Lamborghini Sián
Der fährt mindestens so schnell, wie er aussieht

Lamborghinis Zauberformel zur Elektrifizierung: volle Ladung V12-Saugmotor plus ein Schlückchen Strom aus dem Superkondensator. Wir fahren am Gardasee mal ganz einsam raus, um zu sehen, ob dieser 819-PS-Blitz ("Sián") auch wirklich einschlägt.

Lamborghini Sián, Exterieur
Foto: Bernhard Filser

Harald Juhnkes Definition von Glück: "keine Termine und leicht einen sitzen haben." Wir von auto motor und sport definieren Glück viel lieber als Termine, bei denen wir in etwas sitzen dürfen. Und fahren natürlich. So wie den Lamborghini Sián, hier und jetzt am Gardasee. Eine knapp fünf Meter lange, über zwei Meter breite, aber nur gut einen Meter hohe automobile Skulptur. Eine, die sich schon im Stand zu bewegen scheint, auf jeden Fall wie der Blitz einschlägt. Und Siánsalabim ist sie da, die Brücke. "Sián" steht im Bologneser Dialekt für "Blitz", Lamborghinis Brücke in die Elektrifizierung. In Sant’Agata wollen sie nämlich per schluffigem Atkinson-Downsizer plus bleischwerer Akku-E-Maschinen-Kombo emissions- und emotionsreduziert die Welt retten.

Unsere Highlights

Passionierter Regelbrecher

Ja, klar, deine Mudder … Bevor das passiert, gehen sie in Sant’Agata mittags im Ferrari-Shirt zu Pizza Hut. Bei Lamborghini wird weder Asche gehütet noch ein Flämmchen weitergetragen, sondern so richtig Feuer gemacht. Leben, lieben, lachen. Vorwärts, direkt und mutig. Passend dazu bezeichnet Lamborghini-Technikvorstand Maurizio Reggiani seine Marke als Regelbrecher, Provokateur, die stets eigene Lösungen sucht. Mit Fokus auf Dynamik, Emotion und, ja, Tradition. Womit wir beim mit 819 PS stärksten Straßen-V12 von Lamborghini sind. Gründer Ferruccio (passionierter Ingenieur, Unternehmer und Winzer, der den Laden bereits 1972 wieder verließ) wäre stolz darauf. Und auf seine Leute, die sich mittags in der Corona-improvisierten Kantine treffen, Stühle und Tische lautstark hin- und herrücken, zusammensitzen, ratschen. Laut, bestens gelaunt, lebensfroh.

Lamborghini Sián, Serpentine
Bernhard Filser
Gewusst, wo: mittwochmorgens am Gardasee.

Hier mampft der Trucker seine Pasta neben dem Designchef, der Werker neben Testfahrern und Presseleuten. Flache Hierarchien, kleine Stückzahlen, maximale Beweglichkeit. Und klare Ansagen statt Mail-Verteiler-Ringelpiez. So kommst du zu passenden Lösungen, gern eigenständig. Voilà: Statt einen anämischen Verbrenner mit E-Maschine und dickem Akku zu hybridisieren, packen sie ihrem 785 PS starken 6,5-Liter-V12 eine 25 kW starke 48-Volt-E-Maschine ins Getriebe und stöpseln einen Superkondensator ("Supercap") an, schwerpunktneutral in der Trennwand zwischen Kabine und Motor platziert. Klein, leicht, schnell.

Denn Reggiani sagt: Unser Feind ist das Gewicht. Ergo wiegt der ganze Strom-Zauber nur 34 Kilo extra, leistet der Supercap dreimal so viel wie eine gleich schwere Batterie. Dazu kooperieren die Italiener mit der Universität von Massachusetts, inklusive eigenem Patent. Komprimierte E-Power, die das System ebenso schnell abgibt, wie es rekuperiert – sinnvoll beim ständigen Wechsel zwischen Bremsen und Beschleunigen, egal ob Straße oder Piste.

Power, die da ist, sobald man den Startknopf gedrückt, dem charakteristisch sirrenden Starter gelauscht, Kolben, Titanventilen und Co Gelegenheit gegeben hat, sich warm zu strampeln. Wie schrieb ein US-Automagazin: "Glück ist ein warm gefahrener Lamborghini." Wir unterschreiben und finden das Glück dann so ab 60, 80 Grad Öltemperatur. Wobei – dank der 48-Volt-Kombo rollt der Sián von Beginn an geschmeidiger umher als alle seine mono-thematischen V12-Geschwister, rangiert eleganter und überbrückt Schaltpausen elegant mit exakt gesetzten E-Schüben, speziell bei mittleren Lasten. Dann, wenn sich das Biest durch Torbole und Riva Richtung Gardesana Occidentale warm rangelt. Ohne dass es dabei langweilig würde an Bord von Nummer 0. Exakt jenem Sián in "Verde Gea", der 2019 die IAA-Premiere feierte. Du willst das Interieur am liebsten mit nach Hause nehmen oder einfach nie mehr aussteigen.

Highspeed-Ästhetik – ausverkauft

Griffiges Anilin-Leder (in "Terra di Sant’Agata Bolognese"), Alcantara plus reichlich klarlackiertem CFK mit ein paar Details aus dem 3-D-Drucker: So einfach geht Highspeed- Ästhetik, genossen in haltstarken Schalensitzen, umwölkt von Lederduft, informiert von digitalem Dashboard und vernachlässigbarem Touchscreen. Hier wird nicht lange herumgefummelt, hier packt man zu. Am weit verstellbaren, runden Lenkrad ohne Tastenklimbim oder fummelige Kapazitivflächen etwa. Oder an den fest stehenden Carbon-Schaltsensen links und rechts davon. Man zupft dran, und hinter einem stochert das ISR-Getriebe (Independent Shift Rods – unabhängige Schaltstangen) den nächsten Gang rein. Bei langsamer Fahrt in "Strada" ohne Eile, dafür in einem hör- und spürbaren Prozess. Herrlich analog, auch ohne Runduhren. Wenn Sie wissen, was ich meine.

Lamborghini Sián, Interieur
Bernhard Filser
Griffiges Anilin-Leder (in "Terra di Sant’Agata Bolognese"), Alcantara plus reichlich klarlackiertem CFK mit ein paar Details aus dem 3-D-Drucker.

Und: Jedes der 63 (ausverkauften) Coupés ist anders. "Ad personam" nennen sie bei Lamborghini diese Möglichkeit der individuellen Gestaltung, vom Kunden gern genommen. Nun, bei 2,3 Millionen Euro Grundpreis jetzt nicht soooo überraschend. Wobei der Kunde ohnehin richtig was bekommt für sein Geld. Schon wegen der mechanischen Geräusche. Anderswo soften Kohorten von Ingenieuren Resonanzen, Vibrationen und Auspuffklang weg, hier wird komponiert. Jeder Schaltvorgang, jede Beschleunigung eine Sinfonie, mechanisch. Zu einem frei atmenden V12 passt eben kein verdruckst schaltender Doppelkuppler oder gar Wandlerautomat. In diesem Apparat ist das kompakte, leichte und schnelle ISR mit seiner Solo-Kupplung bestens aufgehoben. Je nach Tempo und Modus betulich oder aber knallhart peitschend in unter 50 Millisekunden, wenn es im Sport- oder Corsa-Modus pressiert.

Tunnel? Vollgas! Scusi …

Lamborghini Sián, Tunnel
Bernhard Filser
Modus Sport, Zweiter voll, Schaltzupfer, Dritter kurz voll. Gas wegnehmen und dem Donnern und Sprotzeln im Nachhall lauschen. Dafür kaufen Menschen Lamborghini.

Und manchmal pressiert’s halt. Als die Polizei einst Firmengründer Ferruccio Lamborghini in einem Miura beim Speeding auf der Landstraße stoppte, hielt er den Beamten den Schlüssel hin und sagte: "Versuchen Sie mal, sich mit diesem Auto ans Tempolimit zu halten." Den Beamten gefiel’s, und er durfte weiterfahren. Okay, wir gehen heute zwischen Malcesine und Limone nicht ans Limit – im Tunnel zünftig durchladen muss aber sein. Modus Sport, Zweiter voll, Schaltzupfer, Dritter kurz voll. Gas wegnehmen und dem Donnern und Sprotzeln im Nachhall lauschen. Heißa! Dafür kaufen Menschen Lamborghini. Mit Zwölfzylinder-Saugmotor.

Du musst nicht in den Siebzigern Formel Eins geguckt haben, um Gänsehaut zu bekommen, ach, Freudentränen freien Lauf zu lassen, aber es hilft. Sobald der mit Titanventilen frisch gemachte Kurzhuber Richtung 9.000/min flammt, die Trommelfelle unter Volllast (des Motors) nicht mehr nachkommen, die Flatter bekommen, den von den Tunnelwänden reflektierten Schallorkan verzerren. Wenn Flimmerhärchen Hände hätten, sie würden sich die Ohren zuhalten, sich flach auf den Gehörgang legen. So aber hämmert der Amboss im Ohr, während der 6,5-Liter im Nacken so viel Luft ansaugt, verdichtet, entflammt und hinten raushaut, wie er kann.

Lamborghini Sián, Motor
Bernhard Filser
Monumentaler V12-Saugmotor mit zart-flauschiger Hybridunterstützung.

Hybrid? Stimmt. Ganz vergessen. Wobei der Stromer nur bis 130 km/h hilft, danach bräuchte er ein Extragetriebe. Geht nicht. Der Feind, wissen Sie. Und ob man bei munteren 785 Verbrenner-PS noch die 34 vom Stromer rausschmeckt, bleibt zweifelhaft. Da unterstützen Supercap und Co den V12 besser in dessen schwachen Momenten und lassen ansonsten der Freude ihren Lauf.

Glück. Nur darum geht es

Gern auch querdynamisch, denn ein steifes Carbonchassis mit Pushrod-Fahrwerk, klebrigen Reifen und Allradantrieb sowie -lenkung kann da allerhand anrichten. Ein überschaubares Gewicht und eine fein applizierte Lenkung schrumpfen den Sián auf serpentinengängiges Maß, der feste Widerstand von Bremse und Lenkung vermittelt viel Gefühl, dank dessen man sich ans Potenzial herantraut – abgesichert von der Regelelektronik. Denn wer will schon diese herrliche Karosse mit Flügel, Diffusor und Hexagonal-Rückleuchten rückwärts in die Felswand knittern? Da hätte das Glück ein Loch. Und nur um das Glück geht es. Siánsalabim!

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