Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster im Fahrbericht
Supersport unter freiem Himmel

Ob auto motor und sport nun völlig abhebt? Bloß weil wir einen 700 PS starken, offenen Supersportwagen in Miami ausführen? Also bitte. Immerhin hat der Lamborghini, ganz vernünftig, sogar eine Start-Stopp-Automatik.

Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster, Heckansicht
Foto: Achim Hartmann

Ein Filmstar? Ich? Tut mir leid, nein. Auch in einem früheren Leben nicht. Zumindest nicht, dass ich wüsste. Ein Musikvideo? Nein, hier entsteht kein Musikvideo. Und nein, für einen sonstwie berühmten Zeitgenossen arbeiten wir hier auch nicht. Obwohl die Menschen in Miami zumindest im Film einiges ertragen mussten – seien es Drogenfahnder in gruseligen weißen Jacketts mit Schulterpolstern so üppig, als hätten sie Schönheitschirurgen implantiert, oder Vollgasjagden, bei denen Will Smith die Monatsproduktion eines durchschnittlichen Autoherstellers zerknittert – der Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster macht trotzdem alle wuschig. Nun pflegt der 4,78 Meter lange, vor allem aber 2,03 Meter breite sowie 1,14 Meter flache Supersportwagen ohnehin einen wenig dezenten Auftritt, selbst wenn das technoide V12-Monstrum hinter den Sitzen schweigt. Doch die Lackierung in Ithacagrün Metallic gibt Miami den Rest.

Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster fasziniert

Wenn der Blick dann von der Dachöffnung des Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadsters über die schmalen Seitenscheiben in das Interieur schweift, droht das Publikum vollends zu kollabieren: Ebenso grünes Leder brüllt sie an, und die auf einen TFT-Monitor projizierten Instrumente verwirren sie, denn auf den ersten Blick befindet sich hinter dem Lenkrad nur ein riesiger Drehzahlmesser. Great car! Ja, danke. Bitte? Natürlich dürfen Sie Fotos machen.

Übrigens: Niemandem fällt die beim Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster gegenüber dem geschlossenen Aventador geänderte Motorabdeckung auf, in die Lamborghini eine Wirbelsäule hineininterpretiert, die je ein Paar hexagonale Scheiben flankiert. Das, was darunter liegt, bedarf hingegen keinerlei Interpretation. Zwölf Zylinder, von denen aus Gründen der Effizienz gelegentlich nur die Hälfte arbeitet, 48 Ventile, 95 Millimeter Bohrung, 76,4 Millimeter Hub (macht 6.498 cm³ Hubraum) und ingeniöse Nettigkeiten wie ein aus einer Aluminium-Silizium-Legierung im Sandgussverfahren hergestelltes Motorgehäuse und eine durch Nitrieren gehärtete Kurbelwelle. Kurz davor sitzt, nein, liegt der Fahrer, den Daumen am Abzug, pardon, Startknopf. Ein langer, bewusster Druck lässt den Anlasser des Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster einen Moment heiser singen, dann poltert das mit 11,8 :1 verdichtete Triebwerk in die Gespräche der Passanten, die sofort verstummen. Damit die Insassen auch wirklich jeden Zwischenton des Technik-Konzerts genießen können, lässt sich beim Roadster das kleine Rückfenster zwischen den Kopfstützen versenken – elektrisch natürlich.

Entschuldigung, wie bitte? Ach so, ja klar, einmal Gasgeben für ein Handy-Video ist immer drin. Der V12 im Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster brüllt kreischend auf, fällt dann sprotzelnd auf Leerlaufdrehzahl zurück. Nichts wie weg hier, die unverhohlene Freude der Amerikaner über besondere Automobile kann einigermaßen anstrengend sein. Draußen, weit weg vom Publikum, ist längst das Fieber der Begeisterung für den Hochleistungs-Saugmotor ausgebrochen. Selbst der Fahrtwind vermag es kaum zu kühlen.

V12 erweckt sabbernde Gier

Der Fahrtwind, natürlich. Zwei knapp sechs Kilogramm schwere Dachhälften halten ihn ansonsten draußen, nun aber stecken sie in entsprechenden Halterungen in jenem Fach vor der Windschutzscheibe, das Lamborghini tatsächlich Kofferraum nennt. Immerhin, eine Kreditkarte und ein Müsliriegel passen auch jetzt noch hinein. Zurück zum Motor des Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster. Obwohl er im Stadtverkehr völlig ruckfrei jegliche Demütigung durch Schrittgeschwindigkeit und Tempo-30-Zonen hinnimmt, dabei nur subtil mit lautem Heulen seiner riesigen Kühler in den Flanken protestiert, giert er geradezu sabbernd nach einem entschlossenen Gasfuß. Selbst wenn sich nur dessen kleiner Zeh krümmt, schlägt die virtuelle Nadel des Drehzahlmessers aus, jenseits von 3.000 Umdrehungen entlässt das Aggregat laut brodelnd seinen Jubel aus den drei Endrohren.

Als sei der V12 im Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster auf Koffein, tobt er durch Drehzahlregionen, in denen andere längst ihre Kolben durch die Motorhaube schießen, entwickelt erst bei 8.250/min seine Höchstleistung von 700 PS. Dabei schreit er wie eine Horde Knirpse, die in einem amerikanischen Schnellrestaurant Geburtstag feiert. Gut, dass Lamborghini nicht nur der Aufladung, sondern auch dem Elektroantrieb Wohnraum in seinen Sportwagen verwehrt und weiter dem Saugmotor huldigt.

Automatisiertes Getriebe enttäuscht

Weniger gut dagegen, dass die Italiener auch im Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster noch immer das automatisierte Schaltgetriebe für die beste Möglichkeit der Kraftübertragung halten. Vor allem im so genannten Strada-Modus wechselt es doch recht bedächtig die sieben Gänge, und wer nicht lupft, nickt dazu mit dem Kopf – passend in einem Musikvideo vielleicht, ansonsten aber eher lästig.

Am wenigsten stört das Getriebe, wenn es im Corsa-Modus die Gänge nicht wechselt, sondern auf Befehl abfeuert. Das geschieht innerhalb von 50 Millisekunden (Strada: 300 ms, Sport: 200 ms) und führt dazu, dass bei jedem Zug an den Schaltpaddeln ein gewaltiger Schlag den Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster erschüttert. Überhaupt lässt er sich dann doch viel lieber über eine Rennstrecke prügeln, als zylinderabschaltend (spürt man nicht, aber hört man) und start-stoppend (innerhalb von 180 Millisekunden) durch dicht besiedelte Gebiete zu taumeln. Daran ändern weder das fehlende Dach noch das durch die entsprechenden Versteifungsmaßnahmen um 50 Kilogramm höhere Gewicht nichts.

Obwohl selbst die beträchtliche Menge verarbeiteten Kohlefaserverbundwerkstoffs noch über 1,6 Tonnen Fahrzeugmasse übrig lässt– trocken, wohlgemerkt –, findet der Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster präzise für nahezu jede Kurve die beste Linie. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist bereits mit der optimalen Sitzposition sowie den tapfer stützenden Sportsitzen erfüllt. Leistung? Eh klar. Traktion? Darum kümmert sich der Allradantrieb, der bis zu 60 Prozent des Antriebsmoments an die Vorderachse schickt und im Corsa-Modus mit einer Grundverteilung von 20 zu 80 Prozent arbeitet. Falls der Keil jetzt noch mit leichtem Eingangsuntersteuern ringt, fehlt es entweder den Reifen an Temperatur, oder der Fahrer hat sich noch nicht an die Lenkung im Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster gewöhnt. Sie arbeitet zwar mit drei unterschiedlichen Kennlinien, allerdings fehlt selbst in der schärfsten noch die wirklich kristallklare Rückmeldung.

Das Fahrwerk lässt sich so etwas nicht nachsagen. Liegende, an der Karosserie und nicht an der Aufhängung befestigte, über Kipphebel betätigte Feder-Dämpfer-Einheiten befreien den Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster nicht nur weitgehend von Karosseriebewegungen. Ihre Abstimmung erzieht ihm unter den zuvor erwähnten Voraussetzungen ein neutrales Eigenlenkverhalten an, das vielleicht Lenkradartisten, allerdings wohl kaum Filmstars auf trockenem Asphalt in Richtung kontrolliertes Übersteuern verschieben können.

Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster kostet ab 300.000 Euro, netto

Doch mit jeder weiteren, faserfrei filetierten Kehre zeigt der Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster, dass er genau so behandelt werden möchte: getrieben, gehetzt, gequält. Durch eine ausgeklügelte Choreografie verändern Spoiler und Lufteinlässe ihre Winkel, um den V12 bei Temperatur und die Hinterachse mit maximalem Druck am Boden zu halten. An der Steifigkeit der Karosserie scheitert das Unternehmen Rennstrecke ebenfalls nicht, sie wirkt so unnachgiebig wie der Anspruch der USA, die führende Nation der Welt zu sein.

Genau dort jedoch, aber auch im Nahen Osten werden sie ihn kaufen, den Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster – für die Kleinigkeit von 300 000 Euro plus landesüblicher Steuern. Oh, das sei ja gar nicht so viel, befindet eine ältere Dame mit spanischem Akzent. Ach ja? Sind Sie vielleicht ein Filmstar?

Fazit

Schon wegen der Einmaligkeit des Konzepts verdient der Aventador Roadster vier Lenkräder. Aber auch, weil er trotz allem Supersport-Wahnsinn eine Espresso-Tasse voll Alltagstauglichkeit mitbringt – nicht viel, aber wohldosiert. Daran ändert selbst das Getriebe nichts.

Technische Daten
Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster
Grundpreis357.000 €
Außenmaße4780 x 2030 x 1136 mm
Kofferraumvolumen150 l
Hubraum / Motor6498 cm³ / 12-Zylinder
Leistung515 kW / 700 PS bei 8250 U/min
Höchstgeschwindigkeit350 km/h
Verbrauch16,0 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten