Mercedes SLS AMG E-Cell im Fahrbericht
Mercedes Elektro-Flügeltürer auf Speed

Der Mercedes SLS AMG E-Cell soll Ende 2012 serienreif sein. Damit ist Elektrifizierung bei den Supersportwagen angekommen: Vier Elektromotoren sorgen im Flügeltürer für dragsterartige Beschleunigung. auto motor und sport  ist den Elektro-Supersportler bereits gefahren.

Mercedes SLS AMG E-Cell
Foto: Dirk Weyenmeier

Es fehlt der Herold der schieren Gewalt als Einstimmung auf den längsdynamischen Ausnahmezustand. Kein bellender Motor, kein pulsierender Antriebsstrang. Aus dem Nichts heraus bricht surrealer Vortrieb über die Passagiere herein. 

Elektro-Flügeltürer sorgt für Sinnesrauschen

Der Mercedes SLS AMG E-Cell reißt sie mit schlagartig einsetzenden 880 Nm aus der Ruheposition – nur mit der Kraft seiner drei Batterieblöcke. Noch ist unser es ein Entwicklungsfahrzeug, das marktschreierisch lackiert wurde. Das Knallgelb mit Neon-Stich signalisiert: Seht her, wenn ihr mich schon kaum hört. Zu Recht weist die Performance-Abteilung von Mercedes auf ihren politisch korrekten Superlativ hin; obwohl erst für Ende 2012 projektiert, ist der Mercedes SLS AMG E-Cell im Fahrbericht schon nahezu ohne Einschränkung fahrbereit – bis in den Bereich von 200 km/h und dank Zulassung sogar auf öffentlicher Straße.

Dort sorgen die Zwischenspurts beim Überholen für kurzzeitiges Sinnesrauschen: Das Ein- und Ausscheren wird zu einer flüssigen Lenkbewegung. Was dazwischen passiert? Ein Zeitsprung: zu schnell zum Realisieren.

Mercedes SLS AMG E-Cell mit neuem Schnellladeverfahren

Den Elektro-Flügeltürer präsentiert Mercedes in Norwegen. Hier zapft er Ökostrom, gewonnen aus Wind- und Wasserkraft. An der Haushaltssteckdose würde das Nachladen der Akku-Zellen etwa acht Stunden dauern (20 bis 80 Prozent). Für die Präsentation kürzen die Ingenieure den Vorgang drastisch ab, verheimlichen das Verfahren aber noch – es soll später eventuell als Teil des Gesamtpakets den Kunden zur Verfügung gestellt werden.

Die Energiespeicher des Mercedes SLS AMG E-Cell liegen zu je zwei Blöcken quer an der Spritzwand, an Stelle des Kraftstofftanks und längs im Mitteltunnel. So verteilt sich das Gewicht in unserem Fahrberichtsmodell paritätisch über die Achsen, und der Schwerpunkt liegt 23 Millimeter tiefer als beim Verbrennungs-SLS. Zum Teil soll das den dynamischen Nachteil des 300 Kilogramm schweren Ballasts ausgleichen.

Höhere Fahrdynamik dank Torque Vectoring

Beim Elektro-Flügeltürer sitzen je zwei Elektromotoren an jeder Achse, knapp hinter den Antriebswellen, und übertragen ihre Kraft paarweise via gesplittetes Getriebe. Ein mechanisches Differenzial gibt es nicht. So verfügt jedes Rad über seinen eigenen Antrieb, was aber im Gegensatz zum Radnabenmotor die ungefederten Massen nicht erhöht.

Für die Serienversion des Mercedes SLS AMG E-Cell ist zusätzlich Torque Vectoring geplant. Dabei wird das Antriebsmoment so an einzelne Räder verteilt, dass es den SLS über eine Drehbewegung in Kurven zwingt – in der Wirkweise effektiver als ESP, das rutschende oder durchdrehende Räder abbremst.

Flügeltürer mit E-Antrieb stürmt mächtig los

Der SLS AMG E-Cell-Versuchsträger ist im Fahrbericht nur mit Fahrdynamik-, aber ohne Traktionskontrolle unterwegs. Deshalb verlieren die breiten Gummis beim Volllast-Start auf dem niedertemperierten Asphalt kurz die Fassung. Der schwummerige Kopf und der flaue Magen deuten schon mal an, dass das brutale Vortriebs-Moment in sommerweichem Teer Riefen hinterlassen dürfte.

Nach dem idealen Sprint auf Tempo 100 würde die Stoppuhr vier Sekunden anzeigen; der Verbrennungs-SLS AMG mit 420 statt 392 kW, aber weniger Drehmoment (650 Nm), schaffte das bei auto motor und sport im Test ein Zehntel schneller, was nichts über das Beschleunigungs-Gefühl aussagt. Beim Verbrennungsmotor baut es sich erst auf, während es beim Mercedes SLS AMG E-Cell im Fahrbericht wie ein Blitz einschlägt. Die etwas schlechtere Zeit resultiert aus dem höheren Fahrzeuggewicht.

Dem Bedienen des Elektro-SLS selbst geht jegliche Dramatik ab. Der erste Knopfdruck auf den Starter erweckt das System, ein zweiter auf D entriegelt die Parksperre und bestromt die Umrichter. Noch immer herrscht Stille. Erst wenn sich der Mercedes SLS AMG E-Cell in Bewegung setzt, summt er turbinenartig. Dann kommt das Prasseln aufgewirbelter Steinchen dazu, gefolgt vom Wummern der Reifen und Rauschen des Fahrtwindes. Dieser Sound ist mehr als gewöhnungsbedürftig – man schwankt zwischen Faszination und akustischer Langeweile.

E-Flügeltürer soll bis zu 200 Kilometer schaffen

Im Elektro-Flügeltürer gibt es wie bei den anderen AMG einen vierstufigen Charakter-Wählhebel. C etwa steht für den Citymode mit reduzierter Leistung und weicher Gaspedal-Kennung. Damit soll die Reichweite etwa 200 Kilometer betragen; sie ist noch immer von der Speicherkapazität der Batterien limitiert. Auf der anderen Seite repräsentiert M den Überlandmodus. Die E-Motoren stehen voll im Saft, reagieren im Fahrbericht bereits auf kleine Modulationen des rechten Fußes mit gigantischer Beschleunigung.

Die Entschleunigung übernehmen die Keramik-Bremsscheiben oder aber die vier Elektromotoren – diesmal im Rekuperations-Modus. Dabei funktionieren sie als Strom-Generatoren. Das fühlt sich wie eine Motor-Bremse an, wobei der Fahrer über die beiden Lenkrad-Paddel vier Stärken anwählen kann; grüne Balken im Zentral-Display zeigen den Modus an, die Zahl im rechten virtuellen Rundinstrument verdeutlicht den Ladezustand der Batterien in Prozent.

Wer im Mercedes SLS AMG E-Cell fleißig rekuperiert, erhöht seine Reichweite. Doch die weitaus größere Faszination vermittelt das Gegenteil: wenn sich gespeicherter Strom in absolutistischer Kraft entlädt und den wuchtigen Flügeltürer scheinbar masselos werden lässt. Damit bricht der E-SLS das Urprinzip des Verbrennungs-Triebwerks als effektivstes Mittel des Vortriebs auf und eröffnet als elektrisch angetriebener Supersportwagen eine neue Dimension der ballistischen Fortbewegung – man wird eher abgeschossen als beschleunigt. Das könnte sogar den Verlust des Motor-Sounds verschmerzbar machen.

Elektroantrieb passt mit geringen Veränderungen in den SLS

Der Mercedes SLS AMG ist bereits als Elektroversion konzipiert; im Wesentlichen musste nur die Vorderachse umkonstruiert werden. Weil zwei Antriebswellen hinzukamen, werden die Federbeine über Schubstangen angelenkt (Pushrod). Die Lithium-Ionen-Batterien (Nennkapazität: 40 Ah bei 400 Volt, Energiegehalt: 48 kWh) verteilen sich in drei Blöcken (1,2 und 3) übers Auto – der Kofferraum bleibt voll erhalten, wichtig für die Alltagstauglichkeit.

Im Mercedes SLS AMG E-Cell befindet sich an Stelle des 6,2-Liter-V8 die Leistungselektronik unter der Fronthaube. Wie beim Verbrennungsmotor sorgen Kühler für die richtige Thermik, im Winter bringen dagegen Heizelemente die Batterien auf Betriebstemperatur (zwischen 20 und 40 Grad Celsius). An jeder Achse sitzen zwei Elektromotoren (Systemleistung: 392 kW, maximale Drehzahl: 12 000/min) sowie ein gesplittetes Getriebe. Mit nur einem Gang ist der SLS auf 260 km/h übersetzt.


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