Geschichte des Autodesigns
Sinn und Emotionen - Automobildesign

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Im zweiten Teil zur Geschichte des Automobildesigns widmet sich Hans A. Muth den Nachkriegsjahren. Traditionelle Formen konkurrierten mit futuristischen Entwürfen. Hohe Ansprüche an die Raumökonomie führten zu neuen Konzepten.

Automobil-Design, Mercedes 300 SL, Flügeltür, Seitenansicht
Foto: Archiv

Das Ende des 2. Weltkrieges bedeutete für das automobile Design eine Zäsur: Der artistisch-spielerische Umgang mit Formen und deren vielfältige Variationen zum Thema Eleganz, Prestige und Individualität musste sich diszipliniert in die neuen herstellungstechnischen Anforderungen integrieren. Hinzu kamen vermehrt Komponenten wie Marketing, Sicherheit, Raumökonomie und Gebrauchseigenschaften. Das erforderte ein Design in seiner wahren Bestimmung, Bedeutung und Verantwortung.

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Detroit holt sich Design-Hilfe aus Italien

Was heute Santiago de Compostela für den spirituell Suchenden ist, das war in den 50er Jahren für die Suchenden nach automotiver Kreativität Turin mit Ausgangspunkt Detroit. So machte sich Henry Ford II 1948 auf den Weg nach Europa, um seine Tochterfirmen zu inspizieren. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte Henry II ein Gespür für die Wichtigkeit von Design. Bei einem Abstecher nach Turin zur Firma Stabilimenti Farina versuchte er dort, den noch jungen, talentierten Designer Battista Farina, später Pininfarina, für sein Styling Department in den Staaten abzuwerben, was dieser jedoch ablehnte. Doch die italienische Verlockung ließ nicht nach, und ein Jahr später wurde Stabilimenti Farina von Ford mit dem Entwurf und Bau eines Farina-Mercury beauftragt.

Neben diesem Prototyp entstand 1951 ein stattlicher Cisitalia-Ford mit 3,5-Liter-V6, dessen Produktion sich jedoch als zu teuer erwies. Dennoch hielt der Ford-Chef an dessen schlichtem formalen Konzept fest: Henry Ford II, der in seiner Sammlung auch einen der legendären Cisitalia 202 besaß, erschien unangemeldet im Detroiter Styling-Studio, wo gerade an der spektakulären X-100 Studie gearbeitet wurde. Seine Frage an die Stylisten war einfach und klar, wie die Form eines Cisitalia: Warum könnt ihr nicht solche Autos entwerfen? Es blieb bei dieser Frage.

Auch Chrysler setzte auf Design-Hilfe aus Italien. Der US-Automobil-Konzern nahm sich in den Jahren 1955 bis 1960 Ghia als Partner für seine Zukunftsstudien. So entstand mit dem Modell Gilda, im Windkanal des Turiner Polytechnikums entwickelt, die erste Keilform. Auch in umgekehrter Richtung erfolgte der Ideen-Transfer: Der Prototyp Le Sabre von GM-Design-Chef Harvey Earl inspirierte Pininfarina zur Studie Lancia Aurelia PF-200 - niedrig, lang und ebenfalls mit Jet-Schnauze.

US-Design beeinflusst europäischen Markt

Neben den US-Konzernen suchten auch die europäischen Firmen wie Austin, BMW, Mercedes-Benz, Jaguar, NSU, Porsche und Volkswagen in den 50er Jahren mediterran-kreativen Beistand bei Bertone, Boano, Frua, Ghia, Italdesign, Michelotti, Touring und Vignale. Albrecht Graf Görtz als einziger Deutscher mit seinen Entwürfen für den BMW 507 und 503 gilt als besondere Ausnahme.

Die deutschen Töchter der US-Auto-Giganten standen nach dem Krieg stark unter deren Design-Einflüssen. So war der Ford 17M P2 eine Kopie des US-Ford Fairlane und erfreute sich als Gelsenkirchner Barock großer Beliebtheit, zeugte er doch vom ersehnten amerikanischen Way of Live. Borgward fand seinen eigenen Stil und begann mit der Isabella die Pontonform, Mercedes folgte mit dem 180 mit Assoziationen der alten Kotfluügelverläufe.

Mit dem Drang nach günstig erwerbbarer Mobilität offerierten Fiat und BMW jeweils einen 600, letzterer mit Michelotti Design – und Austin den 850 Mini. Sein selbstständiges Karosseriekonzept mit Frontantrieb entsprach einem von innen nach außen gewendetem Jackett. Der Multipla von Fiat ahnte in seiner Gesamtauslegung die Raumkonzepte der 80er Jahre voraus, und Volkswagen pflückte sich bei Ghia ein hübsches Coupé und ein Cabrio, welche zum gewöhnten und zuverlässigen Käfer jugendliche Frische brachten. Mercedes gelang ähnliches mit den Modellen 300 SL und der Boulevard-Variante 190 SL, die speziell eine junge Dame dazu inspirierte, durch langsames Fahren schneller vorwärtszukommen.

England verharrte auf Bewährtem, sei es der Jaguar XK 120 im klassischen Sportwagen Stil oder der Rolls-Royce Phantom V im Park Ward Dress.

Die Linie der Vernunft erhält Einzug im Automobil-Design

GM besann sich auf das Praktische und entwickelte den Chevrolet Corvair mit Heckmotor. In seiner logischen und konsequenten Wannen-Auslegung wurde er bei NSU auf schwäbische Konfektionsgröße getrimmt, zum Prinzen ernannt und fast im Original übernommen. BMW und Fiat folgten jeweils mit ihren 1500er-Modellen. Frankreich, technisch immer etwas anders denkend, präsentierte den Citroën DS 19, die Göttin. Es war das erste modulare Fahrzeugkonzept mit auswechselbaren Karosserieteilen, was nicht nur im Pariser Verkehr Vorteile brachte. Porsche hingegen folgte seiner begonnenen aerodynamischen Formenwelt mit dem Ableger 550 Spyder, der neben seinen sportlichen Erfolgen mehr als James-Dean-Wagen bekannt wurde.

Zusammen mit den hinreißenden Ferrari-Modellen 166 MM Berlinetta, 375 MM Spyder und 250 GT mit Scaglietti-Karosse und dem Maserati A6G CS von Pininfarina war wohl die Autoformenwelt, so schien es laut Ford, alles andere als vernünftig. Denn 1960 proklamierte Ford mit seinem 17M P3 die Linie der Vernunft: Was für ein hemmender Begriff für einen Designer. Vernunft hat noch nie zu etwas Großem geführt, denken wir doch nur an unsere Kulturgüter, von denen die wenigsten aus Vernunftaspekten entstanden waren. Der P3 wurde von Wesley P. Dahlberg entworfen, verantwortlicher Designchef von Ford Deutschland. Das Thema entstammte seiner Studie Monaco von 1956 für das Stylerama- Projekt, bei dem Concept Cars der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Es war das Gegenstück zur Motorama von GM.

Der 17M P3 war ein logisches und konsequent entworfenes und umgesetztes Auto in erfrischender unemotionaler Eigenständigkeit. Wenn man den P3 mit den zur gleichen Zeit vorhandenen Fahrzeugen vergleicht, war er eher abweichend unvernünftig. Ein Lancia Aurelia B20 von 1951 oder der Alfa Romeo Guilietta Sprint von 1959 präsentierten nachvollziehbare Emotion, Funktion und Bestimmung. Man könnte dies als vernünftig bezeichnen, denn sie hatten zudem einen eigenständigen Charakter.

Mit dem Mustang präsentierte Ford 1964 eine neue Fahrzeug-Kategorie. Eine lange Motorhaube und die gedrungene Zelle mit kurzem Heck erinnern an vergangene Sportwagenproportionen: Pseudosport mit Alltagstauglichkeit für jedermann. Das Konzept ging auf, seine Hufe sollten auch Europas Straßen in Form eines Ford Capri beleben. Die Thematik dazu mit dem Codenamen GBX stammte aus dem US-amerikanischen Dearborner Special Development Studio unter Bob Maguire. Die Proportionen und Maße entsprachen aber nicht den europäischen Anforderungen und Vorstellungen. Zahlreiche Varianten mit einem Beitrag aus dem Kölner Design-Studio halfen schließlich, den Colt - so der Entwicklungs-Codename - aus dem Halfter zu ziehen.

Mit dem Golf kam die Kante

Opel antwortete mit dem Manta - glatter, simpler, mehr den Vätern Camaro und Pontiac nachempfunden. Manni mit Friseuse, getunt, tiefer gelegt, Antenne mit Fuchsschwanz auf dem Weg zur Disco wurde seine Identifikation.

Volkswagen gab den Staffelstab seines Dauerläufer Käfer an einen neuen Marathonläufer - den Golf I mit Front- anstatt Heckantrieb. Die formale Umsetzung übertrug das VW Management dem jungen Italiener Giorgio Giugiaro. In der Bewältigung dieser Aufgabe mit der kantig gehauenen Karosse sah er sich mehr als der Teutone Armin als den feinfühligen Römer Varus: Gewonnen hat ersterer mit ersterem.

Erst in den 70ern gewinnt Automobil-Design großen Einfluss

Bis in die 70er Jahre hatte Design kein Mitspracherecht bei Modellentscheidungen. Das Marketing war die allgewaltige und gefürchtete Instanz. GM-Designchef Bill Mitchell hatte für sie die nachfolgende, biblische Erklärung: "Schaut was mit Lots Weib geschah, als sie sich umdrehte: Sie erstarrte zur Salzsäule!" Ein typisches Marketing-Auto war der erste Jetta von Volkswagen, der aus vielen Umfragen geboren wurde. Man wusste viel und kannte alles, doch der Jetta blieb bis heute ohne neue Botschaft und Begehrlichkeit.

Die 70er und 80er Jahre formten endgültig den Keil: Lancia mit dem Stratos, Maserati mit den Modellen Indy und Khamsin sowie der Ferrari-frustrierte Signore Lamborghini mit dem Countach. Enzo Ferrari konterte mit dem 512 BB. BMW ließ sich bei Italdesign die Flügeltüren-Studie Turbo von 1972 mit Weg weisendem, dem Fahrer zugeneigten Cockpit straßenzulassungsmäßig zum M 1 umarbeiten. GM stellte auf dem Pariser Salon seine Vier-Rotor-Wankel-Studie AeroVette vor - ein Meisterstück an aerodynamischer Eleganz. Alle diese Fahrzeuge befriedigten nicht nur die potenzielle Klientel, sondern waren Inspiration für die Designer.

Die inneren Werte zählen. Das Jaguar E-Type Coupé mit seinem hinreißenden Rücken wurde, den jeweiligen Proportionen entsprechend angepasst, das Vorbild für die Fließheck-Modelle Renault R 5, R 16 und R 30, Alfa Sud und Citroën GS. Bei aller Modellvielfalt zeigte sich in den 80er Jahren eine fast langweilige Gleichheit. Die Markenidentität erwies die Frontmaske - falls der Hersteller eine besaß. Die Klein- und Mittelklassewagen hatten funktionale Lufteinlässe in der Front, zum Teil unterhalb der Stoßfängereinheit. Wer kennt die Typen, kennt die Namen?

Ein Auto konfirmiert seine äußeren Werte im Interieur, dort muss sich der jeweilige Anspruch an Ästethik, Bestimmung und Preis widerspiegeln, seien es Sitz, Instrumente, Bedienungselemente, Atmosphäre. Darüber hatte auch ein amerikanischer Motorjournalist nachgedacht, als er eine Bewertung zwischen einem Cadillac Eldorado Brougham, einen Rolls-Royce Phantom V und einem Mercedes 600 abgeben sollte. Die Motor- und Fahrleistungen dieser Fahrzeugkategorie ließen fast Gleiches zu, das Styling war entsprechend dem Landescharakter unterschiedlich. Der Journalist entschloss sich zu einer frechen und provozierenden Bewertung: Ein Cadillac lässt im Interieur eine Annäherung und der Rolls-Royce eine Verführung zu.

Der Mercedes mit seinem schwäbischen Reläxment-Charme eher eine amouröse Entgleisung. Form ist nicht nur Selbstzweck. Sie beeinflusst, bewirkt und reflektiert. Jede Form beinhaltet eine Botschaft und Legende. Form ist außerdem sehr mobil, Auto-Mobil.

Motor Klassik-Autor Hans A. Muth

Hans A. Muth, Preuße, Grafiker, Designer und Automane, nennt sich ein Kind der Motorpresse, seit er in der Motor Revue (24/1957) eigene Entwürfe zu Mercedes-Sportwagen veröffentlichte und sich als Freier Mitarbeiter für auto motor und sport mit Illustrationen und Titelblättern empfahl.

Die weiteren Stationen seiner Laufbahn in leitenden Positionen waren Ford International, BMW AG, MBB-Kawasaki, zehn Jahre Japan mit Suzuki, Mitsubishi, Toyota, Minolta und Citizen. Anschließend Chairman Transportation Design am Art Center College of Design in La Tour de Paix. Freiberuflich tätig für Porsche AG und Audi AG. Seine Mut(h)proben: Vom BK17 Hubschrauber über fahrerorientierte Cockpits, revolutionäre Motorräder (BMW R 90 S und 100 RS, Suzuki Katana), Kairo-Assuan Express Interieur, Fahrräder bis hin zum E-angetriebenen Kurzstrecken-Roadster HAI-E3 für die Firma Haidlmaier/Austria.

Heute Creativitäts-Coach, Design Consultant und in Sachen Historischer Automobile aktiv und wieder in der Motor Presse für die Zeitschrift Motor Klassik angekommen. Die Gene stammen von seinem Großvater A. G. Von Loewe, Automobil-Konstrukteur (Selve, Panhard & Levassor, Audi), Buchautor und Kunstmaler/Grafiker.