Ineos Grenadier
Erste Fahrt im fertigen Defender-Klon

Was einst in einem Londoner Pub nach mehreren Kaltgetränken auf einem Bierdeckel skizziert wurde, ist nun fertig zur Auslieferung und bereit für eine ausgiebige Testfahrt: der Ineos Grenadier. Ein Offroader vom alten Schlag, nach dem Vorbild des bis 2016 gefertigten Land Rover Defender.

Ineos Grenadier
Foto: Ineos

Am Anfang waren drei Worte: Offroadtauglichkeit, Haltbarkeit, Design. Sir Jim Ratcliffe, CEO des Chemie-Riesen Ineos hatte sie auf ein etwa zehn mal zehn Zentimeter großes Stück Pappe geschrieben, auf dem man normalerweise seinen Bierhumpen abstellt. Kurze Zeit später gründete er die Ineos Automotive und holte sich Manager und Partner ins Boot, die seine Pläne umsetzen sollten, einen würdigen Nachfolger des Land Rover Defender zu bauen. Und weil ihm danach war, kaufte er auch gleich den Pub, in dem der geistige Grundstein für den Offroader gelegt wurde, den Grenadier Pub. Somit war die Suche nach einem Namen für das Fahrzeug schon geklärt.

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Grenadier, made in Hambach, wo einst Smarts gebaut wurden

Nun, einige Jahre später, dürfen wir hinters Steuer eines der ersten Serienfahrzeuge, gebaut im französischen Hambach, in einem Werk, das einst Smart gehörte und inzwischen – Sie ahnen es – im Besitz von Sir Jim Ratcliffe ist. Rustikal und simpel, beinahe zeitlos ist das Grenadier-Design, wie aus dem Vollen gefräst, ganz offensichtlich angelehnt an die Optik des alten Defender, mit hohem Aufbau, glatten Karosserieflächen und großen Fenstern. In den an außenliegenden Scharnieren aufgehängten Türen (Stützlast rund 40 kg) sind Befestigungsschienen eingelassen, an den Schwenktüren des Kofferraums das Reserverad und eine Leiter angeschraubt. Auch die Technik ist für die grobe Fahrer-Fraktion, wobei man gemeinsame Sache mit dem österreichischen Spezialisten Magna machte, der Ikonen wie den Mercedes G entwickelte.

So basiert der Geländewagen auf einem Leiterrahmen, hat Starrachsen, eine Mitteldifferenzialsperre und ein Verteilergetriebe von Tremec (Untersetzungsverhältnis von 2,5:1; externe Ölkühlung), optional Anschlüsse für elektrische Verbraucher außen, sowie Seilwinden an Bug und Heck. Wem das nicht reicht, bekommt optional Front- und Heckdifferenzialsperren. Angetrieben wird der Grenadier von modernen, drei Liter großen BMW-Sechszylinder-Aggregaten (beide erfüllen die Euro 6d-Norm), wobei man die Wahl hat zwischen dem B58-Benziner (286 PS, 450 Nm) und dem B57-Turbodiesel (249 PS, 550 Nm). Unterschiede beim Preis gibt es nicht. Beide Motoren sind an Achtstufen-Wandlerautomaten von ZF gekoppelt (Benziner: ZF8HP51; Diesel: ZF8HP76). Auch andere namhafte Zulieferer sind mit dabei, so wie Brembo für die Bremsanlage, die Sitze in beiden Reihen kommen von Recaro, Nutzfahrzeug-Achsspezialist Carraro liefert die Starrachsen. Für beste Präzision im Gelände und lange Haltbarkeit, entschied man sich für eine Kugelumlauflenkung, die aufgrund ihrer Robustheit heutzutage nur noch in Nutzfahrzeugen verbaut wird. Die Dämpfer kommen von Bilstein, Eibach produziert die Federn.

Zwischen groben Schaltern und sensiblem Touchscreen

Innen ist der Grenadier so simpel und rustikal gehalten, wie außen. Mit großen Schaltern und Drehreglern in der mittigen Bedienkonsole, auf der ein 12,3 Zoll großer Touchscreen steckt, der – wie im Tesla Model 3 – gleichzeitig als Instrument dient, alle wichtigen Informationen wie Tempo und Drehzahl anzeigt. Hinter dem Lenkrad ist lediglich ein kleines Anzeigenfeld verbaut, in dem über orangefarben beleuchtete Symbole im Warnleuchtenstil illustriert wird, welcher Fahrmodus gerade anliegt und welches Differenzial gesperrt ist. Ganz offensichtlich bei BMW abgeguckt haben sich die Designer den hinter den Getriebewählhebeln installierten, etwas tief sitzenden Dreh-Drücksteller nebst Direktwahltasten, als Alternative zur Touchscreen-Bedienung.

Highlight in der ersten Reihe ist das Flugzeugcockpit-ähnliche Bedienpanel im Dach hinterm Innenrückspiegel, wo nicht nur Knöpfe und Schalter für Fahrprogramme (zum Beispiel Offroad- und Watmodus), Differenzialsperren und Aktivierung der Stromausgänge sitzen, sondern auch die Maße des Fahrzeugs abgeduckt sind – als Erinnerung, falls es mal eng werden sollte, zwischen zwei Felsen oder im Großstadt-Dschungel. Denn so sehr der Grenadier auch Hardcore-Offroader ist, so ist er auch ein Lifestyle-Objekt mit großem Coolness-Faktor. Praktisch, dass Ratcliffe neben vielen anderen Firmen abseits seines Chemie-Imperiums auch das Kult-Klamottenlabel Belstaff gehört, das mit seinem Namen nun eine Ausstattungs-Edition des Offroaders schmückt. Überhaupt versteht es Ineos, wie viele andere Hersteller auch, die Kunden mit allerlei kostspieligen Ausstattungs-Extras und Paketen zum Hochrüsten seines mindestens 75.230 Euro teuren Grenadiers (PKW-Variante "Station Wagon" mit fünf Sitzen) zu verführen.

Platz nimmt man auf mit abwaschbarem Textil bezogenen Sitzen (Leder optional), die wenige Einstellmöglichkeiten bieten, aber trotzdem langstreckentauglich sind. Selbst hinten hockt man bequem, mit gut nutzbarer Beinauflage, tiefem Boden und steil stehender Lehne. Das Raumangebot ist nicht verschwenderisch, aber üppig genug. Auch die Qualität stimmt, mit erstaunlich viel geschäumten Kunststoffen, statt schnödem Hartplastik, gummierten Oberflächen sowie Textileinlagen. Trotzdem muss man beim Auswaschend er Fuß- und Kofferräume nicht sparsam mit Wasser umgehen, denn über den Innenraum verteilt sind fünf Ablaufventile in den Boden eingelassen.

Türen mit Schmackes schließen

Mit einem dumpfen, satten Geräusch fällt die Fahrertür ins Schloss – wobei man die Portale mit Schmackes ziehen oder drücken muss, damit sie komplett schließen. Denn die Dichtungen sind dick. Beim Einstellen des Cockpits auf den Fahrer fällt auf, dass der Hebel zur Sitz-Längsverstellung bei nicht ausgestreckten Beinen etwas in die Waden drückt. Und dass die Außenspiegel einen recht kleinen Verstellbereich haben, sich das Lenkrad nicht weit genug nach unten absenken lässt. Gestartet wird der Motor per konventionellem, im Vergleich zum Rest des Fahrzeugs etwas billig wirkenden Schlüssel. Wer den Benziner an Bord hat, freut sich über ein feines, sportwagentypisches Aufheulen, den anschließend seidenweichen Lauf des gut geräuschentkoppelten Reihensechsers und eine gleichmäßige, unaufgeregte Kraftentfaltung. Der Diesel ist akustisch präsenter, speziell bei höheren Drehzahlen, neigt dann zur Dröhnigkeit, entfaltet sein hohes Drehmoment heftiger und passt damit besser zum Arbeitstier-Charakter des Grenadiers. Ebenfalls vertraut ist der im rustikalen Innen-Ambiente fremd, weil vergleichsweise zerbrechlich wirkende Getriebe-Joystick, mit dem der 2.669 kg schwere Brite (Benziner; ohne Fahrer. Diesel: 2.744 kg) nach dem Zug in D in den Kriechgang wechselt (Kriechverhältnis und -Geschwindigkeit: 53,81 und 2,04 km/h (Benzin); 56,37 und 2,08 km/h (Diesel).

Die Landstraße ist allerdings nicht das Element des Ineos, der auf grobstolligen BF Goodrich All-Terrain T/A KO2-Geländegummis im Format 265/70 R 17 (595 Euro) rollt, die auf mit sechs Radbolzen pro Achse festgeschraubten Stahl- oder Alurädern montiert sind (150 Nm Anzugsdrehmoment je Schraube), versehen mit Ventilen aus Stahl. Abrollkomfort und Geräuschdämmung sind erstaunlich gut, sodass man sich auch bei Tempo 100 wie in einem PKW unterhalten kann. Nur die Lenkung stört mit sehr großen Lenkwinkeln, gigantisch großem Totpunkt um die Nulllage und einem Gefühl, das man schon nicht mehr als teigig, sondern wässrig bezeichnen könnte. Auch das geringe Rückstellmoment stört, weil man die Räder am Kurvenausgang aktiv in die Geradeausstellung zurückholen muss. Etwas besser wird das Lenkgefühl mit optionaler 18-Zoll-Bereifung, die straßentauglicheren Bridgestone All-Terrain-Reifen mit Grenadier-Spezifikation standen uns bei der ersten Testfahrt noch nicht zu Verfügung. Ein weiterer Kritikpunkt ist das beim insassenverträglichen, also kopfnickerfreien Anhalten nervige Bremspedal. Das muss man zum Abbau der letzten vier, fünf km/h vor dem Haltepunkt noch einmal kräftiger treten, damit der Grenadier nicht wieder in den Kriechgang wechselt.

Komfort- und Sicherheitsfeatures wie acht Airbags, Isofix-Halterungen, Notrufassistent, ABS, ESP, Servolenkung als auch eine Reifendruck- und Temperaturanzeige gehören selbstverständlich zum Standard. Rückfahrkamera, Parksensoren vorn und elektrisch einstellbare sowie beheizbare Außenspiegel kosten extra. Zum Modelljahr 2024 folgen übrigens die üblichen ADAS-Sicherheitsassistenten fürs Notbremsen, Spur- und Abstandhalten. Dank der kräftigen Antriebe kommt man bei Bedarf flott voran, fährt maximal 160 km/h schnell und hat mit dem 90-Liter-Tank keine Reichweitensorgen – selbst, wenn mal 15 Liter und mehr pro 100 km verbrannt werden.

Jetzt wird’s grob – mit dem Grenadier ins Gelände

Viel wohler fühlt sich der Grenadier abseits asphaltversiegelter Flächen, wenn die Löcher im Boden groß sind, der Schlamm hoch steht, das Wasser tief ist und Steigungen sowie Gefälle steil ausfallen. Bevor man den knapp 4,90 Meter langen Viertürer allerdings ins Gelände wirft, sollte man kurz stoppen, den BMW-Getriebewählhebel in Neutral ziehen und den kleinen Zusatzknauf in Lock und Low ziehen – wofür es gleichermaßen Gefühl und Kraft im Unterarm braucht. Jetzt ist das Mittendiff gesperrt, die Getriebeuntersetzung aktiv, wühlen sich die vier AT-Reifen traktionsstark über kleine Felsbrocken und durch tief ausgefahrene Matsch-Spuren. Nun macht auch die auf der Straße recht taube, indirekte Kugelumlauflenkung Sinn, weil man den Grenadier über Stock und Stein exakt platzieren kann. Auch, wenn’s mal flotter voran geht, überzeugt der Grenadier mit gutem Geradeauslauf, filtert das Fahrwerk Unebenheiten gekonnt, dringen bloß beidseitige Anregungen wie Fugen oder Kanten stark in den Innenraum.

26,4 Zentimeter Bodenfreiheit, Böschungswinkel von 35,5 (vorn) und 28,2 Grad (hinten), ein maximaler Seitenwinkel von 45 Grad deuten bereits in der Theorie extreme Geländegängigkeit an, genauso wie mögliche Achsverschränkungen von 9 (vorn) und zwölf Grad (hinten). Hier zahlt sich die robuste Bauweise mit Leiterrahmen und Starrachsen aus, wobei es bei extremer Verschränkung von außen betrachtet aussieht, als würde es die Aufhängung gleich zerreißen. Doch genau das ist die Spezialität des Grenadier, der sich übrigens nicht nur dort wohl fühlt, wo man selbst zu Fuß kapitulieren würde (80 cm Wattiefe, 58,5 cm Federweg), sondern mit 3,5 Tonnen Anhänge-, 150 kg Stütz-, 420 kg Dachlast und einem Kofferraumvolumen von 1.152 bis 2.035 Liter auch als Alltags-Arbeiter taugt, einem kombinierten Gesamtzuggewicht von bis zu sieben Tonnen Stand hält.

Vollversiegelt durch Salzwasser

Zum Ende unserer Testfahrt lockt eine Fahrt durchs salzige Wattenmeer, knapp einen halben Meter tief. Kein Problem, sagen die Entwickler, denn das Chassis ist durch eine kathodische Tauchlackierung (elektrochemisches Beschichtungsverfahren; zwölf Jahre Garantie gegen Durchrostung des Leiterrahmens) besonders geschützt, genauso wie die pulverbeschichtete Karosserie und der mit Wachs beschichtete Innenraum. Außerdem sind sämtliche Karosserieteile außen aus Aluminium oder Kunststoff gefertigt. Keine Chance also für Korrosion.

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Defender. Für mich zählt nur das Original von Land Rover.Grenadier. Optisch und technisch ist er der wahre Nachfolger.

Fazit

Offroadtauglichkeit, Haltbarkeit, Design: Das Ineos-Team hat geliefert, was Ratcliffe einst auf seinen Bierdeckel kritzelte. Der Grenadier ist ein rustikaler Charakterkopf, der kaum Kompromisse im Gelände, bei Robustheit und Qualität eingeht, dabei ausschaut wie die überarbeitete Version des alten Land Rover Defender. Abseits des Asphalts gehört er wahrscheinlich zu den Besten unter den straßenzugelassenen Fahrzeugen, und auf der Straße fühlt man sich mit ihm nicht fehl am Platz. An der Lenkung dürften die Ingenieure allerdings noch etwas arbeiten, genauso wie an der Abstimmung des Bremspedals. Gründe, warum man einen Ineos Grenadier nicht kaufen sollte, gibt’s also wenige. Für viele bleibt der kantige Brite aber allein wegen des Preises ein Traum: Für die Pkw-Variante mit fünf Sitzen geht’s bei 75.230 Euro los. Und planen Sie eine größere Expedition, sollten Sie noch einmal zehn bis fünfzehntausend für Extras einkalkulieren.