Audi Grandsphere Concept auf der IAA München 2021
Im EQS-Gegner sitzt der Chef vorn

IAA 2021

Nachdem wir schon in den Innenraum blicken durften, zeigt Audi nun auch das Außen-Design seiner Konzeptstudie für die IAA. Zudem sind jetzt die technischen Eckdaten des elektrisch angetriebenen Oberklasse-Modells bekannt.

Audi Grandsphere
Foto: Stefan Baldauf

Auch bei Audi feiern die Designer den Elektroantrieb als Freiheitsmaschine. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Gestalter des Exterieurs und des Interieurs Rücksicht nehmen mussten auf den Platzbedarf eines großen Verbrennungsmotors, eines ähnlich voluminösen Getriebes und einer durch den kompletten Innenraum in einem Tunnel laufenden Kardanwelle. Jetzt wagt Audi mit dem Grandsphere Concept einen Ausblick auf einen rein elektrisch angetriebenen Oberklasse-Reisewagen, an dem der Hersteller parallel im Rahmen seines "Projekt Artemis" arbeitet.

IAA 2023

Der Grandsphere ist der zweite Teil einer Trilogie: Zuerst kam der Skysphere, den Audi auf dem diesjährigen Pebble Beach Concours d'Elegance (15. August) zeigte. Dann der Grandsphere, der auf der IAA Mobility in München steht (7. bis 12. September). Und als Drittes der Urbansphere, für den noch kein Vorstellungstermin bekannt ist, der aber im Frühjahr 2022 auf einer Messe stehen könnte.

Beste Plätze jetzt in Reihe eins

"Unser Anspruch muss es sein, dass sich ein Audi immer anfühlt wie ein Audi, auch wenn der Fahrer perspektivisch zum Passagier wird." Das sagt Vorstandschef Markus Duesmann mit Blick auf den Grandsphere und setzt die Entwickler und Designer künftiger Fahrzeug-Generationen damit ordentlich unter Druck. Audis Innenraum-Designchef Norbert Weber scheint die Anspruchshaltung verinnerlicht zu haben und betont, dass der Luxusbereich des Autos jetzt nach vorn wandert – jahrzehntelang war der beste Platz in einer linksgelenkten Chauffeurs-Limousine hinten rechts. Dort ist jetzt die rechte Hälfte einer durchgehenden Rückbank zu finden. Diese ist modern geschnitten und erinnert ein wenig an das rückwärtige Sitzmöbel des Lexus LF-30 Electrified.

Audi Grandsphere Concept
Audi
Gegenläufig öffnende Türen geben den loungeähnlichen und B-Säulen-freien Innenraum frei.

Vorn gibt es zwei Einzelsitze, die sich weit zurückfahren und um mindestens 90 Grad drehen lassen. Weber freut sich über die Panorama-Aussicht nach vorn, darum sieht er die besten Plätze eben genau dort – ähnlich wie im Theater oder in der Oper. Hauptverantwortlich dafür ist der große Glasbereich, da sich die Windschutzscheibe nahtlos in ein Panoramadach fortsetzt – einen ähnlichen Entwurf hat beispielsweise Renault 2017 mit dem Symbioz vorgestellt. Auch beim Symbioz lassen sich die Sitze in einem loungeähnlichen Innenraum drehen – mit aufkommender Elektromobilität und den sich permanent weiterentwickelnden Möglichkeiten des teilautonomen Fahrens soll sich der Stellenwert des Innenraums zu einer Art Wohlfühl-Lounge ändern.

Innenraum als "dritter Lebensraum"

Audis Designchef Marc Lichte sieht im Innenraum eines Autos künftig einen sogenannten dritten Lebensraum – nach dem eigenen zu Hause und dem Arbeitsplatz. Das achteckige Lenkrad fährt an einem horizontalen Arm geführt in das Armaturenbrett ein; ein Stockwerk tiefer verschwindet zudem die Pedalerie. Dafür schiebt sich ein kleiner eleganter Tisch Richtung des dann arbeitslosen Fahrers oder der arbeitslosen Fahrerin. Die Mittelkonsole ist breit und schnörkellos – wenn sie sich öffnet, gibt sie den Blick auf zwei Gläser und die gekühlte Bordbar frei. Außerdem trägt sie einen Blumentopf mit Pflanze, was anscheinend das Wohnzimmer-Gefühl im Auto verstärken soll.

Die zum Fahren nötigen Anzeigen präsentiert der Grandsphere nicht auf Instrumenten oder einem Extra-Bildschirm, sondern projiziert sie auf die Holzflächen unterhalb der Windschutzscheibe. Ist die Fuhre dagegen im autonomen Modus unterwegs, dient diese Projektionsfläche der Information oder Unterhaltung aller Passagiere. Bei der Auswahl der Materialien folgt Audi seinem neuen Nachhaltigkeits-Dogma. Leder gibt es nicht im Grandsphere-Interieur; stattdessen zeigen sich hier Holz und Wolle, synthetisches Textilgewebe und Metall. Die Materialien stammen entweder aus nachhaltigem Anbau oder sind aus recyceltem Rohstoff hergestellt.

Das Bedienkonzept basiert auf vielen Säulen: Neben bekannten Methoden wie Berührung, Gesten- und Sprachsteuerung sowie Handschrifteneingabe lassen sich einzelne Funktionen auch per Eyetracking steuern. Dass Audi die durch hochautomatisiertes Fahren gewonnene Freiheit nutzen will, um die Insassen durch vielfältige digitale Angebote vor Langeweile zu schützen und sich selbst dadurch neue Geschäftsmodelle zu erschließen, versteht sich von selbst. Zudem ist Individualisierung Trumpf: Der dank künstlicher Intelligenz selbstlernend ausgelegte Grandsphere erkennt seine Passagiere am Gang, begrüßt sie mit einer eigenständigen Lichtinszenierung, stellt die Sitze und Klimaanlage direkt auf deren Vorlieben ein und bereitet die zuletzt genutzten Infotainment-Funktionen für den Neustart vor. Die Lautsprecher sind auf jeden der vier Sitze perfekt abgestimmt und für die anderen Passagiere nicht hörbar.

Realismus zwingt zu Level 4

In Sachen autonomes Fahren ist Audi realistischer als noch 2017, als die Ingolstädter mit der Studie Aicon ein Konzept mit riesigem Innenraum vorgestellt hatten, das vollautonom nach Level 5 fahren können sollte. Audi-Technikvostand Oliver Hoffmann sieht den Neuling zwar als Nachfolger des vier Jahre alten Concept Cars. Dennoch ist der Grandsphere nur auf hochautomatisiertes Fahren nach Level 4 ausgelegt. Auf diesem Niveau fordert das System den Fahrer auf, die Fahrzeugführung zu übernehmen, wenn es selbst überfordert ist.

Audi Grandsphere Concept
Audi
Das achteckige Lenkrad des Audi Grand Sphere lässt sich ins Armaturenbrett einfahren.

Der technische Entwicklungssprung vom teilautonomen Level 4 zum vollautonomen Level 5 gilt als gigantisch. Selbst der bisher immer vom vollautonomen Fahren schwärmende Tesla-Chef Elon Musk hat in jüngster Zeit zugegeben, dass vollautonomes Fahren mit massiven und bisher ungelösten Problemen verbunden ist. Auch Cariad, der Software-Thinktank des Volkswagen-Konzerns und beim Grandsphere Lieferant der nötigen Intelligenz für hochautomatisiertes Fahren, scheint bei seinen Entwicklungen noch nicht weit genug gekommen zu sein, um die letzte Stufe zu erklimmen. Zum Parken oder Laden fährt die Elektro-Limousine jedoch stets autonom.

Folgerichtig ist der 5,35 Meter lange, 2,00 Meter breite und 1,39 Meter hohe Grandsphere so designt, dass eine Fahrerin oder ein Fahrer gut damit klarkommt: Die A-Säulen sind beispielsweise weiter Richtung Fahrzeugmitte gewandert, was in Kurven eine bessere Sicht nach sich ziehen soll. Der Radstand beträgt 3,19 Meter und ist damit sieben Zentimeter länger als beim aktuellen A8 in der Langversion. Wie auch beim Aicon entfallen die B-Säulen, damit die gegenläufig öffnenden Türen einen maximal großen Innenraumeinstieg freigeben. Hier zeigt sich ein Kunstgriff: Für einen bequemeren Ein- und Ausstieg gehen die Pforten im oberen Bereich über die Linie der Seitenfenster hinaus und reichen bis ins Dach.

Windschlüpfig und mit Abtrieb

Da der Luftwiderstand bei elektrisch angetriebenen Fahrzeugen einer maximalen Reichweite zuliebe eine noch wichtigere Rolle spielt als bei Autos mit Verbrennungsmotoren, ist das Oberklasse-Elektroauto sehr windschlüpfig gestaltet. Hinten zeigt es eine klassische Stromlinienform, wobei das gesamte hintere Dach als Abrisskante dient und der Kofferraumdeckel weit nach vorne eingezogen ist.

"Das Design weist viele Elemente künftiger Serienautos – nicht nur des Artemis – auf und gibt einen guten Vorgeschmack, wie wir uns unsere Zukunft vorstellen", sagt Oliver Hoffmann über den Grandsphere. Kräftig ausgestellte Radhäuser, in denen 23-Zoll-Felgen rotieren, eine eingezogene Fronthaube sowie die sich nach hinten verjüngende Fahrgastzelle verleihen der Studie Eleganz. Ein kurzer Überhang vorne sowie eine flache Dachlinie mit kräftiger C-Säule prägen die Seitenansicht. Betont schmal sind die Leuchten an beiden Enden des Grandsphere geformt. Nicht verzichten wollen Marc Lichte und Co. auf einen stilisierten, im Fahrbetrieb von innen beleuchteten und sechseckig geformten Kühlergrill. Die markante Single-Frame-Front soll eben auch Audis Elektroauto-Ära prägen – zumindest anfangs.

Der Audi Grandsphere kommt 2025 auf den Markt – natürlich nicht eins zu eins umgesetzt, sondern mit Änderungen, die eine Serienproduktion möglich machen. Das Concept Car nimmt die finale Version des Projekts Artemis vorweg, aus dem unter dem Arbeitstitel "Landjet" ein großer elektrischer Reisewagen hervorgehen soll. "Das wird der Schneeräumer für alle Projekte sein, die da noch kommen werden", stellt Audi-Boss Markus Duesmann in Aussicht. Als technische Basis dient die neue Premium Plattform Electric (PPE), die Audi gemeinsam mit Porsche entwickelt hat. Allerdings nutzt der Grandsphere bereits einige Komponenten des neuen SSP-Baukastens, der innerhalb des VW-Konzerns die Rolle der neuen Einheits-Plattform für elektrisch angetriebene Autos spielen wird.

721 PS, 750 km Reichweite

Eine Luftfederung mit adaptiven Dämpfern und aktiver Steuerung sowie Vierradlenkung sollen bei der Konzeptstudie zu einem gleichermaßen komfortablen wie agilen Fahrverhalten führen. Das Fahrwerk ist an die Frontkamera und das Navigationssystem angebunden, wodurch es vorausschauend agieren kann. Audis Antriebs-Ingenieure verpassen dem Grandsphere ein klassisches Elektro-Layout mit je einem Motor an der Vorder- und Hinterachse, wodurch sich der für die Marke typische Quattro-Antrieb ergibt. Die Systemleistung beträgt 530 kW / 721 PS, das maximale Drehmoment liegt bei 960 Newtonmetern. Damit soll der Null-auf-Hundert-Sprint in gut vier Sekunden gelingen. Mit Rücksicht auf die Reichweite soll die Höchstgeschwindigkeit limitiert werden. Auf welchen Wert, verrät Audi allerdings nicht.

Audi Grandsphere Concept
Audi
Der Sigle-Frame-Grill erfüllt nur eine gestalterische, jedoch keine technische Funktion.

Apropos: Als maximale Reichweite stellt der Hersteller über 750 Kilometer in Aussicht. Die im Unterboden positionierte Batterie bietet eine Kapazität von 120 Kilowattstunden. 800-Volt-Technologie soll die Ladezeiten reduzieren; Audi prognostiziert, dass der Grandsphere in nur zehn Minuten etwa 300 Kilometer an Reichweite nachtanken kann. Von fünf auf 80 Prozent der Akku-Kapazität soll es in 25 Minuten gehen.

Der Grandsphere aka Landjet aka Projekt Artemis löst übrigens nicht den A8 ab. Die Modelle werden, ähnlich wie die S-Klasse und der EQS bei Mercedes, eine Weile parallel vom Band laufen. Wie lange beide Oberklasse-Modelle nebeneinander her existieren werden, steht noch nicht fest. Seinen endgültigen Verbrenner-Ausstieg hat Audi zwar für das Jahr 2033 angekündigt. Je nach Nachfrage in einzelnen Märkten kann dieser dort jedoch auch später erfolgen. Da große Limousinen in China besonders gefragt sind, könnte der A8 dort also theoretisch noch etwas länger weiterleben.

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Fazit

Audi verleiht mit der Studie Grandsphere, welche die Serienversion des Projekts Artemis vorwegnimmt, dem Fahrzeuginnenraum mehr Gewicht und verlagert dabei den besten Platz für den Chef im Auto nach vorn. Das Äußere des elektrischen Oberklasse-Gleiters ist ein fließendes Ganzes, das den Weg für die Design-Sprache der von reinen Batterieantrieben geprägten Zukunft der Marke weist. Dem autonomen Fahren auf Level 5 entsagt Audi vorerst: Mehr als Level 4 können und wollen die Ingolstädter dem Grandsphere noch nicht zutrauen.