Lamborghini Huracan Evo im Fahrbericht
Mit dem 640-PS-Sportwagen auf der Rennstrecke

Fünf Jahre nach seiner Einführung hebt Lamborghini den Huracan auf die nächste Evolutionsstufe. Die wichtigsten Zutaten: eine verbesserte Aerodynamik, optimierte Fahrwerkskomponenten und ein modernes Infotainment. Noch wichtiger aber: der frei saugende V10 darf bleiben. Sogar deutlich mehr leisten. Also ab auf die Rennstrecke mit dem Keil.

Boah, warum musste Lambo den Evo unbedingt in Bahrain vorstellen? Dessen Hauptstadt Manama ist schuld an einem massiven Ohrwurm. Manama be be be-do-do. Oder so. Sie wissen schon. Das Ding ist hartnäckig. Zum Glück liefern die Italiener gleich ein starkes Gegenmittel. Den neuen Huracan. Na ja, nicht ganz neu. Aufgefrischt, in seiner Lebensmitte. Anderswo nennen sie sowas Facelift oder Mopf, in Sant‘ Agata Bolognese schlicht Evo. Was ihn irgendwo zwischen dem bisherigen Huracan und dem Sportskumpel Performante ansiedelt. So muss der Huracan Evo neben dem Interieur aus leichtem Komposit-Fasermaterial auch auf das aktive Luftleitsystem (ALA) plus großem Heckflügel verzichten, welches durch gezielten Einsatz der Aero- auch die Fahrdynamik beeinflusst. Das war es dann auch schon mit Verzicht, wäre ja auch noch schöner, für über 184.000 Euro. Apropos schöner: Die neue Front mit Frontsplitter samt integriertem Spoiler, verbreiterte Lufteinlässe sowie das offene, breitere Heck mit oben positionierten Endrohren plus Maxi-Diffusor stecken das Revier optisch eine Ecke großzügiger ab. Ein erfolgreiches Revier übrigens, denn der Lamborghini Huracan verkauft sich zunehmend besser. Von 1.100 Stück im Startjahr bis 10.000 im letzten.

Unsere Highlights

Ganz der alte: frei saugend, V10

Wer so erfolgreich ist und die Lambo-Flamme weiterträgt, darf auch zukünftig aus dem Vollen schöpfen. Lamborghini verzichtet darauf, hinter dem Rücken des Fahrers ein kleinvolumiges Turbotriebwerk zu installieren. Stattdessen darf der frei saugende V10 nochmal ran. Wie gehabt 5,2 Liter groß und, von einer kombinierten Saugrohr- und Direkteinspritzung gefüttert. Während noch die Formulierung von einer „optimierten Leichtbau-Abgasanlage für höhere Leistungsausbeute und emotionalen kraftvollen Sound“ durch den Kopf geistert, lassen wir den Kerl einfach für sich selbst sprechen. Ach was sprechen: trompeten, schreien, röhren. Zweimal fünf Zylinder – geil. Und immer noch, oder jetzt erst recht was Besonderes, wo sie doch überall die V8-Biturbo-Universalmaschinen einpflanzen vom gusseisernen Geländegänger bis zum filigranen Rennbiest.

Lamborghini Huracan Evo, Innenraum, Cockpit
Lamborghini
Das hexagonal durchgestylte Cockpit ist geblieben. Neu dagegen: der Touchscreen in der Mittelkonsole der das Infotainment und anderes kommandiert.

Rennstrecke, genau. Irgendwie stolpernd und doch synchron läuft sich der 90-Grad-Apparat im Standgas warm. Zeit für einen Rundblick im Cockpit. Wie gehabt ein cooles, hexagonal geprägtes Designerding. Eckig, speziell, aber dank Audi-Background auf Höhe der Zeit und ordentlich zu bedienen, wenn man die paar Schnurren kennt. Wie die Getriebebetätigung, den einen oder anderen Schalter oder das Anima-Taster am Lenkrad, der den Lamborghini Huracan Evo nach Wunsch konditioniert. Strada, Sport und Corsa, wie gehabt. Huracan-Treiber kennen das. Neu ist der Touchscreen in der Mittelkonsole der das Infotainment und anderes kommandiert, über den Zustand des Wagens informiert, bis hin zur aktuellen Kraftverteilung oder Racetracking und Datarecording.

Schaffen, anpacken, 640 PS freisetzen

Neu auch: wie beim Performante liften Einlassventile aus Titan plus weitere Veränderungen die Leistung auf 640 PS, das Drehmoment auf 600 Newtonmeter. Ersteres jetzt etwas früher bei 8.000/min, letzteres wie gehabt bei 6.500/min, was jegliche Befürchtung – oder Hoffnung – auf ein flauschiges Torque-Bettchen im unteren Drehzahlbereich zerstört. Der Motor will schaffen, anpacken, durchziehen, trotz zarter Langhubigkeit flammig drehen. Energisch, muskulös, feinnervig.

Feinnervig, nicht nervig. So wie das ganze Auto. Denn die Weiterentwicklung orientiert sich klar am Fahrer. Einfacher soll er zu fahren sein. Und wenn Stefano Domenicali, der Lamborghini-Chef sowas sagt, sollte man ihn und es ernst nehmen. Gern auch überprüfen. Tatort: Bahrain International Circuit, knapp 30 Kilometer von der Hauptstadt Ma... Nein, bitte nicht, der Ohrwurm muss jetzt weg. Nichts wie raus aus der Boxengasse.

Von Lizenzen und Gyroskopen

Früher solltest Du in einem 640 PS-Sportwagen eine Lizenz haben und bereit sein, dein Leben für ihn zu riskieren. Heute hat man LDVI: Lamborghini Dinamica Veicolo Integrata vereint sämtliche Dynamiksysteme und soll damit sogar Fahrerwünsche vorausahnen. Dazu bekommt es pro Sekunde 50 mal 240 Informationen und gibt 340 Ausgangssignale zurück. Klingt spooky, ist aber logisch. Nur so kriegt man die ganze Technik zielführend unter einen Hut. Im Einzelnen: die Piattforma Inerziale (LPI) mit mehreren Beschleunigungssensoren und Gyroskopen im Schwerpunkt des Lamborghini Huracan Evo. Sie checken Quer-, Längs- und Vertikalbeschleunigung sowie Roll-, Nick und Gierrate in Echtzeit.

Lamborghini Huracan Evo
Lamborghini
Die Traktionskontrolle und der Allradantrieb plus Torque Vectoring wurden im Sinne der Fahrdynamik optimiert. Und die Lenkung wirkt nun auch auf die Hinterräder.

Mit diesen Daten werden die Dämpfer bestromt, in denen (wie gehabt) kleine magnetische Partikel die Dämpfung variieren. Schneller als jedes Ventil. Nicht zu vergessen die modifizierte Traktionskontrolle, der optimierte Allradantrieb plus Torque Vectoring. Und die Lenkung? Vorne Aktivlenkung mit Überlagerungsgetriebe wirkt sie auch auf die Hinterräder. Und das abhängig von der Fahrsituation. Also entweder agilisierend mit einer virtuellen Radstandsverkürzung von einem halben Meter oder stabilisierend durch gleichsinniges Lenken bei hohem Tempo. So, und jetzt bringen Sie das Ganze mal so zusammen, dass es möglichst natürlich unauffällig, kalkulierbar und homogen wirkt. Deshalb LDVI. Sonst würde es den Entwicklern ja auch langweilig.

Langeweile? No way!

Und dem Piloten? Alles andere als das, denn der Lamborghini Huracan Evo ist ein verdammt schnelles Kerlchen. Selbst wenn Menschen, die selbst vermutlich noch nie zehn Kilo an sich selbst abschliffen registrieren, dass der Neue nicht leichter wurde. Immerhin hielt er sein Gewicht von 1.422 Kilogramm, das er in weniger als drei Sekunden auf Tempo 100 schießt und – auf längeren Geraden als denen des BIC – erst jenseits 325 km/h damit aufhört, vor allem aber krallt sich der Evo Kurven mit besonderem Appetit. Inwieweit daran auch der auf mehr Abtrieb optimierte Unterboden beteiligt ist – keine Ahnung. Doch die Lenkung, sie hilft eindeutig beim Herantasten an das persönliche Limit. Manchem mag sie vielleicht etwas zu leichtgängig vorkommen, andere mögen das relativ niedrige Handmoment. Reine Geschmackssache, die guter Rückmeldung nicht im Weg steht.

Außerdem ist der Bruder Performante bei uns auf der automobilen Erlebnisfestplatte eh als guter Kumpel abgespeichert. Wegen damals, Frühjahr 2018 auf den intensiv beregneten, sackkalten Pässen der Sella Ronda, auf dem Kollege Jens Dralle und ich samt Aventador herumtollten. Richtung einbrechender Dunkelheit rüttelten ihre brüllenden V-Motoren an den Felswänden, während die Allradantriebe für fast schon erschreckende Traktion bei ununterbrochener Berechenbarkeit sorgten. Kennen Sie das, nach einem Höllenritt erschöpft aber glücklich mit roten Wangen zu stammeln: OMG, was hast Du getan. Und sich gleichzeitig auf die Schenkel klopfen und dem Kumpel beim Feierabendbier zuprosten?

So war das damals am Sella. Und so ähnlich ist es jetzt wieder auf der Strecke, allerdings ohne Felsen, Regen und Serpentinen. Reinbremsen, rantasten, rausfeuern. Liest sich einfach. Und fühlt sich auch so an. Der V10 schiebt linear, untenrum schon ordentlich an, kein Überfall, eher ein muskulöser Anschieber, stets unterstützt vom Doppelkupplungsgetriebe, das die Gänge ohne Geruckel nachschiebt, ganz gleich ob rauf oder runter. Ebenso verlässlich steht die Bremse. Obwohl der Druckpunkt beim wiederholten harten Ankern aus 270 etwas aufweicht, die Verzögerung steht und bleibt auf konstant hohem Level.

Das Spaßlevel? Sensationell!

Noch höher ist nur das Spaßlevel. Wie der Lamborghini Huracan Evo beim Beschleunigen aus Kurven das Heck heraushängt, mit leichtem Gegenlenken und tapfer auf dem Gas bleiben stabilisiert, das ist groß. Ohne verschwitzte Handflächen und Achselplakate. Obwohl das Gaspedal hin und wieder Bodenkontakt bekommt, der V10 bis jenseits 8.000 ausdreht. Der Evo wirkt agil um die Längsachse, ohne dich hinterhältig rumdrehen zu wollen. Die elektronischen Eingriffe bleiben unauffällig, geben dem Piloten jederzeit das Gefühl, die Sache stets perfekt im Griff zu haben. Du bist ruckzuck zu Hause im Auto und auf der bis dahin unbekannten Strecke, vernaschst Wechselkurven ebenso wie Spitzkehren. Der Huracan Evo fährt dahin wo er soll, auch bei hohem Tempo. Vermutlich zahlt sich spätestens dort die bessere Aerodynamik aus. Am Ende des dritten Stints auf dem Bahrain International Circuit wird es zumindest schwierig, Mundwinkel nach unten zu bekommen.

Und der Ohrwurm? Der bleibt, wo er hingehört. In Bahrain. Manamana...

Lamborghini Huracan Evo
Lamborghini
Was das Facelift noch so bringt? Ein noch höheres Spaßlevel. Wie der Lamborghini Huracan Evo beim Beschleunigen aus Kurven das Heck heraushängt, mit leichtem Gegenlenken und tapfer auf dem Gas bleiben stabilisiert, das ist groß.

Fazit

Okay, der Lamborghini Huracan Evo ist eigentlich nur ein Facelift. Eigentlich. Denn im Vergleich zum bekannten Huracan macht er es seinem Fahrer noch leichter, den jetzt 640 PS starken V10 zu fordern und die Traktion des Allradantriebes zu fördern. Er ist kein böser Bube zum Fürchten, sondern ein fairer Sportmann zum Spielen. Kein Wunder, kann er doch die Wünsche seines Fahrers vorausahnen. Auch wenn der es mal etwas querer will... Und ganz nebenbei sieht der neue Hintern des Lambo mit den beiden Auspuffmündungen auch echt scharf aus.

Technische Daten
Lamborghini Huracán EVO
Grundpreis219.000 €
Außenmaße4459 x 1924 x 1165 mm
Kofferraumvolumen100 l
Hubraum / Motor5204 cm³ / 10-Zylinder
Leistung470 kW / 639 PS bei 8000 U/min
Höchstgeschwindigkeit325 km/h
Verbrauch13,9 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten