Mercedes EQS 450+
Wirklich eine elektrische S-Klasse?

Mit dem S in der Modellbezeichnung verspricht Mercedes viel: Komfort, Sicherheit, Souveränität. Und was davon löst die neue, elektrisch angetriebene Luxuslimousine ein? Fahrbericht des Basismodells.

Mercedes EQS 450+
Foto: Mercedes-Benz

Sie müssen jetzt ganz stark sein. Ja, genau Sie: Der technikverliebte Kaufinteressent einer Luxuslimousine. Denn eines bietet der EQS im Vergleich zur S-Klasse nicht: Die Instrumenten-Darstellung in 3D-Optik. Und ja, Sie haben Recht: Nichts könnte egaler sein. Denn, bevor der Text hier nun mehrere Schleifen um den heißen Brei dreht: Der EQS fährt fantastisch.

Für diese Erkenntnis braucht’s nicht gleich mehrere hundert Kilometer am Stück. Wobei das tatsächlich ginge, denn das vorläufige Basismodell 450+ (das plus steht für den 107,8 kWh-Akku, eine 90 kWh-Variante folgt), bewies ja bereits, dass eine Ladung für mehr als 680 Kilometer reicht – und das nicht mit Tempo 30 konstant. Ja, sicher, weniger als die 780 km nach WLTP, aber immerhin. Zumal an einer HPC-Säule der EQS mit 200 kW innerhalb von 15 Minuten Strom für weitere 300 km laden können soll.

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Für Selbstfahrer gedacht

Also fahren. Ganz in Ruhe fahren. Denn obwohl der Mercedes – ungewöhnlich in der Luxusklasse – als Schrägheck-Limousine mit großer Heckklappe antritt, herrscht Stille im Innenraum. Klar, wegen des Antriebs! Nicht nur. Sicher, der permanent erregte Synchronmotor an der Hinterachse entwickelt seine 245 kW und 568 Nm ohne Radau, wenngleich unmittelbar, im Modus Sport noch unmittelbarer, da versinkst Du mit mehr Nachdruck in den weich gepolsterten, üppig dimensionierten Sitzen. Um allerdings die möglichen Störfrequenzen zu eliminieren, die aufgrund der Fehlenden Schottwand zum Laderaum auftreten könnten, verordneten die Entwickler unter anderem die Ausschäumung von Hohlräumen in der Karosserie.

Mercedes EQS 450+
Mercedes-Benz
Ja, der EQS ist eine Luxuslimousine. Aber eben auch eine für Selbstfahrer.

Klingt nach einem gewichtigen Automobil? Nun, 2.480 kg soll der 450+ wiegen, über 670 kg entfallen allein auf den Akku. So gesehen geht der Mercedes EQS beinahe schon als Leichtgewicht durch, denn immerhin streckt er sich auf 5,22 Meter, der Radstand beträgt immense 3,21 Meter. Richtig, dementsprechend großzügig fällt das Platzangebot im Fond aus, doch Mercedes will den EQS eher als Selbstfahrer-Auto verstanden wissen. Das erklärt die vergleichsweise direkt ansprechende Lenkung, überrascht dennoch. Weil das Lenkgefühl etwas Unruhe in die Stille bringt. Zumindest, solange bis du dich daran gewöhnt hast. Dauert nicht lange. Und auch dieses sanfte, auf den Punkt abgestimmte, da gerade nicht störende Wogen des Aufbaus, dass die S-Klasse beim Überfahren von Unebenheiten auszeichnet, zeigt der EQS nicht. Seine Karosserie bewegt sich weniger, die optionalen 21-Zoll-Räder des Testwagens (19 Zoll Serie) poltern gar, wenn sich Schlaglöcher vor sie werfen. Ja, kommt auch bei der S-Klasse vor, doch die Anregung versumpert irgendwo im Auto, bevor sie bei den Insassen ankommt. Es bleibt bei einem entfernten Geräusch.

Radstand wie bei der langen S-Klasse

Also federt der Mercedes EQS eine Klasse weniger komfortabel? Nein. Auch hier treffen die Ingenieure den markentypischen, souveränen Fahrcharakter auf den Punkt, nur eben mit einer leicht agileren Ausprägung. Vermutlich hilft es sogar, eine Rädergröße kleiner zu wählen, um den optimalen Federungskomfort herzustellen. Nur zur Erinnerung: Der EQS steht auf einer komplett neuen Fahrzeugarchitektur, die keine Gemeinsamkeiten mit jener der S-Klasse teilt, sondern den großen, zwölfmoduligen Akku (bestückt mit Rund- oder Pouchzellen, um die Lieferfähigkeit zu garantieren) zwischen den Achsen trägt. Daher auch der lange Radstand, der dem der S-Klasse in Langversion entspricht.

Ob der Mercedes EQS damit gut um die Ecken kommt? Allerdings. Das Fahrwerk mit Vierlenker-Vorder- und Fünflenker-Hinterachse, Luftfederung und adaptiven Dämpfern nutzt serienmäßig gelenkte Hinterräder. Der gleichsinnige Lenkwinkel zur Stabilisierung beim hohem Tempo (210 km/h Höchstgeschwindgeit) beträgt bis zu drei Grad, der gegensinnige 4,5 Grad – und gegen Aufpreis 10 Grad. Damit reduziert sich der Wendekreis auf das Niveau von Mittelklasse-Modellen. Sie bestellen ihren EQS lieber erst einmal ohne dieses Feature? Bitteschön, die Aufrüstung kann später online dazugebucht werden, die Hardware ist immer an Bord.

Jedenfalls lässt sich der 450er ziemlich lässig über kurvige Landstraßen scheuchen, die Aufbaubewegungen bleiben auch ohne Wankstabilisierung aufgrund des niedrigen Schwerpunktes in überschaubarem Rahmen. Einzig beim starken Beschleunigen hebt sich der Mercedes vorne sacht aus den Luftfederbälgen, drückt sacht mit dem Heck, verdeutlicht so sein Antriebslayout. Beim Kurvenfahren kannst du ein bisschen Flippern üben, per Lenkradpaddel die Rekuperation variieren (drei Stufen, normal, stark, ohne). Der EQS rekuperiert mit bis zu 290 kW, verzögert dabei mit maximal 5 m/s² (zwei davon über die Radbremsen). Dauert nicht lang, und du schaffst auch längere Bergabpassagen ohne das Bremspedal zu betätigen.

Level 3 autonomes Fahren kommt zum Jahresende

Doch jetzt: Wieder aufs Fahrpedal, die Beschleunigung genießen. Allradantrieb gibt’s nur für den 580er, weil: Zwei Motoren. Einer für die Vorder-, einer für die Hinterachse. Doch schon die Basis reicht, um ultimativen Antriebsluxus zu erleben. Immense Kraft bei gespenstischer Stille. Schafft kein Benzinmotor, einzig großvolumige Selbstzünder schaffen im Luxus-Segment ein eigenständigen, ähnlichen souveränen Antriebscharakter. Na gut, und ein V12-Motor sicher auch. Der wiederum käme erheblich teurer, will sich der EQS 450+ preislich doch eher auf dem Niveau eines S 400d einsortieren, der aktuell bei knapp 109.000 Euro liegt. Genau Preise folgen im August.

Mercedes EQS 580
Mercedes-Benz
Der EQS 580 wird jeweils über einen Motor an der Vorder- und an der Hinterachse angetrieben.

Zum Jahresende soll in der Preisliste auch der sogenannte Drive Pilot auftauchen. Damit kann der EQS nach Level 3 autonom fahren – mit folgenden Einschränkungen: Nur in Deutschland, nur auf Autobahnen, nur bis 60 km/h, nur bei guter Witterung, ohne Spurwechsel. Das immerhin funktioniert ziemlich gut, wie eine Demorunde auf abgesperrter Teststrecke zeigt. Das System meldet sich, wenn es per Lenkradtaste aktiviert werden kann. Dann darf sich der Fahrer vom Straßengeschehen abwenden, mit dem Beifahrer auf dem Bordmonitor Memory spielen oder – ganz verrückt – sich mit den Mitreisenden unterhalten. Dabei registrierst du aber schon aus dem Augenwinkel den Verkehr um dich herum, Autos, die Spuren wechseln, beschleunigen, abbremsen, im Stau plötzlich den Rückwärtsgang einlegen und auf dich zufahren (dann fängt der EQS übrigens an, wild zu hupen). Bei alldem kommen dir 60 km/h gar nicht mehr so langsam vor.

Homologiert ist die Technik übrigens noch nicht, Mercedes zeigt sich zuversichtlich, dass das bald der Fall sein wird. Doch das taten andere auch schon. Also wieder selbst fahren, wo es doch gerade so viel Freude bereitet. Und ja, irgendwie trägt auch das Hyperscreen genannte Armaturenbrett wieder, eine 1,41 Meter breite Glaslandschaft (eine zwei Millimeter dicke, fugenlose Aluminumsillikat-Fläche), in der drei Monitore stecken: 12,3 Zoll-LCD für den Fahrer, 17,7 Zoll zentral, 12,3 Zoll für den Beifahrer, die beiden letzteren in OLED-Technik. Die Bedienphilosophie orientiert sich an den gängigen Mercedes-Modellen, die Menüführung ist also weitgehend logisch, die Ablesbarkeit insgesamt sehr gut. 3D-Effekte? Braucht’s also nicht. Lieber den 3D-Effekt der Landschaft in der Windschutzscheibe genießen.

Umfrage
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Fazit

So fantastisch moderne Verbrennungsmotoren auch sind: Die Kombination aus explosiver Kraft und größtmöglicher Ruhe im Mercedes EQS begeistert, bereits in der Basisversion. Dazu ein insgesamt hoher Federungskomfort, wenngleich nicht unbedingt mit den optionalen 21-Zoll-Rädern. Das Handling begeistert ebenfalls. Natürlich wird der EQS ein Privileg für wenige Autokäufer sein, und ob eine Elektro-Limousine diese Kalibers ökologisch Sinn ergibt, muss gesondert diskutiert werden.