Aston Martin Vanquish im Fahrbericht
Respekt gebietend statt provozierend

Erstes Date mit dem neuen Aston Martin Vanquish: Das künftige Spitzenprodukt der Nobelmarke bekommt einen V12 mit 573 PS. Wir sind den Neuen schon gefahren.

Aston Martin Vanquish, Seitenansicht
Foto: Arturo Rivas

Ein Aston-Martin-Schlüssel ist ein Stückchen Sonnenschein in jeder noch so dunklen Hosentasche. Diese Naturerscheinung geht zurück auf das Jahr 1913, in dem die Herren Robert Bamford und Lionel Martin ihre Sportwagenmanufaktur anschoben. Im nächsten Jahr also wird der 100. Geburtstag der Automobilfertigung gefeiert, und da der heutige Aston-Martin-Boss Ulrich Bez vermutlich seit Monaten schon mit Grausen an die dann allfälligen Gastgeschenke denkt, hat er sich eine Morgengabe nach Art des Hauses selbst gezimmert: den hier vorgestellten neuen Aston Martin Vanquish.

Das Aluminium-Coupé mit der Kohlefaser-Karosserie geht mit einem Leergewicht von 1.739 Kilogramm an den Start und wird auf Wunsch als reiner Zweisitzer oder aber 2+2-sitzig erhältlich sein. Der Aston Martin Vanquish löst als verlockendes Top-Model im Portfolio der britischen Nobelmarke am Jahresende den DBS ab.

573 PS quellen aus dem Sechsliter-V12

Aus seinem laut Projektleiter Ian Hartley „mit neuem Block, neuen Köpfen und doppelter variabler Ventilsteuerung“ entwickelten Sechsliter-V12 quellen nun 573 PS bei 6.750/min. Über eine gekapselte Carbonfiber-Kardanwelle fließt die Kraft zu dem mit der Hinterachse verblockten, automatisch oder per Hand-Paddel geschalteten Sechsganggetriebe des Aston Martin Vanquish. Verständlich, dass so viel Dampf durch eine Heerschar elektronischer Helferlein wie die dynamische Stabilitätskontrolle oder die Drehmoment-Regelung zum Wohlverhalten auf der Straße erzogen sein will.

Das Stückchen Sonnenschein in der Hosentasche ist zugleich der Schlüssel zu einem großen Naturtheater. Wird das geschliffene Kristall-Trapez in seine Aufnahme am Armaturenträger des Aston Martin Vanquish gedrückt, reißt der Anlasser den V12 kurz durch, dann lässt ihn ein Startprogramm spontan hochdrehen bis zum ersten kräftigen Brüller, und erst danach verfällt das Leichtmetall-Aggregat in ein rauchig klingendes Leerlauf-Brabbeln. Für unerfahrene Gemüter würde das als kaum zu toppendes Aston-Martin-Erlebnis eigentlich schon genügen.

Doch ist der Besuchstermin im Aston-Martin-Abstimmungscamp damit nicht beendet. Wir dürfen den Aston Martin Vanquish zwar noch nicht selbst fahren, aber Hartley nimmt uns mit auf eine der letzten Abstimmungsrunden am Sella della Croce, zwischen Badia-Tal und Corvara in den Dolomiten. Hier feilen die zuliefernden Spezialisten von Conti akribisch an der Abstimmung des Bremsensystems, das vorn mit den Carbon-Keramik-Scheiben aus dem limitierten Sondermodell One-77 aufwartet. Im Klartext: Sechs Kolben beißen fadingfrei in zwei innen-belüftete Scheiben mit dem Durchmesser von 398 Millimetern.

Überschäumende Bremsleistung des Aston Martin Vanquish

Diese Bremsanlage ist der Grund dafür, dass der Vanquish-Prototyp nach dem Proberitt nicht über einen flüssigkeitsgekühlten Beifahrersitz verfügt. Der Angstschweiß macht sich zwar nach jeder auch noch so kurzen Geraden bereit, aus allen Poren zu springen und den bequemen, gut führenden Sportsitz zu fluten. Doch schon nach wenigen der engen und unübersichtlichen, gerne auch mit entgegenkommenden Radfahrern gespickten Biegungen ist klar: Die Bremse hat die überschäumende Leistung des Aston Martin Vanquish gut im Griff.

Die Fahrwerks-Auslegung und -Abstimmung – wir fahren im Sport-Modus zwischen Normal und Track der dreistufigen Dämpferregelung – scheint gelungen. Straff, aber nicht unkomfortabel hart. Statt in das vor jeder zweiten Kurve erwartete Untersteuern zu verfallen und das neue, kunstvoll hohlgegossene Alu-Frontchassis an einem der für die Region typischen Felsbrocken zusammenzufalten, schlägt der Aston Martin Vanquish brav und ohne Reifenquietschen die angepeilte Linie ein. Um die Grenzen des Fahrwerks tatsächlich auszuloten, müsste das Coupé eine kleine Reise machen: aus Südtirol hinaus auf die Nordschleife des Nürburgrings. Den ersten Testwagen erwartet die Redaktion mit Spannung.

Neben dem sauberen, streifenfreien und gut zu kontrollierenden Handling überzeugt die Verarbeitungsqualität der Karosserie. Die zentrale Monocoque-Struktur ist aus Alublechen gefertigt, die mit der neuesten Methode aus der Flugzeugtechnik im Bond-Verfahren verklebt sind. Dahinter verbirgt sich nicht etwa eine Erfindung des Geheimagenten Ihrer Majestät, sondern das Verbinden zweier Alu-Teile mittels eines Epoxy-Harzes. Das Resultat, so Projektchef Hartley, „ist eine 25 Prozent höhere Verdrehfestigkeit des Aston Martin Vanquish gegenüber dem DBS“.

Aston Martin Vanquish als Respekt gebietendes Zeugnis

Die Visitenkarte, die der neue Aston Martin Vanquish beim ersten Kennenlernen abgegeben hat, ist ein Appetitanreger hoher Güte. Für rund 250.000 Euro wird hier nicht nur der „neue Gipfel des britischen Sportwagenbaus“ (Bez) durchstarten, sondern auch ein ernstzunehmender Konkurrent in der Luxusklasse jenseits von Porsche Turbo oder Mercedes SLS AMG. Einen zeitgemäßen Vorteil verbucht der Aston Martin Vanquish, zu deutsch der Bezwinger, dabei durch sein Markenimage: Anders als manch hochkarätiger Wettbewerber galt ein Aston Martin fast nie als ästhetische oder pekuniäre Provokation, sondern stets als ein Respekt gebietendes Zeugnis britischer Handwerkskunst, getränkt in einer neidfreien Lösung aus vornehmem Understatement.

Handwerkliche Klasse im Detail: Die Kohlefaser-Elemente werden mit einer feinen Glasfaserschicht überzogen, um der makellos spiegelnden Lackierung eine ideale Grundfläche zu bieten. Und dann das Teil, das eigentlich nicht zu fertigen war: Heckhaube und -flügel des Aston Martin Vanquish bestehen nach dem Gebot des Bosses Bez nur aus einem Stück. „Dafür“, stöhnt Hartley, „mussten wir extra ein neues Laminierverfahren entwickeln.“ Zum Glück feiert Aston Martin nur alle 100 Jahre so einen Geburtstag.

Technische Daten
Aston Martin V12 Vanquish
Grundpreis253.995 €
Außenmaße4728 x 1912 x 1294 mm
Kofferraumvolumen368 l
Hubraum / Motor5935 cm³ / 12-Zylinder
Leistung421 kW / 573 PS bei 6750 U/min
Höchstgeschwindigkeit295 km/h
Verbrauch14,4 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten