikanischen Weg und lässt acht Kolben einfach in einem riesigen Ballistikzentrum toben: 6.162 cm3 in zentraler Lage direkt hinter dem Fahrer. Der neue V8 heißt LT2 und bleibt bei einer untenliegenden Nockenwelle und Zweiventiltechnik; die Trockensumpfschmierung arbeitet jetzt mit drei Absaugstufen. Porsche setzt sieben davon ein, was zum radikalen Ansatz passt, denn im Heck des 911 GT3 Touring sitzt ein Vierliter-Motorsportboxer mit variablen Steuerzeiten der Ventile und einem Kurbelwellentempo von maximal 9.000/min. Die Unterschiede zur Rennversion? Nur die Abgasanlage sowie Steckverbindungen an den Kabelbäumen, die helfen, den Sechszylinder in der Box schneller tauschen zu können.

Elfer: 101.450 Euro teurer

So stimmt es natürlich schon, dass die beiden für einen Vergleichstest nicht perfekt zusammenpassen. Leistungstechnisch immerhin, zumindest liegt die Corvette mit 482 PS ziemlich nah an den 510 des Porsche. Stingray steht aber für die Basisversion der C8, GT3 hingegen für das obere Ende der 911-Ausbaustufen. Das reflektieren auch die Preise inklusive aller Performance-Extras. So kostet die Corvette 92.500 und der Touring 193.950 Euro. Beim Elfer beinhaltet das etwa die Carbon-Keramik-Bremsscheiben für 9.186 Euro, die allerdings derzeit nicht im Konfigurator stehen – nicht lieferbar. Poblematisch wird’s aber schon davor, denn beim GT3 übertrifft die Nachfrage verlässlich das Angebot.

Porsche 911 GT3 Touring
Achim Hartmann
Porsche 911 gt3 Touring: 3.996 cm³, 510 PS, 470 Nm, 0–100 km/h: 3,3 s, Vmax: 318 km/h, Basispreis: 175.848 Euro.

Das Preisgefüge unserer Saugmotorparty hätten planmäßig weitere Gäste aufgefächert. Hätte, hätte, Fahrradkette: Nur die Star-DJs aus Baden-Württemberg und Kentucky haben zugesagt und ihre explosiven Mechanik-Beats aufgelegt. Unplugged und ohne Autotune, sogar auf Auspuffgeknalle verzichten beide.

Bevor wir den Tonarm auflegen, lassen Sie uns die Corvette anschauen. Mit in Europa serienmäßigem Z51-Paket hat sie Michelin Pilot Sport 4S mit Notlaufeigenschaften, Brembo-Bremsen plus Belüftungsschächte sowie ein aktives Sperrdifferenzial mit kürzerer Übersetzung. Weiter geht’s mit Performance-Fahrwerk und -Auspuff, umfangreicherer Motorkühlung und dem Heckspoiler plus Frontsplitter.

Jetzt plumpsen wir in den Competition-Sitz, der selbst mit vollständig geöffneten Wangen eng anliegt. Umgeben von feinem Leder, hockst du darin nah am Asphalt, relativ zur riesigen Armaturentafel wirkt es hier aber ein bisschen wie Hochparterre. In den noch haltstärkeren Schalen des ergonomisch vorzüglichen Elfers sitzt du gefühlt viel tiefer und somit sportlicher. Dafür sorgt die im Chevy beifahrerseitig weit hochgezogene Mittelkonsole für ein besonderes Cockpit-Feeling und baut eine Barriere zum Passagier, der dafür entspannt an den lässigen Tastenturm für die Klimafunktionen kommt, um zum Beispiel die Sitzbelüftung einzuschalten.

Ohnehin sind es Komfort- und Variabilitätsfunktionen, von denen der Ami viel mehr bietet. Kennen Sie das, wenn die Heizung alles kocht, die Füße aber Eisklötze bleiben? Hier breitet sich ein Hitzeball im gesamten Fußraum aus, was doppelt hilft, weil sich beim Coupé weiterhin das mittlere Dachsegment abnehmen lässt. Verstaut wird es im hinteren Kofferraum, dessen Soft-Close-Klappe den vitrinenmäßig ausgestellten V8 beleuchtet. Damit beim Rangieren nichts zu Bruch geht, gibt es neben der Rückfahr- auch zwei Frontkameras, die ein Bild nach vorn und zwei von oben auf die Stoßstange bereitstellen. Eine weitere Kamera auf dem Dach bespielt den Videorückspiegel (abschaltbar), der die nach hinten miserable Rundumsicht verbessert. Im GT3 gibt es nur eine qualitativ mäßige Rückfahrkamera und Parkpiepser hinten, aber bei ihm entfällt schon mit den Heckseitenfenstern der Roulettefaktor beim Abbiegen.

Großes Kino im Chevy

Ein Highlight der C8 stellt der Reisemodus der optionalen Magnetic-Ride-Adaptivstoßdämpfer dar, denn so nachgiebig fahrwerken nur wenige Sportwagen. Gran Turismo kann sie also, aber die mit Abstand coolste Funktion aktiviert der Helligkeitsdrehregler. In der Nachtstellung wechselt der Tacho in eine Minimalansicht, und abseits der P-R-N-D-M-Getriebetasten wird im Innenraum fast alles ausgeknipst, was irgendwie leuchtet: Auf einer dunklen Straße wird die Windschutzscheibe im so stockdüsteren Innenraum zur Kinoleinwand – ein grandioses Erlebnis.

Chevrolet Corvette Stingray
Achim Hartmann
Chevrolet Corvette: 6.162 cm³, 482 PS, 613 Nm, 0–100 km/h: 3,5 s, Vmax: 296 km/h, Basispreis: 86.900 Euro.

Der V8-Soundtrack tönt dazu ab dem Sport-Modus der Abgasanlage mitteltief, nicht bassgewaltig. Das kernige Klangbild ändert sich unter Volllast über das schmale Drehzahlband (6.600/min) nur geringfügig. Klangliche Varianz ergibt sich, weil du wegen der recht kurzen Gänge entsprechend oft an den lenkradmontierten Kunststoffschaltwippen zupfst, die mit vergleichsweise langem Hub Spaß machen, aber zu lasch klicken. Zum anderen trittst du das Gaspedal über Land ja immer nur kurz auf seine Basis, die wie beim Porsche keinen störenden Kick-down-Schalter trägt. Noch dazu setzt du beim Beschleunigen nicht pauschal auf volle Performance, sondern lässt den Achtzylinder auch mal aus dem Drehzahlkeller hochknattern: Weil’s satt klingt und mit dem massigen Drehmoment (613 Nm bei 4.500/min) wuchtig abläuft – untenraus zieht der LT2 mit seinen 143 Extra-Nm viel gewaltiger als der Boxer.

Trotz seines immensen Hubraums läuft der V8 ziemlich effizient; immerhin liegt er mit 13,7 l/100 km lediglich 0,8 Liter über dem Verbrauch des kleineren Boxers. Ob das allein am V4-Modus liegt? Nein, denn die Sportfahrer-Verbräuche liegen sogar noch näher zusammen.

Touring gleich Weichspüler?

Wie du in den beiden Sport treibst, unterscheidet sich hingegen gewaltig. Denn auf dem Heckdeckel des offiziell "GT3 mit Touring-Paket" genannten 911 steht zwar Touring. Das bedeutet aber nur, dass der große Heckflügel gegen einen ausfahrenden Spoiler getauscht und der Splitter vorne an die geänderte Aero angepasst wird. Mehr Gummi- statt Kugellager? Nö. Mehr Geräuschdämmung? Nö. Eine Rückbank? Nö, viel zu schwer. Dafür ein Carbondach für 3.558 Euro. Im Ergebnis sieht der Fahrer mehr aus der Heckscheibe, verliert Abtrieb und tritt mit seinem Elfer optisch gediegener auf.

Touring heißt er also nur, weil es ein vertrauter Porsche-Namenszusatz ist – und weil der passendere Name 911 R vermutlich tabu war, nachdem 2016 ein limitiertes Sondermodell (991 Stück) so hieß, von dem viele Hobbyanlageberater dachten, er wäre der Letzte mit GT3-Motor und Handschaltung. War er aber nicht, denn genau wie das Touring-Paket lässt sich das Getriebe beim aktuellen GT3 aufpreisfrei buchen.

Der Testwagen verwaltet die Gänge per DKG. Ja, da geht Sportwagenromantik flöten, bringt im Gegenzug aber die üblichen Vorteile wie Fahrerentlastung und Schalttempo. Clutch-Kick gefällig? Beide Wippen ziehen (auch C8). Vor allem reicht der Zweite mit dem PDK nur bis rund 120 statt 130 km/h, ergo kommst du über Land legal näher ans Drehzahllimit.

Der MA1.175 genannte Boxer hebt seine grelle Stimme bis zum 9.000-Touren-Gipfel stetig an. Der kreischende Sägesound intensiviert sich exponentiell, sobald das Drehvermögen ab rund 5.000/min schlagartig ins gefühlt Grenzenlose eskaliert (470 Nm bei 6.100/min). Noch besser wird’s, weil der GT3 nicht a cappella singt; stattdessen führt die obersteife Anbindung der Fahrwerks- und Antriebskomponenten zu allen möglichen Motorsportgeräuschen, wozu auch gelegentliche Armaturenbrettvibrationen gehören. Daraus folgt ein permanent hoher Geräuschpegel und holpriger Fahrkomfort, der sich bei höherem Tempo entspannt. Doch über Autobahnwellen kommt es auch mal bei richtig Tempo zu kräftigen Auf-ab-Bewegungen, die sicherlich erschrecken können.

Obwohl der LT2 schon ein vorzügliches Ansprechverhalten liefert, scheint beim MA1.175 mit seinen sechs Drosselklappen gar keine Verzögerung mehr zwischen Gaspedalbewegung und Motorreaktion zu existieren: Wenn der rechte Fuß über eine solche Welle nur minimal zuckt, wird das absolut synchron von hörbaren Drehzahlschwankungen begleitet. So aufregend die Corvette auch klingt, der Grammy für "Best Orchestral Performance" geht eindeutig an den 911.

Kommunikationsprofessor

Diese blitzartige Akustikrückmeldung trägt zum einen dazu bei, dass sich das GT3-DKG noch zackiger anfühlt als das schon superschnelle und geschmeidigere der C8 (Handschaltung gibt’s nicht). Zum anderen ist sie neben der hervorragenden Lenkung und dem Fahrwerk ein weiterer Beleg für die exzellente Kommunikation mit dem Fahrer. Ebenso kommt die ABS-Frequenz detailliert am straff und punktgenau abgestimmten Bremspedal an. Dazu die sofortige und präzise Reaktion auf alle Inputs, der mächtige Grip der serienmäßigen Trackpellen sowie eine Hinterachslenkung, die effektiv agilisiert und stabilisiert: Die Lenkung fühlt sich immer richtig nach Sport an, aber nie ansatzweise nervös.

Um die Mittellage wirkt die Corvette-Lenkung direkter, womit sie auf der Parabolika des Hockenheimrings (wie eine Autobahnkurve) mehr Konzentration abverlangt. Ohne Hinterachslenkung greifst du in Serpentinen aber eher mal im Chevy um, wobei das Hexagonallenkrad nervt. Noch dazu zeigen die Speichen nach unten, und der rechte Ellenbogen muss nah am Körper geführt werden, sonst stört die Mittelkonsole. Dafür sind die Ellenbogen beim Cruisen auf perfekter Höhe abgestützt, und anders als beim Elfer bietet das Lenkrad eine Heizung und freien Blick auf alle Cockpitinformationen.

Die Lenkungsrückmeldung fällt tendenziell flach aus; dafür kann die Servounterstützung dreistufig angepasst werden, genau wie die Reaktion des Brake-by-Wire-Bremspedals. Trotz viel Rumprobiererei fühlen wir nur marginale Unterschiede in den Kennlinien. Zwar kommt das ABS-Rattern höchstens über die Karosserie im Pedal an, doch die Dosierung klappt problemlos. Das hilft, wenn du den Mittelmotorsportler auf der Bremse in die Kurven zwirbeln willst, denn damit verschwindet die Untersteuertendenz beim Einlenken am Limit. Und obwohl die C8 deutlich weicher fahrwerkt, reagiert sie trotzdem wie ein Sportwagen auf Lenkbefehle – nur halt nicht so bissig wie der eben viel fokussiertere GT3, der 202 kg weniger wiegt, obwohl er 90 statt 70 Liter Sprit mitschleppt.

Chevrolet Corvette Stingray, Porsche 911 GT3 Touring
Achim Hartmann
Trotz seines immensen Hubraums läuft der V8 ziemlich effizient; immerhin liegt er mit 13,7 l/100 km lediglich 0,8 Liter über dem Verbrauch des kleineren Boxers.

Während der Elfer mit vollständig aktiviertem ESP schon erstaunlich Performance-bedacht regelt, kappt er Leistungsübersteuern zeitnah, dafür feinfühlig. Die Optionen: ESP aus oder TC/ESP aus. Ist aber nicht nötig, denn im Regelfall ist es die besagte Präzision, die dich im GT3 mitreißt. Den Fahrspaß in der Corvette fördert für Nichtprofis, dass sie in der ESP-Zwischenstufe "Sport" das Mitlenken per Gaspedal in größerem Maße erlaubt, was super passt: etwas Tempo raus, mehr Gaudi rein.

Grundsätzlich zeigt sich die C8-Hinterachse trotz der alltagstauglicheren Michelins ähnlich traktionsstark, der Standardsprint geht mit 3,3 zu 3,5 Sekunden knapp an den GT3. Bis 180 km/h hält die C8 mit einem Delta von 1,2 Sekunden gut mit, danach geht die Schere zum 28 PS stärkeren 911 weit auf, denn bei 260 Sachen sind es schon sieben Klicks.

Natürlich merkst du das auch ohne Messgerät; trotzdem entsteht auch bei der Corvette kein Verlangen nach mehr Leistung. Vielmehr lösen beide Zeitmaschinen Begeisterung für Performance-Saugmotoren aus. Und Angst vor der Euro-7-Abgasnorm. Euphorie, Hochachtung, Melancholie: Kann mal jemand die Tina auf den Teller schmeißen? "You are simply the best – better than all the rest!"

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Fazit

Den Kostenvorsprung hat der Chevy am Ende verzockt, weil er als Leistungssportler nicht gegen den Hochleistungssportler ankam, bleibt aber nahe am Elfer dran. Der V8-Bulle hat große Sportwagenqualitäten, nur eben mit viel Gran Turismo abgemischt. Davon versteht der irreführend Touring genannte GT3 wenig, dafür befeuert ihn ein Meisterwerk von einem Motor – dazu gibt es Präzision und Kommunikation der allerhöchsten Güte.

Technische Daten
Chevrolet Corvette Stingray 2LTPorsche 911 GT3 mitTouring-Paket GT3 mit Touring-Paket
Grundpreis103.122 €179.299 €
Außenmaße4634 x 1934 x 1235 mm4573 x 1852 x 1279 mm
Kofferraumvolumen132 l
Hubraum / Motor6162 cm³ / 8-Zylinder3996 cm³ / 6-Zylinder
Leistung354 kW / 482 PS bei 6450 U/min375 kW / 510 PS bei 8400 U/min
Höchstgeschwindigkeit296 km/h318 km/h
0-100 km/h3,5 s3,3 s
Testverbrauch13,7 l/100 km12,9 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten