BMW HP4 gegen BMW M6
Superbike gegen super Sportler

42 Meter reichen, um beeindruckt zu sein. Danach ist die BMW HP4 nämlich schon auf Tempo 100. Doch der 1,7 Tonnen schwerere BMW M6 ist nicht viel langsamer. Wir klären, was Topmotorrad und Topauto alles eint – und trennt.

BMW HP4, BMW M6, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Womit anfangen? Der Technik, der Beschleunigung, dem Sound? Der Kopf platzt vor intensiven Eindrücken, etwa dem unfassbaren Glücksgefühl, mal wieder Motorrad zu fahren. Nach zehn Jahren selbst auferlegter Abstinenz wegen unerklärlichen Überdrusses wieder am Kabel zu ziehen. Zu sehen, ob die ohnehin dünne Luft ganz oben noch mal heißer wurde. Schließlich schossen Top-Serienmotorräder bereits Anfang des 21. Jahrhunderts mit über 150 PS vorwärts.

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Und heute? „Nimm am besten gleich die BMW HP4“, rät Ex-Kollege Ralf Schneider von der Zeitschrift MOTORRAD, „die hat als einzige adaptive Dämpfer und eine prima Traktionskontrolle.“ Okay, wenn er das sagt. Andererseits: Das Ding hat 200 PS bei 200 Kilo – was er kurz mal verschweigt. Das ist so, als ob Ihr Mittelklassewagen 1.500 PS hätte.

Doch keine Angst, beruhigt Ralf, dem das Rattern im Kopf nicht entgangen ist. Die HP4 hilft dir mit schaltbaren Fahrprogrammen, Gasannahme, Motorcharakteristik, Dämpfereinstellung und ABS-Regelung zu konditionieren. Für Kenner moderner Autos nichts wirklich Überraschendes, für Ralf schon. Klare Sache: Wir tauschen. Er darf den 560-PS-Biturbo des BMW M6 genießen, und wir toben mit der HP4 los – geeint in Neugier und Vorfreude

Die meisten Biker sind ja auch Autofahrer, wobei sie hinter dem Lenkrad nicht annähernd soviel geboten bekommen wie hinter den Lenkerstummeln. In ein Motorrad plumpst du nicht so einfach rein; du schmiegst die Oberschenkel an den Tank, füßelst nach den fein geriffelten Rasten, fühlst die Lenkergummis, fingerst nach den – in diesem Fall liebevoll CNC-gefrästen, eloxierten – Handhebeln, lauschst dem Klicken der Verstellrädchen.

Erste Erkenntnis: komfortables Sitzpolster, passende Ergonomie – und ein paar Wippschalter, die es früher nicht gab. Etwa für die Fahrprogramme: Rain hilft dank fürsorglicher Regelschwellen bei schwierigen Bedingungen, Sport im zügigen Alltag. Race ist für den Ambitionierten, der weiß, was er tut – oder besser lässt. Große Jungs klicken gleich zu Slick, passend für die Piste und alle Biker, die sich ausdrücklich mit „Auf Wiedersehen“ verabschieden.

Im BMW M6 hat Ralf im fein belederten Sportsitz unterm Alcantarahimmel derweil ganz andere Sorgen, etwa wie er die Lenkung gefühlsechter bekommt (Motorradfahrer sind diesbezüglich verwöhnt), wo der iPod-Anschluss steckt oder welcher Verrückte „Barracuda“ auf der Musikfestplatte gespeichert hat. Leistungsmangel ist weniger sein Problem, immerhin stampft der Biturbo-Elefant mit 680 Newtonmetern vorwärts – bei 1.500/min. Der Einliter-Kolibri des Motorrads zwirbelt aus seinen knapp fünf Zentimeter Kolbenhub 200 PS – bei 13.200/min, wo die acht Kolben des BMW M6 bereits auf dem Weg zum Uranus wären.

Die der HP4 bleiben auf ihrer toleranzminimierten Bahn, und selbst Löwenherzen rutschen in die Hose, wenn der Gasgriff auf Anschlag geht und dort einige Sekunden verweilt. Die Zeit, die Sie zum Lesen des vorigen Satzes brauchten (oder aber 209 Meter Strecke), genügen der HP4 für Tempo 200 – vielleicht auch Fahrerpuls. Wenn das Traktions-Kontrolllämpchen diabolisch zwinkert, der Schaltblitz flammt und der Pilot darauf wartet, aus diesem wilden Traum zu erwachen. Dreieinhalb Sekunden später sind 250 km/h erreicht. Durchschnittsverbrauch bei diesem Tempo: 12,5 L/100 km. Bremsweg auf null: 230 Meter.

BMW M6 wirkt handzahm im Vergleich zur HP4

Gut festhalten, wir bremsen! Mit kräftigem Zug am Hebel und ABS-Kontrolle. Das eigene Körpergewicht drängt, die Armmuskeln stellen ebenso auf hart wie die Gabeldämpfung. Irgendwann steht die Fuhre, wir lösen den Klammergriff am Lenker und wundern uns unregelmäßig atmend, was heute alles so geht. Wie handzahm 560 PS im Auto beherrschbar sind und wie monströs sich 200 PS im Sattel anfühlen. Trotz der ausgefuchsten Mechatronik, etwa den beiden Gyro-Sensoren (BMW M6: einer), die unter anderem die Schräglage der HP4 erkennen, um Motor und Dämpfern in Millisekunden zu soufflieren, was im Moment zu tun ist. Die Hardware stammt jeweils von Bosch, im Motorrad überraschenderweise nicht aus einem BMW. Veredelt wird sie ohnehin erst durch jene furchtlosen Abstimmungsfahrer, die BMW M6 und HP4 mit Gefühl und Sachverstand ihre speziellen, für die Situation passenden Charaktere anerzogen.

Wozu auch der feine HP4-Federungskomfort zählt, der dem des BMW M6 nicht nachsteht. Anders als sonstige Motorräder passt sich das Fahrwerk an die Situation an, ruht selbst beim schnellen Schräglagenwechsel in sich. Wie beim Auto öffnen und schließen Dämpferventile in Hundertstelsekunden.

Orchestrale Auspuffanlagen

Permanente Bewegung herrscht auch in den Auspuffanlagen der beiden BMW. Klappensysteme glätten die Leistungskurven und orchestrieren den Sound – bassiges Brummen mit sattem Schaltschmatzer beim V8, heiseres Schreien mit Gangwechsel-Plopp bei der HP4. Hier Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe mit wählbaren Schaltzeiten (BMW M6), dort Schaltassistent für Hochschalten bei Volllast (spart 0,3 Sekunden). So – rauscht Ihnen jetzt auch der Kopf? Sehen Sie, so geht es mir auch. Und deshalb gehe ich jetzt eine Runde fahren. Bleibt nur die Frage: Mit ihr oder ihm?

Verblüffende Technik im Motorrad

Das Topmodell HP4 basiert auf der S 1000 RR und enthält alles, was der Sportmotorrad-Baukasten hergibt. So mahnt der einstellbare Schaltblitz erst bei 13.500/min zum Gangwechsel, der Gasgriff kann dabei dank Schaltassistent offenbleiben. Die Traktionskontrolle kümmert sich darum, dass der 200er-Reifen auch bei Volllast nicht durchdreht, während Gyrosensoren die Lage des Motorrads erkennen und die Motorleistung so regeln lassen, dass das Vorderrad am Boden bleibt. Der Race-Modus erlaubt kleinere Wheelies und toleriert ein abhebendes Hinterrad beim Bremsen. Zudem spricht der Vierzylinder noch bissiger an, tönt krasser aus seinem Volltitan-Auspuff (spart 4,5 kg) mit leistungsfördernder Klappensteuerung. Spitzenleistung fördern auch die ab 11.300/min verkürzten Ansaugtrichter sowie CNC-gefräste Brennräume, die eine Verdichtung von 13:1 erlauben. Ach ja, die Traktionskontrolle DTC funktioniert auch in Schräglage.

Motorrad-Mann in der Auto-Welt

Bei Schneiders geht es in Sachen Auto ziemlich frugal zu: Ein basismotorisierter BMW 3er (E 46) hat uns bislang immer überallhin gebracht. Der BMW M6 bei uns zu Hause war deshalb wie ein Besuch aus einer anderen Welt, beim Schulfreund meiner Tochter reichte es für eine mehrtägig anhaltende Festtagsstimmung. Die beinharte Verkehrsrealität war jedoch ernüchternd. Viele unterschätzen sein Beschleunigungsvermögen oder fühlen sich bisweilen zu neidhaftem Strafblockieren herausgefordert. Motorradfahrern geht es besser, wohl weil sie im Ruf einer gewissen Verschrobenheit stehen, die seltener Neidgefühle aufkommen lässt.

Und als ich während einer Heimfahrt in ein Mozart-Klarinettenkonzert geriet, blieb ich, zu Hause angelangt, noch so lange sitzen, bis der Satz zu Ende gespielt war. Als wir eines Freitagabends den Biturbo aus seinem Dasein überqualifizierten Dahinsäuselns erlösen, wird klar: Beschleunigung ist mehr als eine Frage von Δv und Δt für Δt gegen null. Wenn so ein Zweitonner von 560 PS angeschoben wird, hat das eine andere Qualität als das Erlebnis einer HP4 unter Volldampf. Zumal er auf kurvigen Strecken einen Teil seines Gewichts abzuwerfen scheint, die zunächst etwas zäh wirkende Lenkung plötzlich passt und die Bremsen wie Anker verzögern. Was für ein Auto! Gut, dass ich es mir nicht leisten kann. Vermutlich funktioniert die sittliche Reife, die ich mir in 34 Jahren auf dem Motorrad erfahren habe, nur einspurig.

Technische Daten
BMW M6 Coupé M6
Grundpreis129.600 €
Außenmaße4898 x 1899 x 1374 mm
Kofferraumvolumen460 l
Hubraum / Motor4395 cm³ / 8-Zylinder
Leistung412 kW / 560 PS bei 6000 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h
Verbrauch9,9 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten