Fahrbericht VW Sedric
Unterwegs im autonomen Elektro-Auto

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2017 zeigte VW auf dem Genfer Autosalon mit der Studie Sedric, ein nach Level 5 autonom fahrendes Auto. Seitdem haben die Ingenieure fleißig weiterentwickelt. Im Juni 2018 konnte sich auto motor und sport erstmals im Sedric fahren lassen.

Unterwegs im autonomen Elektro-Auto
Foto: Volkswagen

Wirklich neu ist Volkswagens Level 5-Studie Sedric nicht mehr. Über ein Jahr musste vergehen, bis VW zum Fahrtermin einlädt – ein besonderes Erlebnis verspricht die Fahrt dennoch: Einen Ausflug in die Zukunft, schließlich wird noch einige Zeit vergehen, bis es autonom fahrende Fahrzeuge auf die Straße schaffen. Für die erste Mitfahrt wurden wir auf das rund elf Hektar große VW-Testgelände in Ehra-Lessien bestellt, das von dichtem Wald und Stacheldrahtzaun umringt, normalerweise striktes Sperrgebiet für Journalisten ist. Hier soll Sedric heute auf der großen Asphaltfläche die mit zahllosen Pylonen abgesteckt wurde, seine Chauffeurqualitäten unter Beweis stellen.

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Selbstfahrende Kabine: VW Sedric.

Sedric fährt vor

Und die können sich schon sehen lassen, bevor es überhaupt richtig losgeht. Denn anstatt wie üblich selbst zum Testwagen zu laufen, fährt Sedric nach einem einfachen Tastendruck auf der App selbstständig zu uns rüber, öffnet seine zwei Türen und bittet herein. Nachdem wir im 2+2-Sitzer Platz genommen und die Gurte angelegt haben, muss nur noch die Go-Taste zwischen den beiden Hauptsitzen gedrückt werden und schon geht es los. Unübersehbar wird vor uns auf dem transparenten Screen der sogenannte Bahn-Pilot eingeblendet. Er zeigt sehr eindrücklich wie Sedric völlig autonom seinen Weg durch den abgesteckten Kurs findet. Rechtskurven, Linkskurven, gerade Strecken: Alles kein Problem für das Level 5-Auto.

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Leichter Einstieg: Die Schiebetüren des VW Sedric öffen weit, das Fahrzeug liegt tief.

Fährt schon fast menschlich

Alle Hütchen, die die Sensoren auf dem Dach sowie an Front und Heck von Sedric wahrnehmen, werden als kleine rote Punkte dargestellt, die rote Linie zeigt die zu fahrende Route an. Die Grüne, eine Art Ideallinie gibt an wie sich das Fahrzeug sich tatsächlich bewegt und das weiße Band darüber gibt Aufschluss über die Geschwindigkeit. Je nach höher das Band, desto schneller – heute aber maximal Tempo 30. Ideallinie beim autonomen Fahren? Ja, so ähnlich. Der futuristische Kasten ist freilich kein Sportgerät und definiert das Wort Ideallinie daher etwas anders als üblich. Statt die Kurven genau mittig oder sportlich am Scheitel anzupeilen, fährt Sedric menschlicher und holt vor Kurven etwas aus, damit größere Radien gefahren werden können. Das erhöht den Komfort für die Passagiere.

Fasziniert von der ständigen Neuberechnung und Anpassung der Route und wie akkurat die Technik zu funktionieren scheint, fällt die anfängliche Anspannung schon nach wenigen Sekunden ab. Wir lassen uns tiefer in die breiten blauen Polster fallen und nutzen die kurze Fahrt, um den Innenraum zu inspizieren. Seit der Vorstellung des Ur-Sedric in Genf 2017 wurden mehrere Varianten gezeigt. Es ist vergleichsweise nüchtern, aber durchaus stylisch eingerichtet. Der Himmel ist mit schwarzgrauem Filz ausgekleidet, Boden und Türpaneele sind aus Kork. Dazwischen liegen die großen, abgedunkelten Scheiben, die einen großzügigen Rundumblick für alle Insassen ermöglichen. Insgesamt ein sehr wohnliches Ambiente, in dem man durchaus Zeit verbringen möchte, selbst wenn die Sitze der Studie nicht auf allen Plätzen besonders bequem sind.

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Redakteur Luca Leicht lässt sich vom Sedric entspannt über einen Testparcours chauffieren.

Wie schon eingangs geschildert, handelt es sich bei Sedric um einen 2+2-Sitzer. Das heißt, es gibt nur zwei vollwertige Sitze. Gegenüber von ihnen sind zwei deutlich einfachere Klappsitze angebracht, auf denen man mit dem Rücken zur Fahrtrichtung unterwegs ist. Da kommt S-Bahn-Feeling auf. Der unschlagbare Vorteil am VW-Konzept: Sedric bringt seine Insassen nicht zu irgendeiner Haltestelle, sondern lässt sie genau dort aussteigen, wo sie hin möchten. In unserem Fall ist das Ziel leider sehr nah und schon nach wenigen Minuten erreicht und wir sind zurück aus der Zukunft. Schade eigentlich, oft wird man schließlich nicht dorthin eingeladen.

Genf 2018: Sedric als Schulbus

Ein Jahr nach der Premiere des Sedric auf dem Genfer Automobilsalon 2017 zeigt die Marke eine weitere Variante des self driving car. Die vierte Version nach dem Ur-Sedric und den Varianten 42 sowie Nightlife ist als Schulbus gestaltet. Er soll der jungen Generation ein „Fahrerlebnis ohne Fahrerlaubnis“ bieten, wie VW erklärt.

Von den anderen Sedric unterscheidet sich das neuste Modell mit einer schwarz-gelben Lackierung außen und mit Stickern beklebten Aluminiumkisten als Basis für zwei der vier Sitzplätze. In die Frontscheibe ist ein OLED-Bildschirm integriert, der die mitfahrenden Schüler unterhalten oder über die Umgebung informieren kann. Anfordern können die Schüler den Sedric auf Knopfdruck. Er kommt dann selbstständig angefahren und fährt autonom zur Schule. Pedale und Lenkrad hat Sedric nicht, er fährt auf Level 5 autonom.

MEB als Basis für den Sedric

Für das Design hat die neue Technologie dramatische Auswirkungen. Sedric unterscheidet sich schon außen erheblich von einem Golf oder Polo: Eine Motorhaube gibt es nicht, die Räder sitzen ganz außen und sind abgedeckt. Auf dem Dach, an Front und Heck sind Kameras und Sensoren angebracht. Am ehesten erinnert das Design noch an den VW Bus.

Und weil Sedric auf dem modularen Elektrobaukasten (MEB) basiert, gleicht er mehr noch dem I.D. Buzz. Denn wie bei dem sitzt im Unterboden zwischen den Achsen das Batteriemodul, die Elektromotoren sind in der Nähe der Räder untergebracht. Und wie beim I.D. Buzz hat das einen positiven Einfluss auf das Platzangebot innen.

Ein Wohnzimmer für vier Passagiere

Mit einem Radstand, der nicht viel länger ist als der eines Up, wird aus Sedric eine regelrechte Lounge für Vier. Über eine zweiteilige Tür können die Passagiere sehr einfach ein- und aussteigen. Gepäck können sie einfach mit in den Innenraum nehmen. Die Sitzplätze sind paarweise gegenüber angeordnet, wobei im Concept Car nur die richtig bequem sind, die in Fahrtrichtung blicken.

Bei den anderen sind die Sitzflächen hochkappbar und etwas spärlich gepolstert. Zwischen den besseren Sitzen sind die einzigen Bedienknöpfe von Sedric platziert: Sie sind mit „Stop“, „Go“, und „Call“ beschriftet. „Das einfachste HMI (Human Machine Interface), das man sich vorstellen kann“, sagt Johann Jungwirth, seit 2015 Chief Digital Officer von Volkswagen.

VW-Chef Müller: Sedric wird zur Familie

Zur IAA 2017 hatte Konzernchef Matthias Müller versprochen, dass der Sedric nur der Beginn einer ganzen Familie an selbstfahrenden Autos sein soll – von vollautonomen Fahrzeugen für die Stadt über luxuriöse Langstreckenmobilität und spektakuläre Sportwagen bis zu selbstfahrenden Stadtlieferwagen und schweren Lkw.

Volkswagen - Sedric - IAA - Studie - 2017
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So stellt sich VW den Sedric in Form eines LKW vor. Weitere Varianten zeigen wir in der Galerie.

Die Zukunft von Volkswagen gibt die Strategie „Together“ vor. Sie soll den VW-Konzern vom Automobilhersteller zum Mobilitätsdienstleister machen, mehrere Milliarden will VW laut Müller in den nächsten Jahren in diese Entwicklung investieren. Die Studie Sedric ist nur der erste Schritt. Sie soll ein „konkreter Ausblick für automatisiertes Fahren der höchsten Stufe (Level 5) sein.

Level 5 heißt, der Sedric hat weder Pedale noch Lenkrad, er fährt völlig allein. Zum Beispiel zu seinem Besitzer, um ihn abzuholen. Dazu soll der Nutzer lediglich einen Knopf drücken müssen, den so genannten “One-Button„, ein kleines Gerät, das etwa so aussieht wie ein iPod-Shuffle. Der “One-Button„ trägt eine SIM-Karte, die ihm erlaubt, mit Sedric zu kommunizieren.

VW Sedric – nicht für jedermann, aber zum Teilen

Die Volkswagen-Manager sind sich sicher, dass die ersten selbstfahrenden Fahrzeuge bereits ab 2021 auf den Straßen der großen Metropolen zu sehen sein werden. Man erwartet eine exponentielle Entwicklung, die weltweit stattfinden wird. Zwar will sich VW vorstellen, dass Sedric auch ein Auto zum Kaufen ist, aber vor allem soll er ein Auto zum Teilen sein. Wer unterwegs ist, kann auch in einer fremden Stadt ein “Shared Mobility„-Fahrzeug über das Bedienelement anfordern.

Der Sedric muss dabei nicht von VW sein, sondern kann auch das Label einer anderen Konzernmarke tragen. So könnte Sedric Basis eines ganzen Mobilitätssystems sein: Car Sharing wie es von Car2Go bekannt ist, Ride Sharing also digital organisierte Mitfahrzentralen, oder taxiartige Mobilitätsdienstleistungen – das alles würde mit Sedric möglich.

Volkswagen - Sedric - IAA - Studie - 2017
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Ein Fahrgastraum wie ein Wohnzimmer: VW Sedric innen.

Und mal ehrlich: Ein Car2Go, das selbst fährt, könnte nach dem Kneipenbesuch ja auch ganz nützlich sein. Weil es keine Eingriffsmöglichkeit mehr gibt, sollen das Fahrzeug sogar Menschen ohne Führerschein nutzen können. Sie fordern das Fahrzeug über den One-Button an, der zum Beispiel die Ankunftszeit per farbiger Anzeige ankündigt oder mit Vibrationssignalen blinde Menschen zum Fahrzeug führt. Und auch wer ein solches Auto zur privaten Nutzung gekauft hat, profitiert von den Selbstfahrfähigkeiten. Anders als heutige Autos kann dieses Fahrzeug dann selbstständig Einkaufen fahren oder Besuch vom Bahnhof abholen.

Sedric auf der IAA 2017

Im Gegensatz zur mattsilbernen Ur-Sedric-Version, die 2017 in Genf vorgestellt wurde, trägt die IAA-Variante eine Lackierung in Anthrazit Seidenglanz. Das soll dem autonomen Gefährt eine “warme Anmutung„ verleihen. Vertikale Streifen und die Nummerierung stellen laut VW einen augenzwinkerndern Hinweis auf die Möglichkeiten zur Individualisierung dar.

Volkswagen - Sedric - IAA - Studie - 2017
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In Genf waren die Klappsitze noch schwarz, auf der IAA sind sie rot.

Während der Innenraum des Ur-Modells noch mit Bambus-Parkett belegt war, ist die IAA-Variante deutlich funktioneller eingerichtet. Grauer Stoff und Filz statt exotischem Birkenleder soll eine Wohnzimmer-Atmosphäre erzeugen. An der Vorderseite befindet sich ein großer, halbtransparenter OLED-Bildschirm, der mit Hilfe von Augmented Reality unterhält und informiert, über die Route zum Beispiel. Nach vorne rausschauen kann man durch diesen Bildschirm trotzdem noch.

Seit der ersten Vorstellung in Genf 2017 haben die Ingenieure vor allem an der Technik unter dem ungewöhnlichen Blechkleid gearbeitet. Die Umfelderkennung mit Kameras, 360-Grad-Lidar-Sensoren, Long- und Short-Distance-Radar sowie Ultraschall-Sensoren ist einer der wichtigsten Entwicklungsbereiche. Dazu kommt die Hard- und Software-Architektur zur Datenverarbeitung und die Fahrzeugsteuerung mit einem leistungsstarken Großrechner und intelligenter Software, welche den Menschen als Fahrer ersetzt.