Mercedes E-Sprinter Fahrbericht
So fährt der Elektrotransporter mit Stern

Mercedes bringt ab 2020 eine Elektroversion des Transporters Sprinter. Jetzt gab es die erste Gelegenheit zu einer ausführlichen Testfahrt – mitten durch die Stadt.

Mercedes e-Sprinter Transporter mit Elektroantrieb
Foto: Mercedes

Kein futuristisches Design, kein ultracooler Auftritt und auch keine spektakuläre Show begleiten die Premiere des E-Sprinter, der zum Jahreswechsel 2019/20 in Serie geht. Ganz schlicht und von außen auf den ersten Blick nur durch die Aufkleber als etwas Besonderes zu erkennen, macht der E-Sprinter damit auch gleich von Beginn an klar, wo die Vorteile für Mercedes liegen: Die neue Sprinter-Baureihe, die 2018 debütierte, war von vorne herein auf die Elektrifizierung vorbereitet und entsprechend für die benötigten Komponenten angepasst. So lässt sich die komplette Technik einfach in die bestehende Plattform montieren, ohne teure Sonderanfertigungen zu benötigen.

Unsere Highlights

Das lässt sich bereits beim Blick unter die Motorhaube erahnen: Die komplette Antriebstechnik mit E-Maschine und Leistungselektronik ist in einem Rohrrahmengestell installiert, das einfach in die vorhandenen Motoraufhängungen der Verbrennerversionen montiert wird. Das spart teure Rüstzeiten am Produktions-Band im Werk. Die Antriebsbatterien sind am Unterboden flächig verstaut und mit Schutzplatten verkleidet. So schmälern die Traktionsbatterien nicht das Ladevolumen des Sprinter, da sie (schwerpunktmäßig vorteilhaft) unterhalb des Laderaums montiert sind. Und: Es handelt sich um Standard-Teile, die auch bereits in anderen elektrisierten Mercedes-Modellen Verwendung finden, bis hin zum EQC.

E-Komponenten aus anderen Mercedes-Modellen

Durch diese Verwendung von Komponenten in verschiedenen Baureihen lässt sich ähnlich wie bei konventionellen Verbrennermotoren natürlich durch entsprechend höhere Stückzahlen ein günstigerer Preis erzielen. So wird die Elektromaschine, die Leistungselektronik und die Akkutechnik unter anderem auch im Mercedes E-Vito-Transporter verwendet. Die Eckdaten: Akkus mit 55 kWh Gesamtkapazität (47 kWh nutzbar), die Elektromaschine mit 85 kW Leistung und 295 Newtonmeter Drehmoment. Die Reichweite in dieser Konfiguration wird mit 168 Kilometer angegeben. Wer etwa beim rein innerstädtischen Einsatz weniger täglichen Aktionsradius benötigt, kann auch zur kostengünstigeren Version mit kleinerem Akku greifen. Dann gibt es eine Traktionsbatterie mit 41 kWh und 115 Kilometer Reichweite. Die geringere Reichweite wird mit höherer Zuladung belohnt: Weil die kleinere Batterie deutlich weniger wiegt, steigt die Nutzlast von 891 auf 1.045 Kilo.

Die E-Maschine entspricht mit ihrer Leistung dem schwächsten Dieselmotor im Mercedes Sprinter 311 CDI, was für den vorgesehenen Einsatz in städtischen Gebieten aber völlig ausreicht. Entsprechend fehlt natürlich der inzwischen schon vertraute, überaus kräftige Antritt stark motorisierter E-Autos, der Sprinter setzt sich zwar zügig, aber unspektakulär in Bewegung. Für Ampelduelle mit Leuten, die es darauf anlegen, reicht es keinesfalls. Wer aber nur eine Sekunde verträumt, sieht auf der zweispurigen Innenstadtstraße den Elektro-Sprinter tatsächlich nur von hinten.

Was vor einigen Jahren noch für blankes Erstaunen gesorgt hätte, ist inzwischen beinahe Gewohnheit geworden: Der nahezu lautlose Antrieb des Großraumkastens wirkt nicht mehr nach ferner Zukunft, sondern fast schon wie normale Gegenwartstechnik. Dennoch ist es natürlich in diesem speziellen Gehäuse überraschend, statt eines dezent nagelnden Nutzfahrzeugdiesels aus dem Bug so gut wie nichts zu hören. Nur ein leises Sirren begleitet Beschleunigung und Fahrt, ein bisschen wie das stark gedimmte Fahrgeräusch einer U-Bahn.

Mercedes E-Sprinter Elektro-Transporter
Torsten Seibt
Über Schaltpaddel hinter dem Lenkrad wird die Rekuperation eingestellt

Der E-Sprinter fährt sich völlig unspektakulär

Für die erste Testfahrt des neuen E-Sprinter schickte uns Mercedes auf eine Strecke, die man freiwillig eigentlich nicht mit einem fast sechs Meter langen und samt Spiegeln fast 2,5 Meter breiten Kastenwagen befahren würde: München, Altstadtring, einmal rund um das historische Zentrum der bayrischen Landeshauptstadt. An Isartor, Viktualienmarkt und Stachus vorbei, mit dem üblichen Innenstadt-Verkehrsgezeter samt Baustellen, wirr agierenden Mitmenschen und heldenhaften Zweite-Reihe-Parkern. Das war natürlich Absicht, denn genau in solchen Einsatz-Szenarien soll der elektrische Sprinter künftig auftrumpfen, im Langstrecken-Lieferverkehr hätte er aus wirtschaftlicher Sicht keinerlei Chance gegen die sparsamen Diesel-Modelle.

Das kurze Stirnrunzeln über die Routenwahl vor Fahrtantritt weicht sehr schnell einer tiefentspannten Fahrweise. Die Fahrbarkeit unterscheidet sich nicht von der des konventionell angetriebenen Mercedes Sprinter. Leicht und präzise lässt sich der Kastenwagen durch enge Kurven zirkeln, fühlt sich viel kompakter an, als er eigentlich ist. Wie der E-Vito verfügt auch der E-Sprinter über die Schaltpaddel der Automatikmodelle hinter dem Lenkrad, über die sich die Rekuperation der E-Maschine in mehreren Schritten einstellen lässt. In der empfehlenswerten stärksten Rekuperationsstufe benötigt man die mechanische Bremse praktisch nur noch, um den E-Sprinter zum finalen Stillstand zu bringen. Bei allen anderen Fahrsituationen (und entsprechend vorausschauender Fahrweise) genügt ein mehr oder minder starkes Lupfen des Fahrpedals, um den Kastenwagen wahlweise sehr deutlich zu verzögern. Das genügt sogar beim Heranrollen an eine rote Ampel, "one pedal driving" ist der Fachbegriff für das Fahren ohne Bremspedal.

Rund 160 Kilometer Reichweite

Durch die vom Stand weg antrittsstarke Elektromaschine und die Abwesenheit von manueller Schaltung und Kupplung entfällt im dichten Verkehrsgewusel einiger Stress, man kann sich ganz auf das Fahren konzentrieren. Und notieren, dass der Bordcomputer die von Mercedes versprochenen Werte auch nach festem Verkehrsgewühle am Innenstadt-Ring bestätigt, was Reichweite und Verbrauch (32,5 kWh/100 km) betrifft. Dabei lag vor dem Infight im Herzen der Bayernmetropole ein rund 10 Kilometer langes Stück Stadtautobahn, wo der E-Sprinter seinen Namen beweisen musste und mit Pedal am Anschlag bewegt wurde. 120 km/h sind maximal drin, bevor der Tempobegrenzer zur Ordnung ruft.

Mercedes e-Sprinter Transporter mit Elektroantrieb
Mercedes
Die Reichweite bestimmt die Zuladung: Je nach Batteriekapazität knapp 900 Kilo bis über eine Tonne.

Mercedes will 2020 mit der Auslieferung des E-Sprinter-Serienmodells beginnen, trifft allerdings zum heutigen Zeitpunkt noch keine Aussagen über Preise und angepeilte Stückzahlen. Ziel ist es in jedem Fall, den Gewerbekunden eine über die gesamte Einsatzdauer des Fahrzeugs vergleichbare Kostensituation zum Verbrenner zu ermöglichen. Hier wirken sich bei zunehmender Betriebsdauer die geringeren "Kraftstoff"kosten (speziell bei Kunden mit günstigem Industrie-Stromtarif), die geringeren Wartungskosten, die derzeit auf zehn Jahre befristete Kfz-Steuerbefreiung und diverse staatliche Förderprogramme bis hin zur Installation der Lade-Infrastruktur aus.

Hierzu soll in Kürze auch eine bereits fertig entwickelte Kalkulations-Seite online gehen, auf der sich Interessenten ganz präzise anhand eigener Daten (tägliche Fahrstrecke, betriebliche Situation, vorhandene Flotte) durchrechnen können, wann der break-even-point erreicht ist und der Elektro-Sprinter tatsächlich günstiger kommt als ein Stern-Transporter mit ganz normalem Dieselmotor.

Umfrage
Wünschen Sie sich elektrische Transporter in der Stadt?
32269 Mal abgestimmt
Unbedingt! Leiser, sauber, das ist die Zukunft!Keinesfalls! Moderne Diesel sind sauber genug und viel günstiger!

Fazit

Mit dem E-Sprinter liefert Mercedes ab 2020 eine überzeugende Variante für den lokal emissionsfreien Transporter-Verkehr in Städten. Verarbeitung und Funktion liegen auf dem Level, den man von Mercedes erwartet. Entscheidend für den Erfolg des Modells wird der Preis, den Mercedes bislang noch nicht verraten will.