Audi S1 Rallycross mit 560 PS
Allradrakete mit Fahrspaß

Über die Beschleunigung der 560-PS-Allrad-Monster aus der Rallycross-WM erzählt man sich wahre Wunderdinge. auto motor und sport wollte es genau wissen und bat den frisch gebackenen Rallycross-Teamchef Mattias Ekström mit seinem erfolgreichen Audi S1 zum exklusiven Messtermin auf den Dragstrip.

Audi S1 Rallycross, Seitenansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Auf den ersten Blick wirkt der putzige Kraftwürfel so, als hätte ihn ein ehrgeiziger Tuner in den Fingern gehabt. Ein bisschen tiefergelegt, breite Kotflügel montiert und ein paar fette Aufkleber angebracht – und fertig ist ein flottes Showcar.

Doch das ist im Fall des Audi S1, den DTM-Star Mattias Ekström quasi im Nebenjob für die Rallycross-WM gebaut hat, nicht mal die halbe Wahrheit. Denn dieser Allradler besitzt einen 560 PS starken Vierzylinder – und damit ist der neue S1 praktisch genauso stark wie der legendäre Audi Sport Quattro S1 von 1986, mit dem Walter Röhrl und Stig Blomqvist in der Rallye-WM derart für Furore sorgten, dass den Fans selbst 28 Jahre später immer noch Tränen der Rührung in die Augen schießen.

Mattias Ekström hat mit seinem Mini zwei große Dinge vor: erstens, in der Rallycross-WM für Furore zu sorgen, und zweitens, den Rekord für die beste Null-auf-hundert-Beschleunigung einzuheimsen. Punkt eins ist bereits erledigt. Im Juli gewann er vor 40.000 begeisterten Zuschauern den WM-Lauf im heimischen Höljes. Es war erst der dritte Auftritt des neuen EKS-Teams in der WM. Punkt zwei auf seiner To-do-Liste, der erste Platz in der auto motor und sport-Wertung der spurtstärksten Autos, ist nicht minder schwierig.

Der Rekord liegt bei 2,6 Sekunden

Zu schlagen sind mit dem Audi S1 2,6 Sekunden. Im Mai 2014 riss der 887 PS starke allradgetriebene Porsche 918 Spyder die Krone in der All-Time-Bestenliste von auto motor und sport an sich, zweifelsfrei ermittelt und dokumentiert durch die GPS-gestützte Messelektronik der renommierten Firma 2D.

Als der Tag der Wahrheit kommt, stapelt Ekström erst mal tief: "Unter vier Sekunden, das sollte schon drin sein", meint er augenzwinkernd. Erst nach dem Hinweis, dass sich der 315 PS leistende VW Polo WRC, mit den Fahrern Sébastien Ogier und Jari-Matti Latvala Abonnementssieger in der Rallye-WM, bereits mit 3,9 Sekunden in der Bestenliste verewigt hat, mörtelt der Schwede seine Prognose auf: "Na, vielleicht schaffe ich ja doch Zwei-Komma-noch-was."

Ekström schwingt sich ins Cockpit des 1.300 Kilogramm schweren Audi S1. Der Vierzylinder wacht auf. Unspektakulär brummend wärmt er seine Muskeln bei 2.000 Umdrehungen auf. Nach drei, vier Minuten wirft Ekström den ersten Gang ein. Mit einem lauten "Peng" meldet sich der erste Gang zackig zum Dienst, scheinbar wohl wissend, dass die Kraftübertragung gleich ordentlich rangenommen wird. Anders als in der Rallye-WM, wo die Fahrer beim Start in die Wertungsprüfungen auf die Hilfe der Launch Control und des computergesteuerten Gaspedals vertrauen können – was den Blitzstart absolut narrensicher macht –, wird das Rallycross nach alter Väter Sitte angefahren. "Drive-by-Wire ist verboten", sagt Ekström. "Bei den Supercars in der Rallycross-WM muss die Drosselklappe per Bowdenzug betätigt werden."

Ein besonders sensibler Umgang mit Gas und Kupplung ist in diesem Audi S1 allerdings nicht nötig. 750 Newtonmeter Drehmoment fallen über Kupplung, Getriebe und Antriebswellen her.

Wenn es um die Wurst geht, muss sich der Fahrer frei machen von bangen Befürchtungen, was die Haltbarkeit der Kraftübertragung angeht. Vollgas und Kupplung sausen lassen, das ist jetzt die Parole. Der S1 steht an der Startlinie. Ekström legt einen kleinen Schalter auf der Mittelkonsole um. Jetzt ist das Anti-Lag-System des Turboladers aktiviert. Das Turboloch ist gestopft. Ekström gibt Gas. Der Zweiliter-Vierzylinder schnattert mit 7.500 Umdrehungen im Drehzahlbegrenzer.

Kitzeln in den Gehörgängen

Der Turbo zischt ein böses Lied dazu. Die danebenstehende auto motor und sport-Testcrew hat die Ohrenstöpsel sehr sorgfältig in den Gehörgängen installiert. Trotzdem werden die Trommelfelle von den Schallwellen gekitzelt.

Jetzt fehlt eigentlich nur noch die sonore Stimme der NASA-Bodenkontrolle aus dem Off, so wie man sie von den Starts der US-Mondraketen kennt. "Three, two, one: Go!" Ekström lässt die Kupplung schnalzen, die Semislicks von Cooper malen bolzengerade fette Autogramme auf den Betonboden. Der Audi S1 flitzt weg, als wäre er von einem Katapult abgeschossen worden. Im Sekundentakt schaltet Ekström die Gänge durch.

Blick auf den Laptop: 2,8 Sekunden. Das ist der zweitbeste Wert, den auto motor und sport jemals gemessen hat. Doch Ekström ist ein bisschen enttäuscht. Er greift zum Handy und ruft bei seinem Motortuner Lehmann in Liechtenstein an. Mit ein paar Mausklicks wird eine Datenleitung etabliert, die Lehmänner programmieren aus der Ferne die Elektronik um.

Nächster Versuch. Diesmal fährt Ekström im zweiten Gang an, um einen Schaltvorgang zu sparen. Das Ergebnis: erneut 2,8 Sekunden. "Zu wenig Grip", ärgert sich der Schwede. Und kündigt die Revanche an: "Das war heute noch nicht unser letztes Wort. Wir probieren es in den nächsten Monaten sicherlich nochmals."

2,8 Sekunden – das war "nur" der zweite Rang in der ewigen Bestenliste. auto motor und sport-Testchef Jochen Albig tröstet den ehrgeizigen Ekström: "Du hältst jetzt den Rekord für ein handgeschaltetes Auto." Der Porsche 918 verfügt ja über Doppelkupplungsgetriebe und Launch Control.

Der Blick ins Messprotokoll fördert höchst interessante Werte zutage: Lediglich 41 Meter benötigt der S1, um vom Stand auf Tempo 100 zu flitzen. Die 100er-Marke erreicht er im dritten Gang, innerhalb von 2,8 Sekunden muss Ekström also zweimal hochschalten. Die durchschnittliche Beschleunigung beträgt 1,1 g. Das entspricht ziemlich genau dem, was ein Straßenauto bei einer Vollbremsung schafft – unter optimalen Voraussetzungen, bei trockener Fahrbahn, versteht sich.

Unglaublicher Fahrspaß

Weil Mattias Ekström nicht nur als Fahrer, sondern auch als Auto- und Teambesitzer sehr tapfer ist, bat er den auto motor und sport-Mann zum Selbstversuch ins Cockpit. Der erste Eindruck im Audi S1: Man fühlt sich sicher wie in Abrahams Schoß. Dicke Rohre, enger Sitz, extrem tiefe Sitzposition. Leider ist es heiß wie im Fegefeuer. Der gewaltige Turbolader fungiert im Nebenjob als Heizkörper. Doch das ist jetzt Nebensache.

Für den Fahrspaß, den dieses Auto bietet, würde sich fast jedes Opfer lohnen. Die Beschleunigungsorgien auf den kurzen Geraden der Autoteststrecke sind atemberaubend. Knapp 150 Meter Strecke genügen, um vom ersten in den vierten Gang zu kommen – und vor der folgenden Spitzkehre wieder zurück in den ersten. Sechs Schaltmanöver in gefühlten zwei Sekunden: Gut, dass das sequenzielle Nachladen der Gangstufen beinahe mühelos flutscht.

Audi S1 schießt davon wie eine Kanonenkugel

Fünf Meter zu spät gebremst? Hartes Untersteuern? Kein Problem: Kurz an der Handbremse gezupft, das Heck schwenkt aus. Kurz gegenlenken und sofort wieder Vollgas. Der Audi S1 hebt die Schnauze und schießt von dannen wie eine Kanonenkugel. Der Auftritt des Rallycross-Audi S1 auf dem Testgelände am Münchner Flughafen ist so spektakulär, dass dem Wachpersonal vor Staunen die Kinnlade talwärts klappt.

Was viele Leute aber nicht wissen: Im wirklichen Rallycross-Leben sind die Darbietungen der Supercars nochmals spektakulärer. Denn die Allradraketen treten stets im Rudel auf. Fünf Kontrahenten starten bei den Sprintrennen praktisch nebeneinander, nur um Zentimeter voneinander getrennt. Und nicht selten versuchen die Fahrer, sich auch in breiter Fünferformation durch die erste Kurve zu quetschen. Ein krasses Unterfangen, bei dem es nicht immer ein Happy End für alle gibt.

Tumult auf der Piste ist also garantiert, wenn die wilde Rallycross-Truppe kommt. Das deutsche Publikum kann sich davon am 20./21. September vor Ort überzeugen, beim WM-Lauf auf dem Estering bei Buxtehude nahe Hamburg.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten