Rimac Nevera
1,97 Sekunden bis 100 km/h – macht das bewusstlos?

Rimac baut den Nevera, der schnell ist wie ein Bugatti, aber elektrisch. Wir konnten das zwei Millionen Euro teure E-Hypercar testen. Ob es den Standardsprint wirklich in knapp 2 Sekunden schafft? Und wie driftet ein Allradler mit vier Motoren?

Es ist einer dieser Tage, wo alles ganz schnell gehen muss, bei dem du zu Beginn nicht weißt, was am Ende eigentlich passiert: Die Presse-Agentur, welche für Rimac Kontakte in Deutschland pflegt, ruft am Montag an: "Habt ihr Lust am Freitag den Nevera zu fahren? Ein Kunde ist für eine Testfahrt abgesprungen. Ihr müsstet euch jetzt entscheiden." Lust? Wir sind völlig aus dem Häuschen. Wer nicht, ist schon tot.

Allein einmal in so einem Auto zu sitzen ist heute kaum mehr vorstellbar. Denn Messen, auf denen solche Autos mal standen, wie der Automobilsalon in Genf, gibt es nicht mehr und im Zweifel gehen Fahrzeugen im Preissegment über 500.000 Euro die möglichen Kunden vor – und beim Rimac Nevera sprechen wir von mindestens 2.000.000 Euro.

Unsere Highlights

Versicherung tut Not

Was jetzt tun? Erstmal die Versicherung anrufen, ob das passt. Passt! "Aber bitte trotzdem vorsichtig sein!" Dann den Kameramann blocken. "Philipp, wir könnten am Donnerstagabend nach Zagreb fliegen, um am Freitag ein Auto mit 1.900 PS zu fahren." Stille. "Ich bin an den Tagen schon voll", sagt er. "Warte mal, wie viel PS?!" Über 1.900, sage ich ihm noch einmal. Dabei muss ich schon grinsen, weil ich weiß, dass er, was auch immer in seinem Dienstplan steht, auf jeden Fall verschieben wird. Philipp lacht laut: "Na dann! Bin dabei".

Je näher der Termin kommt, desto mehr wünsche ich mir Philipps spontane Entscheidungsfreudigkeit zurück: Mir wird mulmig: Der Nevera ist ein Hypercar. Also nicht irgendein Supersportwagen mit knapp vierstelligen Leistungswerten. Diese Flunder hat fast 2.000 PS und mit 2.360 Newtonmetern das Drehmoment eines Lkw. Nur, dass der Nevera circa 36 Tonnen weniger wiegt. Die Bedeutung des Wortes Nevera beruhigt mich nicht. Denn damit bezeichnen die Kroaten einen gewaltigen Küstensturm, der urplötzlich aufkommt, heftigen Regen und starken Wind über das Land drischt – und sich dann plötzlich in Luft auflöst.

Lächerliche Beschleunigung – kann man das überleben?

Ein Gedanke lässt mich nicht los: Was ist, wenn ich ohnmächtig werde?? Ich meine das ernst. Es war damals meine erste Launch-Control Beschleunigung in einem Porsche 911 Turbo S der Baureihe 991.2. Ich war allein im Auto, sollte den Wagen für eine Filmaufnahme der 0-100 km/h Zeit beschleunigen. Kollege Alexander Bloch stand grinsend draußen, wohl wissend, was gleich passieren wird. Der Boxer dreht auf 5.000, ich lasse die Bremse los, ab da fühle ich mich, als ob mir jemand schlagartig mein eigenes Körpergewicht entgegenwirft und ich mit aller Kraft dagegen ankämpfen muss, um keinen Blackout zu bekommen. Das waren 2,8 Sekunden.

Und zuvor: Ein Gespräch mit Mate Rimac

Im Datenblatt steht eine Zeit, die fast eine Sekunde kürzer ist – 1,97 Sekunden soll der Rimac von 0 auf 100 km/h brauchen. Ich rufe Alex Bloch an: Können wir gleich noch das kleine blaue Messgerät bei dir abholen? Klar!

Es ist Freitag. Philipp und ich stehen vor einem ehemaligen Bauhaus-Baumarkt in einem Industriegebiet vor den Toren Zagrebs, den Rimac zur Zentrale umgebaut hat. Marta kommt auf uns zu. "Ich freue mich, euch kennenzulernen, aber wir haben nicht viel Zeit, denn ich habe es geschafft Mate für euch freizuschaufeln, aber ihr habt nur zehn Minuten, dann muss er weiter."

Wir treffen also tatsächlich Mate Rimac, den Firmengründer und Treiber hinter der Marke. Das kommt unerwartet. Mate ist Baujahr 1988 und erzählt die allein schon filmreife Geschichte, von der Garage, in der alles angefangen hat, den finanziellen Tiefpunkten und der drohenden Insolvenz, bis zum Wendepunkt und Investoren, die an seine Idee geglaubt haben. Es wirkt unwirklich, mit welcher Aufopferung er für seine Idee gekämpft haben muss – heute steht an der Spitze zweier Technologie-Unternehmen. Rimac Technology, das zu einem der Zulieferer im Bereich E-Antrieb für Firmen wie Aston Martin, Koenigsegg oder Porsche geworden ist und Bugatti Rimac, der Firma, die es sich auf die Fahne geschrieben hat, elektrifizierte Hochleistungssportwagen zu bauen. Dabei gehören Rimac mittlerweile 55 % von Bugatti und zukünftige Modelle werden in Zagreb mit entwickelt.

Rimac Nevera – so einfach zu fahren wie ein VW Golf

Die zehn Minuten sind um. Marta begleitet uns nach draußen, wo während des Interviews der Nevera für uns bereitgestellt wurde. Dunkles Silber, goldene Felgen, das Auto geht mir ungefähr bis zur Hüfte. Meine Mundwinkel machen sich auf den Weg der Schwerkraft zu trotzen und ein breites Grinsen überkommt mich in diesem Moment. Philipp und ich tauschen ungläubige Blicke aus. Marta sagt, dass wir einfach loslegen können, wenn wir schon Kameras einbauen wollen, danach fahren wir zur Teststrecke. Als ich die Fahrertür öffne, wird klar, warum Berührungsängste unbegründet sind: Anders als bei manch anderem Hypercars hat man hier nicht den Eindruck etwas beschädigen zu können, wenn man irgendeinen verchromten Kippschalter nur falsch anschaut. Rimac hat es fertiggebracht, ein Interieur zu entwerfen, das so unspektakulär wie wertig wirkt: Die Materialanmutung erinnert an Porsche. Alcantara, zwei Bildschirme, drei Drehregler und ein paar Kippschalter. Alles hochwertig, aber nichts wovor man sich fürchten muss. Sympathisch!

Rimac Nevera Innenansicht Cockpit
Philipp Moy
Wer hier sitzt, hat die Macht über 1.900 PS.

Dieses Muster setzt sich fort. Mit dem Tritt auf die Bremse erwacht das Auto zum Leben, zumindest optisch. Links vom Lenkrad sitzt der Regler für die Fahrstufen, ich drehe auf D – und fahre einfach los. Das Clevere am Nevera ist die Regelbarkeit der 4 Antriebsmotoren. Die Rimac-eigene Software macht aus den 1.900 PS extrem unterschiedliche Fahrgefühle. Im Cruise-Modus bewegt sich der Nevera wie ein Porsche 911 im Normal-Modus – nur ruhiger: Überraschend guter Fahrkomfort, eine präzise, aber nicht zu spitze Lenkung und eine hervorragend dosierbare Stromannahme.

Erst der Track-Modus lässt alle Pferde frei

Erst als wir auf dem Testgelände ankommen, ändert sich das mit dem Drehen am Fahrmodusregler. Der Track-Modus lässt 100 Prozent der möglichen Kraft an alle vier Räder, das Fahrpedal wird zum Herrscher über brachiale G-Kräfte. Aber wird das Auto für den Normalverbraucher damit unbeherrschbar?

Mitnichten. Denn die Ansteuerung der vier Räder geschieht so geschickt, dass ich in 180 Grad Kehren beispielsweise, bewusst, viel zu früh voll aufs Fahrpedal treten kann und das Auto aus dem völlig unsinnigen Befehl eine gleichmäßige Durchfahrt macht und das mit der für den Radius der Kurve maximalen Geschwindigkeit. Bei eingeschaltetem Stabilitätsprogramm wirkt das PS-Monster narrensicher, ohne einen einzubremsen. Im Gegenteil: Es macht mich sogar schneller. Das hat mich völlig umgehauen.

Maximale Beschleunigung: Simpel in der Bedienung, schwer zu erreichen

Womit ich zum letzten offenen Thema komme – der Beschleunigung. Der kleine blaue Kasten von Alex Bloch hängt in der Scheibe, Entwickler Mito erläutert mir die denkbar einfache Startprozedur: kein spezieller Modus, kein Deepdive ins Menü, kein ESP aus, keine bestimmte Drehzahl. Egal in welchem Modus heißt es nur: Linker Fuß Bremse, rechter Fuß Gas, Bremse loslassen. Und dann nicht ohnmächtig werden.

Wie beim Turbo S fühlt es sich beim ersten Mal an. Und die Zeit? Identisch. 2,8 Sekunden. Weil: Wir haben 15 Grad und kalte Reifen. Die Außentemperatur können wir nicht ändern, die Reifentemperatur schon. Weil wir nur noch 8 Minuten mit dem Auto haben, übernimmt Mito das Steuer. Er ist nicht nur Entwickler, sondern auch kroatischer Driftchampion.

Driften ohne Gebrüll

Driften in einem E-Auto ist skurril. Denn die Referenz zum Motorgeräusch fehlt vollkommen. Das Auto bricht eben einfach aus, denke ich und das flüsterleise. Mito hat das alles unter Kontrolle und übergibt mir wieder das Steuer. Ich bin allein, Bremse, Gas, kurz innehalten. Mein linker Fuß schnellt von der Bremse, mein Kopf rastet in der Kopfstütze ein, ich mache Pressatmung, um am Leben zu bleiben, 100 km/h. 2,48 Sekunden sind vergangen. Ich bin erschöpft, glücklich und enttäuscht zugleich, obwohl ich es eigentlich wusste: 1,97 Sekunden, das kann aus dem Stand nur unter wirklich günstigen Umständen funktionieren. Kollege Bloch kann das wunderbar erklären; kurz gesagt, sind die Reifen heute der limitierende Faktor. Dazu kommt, dass die 1,97 Sekunden mit rollendem Start gemessen wurden.

Dennoch kann ich meine Begeisterung für dieses technische Meisterstück nicht verbergen. Denn fast alle Gewerke, die es zum Bau eines Autos braucht, sitzen in einem alten Bauhaus-Baumarkt in Zagreb und die Kollegen zimmern dort ein Auto zusammen, das vor Gehirnschmalz nur so trieft und das zeigt, dass die Faszination E-Auto mehr Wurzeln haben kann als Geräuscharmut und CO₂-Einsparung.

Umfrage
Wird Rimac die besseren Bugatti bauen?
15170 Mal abgestimmt
Ja, Rimac ist modern und innovativ!Nein, Bugatti verliert an Exklusivität!

Fazit

Die Faszination Nevera geht nicht von der Beschleunigungszeit aus. Sie geht von der schieren Macht dieses Fahrzeugs aus. Das Gefühl, wenn 2.360 Newtonmeter auf dich losgelassen werden in Verbindung mit der technischen Raffinesse, mit welcher das Team um Mate Rimac den Hyper-Sportler steuert und eigentlich zu einem narrensicheren Auto macht.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten