Ferrari 365 GTB/4 und Ferrari F12
Traumsportwagen gestern und heute

Frontmotor-Zwölfzylinder sind die Essenz von Ferrari. Der F12 kommt den legendären Proportionen des 365 GTB/4 (Daytona) erstaunlich nahe. auto motor und sport durfte beide Preziosen über die Landstraße scheuchen.

Ferrari 365 GTB/4, Ferrari F12 Berlinetta, Seitenansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Die Ehrfurcht fährt ganz automatisch in einem Auto mit, das über 400.000 Euro kostet. Im Falle des Ferrari 365 GTB/4 von 1973 sitzt allerdings Eigentümer und Ferrari-Händler Helmut Eberlein auf dem Beifahrersitz und überstimmt die Zurückhaltung. „Gib jetzt doch mal Gas“, ist schon mehr als eine Erlaubnis – es ist eine Aufforderung, sich genau jenen Spaß zu gönnen, den die Vorsicht normalerweise im Zaum halten will: den Sportwagen von der Leine zu lassen.

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Der Tag im hessischen Kassel ist als Generationentreffen geplant, alt und neu, Urvater und Nachkömmling. Der zweite Ferrari läuft bereits für den Fototermin warm – nicht minder faszinierend: der aktuelle Ferrari F12 Berlinetta als Neuinterpretation des zweisitzigen Frontmotor-V12 mit Endlos-Haube. Ihn brachte Ferrari Ende vergangenen Jahres als Nachfolger des 599 GTB Fiorano an den Start.

Daytona ist nur der Spitzname für den 365 GTB/4

Die Ähnlichkeit der Proportionen ist frappierend: Im Profil wirkt der Ferrari F12 tatsächlich wie ein um fünf Prozent vergrößerter, optisch weiterentwickelter Daytona. So hieß der 365 GTB/4 offiziell übrigens nie, aber der Sprachgebrauch der Autofans hat diesen Spitznamen praktisch zementiert. Doch die klassische Linie schien Ferrari zwischendurch abhanden gekommen zu sein.

Der neue Designchef Flavio Manzoni hat sie wieder kultiviert und mit spektakulären Details versehen: An Öffnungen in den Kotflügeln streicht der Fahrtwind praktisch durch die Aluminium-Karosserie hindurch; das reduziert den Auftrieb ähnlich effektiv wie ein Flügel, ruiniert aber nicht die Figur. Und gemeinsam mit Entwicklungsdirektor Roberto Fedeli hat es Manzoni geschafft, das scheinbar unaufhaltsame Größenwachstum umzukehren. Im Vergleich zum Vorgänger 599 GTB Fiorano ist der Ferrari F12 Berlinetta immerhin 4,7 Zentimeter kürzer, zwei schmaler und 5,3 flacher. Und er hat seinen pummeligen Hintern verloren.

Dennoch verschwindet der Daytona fast im Schattenwurf des Neuen. Nach heutigem Maßstab ist der 365 GTB/4 zierlich und sein Innenraum gemütlich eng. Weil andererseits Sportwagen-Sitze in den Siebzigern nur minimal aufgepolstert wurden, der Mitteltunnel dank Transaxle-Bauweise nur eine Kardanwelle und kein Getriebe beherbergen muss und das Armaturenbrett frei von Multimedia-Systemen ist, bleibt trotzdem genügend Raum für zwei Passagiere. Ungewöhnlich groß fallen Tacho und Drehzahlmesser aus, was letztendlich wieder Helmut Eberleins Botschaft gleichkommt: „Gib jetzt doch mal Gas.“


Der V12 erwacht

Wir starten per Zündschlüssel, was bei heutigen Sportwagen längst aus der Mode gekommen ist – den Ferrari F12 erweckt man mit einem Druck auf den Startknopf zum Leben. Der Daytona-Schlüssel selbst ist reinste Mechanik, frei von Elektronik und gibt nur die essenziellen Befehle: Zündung und Benzinpumpe an, Anlasser durchdrehen. Nach kurzem Jaulen und einem kräftigen Tritt aufs Gaspedal melden sich die zwölf Zylinder zu Wort – offensichtlich sind sofort alle hellwach, denn das Aggregat läuft erstaunlich rund und ohne nervöses Sägen.

Über das summende Verbrennungsgeräusch mischt sich das Rasseln der 24 Ventile, betätigt über vier oben liegende Nockenwellen. Bereits kalt nimmt der 4,4-Liter-V12 erstaunlich gut Gas an. Dabei böte sich rein technisch genug Grund zum Verschlucken, schließlich schnorcheln unter dem großen Luftsammler sechs Doppelvergaser. Sie verleihen dem Ansauggeräusch die schlürfende Note, während die Auspuffanlage vollmundigen Bass beisteuert.

Wir treten die Kupplung, was die linke Wade gehörig anspannt, greifen zum filigranen, verchromten Schalthebel, rasten ihn hinten links ein und rollen los. Den Bezug zum Rennsport sieht man schon am Schaltschema: Der selten benötigte erste Gang wurde außerhalb der H-Ordnung gelegt, um zwischen Zwei und Drei sowie Vier und Fünf durchreißen zu können.

Ferrari 365 GTB/4 ist ein echtes Männerauto

Wir lassen es schon aus Rücksicht vor dem kalten Getriebeöl langsam angehen – auch übrigens, weil das Kurbeln am Lenkrad in der Stadt alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Sportwagen der siebziger Jahre als Männerautos gelten. Gegen die Servo-Unterstützung hatte Ferrari noch lange Vorbehalte, immer mit dem Hinweis, es ginge zu viel Lenkpräzision verloren.

Wenn schon nicht mit einem Finger, so lässt sich der Ferrari F12 doch fast nebensächlich bewegen. Ein Kupplungspedal gibt es bei Ferrari heutzutage nicht mehr; serienmäßig erledigt ein Doppelkupplungsgetriebe die Schaltarbeit: Sanftes Gasgeben reicht, und der Supersportwagen rollt los. Wer vor sich hin cruisen will, lässt den Automatik-Modus im Ferrari F12 entscheiden, wann es Zeit für die nächste Fahrstufe ist. Alternativ zieht man an den Lenkradpaddeln.

Man kann den Zug hinauszögern bis zum point of no return, bis der 6,3-Liter bei 8.700/min kreischt – wobei der V12 in den unteren Gängen praktisch ans Limit explodiert. Die zwölf Riesenkolben scheinen zumindest keine Massenträgheit zu kennen. Während Sie das Wort Ansprechverhalten laut artikulieren, hängt der Ferrari F12 bereits im Drehzahl-Begrenzer.

Ferrari 365 GTB/4 mit einem Fahrwerk wie ein Rennwagen

Feinnervig waren sie schon immer, die Ferrari-Triebwerke, die große Leidenschaft des Commendatore. Dass Firmengründer Enzo Ferrari die Fahrwerke egal waren, lässt sich zumindest vom 365 GTB/4 nicht ableiten: Vorder- wie Hinterräder werden einzeln an Dreiecks-Querlenkern geführt. Diesen Aufwand betrieb man in den Sechzigern, aus denen der Daytona konstruktiv stammt, eigentlich nur bei Rennwagen.

Und weil sich der Oldie selbst aus heutiger Sicht noch sauber dirigieren lässt, kaum Spiel in der Lenkung hat, auch nicht wie ein Lkw in den Kurven geradeaus schiebt, möchte man jetzt einfach durchstarten, rausholen, was geht. So wie früher, als es im Ermessen des Fahrers lag, wie schnell er über die Landstraße donnerte. Das 100-km/h-Limit kam schließlich erst 1972 – Daytona-Fahrer der frühen Jahre durften ihre Pferde also noch zügellos galoppieren lassen. Den Segen von Eberlein haben wir auch – den der StVO leider nicht.

„Gib jetzt doch endlich mal richtig Gas.“ Der Ferrari-Fachmann klingt ungeduldig, und wir sind reif, heften das Gaspedal ans Bodenblech. 4.000/min. Trompeten schwellen an. 5.000/min. Nein, es sind Fanfaren. 6.000/min. Ein Orchester? 7.000/min. Tutti, die Zwölfe blasen aus vollem Hals. Wobei dem Verbrennungsgeräusch gleichzeitig die rauchige Note eines Jazzsaxophons anhaftet. Es ist um soviel weicher als das Rennwagen-Grölen des Ferrari F12. Endlich schaut Eberlein zufrieden.

Natürlich ist der Schub des 365 GTB/4 nicht ansatzweise mit dem des aktuellen Ferrari F12-Modells zu vergleichen. Ferrari gibt für den Neuen 8,5 Sekunden für den Sprint auf 200 km/h an – da hätte der Daytona mal knapp Tempo 120 überschritten. In den Sitz wird man von 348 PS nicht gepresst: Sie müssen über 1,6 Tonnen wuchten.

Der Nervenkitzel kommt vom Fahren selbst. Natürlich ist Leben in der Hinterachse: Vor 40 Jahren sind die Sportwagen noch nicht wie auf Schienen gepest. Da gehörte ein mehr oder weniger spürbarer Ausfallschritt zum Schnellfahren dazu. Mehr oder weniger deshalb, weil innen mehr zu spüren ist als außen zu sehen: Der Fahrer denkt einfach ständig „Gleich bricht er aus“, was der Daytona dann aber gar nicht macht – er verharrt stattdessen im instabilen Ansatz. In dieser Zwischenwelt bewegt man sich beim Schnellfahren, ständig lauernd, ob das Heck zucken will, Sinne und Muskelfasern in Habacht-Stellung.

Es ist so angenehm wenig Auto um einen herum: Der ranke und schlanke 365 GTB/4 passt auf der Landstraße überall durch. Und obwohl der Ferrari F12 kraft seiner 740 PS praktisch immer mit kaum mehr als Halbgas folgen kann, limitiert letztlich seine breite Statur das Tempo – für schmale Sträßchen sind heutige Boliden einfach zu massig.

Der Daytona aber hat gezeigt, dass wertvolle Sammlerstücke nicht in musealen Luxusgaragen verstauben sollten, sondern durchaus herangenommen werden können. Und damit schließt sich der Kreis zum heutigen Ferrari F12. Auch der ist zwar einerseits eine anbetungswürdige Auto-Skulptur, andererseits aber schlicht und ergreifend eine Fahrmaschine. Und dieser Charakter wird die Zeit überdauern – selbst wenn man ihn in 40 Jahren erneut hervorholt. Möglicherweise wieder unter der Anweisung: „Jetzt gib doch endlich mal Gas.“

Technische Daten
Ferrari F 12 Berlinetta Ferrari 365 GTB/4 Daytona
Grundpreis268.328 €
Außenmaße4618 x 1942 x 1273 mm4425 x 1760 x 1245 mm
Kofferraumvolumen320 bis 500 l176 l
Hubraum / Motor6262 cm³ / 12-Zylinder4390 cm³ / 12-Zylinder
Leistung545 kW / 741 PS bei 8250 U/min256 kW / 348 PS bei 6500 U/min
Höchstgeschwindigkeit340 km/h275 km/h
Verbrauch16,3 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten