Keine Ausreden bei Ferrari
„Nicht vor Preisverleihung an WM-Titel denken“

GP Abu Dhabi 2023

Ferrari bezog wie alle anderen Teams in dieser Saison heftige Prügel von Red Bull. Wenigstens gewann Maranello einen Grand Prix. Die Leistungssteigerung in der zweiten Saisonhälfte muss Ferrari Mut machen. Teamchef Vasseur fordert jeden einzelnen Mitarbeiter.

Ferrari - Teamfoto - GP Abu Dhabi 2023
Foto: Ferrari

Platz zwei im letzten Saisonrennen. Rang drei im Markenpokal. Ferrari verabschiedete sich von der Formel-1-Saison 2023 mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite untermauerte die Scuderia mit dem neunten Podest, dass man in der zweiten Saisonhälfte stetig Fortschritte machte. Ferrari zog in dieser Statistik mit McLaren gleich. Aston Martin und Mercedes verbuchten deren acht Podiumsplatzierungen.

Auf der anderen Seite war Red Bull mal wieder außer Reichweite. Charles Leclerc konnte Max Verstappen nur im ersten Stint auf den Mediumreifen folgen. Auf den harten Reifen war der Weltmeister konkurrenzlos. Red Bull thront mit 30 Podesten und 21 Siegen weit über allen. Ferrari konnte dank Carlos Sainz in Singapur wenigstens einmal feiern.

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Ferrari findet Mittel gegen Schwächen

Das ist ein entscheidender Unterschied zu Mercedes. Ferrari verhinderte eine sieglose Saison, schrammte aber am zweiten WM-Platz um drei Punkte vorbei. Vielleicht hätte es Leclerc heraufbeschwören können, doch der Monegasse verzichtete auf Foulspiele im Finale, was Russell den entscheidenden dritten Platz retten ließ.

Der Trend spricht für Ferrari. Die Scuderia holte Mercedes nach der Sommerpause schrittweise ein, obwohl man in Zandvoort erstmal eine Pleite erlebte. "Wir hätten dort überrundet werden können", erinnert sich Teamchef Frédéric Vasseur. Doch gerade dieses Rennwochenende leitete die Wende zum Besseren ein. Die Ingenieure führten auf dem kurvigen Dünenkurs diverse Experimente durch und kreisten den Wurm ein, der in der Aerodynamik des SF-23 steckt.

Mit dem wunden Punkt musste Ferrari weiterleben, doch man fand zunehmend die Mittel, damit der Wurm nicht ausbricht und alles überlagert. Mit einem neuen Unterboden in Suzuka gelang der nächste Fortschritt. "Das hat uns nicht unbedingt viel Performance gebracht, aber vor allem besseren Fahrkomfort. Die Fahrer fühlten sich danach wohler, gerade Charles."

Charles Leclerc - Ferrari - GP Abu Dhabi 2023
Motorsport Images

Charles Leclerc fand am Saisonende zu alter Form zurück und zeigte starke Leistungen.

Schnell auf unterschiedlichen Strecken

Parallel bauten die Ingenieure ihr Verständnis zum Setup aus, und setzten damit weitere kleine Puzzlesteine. Der SF-23 blieb trotzdem ein Auto, das in einem eng gesteckten Arbeitsbereich funktioniert. Das liegt in seinen Genen. Die Fahrer beschreiben es so: Der rote Rennwagen sei einer, der völlig aus den Fugen gerät, wenn nur ein Parameter verrutscht. Leclerc veranschaulichte es in Abu Dhabi. "Auf gebrauchten Reifen waren wir in der Qualifikation fürchterlich langsam. Auf frischen Reifen superschnell."

Fast hätte es sogar gereicht, um Verstappen auf eine fliegende Runde zu schlagen. "Wir hatten eine Chance auf Pole", sagt Teamchef Vasseur. "Im Rennen konnten wir im ersten Stint mit Red Bull mithalten." Und was den Rennleiter besonders freute: Innerhalb von einer Woche war Ferrari auf zwei unterschiedlichen Strecken die Nummer zwei im Feld. "In Las Vegas auf einer Highspeed-Strecke auf kaltem Asphalt. In Abu Dhabi auf einer Strecke, auf der mittelschnelle Kurven dominieren, mit warmem Asphalt und unter manchmal komischen Verhältnissen."

Kaum ist der SF-23 schneller, schon hat Ferrari den Reifenabbau besser im Griff. In Abu Dhabi auch besser als Mercedes. So konnte Leclerc stets Russell hinter sich kontrollieren. Vasseur schließt daraus: "Der Reifenverschleiß ist automatisch niedriger, wenn du ein schnelles Auto hast. In einem langsamen versuchen die Fahrer, den Gripnachteil zu kompensieren. Das geht zwangsläufig auf die Reifen."

Und doch zeigte sich innerhalb des Teams, wie kompliziert diese Groundeffect-Autos sind. Leclerc auf dem Podest, Teamkollege Carlos Sainz raus im Q1 und ohne Chance auf Punkte. "Die Pace war einfach nicht da. Wir müssen verstehen, warum", sagte Vasseur. Die logische Erklärung wären eingeschränktes Selbstvertrauen nach dem Trainingsunfall, zu wenige Runden für die Abstimmung und die Reifentemperaturen. Bereits nach 23 Runden suchte Sainz mit heruntergefahrenen harten Reifen die Box auf. Zu früh, um auf Mediums zu wechseln. Die Verzweiflungstaktik mit einem zweiten C3-Satz ging nicht auf. Sainz hätte ein Safety Car oder einen Abbruch gebraucht.

Carlos Sainz - Ferrari - GP Abu Dhabi 2023
xpb

Der Trainingsunfall von Carlos Sainz am Freitag kostete den Spanier Selbstvertrauen für das restliche Wochenende.

Das relative Spiel in der Formel 1

Die Niederlage im Konstrukteurs-Pokal gegen Mercedes schmälert die Einnahmen aus der Rechteausschüttung um etwa 15 Millionen US-Dollar. Vasseur hebt den Finger. "In Jeddah, Miami, Spanien und Zandvoort hat uns die Geschwindigkeit gefehlt. Ansonsten haben wir zu viele Punkte verschenkt. Durch die Disqualifikation von Austin, durch Probleme mit der Standfestigkeit, durch Strafen." In seiner bereinigten Endabrechnung würde Ferrari besser abschneiden. "Ich habe ein Klassement ohne Zwischenfälle im Kopf. Da stünden wir vor Mercedes."

Das bringt uns zum nächsten Punkt: Vasseur will nichts schönreden. "In der Fabrik sind Wörter wie ‚hätte‘, ‚wäre‘, ‚wenn‘ tabu." Stattdessen motiviert er seine Mannschaft. "Red Bull hat keine Wunderwaffe. Sie sind einfach in jeder Beziehung gut aufgestellt. Wir haben über 1.000 Mitarbeiter. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen. Wenn jeder Einzelne ein paar Tausendstel findet, machen wir einen großen Sprung."

Ferrari wird dafür, wie Mercedes, im Winter keinen Stein auf dem anderen lassen. Auch Maranello baut den Nachfolger großflächig um. Die Frage ist, ob es reichen wird, es mit der Übermacht Red Bull aufzunehmen. "Es ist ein relatives Spiel. Findest du eine Sekunde, deine Gegner aber eineinhalb Sekunden, sieht du dämlich aus. Finden sie nur eine halbe Sekunde, bist du auf einmal der Held."

Max Verstappen - Red Bull - GP Abu Dhabi 2023 - Rennen
Motorsport Images

Ferrari will 2024 Max Verstappen und Red Bull herausfordern.

Ferrari muss auf sich schauen

Wichtig sei es, an sich zu arbeiten, statt auf die Konkurrenz zu schauen. Und nicht schon vor dem Saisonstart von etwas zu träumen, was in weiter Ferne liegt. "Wir dürfen nicht daran denken, was im Dezember 2024 sein könnte. Wir dürfen nicht vor der Preisverleihung an den WM-Titel denken." Eins nach dem anderen. Erst hart arbeiten über den Winter, dann die Testfahrten, dann der Saisonstart Anfang März in Bahrain.

Eine Erkenntnis hat Vasseur aus den letzten Rennen gezogen, die Mut macht. "Wir müssen Red Bull an den Fersen kleben und sie unter Druck setzen. Wir haben im zweiten Saisonteil gesehen, dass sie dann auch mal daneben liegen können, und das Setup nicht immer treffen." Das Problem: Red Bull hat bis auf Singapur immer die Kurve bekommen.

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