Taktikcheck GP Brasilien 2022
Finger weg vom Medium-Reifen

GP Brasilien 2022

Mercedes hat den GP Brasilien zwei Mal aus eigener Kraft gewonnen. Im Sprint und im Hauptrennen. Und doch half Red Bull mit. Max Verstappen durch seinen Crash mit Lewis Hamilton, und die Ingenieure mit der falschen Abstimmung und der falschen Reifenwahl.

George Russell - GP Brasilien 2022
Foto: xpb

Endlich ein Mercedes-Sieg. Und noch nicht einmal ein geschenkter. Red Bull hat es Mercedes nur einfacher gemacht. Zum ersten Mal seit dem GP Österreich fanden Ingenieure und Fahrer nicht das optimale Setup. Den Red Bull war das Untersteuern in Sao Paulo nicht auszutreiben. Das ruinierte zuerst die Vorderreifen und schwächte in der Folge auch das Heck. Ferrari kennt das Spiel seit der Sommerpause: Wenn die Balance des Autos mal aus dem Gleichgewicht ist, leiden die Reifen.

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Die Sektorzeiten erzählten die ganze Geschichte. Red Bull konnte seinen Top-Speed-Vorteil in Brasilien nicht so ausspielen wie sonst. Bei einer ähnlichen Flügelanstellung wie Mercedes und Ferrari betrug das Delta nur fünf statt wie üblich 10 km/h. Und die RB18 waren zu langsam in den acht Kurven des Mittelsektors. Das machte sie verwundbar in der Verteidigung und flügellahm beim Angriff auf der langen Zielgerade.

Die perfekte Reifenfolge: soft-medium-soft

Dazu kam die Reifenwahl. Mercedes hatte in Austin und Mexiko jeweils in die falsche Kiste gegriffen. Diesmal machten die Ingenieure alles richtig und die Gegner ziemlich viel falsch. Im ersten Training am Freitag war noch nicht so eindeutig zu sehen, wie die Reifen unter Rennbedingungen funktionieren würden. Die Strecke war zu grün, um Rückschlüsse zu ziehen.

Der Groschen fiel im so ungeliebten zweiten Training am Samstagmittag, gaben die Ingenieure zu. "Wir haben in das zweite Training viel Arbeit investiert, um die Reifen besser zu verstehen. Der Soft war trotz der heißesten Bedingungen am ganzen Wochenende großartig, der Medium dagegen deutlich schlechter. Er hat dir die Balance zerstört, weil die Vorderachse so schwach war. Siehe Verstappen. Das Untersteuern hat ihn gekillt. Da war klar: Je kühler es wird, desto mehr werden die Medium-Reifen leiden. Das ist Red Bull mit Verstappen im Sprint und mit Perez am Ende des Rennens passiert. Unsere Lehre daraus: Finger weg von den Medium-Reifen."

Damit war in Stein gemeißelt: Dieses Rennen wird nur mit der Reihenfolge soft-medium-soft gewonnen. Wobei der Mittelstint auf dem Medium-Gummis so kurz wie möglich ausfallen sollte. "Das hat einen langen ersten Stint von uns verlangt. Perez hat George dann etwas früher reingezogen als gewollt, weil er nach seinem Stopp in Runde 23 in unser Boxenstopp-Fenster zu fahren drohte." Lewis Hamilton hielt bis zur 29. Runde durch.

Verstappen - Russell - GP Brasilien 2022 - Sprint
Motorsport Images
Verstappen setzte im Sprint auf Mediums, Mercedes auf die Softs.

Red Bull handelte mit Zitronen

Wer so taktieren wollte, musste sich in der Qualifikation und im Sprint genügend brauchbare Soft-Reifen aufheben. "Wir haben im Q2 mit einem gebrauchten Satz soft begonnen, um uns je einen frischen Satz des C4 für den Sprint und das Rennen aufzuheben", hieß es bei Mercedes. Red Bull sparte für Max Verstappen zwei frische Garnituren für das Hauptrennen, aber zum Preis im Sprint einen Medium-Reifen fahren zu müssen. Das warf den Weltmeister im Mini- Grand Prix am Samstag auf Platz vier zurück. So hatte man mit Zitronen gehandelt.

Es hätte im Rennen immer noch gutgehen können, doch die Kollision mit Hamilton, der Frontflügelwechsel und die Fünfsekunden-Strafe kosteten den 14-fachen Saisonsieger jede Hoffnung Mercedes zu schlagen. Als das späte Safety-Car allen noch eine Chance gab, lag Verstappen als Zehnter in der Schlange zu weit hinten. Er selbst sah nie eine Chance für sich: "Wir hatten im Hauptrennen die gleichen Probleme wie im Sprint und waren einfach zu langsam."

Auch Perez war gehandikapt. Der Mexikaner hatte nur einen Satz Soft für das Rennen. Nicht mal gebrauchte Garnituren waren im Sortiment. Damit war er zur Reifenfolge soft-medium-medium gezwungen. Die Medium-Sätze handelten ihm im Mittelstint einen Zehnsekunden-Rückstand auf George Russell ein und machten den Red Bull mit der Startnummer 11 zur lahmen Ente nach dem Safety-Car-Restart.

Mercedes reservierte sich jeweils zwei Satz Soft für das Rennen. Einen neuen am Start und einen nur leicht gebrauchten für das Finale. Die Strategen verraten: "Wir wollten zwei Satz Soft im richtigen Zustand, uns aber auch nicht wie Max im Sprint-Rennen einschränken. Für uns war es wichtiger, uns im Sprint gute Startplätze zu sichern. Deshalb haben wir den zweiten frischen Satz soft für das Hauptrennen geopfert. Unser gebrauchter Satz hatte nur wenige Runden drauf, und die wurden in der Qualifikation unter feuchten Bedingungen abgespult. Wir haben diesen Satz am Ende des Rennens genommen. Das war kein Problem, weil es da kühler wurde."

Charles Leclerc - Ferrari - GP Brasilien 2022 - Sao Paulo - Rennen
Wilhelm
Leclerc kämpfte mit falschen Reifen im Quali und einer Kollision mit Norris im Rennen.

Ferrari verliert im ersten Stint

Red Bull fiel damit als Gegner aus. Verstappen, weil er nach dem Zusammenstoß mit Hamilton am Ende des Feldes landete, Perez weil er die falschen Reifen hatte. Auch Ferrari bereitete Mercedes wenig Sorgen. Eine Motorstrafe von Carlos Sainz und die falsche Reifenwahl im Q3 bei Charles Leclerc bescherte den Roten schlechte Startplätze.

Leclercs Rennen war gelaufen, als ihn Lando Norris beim ersten Re-Start in die Bande drückte. Er landete nach dem Boxenstopp noch hinter Verstappen, kam aber immerhin vor dem Holländer ins Ziel. Ferrari brachte ihn mit einem Undercut beim zweiten Stopp am Red Bull vorbei. Leclerc stoppte zwei Runden früher und nahm für den Mittelabschnitt eine neue Garnitur Soft, während Red Bull einen gebrauchten Satz der weichen Mischung bei Verstappen einstreute.

Carlos Sainz hatte das Pech, dass ihm ein Abreißvisier rechts hinten den Bremsschacht verstopfte und den Hinterreifen heißkochte. Das zwang ihn schon in der 17. Runde zu einem 4,1 Sekunden-Stopp an die Box und damit zu einem Dreistopp-Rennen. "So war das Rennen nicht mehr zu gewinnen", bedauerte der Spanier. Seine Rundenzeiten waren so schnell wie die der Mercedes.

Nachdem sich Hamilton bis Runde 45 wieder von Platz acht auf Rang zwei vorgekämpft hatte, lagen zwei Mercedes im Zehnsekundenabstand in Front. Der Rekordsieger sah für sich nur mit einem Einstopp-Rennen eine Siegchance und protestierte beim Aufruf zum zweiten Boxenstopp in Runde 48: "Meine Reifen sind noch gut, meine Reifen sind noch gut."

Die Strategen bestanden auf einem Boxenstopp. "Was Lewis nicht wusste: Der Zeitverlust durch reduzierten Grip war kein Problem, aber der Gummiabrieb auf der Oberfläche war ein Thema. Er hätte es am Ende gespürt. Und der Medium, den er drauf hatte, war generell drei Zehntel langsamer. Lewis hat im Auto verständlicherweise nur den einen Gedanken: Wenn ich jetzt draußen bleibe, habe ich eine Chance das Rennen zu gewinnen. Als er den Soft bekommen hat, war er gleich viel schneller. Das hat ihn überzeugt."

Max Verstappen & Sergio Perez - GP Brasilien 2022
Motorsport Images
Wer beim Restart nach der letzten Safety-Car-Phase auf Medium-Reifen unterwegs war, hatte keine Chance - wie hier Sergio Perez.

Perez und Vettel ziehen die Niete

Mit der zweiten Safety-Car-Phase, in der das Auto von Norris geborgen wurde, begann das Rennen noch einmal neu. Vor allem für das Mittelfeld. Dort hatte sich Valtteri Bottas als Spitzenreiter auf dem fünften Platz etabliert. Leclerc in seinem Windschatten hätte der Alfa-Pilot nicht halten können, aber der Rest der Meute mit Sebastian Vettel, Esteban Ocon, Max Verstappen und Pierre Gasly lag zum Zeitpunkt der Neutralisation drei und mehr Sekunden zurück.

Die VSC-Phase, die drei Runden später in ein echtes Safety-Car umgewandelt wurde, gab Fernando Alonso, Pierre Gasly und Carlos Sainz die Gelegenheit zum Gratis-Boxenstopp. Damit war der Nachteil von drei Stopps ausradiert. Für den Re-Start entscheidend war der Zustand der Reifen. Und da hatten Perez und Vettel mit ihren Medium-Sohlen die Niete gezogen.

Von den Top Ten hatten nur noch Alonso, Verstappen und Bottas frische Soft-Reifen zur Verfügung. Das konnte im Vergleich zu gebrauchten Softs ein Vorteil von drei Zehnteln sein. Bottas hatte seine Soft-Gummis schon in der 45. Runde bekommen, Verstappen drei, Alonso sieben Runden später. Trotzdem darf es dem Finnen nicht passieren, dass er nach der Freigabe des Rennens um vier Positionen abrutscht. Leclerc, Alonso, Verstappen und Ocon flogen vorbei. Ocon mit stark angefahrenen Soft-Reifen.

Alonso hatte für die letzten zehn Runden mit einem brandneuen Satz Soft die besten Karten. Deshalb konnte er Leclerc folgen und Verstappen abwehren. Deshalb bekam Teamkollege Ocon nach der Pleite beim Sprint den klaren Auftrag, Alonso nicht aufzuhalten. Es zahlte sich für Alpine aus. Nachdem man im Sprint durch interne Streitigkeiten Punkte verschenkte, sahnte der französische Rennstall im Rennen mit 14 Zählern groß ab.

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