Ferrari GTC4 Lusso am Nürburgring
Allrad-Viersitzer mit V12 und 690 PS im Schnee

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Normalerweise ist Nürburg nur zwischen März und Oktober unser Wohnzimmer, doch dieses Jahr hatten wir früher Sehnsucht. Ein winterlicher Spontanbesuch mit dem Ferrari GTC4 Lusso.

Ferrari GTC4 Lusso, Schnee, Nürburgring
Foto: Hans-Dieter Seufert

Es gibt Momente im Leben, da weißt du Jahrzehnte später noch genau, wo du zu diesem Zeitpunkt warst. Der 26. März 1999 war so ein Tag. Rückblick auf jenen Freitag: 18. Geburtstag, Amtsstube Landesbetrieb Verkehr Hamburg-Mitte, 6.59 Uhr und 57, 58, 59 Sekunden – um Punkt sieben Uhr öffnet die Behörde, und der Führerschein kann abgeholt werden. Einfach ins Auto steigen und spontan losfahren – mehr Freiheit geht seit diesem Freitag 99 nicht. Zutaten für den heutigen Spontanausflug: Der Führerschein, der Ferrari GTC4 Lusso und 25 Zentimeter Neuschnee am Nürburgring.

6,3-Liter-V12 treibt den GTC4 Lusso an

Ferrari-Niederlassung Frankfurt, 9.30 Uhr: Der skeptische Blick des Service-Leiters bei der Schlüsselübergabe verrät, dass er nicht weiß, dass der Nürburgring unser Wohnzimmer ist. Sein Nebensatz, "dass fast 700 PS im Winter Aufmerksamkeit erfordern", geht im jähzornigen Aufschrei des 6,3-Liter-V12 unter.

Aus dem Ferrari FF wurde nun der Ferrari GTC4 Lusso. Das Kürzel "GTC" steht für "Gran Turismo Coupé", die 4 steht für das Antriebskonzept sowie die Zahl der Sitzplätze, und "Lusso" heißt auf Italienisch "Luxus“.

Schaltwippe rechts ziehen und vorsichtig ans Gas gehen, trotzdem macht der Lusso einen plötzlichen Satz wie ein hungriger Tiger auf Beutejagd. Wahnsinn, wie bissig der V12-Sauger auf die kleinste Zehenbewegung am Gaspedal anspricht. Nach der Anreise im Dauertest-RS-6 war der rechte Fuß noch im Biturbo-Halbschlaf. Jetzt ist er hellwach.

Ferrari GTC4 Lusso, Motor
Hans-Dieter Seufert
Der V12 reagiert blitzschnell auf die kleinste Bewegung im rechten Fuß.

40 Kilo schwerer als der Vorgänger FF

Von 660 PS im FF steigt die Nennleistung nun auf 690 PS. 3,4 Sekunden bis 100 km/h, 10,5 Sekunden bis 200 km/h – erstaunliche Längsdynamik-Angaben für einen Fastzweitonner. Mit 1.920 Kilo ist der Ferrari GTC4 Lusso nochmals 40 Kilo schwerer als der FF.

Wer trotz Familienbande und Schnee nicht auf die Ferrari-Liebe verzichten will, kommt automatisch beim einzigen Viersitzer mit Allrad im Ferrari-Modellprogramm an. SUV werden in Maranello (noch) als Gotteslästerung abgelehnt. Dem GTC4 Lusso gelingt dabei ein guter Spagat zwischen Alltag und Sport. Der Federungskomfort ist absolut "Hamburg–München-nonstop-tauglich". Trotz seines hohen Gewichts und seiner nicht gerade zierlichen Ausmaße (Breite: 1.980 mm, Länge: 4.922 mm) bewegt sich der GTC4 Lusso in der Stadt und auf der Landstraße erstaunlich leichtfüßig. Anders als der FF geht das aktuelle Modell jetzt mit neuer Hinterachslenkung an den Start.

V12-Sauger: heisere Dramatik

Bevor wir mit dem V12 Schneewalzer tanzen, steht erst einmal die Wertungsprüfung "Autobahn" auf dem Programm. Anders als bei unseren Routinetrips zum Nürburgring reisen wir diesmal nur ganz kurz über die tempobeschränkte A 61, zum größten Teil hingegen auf der unlimitierten A 3.

Drei freie Spuren, vierter, fünfter, sechster Gang, 6.000, 7.000, 8.000/min – während der V12 im Drehzahlkeller zurückhaltend schnorchelt, verheimlicht er seine Herkunft gen Begrenzer bei 8.250/min nicht. Die V12-Hymne geht dann in heiser kreischende Dramatik über. Kein Wunder, der Zwölfzylinder aus der F140-Motorenfamilie begann seine Karriere ja auch einst im Supersportler Enzo – auch im Lusso spritzt er eine Überdosis Faszination. Im Hinterkopf flackern die Bilder der letzten F1-V12 aus der Alesi-Berger-Ära wieder auf.

299, 300, 301 km/h – so schnell, wie der GTC4 Lusso seiner Höchstgeschwindigkeit von 335 km/h entgegengaloppiert, vergisst man glatt, dass der Allrad-Italiener Winterreifen trägt. Spurrillenempfindlichkeit? Nichts dergleichen, zu der alltagstauglichen Federung gesellt sich ein ruhiger Geradeauslauf.

Warnblinker als Sicherheitsassistent für die nachfolgenden Fahrzeuge

Auch wenn die Keramikbremsanlage nicht nur auf der trockenen Autobahn, sondern später auch bei Schneematsch gewissenhaft verzögert, legt der GTC4 Lusso eine echte Unart an den Tag. Wer beim Herunterbremsen das Pedal nur einen Hauch zu sportlich bearbeitet, dem haut er urplötzlich den Warnblinker als Sicherheitsassistenten für die nachfolgenden Fahrzeuge rein. Diese hyperempfindliche Sensorik erinnert mehr an Fiat 500 als Ferrari.

Runter von der Autobahn, raus auf die Landstraße gen Nürburg. Status quo: minus elf Grad und Schneehöhen, die Wintersportorte in den Alpen neidisch machen. Apropos Wintersport, vor der Ferrari-Schneeschlacht gehen wir mal einem Wegweiser nach, den wir sonst immer etwas belächeln.

Ski oder Ferrari?

Unweit des Streckenabschnitts "Hohe Acht" liegt das Dörfchen Jammelshofen. Hinter dem dortigen Waldhotel findet sich ein recht steiler Hang, den sie stolz "Skigebiet Jammelshofen/ Hohe Acht" nennen. Aus den letzten zwei Jahrzehnten Nürburgring kannte ich die beiden Schlepplifte immer nur als Stillleben. 620 Höhenmeter, zwei Abfahrten mit bis zu 800 Metern Länge, 30 bis 35 Prozent Gefälle – nicht nur Skianfänger, sondern auch die Eifelprominenz besucht das heimische Skiparadies. Ein VW Amarok fährt vor, EX-DTM-Pilot Klaus Ludwig steigt aus und schwingt sich auf die Bretter. Eine 20er-Liftkarte für 9 Euro wäre jetzt großartig, doch wir wollen heute nur im Ferrari carven.

Ankunft Döttinger Höhe, Boxenstopp an der legendären Ring-Tankstelle. Kein Motorenlärm, kein Verkehr auf der Bundesstraße – fast scheint es, als ob das Motorenmekka Nürburg heute autofreien Skiorten wie Zermatt Konkurrenz machen will. Nur der V12 kippt hier heute Hochoktaniges auf Ex runter.

"Frohes Neues, wat macht ihr denn schon hier? Der nächste Supertest läuft doch erst im März", fragt Tankstellenchef und Nürburgring-Urgestein Hans-Joachim "Retti" Retterath. Antwort: Wir hatten Sehnsucht. "Früher sind die teilweise noch Rennen auf der Nordschleife bei Schnee gefahren und hier mit 160 vorbeigestaubt", holt Retti gleich eine Anekdote hervor. Und was macht man sonst hier während der Jahreszeit, die am Nürburgring eigentlich keine ist? Retti wie aus der Pistole geschossen: "Langlauf, manchmal präparieren sie zwischen Pflanzgarten und Flugplatz eine Loipe." Dieses Jahr haben nur Schlittenfahrer das Brünnchen in Beschlag genommen.

Grüne Hölle wird zur weißen Hölle

Einfach den V12 zünden und schnell aus der Grünen Hölle die weiße Hölle machen – daraus wird heute leider nichts. Nordschleifenverbot bei Schnee ist für uns wie Fernsehverbot in der Kindheit – tut weh und ist nur ganz schwer zu ertragen. Warum uns die Nürburgring-Offiziellen heute nicht erlauben, unser Wohnzimmer zu betreten? Bei diesen Schneeverhältnissen sei es unmöglich, die Nordschleife mit einem Ferrari zu befahren.

Ferrari GTC4 Lusso, Christian Gebhardt
Hans-Dieter Seufert
Weiße Hölle: Christian Gebhardt und der GTC4 Lusso.

