Emily GT von EV Electra
E-Limousine könnte in Italien gebaut werden

In nur zehn Monaten hat die Saab-Nachfolgefirma NEVS eine E-Limousine mit beeindruckenden Daten entwickelt. Das Projekt schien eigentlich dem Tode geweiht, doch nun gibt es einen Hoffnungsschimmer: Ein internationaler Investor will das Projekt zum Serienstart führen.

NEVS Emily GT Elektro-Limousine Prototyp
Foto: auto motor & sport Sverige / Magnus Fröderberg

Als Automobilhersteller ist Saab bereits seit dem Jahreswechsel 2011/12 Geschichte. Doch die Firma lebte weiter. Nicht nur in den Herzen ihrer treuen Fans, sondern irgendwie auch ganz real. Am ehemaligen Saab-Stammsitz in Trollhättan und im angeschlossenen Werk Stallbacka entwickelte und baute das Nachfolgeunternehmen National Electric Vehicle Sweden AB – kurz NEVS – einfach weiter, und das meist im Stillen. Doch im Frühjahr 2023 preschten die Schweden vor und zeigten einem kleinen Kreis Journalisten einen Prototyp namens Emily GT, von dem uns die Kollegen von auto motor & sport Sverige detailliertes Informations- und Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben.

Der große E-Ratgeber

Das Technikpaket der Elektro-Limousine kommt ungewöhnlich daher. Der Emily GT verfügt über vier in den Rädern positionierte Elektromotoren des auf diese Antriebe spezialisierten Zulieferers Protean aus Großbritannien. Einer von ihnen leistet 90 kW; macht in Summe 360 kW oder – in alter Währung – 489 PS. Damit bietet der Emily GT sowohl Allradantrieb als auch Torque Vectoring und eine besonders effektive Rekuperation. Die Fahrleistungen: Null auf Hundert in 4,6 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von elektronisch gedeckelten 200 km/h.

Frühes Prototyp-Stadium nach zehn Monaten

Tief in seinem Innern nimmt der Prototyp ein nur 53 Kilowattstunden (kWh) großes Akkupaket auf. Überschaubar sind die Ladezeiten: Da Gleichstrom-Tanken lediglich mit maximal 50 kW möglich ist, dauert eine Ladung von 20 bis 80 Prozent der Akkukapazität etwa 45 Minuten. Zieht der Emily GT Wechselstrom, dann nur mit elf kW – das aber dafür bei Bedarf kabellos. Um per Induktion laden zu können, soll es eine eigens entwickelte Wallbox mit Bodenteil geben, über dem das Auto geparkt wird.

Doch beim derart spezifizierten Prototyp handelt es sich nur um ein Zwischenstadium. Ein mögliches Serienauto soll bis zu 480 kW (653 PS), 3,2 Sekunden von null auf 100 km/h und einen Topspeed von 250 km/h erreichen. Auch bei den Akkukapazitäten soll es noch große Fortschritte geben: Geplant sind 105, 140 oder 175 Kilowattstunden. Der letzte Wert würde eine NEFZ-Reichweite von 1.130 Kilometern erlauben, wobei Entwickler NEVS von einer realen Reichweite von bis zu 700 Kilometern ausgeht. Das 800-Volt-System soll zu einer höchstmöglichen Ladeleistung von 350 kW führen, womit eine Schnellladung nur noch etwa 22 Minuten dauern würde.

Ein technisches Highlight ist das aktive Fahrwerk mit Luftfederung und adaptiven Stoßdämpfern, das den Fahrkomfort optimieren und die Bodenfreiheit stets im idealen Bereich halten soll. Das Antriebs-Layout mit den vier am Rad montierten Motoren soll zudem eine Gewichtsverteilung im perfekten 50:50-Verhältnis gewährleisten. An beiden Achsen rotieren aerodynamisch gestaltete 20-Zoll-Räder, die vorn mit 235/50er- und hinten mit 255/45er-Reifen ummantelt sind.

Oberklasse-Dimensionen

Mit seinen Dimensionen siedelt sich der Emily GT in der Oberen Mittel- respektive Oberklasse an. Sobald er näher an eine mögliche Serienfertigung rückt, soll er in der Länge von 4,86 auf knapp fünf Meter wachsen. Der Radstand beträgt exakt drei Meter, die Höhe liegt bei fast 1,40 Meter. Klammert man die Halterungen der Spiegelkameras aus, beträgt die Fahrzeugbreite knapp 1,93 Meter. Als Leergewicht sind maximal 2.375 Kilogramm vorgesehen.

NEVS Emily GT Elektro-Limousine Prototyp
auto motor & sport Sverige / Magnus Fröderberg
Mit ein bisschen Fantasie ist im Design des NEVS Emily GT der alte Saab-Genpool zu entdecken.

Die beiden Kameras senden ihre Bilder auf zwei kleine, jeweils vorn an der Türbrüstung positionierte und in Richtung Fahrerplatz geneigte Monitore. Ein weiterer Bildschirm sitzt als Fahrer-Informations-Display hinter dem Lenkrad, während zentral im Cockpit ein 15 Zoll großer, vertikal ausgerichteter Infotainment-Touchscreen untergebracht ist. Die Inneneinrichtung der Prototypen wirkt hell und freundlich, die vier oder fünf Sitzplätze tragen Stoffbezüge. Der hintere Kofferraum fasst 540 Liter, während der vordere ("Frunk") 150 weitere Liter beisteuert.

Im Design des Emily GT mit seinem cW-Wert von 0,23 bis 0,25 glaubt man, den alten Saab-Genpool wiederzuerkennen. Statt Schnörkel oder übermäßiger lichtbrechender Sicken und Kanten präsentiert die E-Limousine eine klare Linienführung und ein klassisches Drei-Box-Outfit mit kurzem Stufenheck. Ein Blickfang ist jenes Styling-Element in den vorderen Kotflügeln, das die Radhäuser optisch nach hinten zieht. Die Fensterflächen wirken klein; im Dach befindet sich ein großes Fensterglas.

Rettung nach Evergrande-Flop?

In der glattflächigen Front sitzen niedrige Scheinwerfer, deren Tagfahrleuchten ein weiteres zentrales, unter Glas positioniertes Lichtelement miteinander verbindet. An den äußeren Enden der Schürze sind zwei weitere Leuchten untergebracht. Auch hinten zieht sich ein Lichtband über die gesamte Fahrzeugbreite. Allerdings sind die LED hier als einzelne Lichtpunkte dargestellt.

Den Startschuss für die Entwicklung des NEVS Emily GT gab Xu Jiayin Mitte November 2019. Der Milliardär war Gründer und damaliger Boss des chinesischen Mischkonzerns Evergrande, der NEVS im Januar 2019 übernahm; er erklomm beim Autohersteller daraufhin ebenfalls den Chefsessel. Das Basis-Design lieferte Evergrande bereits im Dezember 2019. In nur zehn Monaten Entwicklungszeit stellten die schwedischen Ingenieure danach auf dieser Basis mehrere fahrfähige Prototypen auf die Räder.

Doch seitdem stockt das Projekt. Evergrande geriet in große finanzielle Schwierigkeiten; Xu Jiayin trat dort im Sommer 2022 als für das Tagesgeschäft zuständiger Chef zurück. Die Investorensuche bei NEVS verlief ebenso erfolglos – zumindest bis zum Jahresende 2023. Wie NEVS im Dezember offiziell bekannt gab, übernahm der noch weitgehend unbekannte Autohersteller EV Electra nicht nur das Emily-GT-, sondern auch das PONS-Projekt von NEVS, bei dem es sich um ein autonomes städtisches Mobilitäts-Dienstleistungs-System handelt.

Übernahme durch EV Electra

EV Electra Ltd. und der Chef sowie Gründer der Firma, Jihad Mohammad, haben ihre Wurzeln im Libanon. Neben dem Hauptquartier in Beirut betreibt das Unternehmen Standorte in Großbritanniens Hauptstadt London, in Montreal (Kanada), auf Zypern und in der Türkei. Dort soll in Kürze mit der Produktion der ersten ursprünglich geplanten EV-Electra-Modelle begonnen werden. Der Hersteller möchte seiner Website zufolge einen Roadster (Quds Rise), ein Coupé (Quds Nostrum E.E.) und eine Limousine (Quds Capital ES) mit Elektroantrieb auf den Markt bringen.

Der Emily GT soll das Portfolio ergänzen. Für ihn gründet EV Electra eigens eine Tochtergesellschaft in Schweden, wo die Elektro-Limousine ursprünglichen Plänen zufolge an traditionsreicher Stätte gebaut werden sollte: "Wir werden wieder Autos aus Trollhättan kommen lassen", sagte Jihad Mohammad kurz nach der Übernahme. "Wir haben diesen Kauf in dem Bewusstsein getätigt, dass wir die gesamte Entwicklung bis hin zur Massenproduktion begleiten werden." Der Standort verfüge über das Personal, um die Vision des Unternehmens wahr werden zu lassen, hieß es damals.

Allerdings konnte sich Mohammad offensichtlich nicht mit dem aktuellen Besitzer des Werks, der schwedischen Investment-Firma Stenhaga, auf eine Übernahme einigen. Deshalb scheinen sich die Pläne seitens EV Electra geändert zu haben. Wie Mohammad beim sozialen Netzwerk LinkedIn bekannt gab, habe seine Firma eine Automobilfabrik in Italien gekauft. "An diesem neuen Standort werden wir Elektroautos bauen, die alle schockieren werden", schrieb der EV-Electra-CEO. Noch ist jedoch unklar, welche Modelle der Hersteller dort genau produzieren möchte und ob der Emily GT dazugehört. "Wir haben jetzt mehr als nur ein paar Modelle", schreibt Mohammad. Zudem wolle EV Electra in Kürze seine Händler auswählen.

Emiliy GT kommt nicht als Saab

Unbekannt ist bis zum jetzigen Zeitpunkt, ob es die weiteren angedachten Emily-Ableitungen in Form eines Shooting Brakes, Coupés und viersitzigen Cabrios ebenfalls auf den Markt schaffen. Fest steht dagegen, dass die Serienversion der Limousine als EV Electra Emily GT auf den Markt kommen und demnach nicht den Markennamen Saab tragen wird. Die Rechte daran hält weiterhin der gleichnamige Flugzeug- und Rüstungskonzern, aus dem der Autobauer einst hervorgegangen war.

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Fazit

Es sieht aktuell danach aus, als schaffe es dieses spannende Elektroauto zur Überraschung aller doch noch auf den Markt. Zumindest hat NEVS den nötigen Investor gefunden, mit dem der Emily GT zur Serienreife entwickelt werden kann. Wobei letzte Zweifel bleiben, schließlich hat EV Electra bisher noch kein Serienauto auf den Markt gebracht. Allerdings wird die Elektro-Limousine die große Bühne nicht unter dem Markennamen Saab entern und wohl auch nicht aus Schweden, sondern aus Italien kommen.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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