Da kennt aber jemand den allradgetriebenen Ferrari GTC4 Lusso nicht, der ja quasi der Unimog im Ferrari-Portfolio sein will. Früher bei Fernsehverbot hat man so lange gequengelt, bis man zumindest zehn Minuten "Sandmännchen" gucken durfte. Nach intensivem Betteln dürfen wir immerhin, wenn auch ausschließlich, die Start-Ziel-Gerade der GP-Strecke befahren.

Klack, klack, klack – Manettino in den Schneemodus drehen. Dabei reduziert sich die Motorleistung zwar gefühlt auf die Power eines Golf GTI, aber der GTC4 Lusso wird zur V12-Schneefräse – langsam, aber beharrlich wühlt er sich dann ohne Schlupf durch die weiße Pracht.

Im Vergleich zu altbekannten Allradsystemen, mit der üblichen Verbindung zwischen Vorder- und Hinterachse über ein Mittendifferenzial, nutzt der GTC4 Lusso eine andere, faszinierende Technik. Neben dem Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe mit integriertem Torque-Vectoring-Differenzial an der Hinterachse arbeitet an der Vorderachse ein weiteres Zweigang-Doppelkupplungsgetriebe.

Technik-Highlight: Ferrari-Allrad

Den Hauptteil seines Daseins verbringt der GTC4 Lusso als reiner Hecktriebler. Fällt dann doch einmal mehr Drehmoment über die Hinterräder her, als sie übertragen können, mischt das Vorderachsgetriebe mit. Dies hilft in den ersten vier Gängen mit, ab dem fünften Gang aufwärts ist der GTC4 Lusso wieder ein reiner Hecktriebler.

Das Ferrari-Allradsystem besitzt noch ein weiteres Technik-Highlight: Während die restliche Allradwelt die Antriebskräfte maximal an der Hinterachse vollvariabel verteilt, kann der GTC4 Lusso, über das E-Differenzial an der Hinterachse und zwei nasse Kohlefaserkupplungen an der Vorderachse, die Antriebskraft variabel zwischen allen vier Rädern verteilen.

Auf festgefahrener Schneedecke wird der Viersitzer damit definitiv zum Ganzjahres-Ferrari, der jeden noch so hohen Skiort problemlos erklimmen kann. Gegen die 25 Zentimeter Neuschnee auf der Start-Ziel-Geraden tut sich der Lusso hingegen schwer. Der wirkungsvolle Allrad ist nicht das Problem, sondern die Bodenfreiheit, die den Lusso dann zum Schneepflug macht. Lediglich das erste Viertel der Geraden vor dem Dorint-Hotel ist mit dem Sportgerät aus Maranello überhaupt halbwegs befahrbar. Der Abschnitt zur Mercedes-Arena ähnelt einer gesperrten Tiefschneepiste, Lawinenwarnstufe 5. "Wenn ihr stecken bleibt, müsst ihr selbst schaufeln", hatte die Streckensicherung vorab lächelnd gesagt.

Manettino auf "ESC off"

So hatten wir uns das nicht vorgestellt. Vom seligen Blick aus der Seitenscheibe, von Röhrl'schen Querwinkeln und von wild aufstaubenden Schneewolken im Rückspiegel hatten wir geträumt. Und jetzt bleibt der Lusso schon fast auf der Geraden im Schnee stecken. Doch halt, was ist mit der Coca-Cola-Kurve? Hier hat wohl vorab jemand an uns gedacht und eine Spur gelegt. Wir erliegen der Sucht, auch wenn die Coca-Cola-Kurve heute nicht in der offiziellen Genehmigung steht.

Manettino auf "ESC off" drehen, Gasstöße übernehmen die Lenkarbeit. Das Heck drückt, während die Vorderachse leicht stabilisierend mitspielt. Mit lockerem Hüftschwung schwingt der Fastzweitonner ins Eck und mit lasziv tänzelndem Heck wieder raus. Der Schnee schmilzt fast vor Rührung, wie präzise man den Lusso platzieren kann. Wäre das herrlich, wenn wir jetzt diese leichtfüßigen Drifts auf den weißen Nordschleifen-Teppich zaubern dürften. Mehr als ein abschließendes Standfoto in Breidscheid ist heute nicht drin.

Spontanausflüge laufen halt nicht immer ganz wie geplant: Liebe Nordschleife, nächsten Winter wirst du dich unserer Sehnsucht nicht erwehren können. Entweder wir bringen die Bodenfreiheit des Ferrari auf Rallye-Schweden-Maß, oder wir rücken gleich mit einem WRC-Boliden an.