US-Rennstall in der Krise
Ist der Haas-Plan gescheitert?

Haas belegte in der Konstrukteurs-WM 2023 den letzten Platz. Auch die B-Version des VF-23 wirkte keine Wunder. Hat sich der US-Rennstall mit seiner Abhängigkeit von Ferrari und seiner bewusst schlanken Teamstruktur in eine Sackgasse manövriert?

Pietro Fittipaldi - Haas - Formel 1 - Test - Abu Dhabi - 28. November 2023
Foto: Motorsport Images

Haas ist anders. Der jüngste Rennstall im Feld beschäftigt nur 250 Mitarbeiter, ist über vier Standorte verteilt, kauft 70 Prozent des Autos bei Ferrari ein und operiert unter dem Budgetdeckel.

Schon der Einstieg 2016 war ungewöhnlich. Teamchef Guenther Steiner konnte den CNC-Maschinen-König Gene Haas für seine Idee begeistern, weil er ihm einen Plan verkaufte, der realisierbar war. Ein Start von der grünen Wiese mit 100 Prozent Eigenleistung wäre genauso gescheitert wie die Projekte von Caterham, Marussia und Hispania. Sie kamen 2010 und waren spätestens 2016 nicht mehr da.

Unsere Highlights

Steiner nutzte eine Reglementlücke, die es ihm erlaubte, den Großteil des Autos sowie Know-how bei Ferrari einzukaufen und in der Vorbereitungsphase ohne Restriktionen im Windkanal und auf der Strecke zu testen. Diese Privilegien hätte ein Andretti heute nicht mehr, selbst wenn er sich analog zum Haas-Modell in den ersten Jahren an Alpine dranhängen würde.

Nico Hülkenberg & Guenther Steiner - Haas - Bahrain-Test 2023
Wilhelm

Guenther Steiner muss mit dem kleinsten Budget aller F1-Teams operieren.

Schlanke Patchwork-Struktur

Steiner setzte bewusst auch auf einen schlanken Apparat. Die Entwicklung von Chassis, Aerodynamik und Kühlern erfolgt reglementkonform im eigenen Haus. Die Mannschaft von Technikchef Simone Resta sitzt praktischerweise in einem separaten Trakt der Rennabteilung von Ferrari, durch eigene Code-Karten streng getrennt von den Büros der Scuderia. Alpha Tauri wird 2024 nach dem gleichen Muster verfahren. Räumliche Nähe, digitale Trennung.

Den Haas-Aerodynamikern stehen auch der Windkanal und Prüfstände in Maranello zur Verfügung. Die Fahrer sitzen im Ferrari-Simulator, der dann mit den Haas-Programmen gespeist wird. Nur ein Datenaustausch mit dem großen Bruder ist verboten. So sparte sich der US-Rennstall Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe.

Die Chassis werden in den Autoklaven von Dallara gebacken. Alle Anbauteile entstehen in der eigenen Fertigungsanlage in Banbury. Dort residiert auch das Rennteam. Haas hatte die Fabrik billig von Marussia gekauft. Die Haas-Zentrale in Kannapolis, North Carolina, liefert mechanische Bausteine. Hier sitzt auch die Verwaltung.

Haas F1 - Fabrik Kannapolis - 2016
HaasF15

Der Verwaltungssitz von Haas liegt in Kannapolis. Hier werden auch mechanische Bauteile produziert. Die meisten Mitarbeiter des F1-Teams operieren aber von Europa aus.

Höhepunkt 2018, Tiefpunkt 2021

So weit, so gut. Haas stieg fulminant ein, beendete seine erste Saison als Achter mit 29 Punkten. Das Projekt wurde danach kritisch beäugt. Es gefiel vielen Teams nicht, dass den Newcomern der Einstieg dank Ferraris Bruderhilfe so einfach gemacht wurde. Force India zählte damals zu den größten Kritikern, aber auch McLaren und Renault stellten das System in Frage, aus Angst, Haas und Ferrari könnten zu viel zusammenarbeiten.

2018 war mit Platz fünf und 91 Zählern das beste Jahr. Danach ging es schleichend bergab. Bis zum Tiefpunkt 2021. Haas schloss die Saison mit null Punkten als Letzter ab. Es war ein Absturz mit Ansage. Gene Haas wollte die Corona-Pandemie zum Anlass nehmen, das Team zu verkaufen. Er konnte nicht verstehen, warum er in der Formel 1 nicht genauso schnell zum Erfolg kommen sollte wie in der NASCAR-Serie, wo sein Team zu den Stars der Szene zählt.

Steiner fand auch für die Sinnkrise seines Chefs eine Lösung. Der Südtiroler verordnete für die Saisons 2020 und 2021 einen rigorosen Sparkurs, um alles Geld in das Auto für die große Regelreform 2022 zu stecken. Keiner begann mit der Konstruktion des neuen Autos früher als die Amerikaner.

Als Ende 2022 mit dem US-Finanzdienstleister Moneygram noch ein Hauptsponsor anbiss, der 30 Millionen Dollar zum Budget beisteuert, schien der Plan aufzugehen. Der Teamchef wurde mit seiner hemdsärmligen Art ein Star bei Netflix. Seitdem kennt jeder das kleine amerikanische Team, das ein bisschen wie Don Quichotte auftritt und den Großen eine Nase zeigen will.

Haas - VF23 - F1-Saison 2023
Haas

Nach guten Qualifyings ging es im Rennen regelmäßig rückwärts. Der Reifenverschleiß war zu hoch.

Unter dem Budgetdeckel

Als Achter der abgelaufenen WM bekam Haas in diesem Jahr ein Preisgeld von rund 78 Millionen Dollar ausgezahlt. Da Haas immer noch zwölf Millionen unter dem Budgetdeckel operiert, verringerte sich der Beitrag von Haas Automotion auf kleines Geld. Als Alfa Romeo wie bei Sauber für eine zweistellige Millionensumme die Namensrechte am Auto erwerben wollte, sagte Gene Haas den Italienern ohne großes Nachdenken ab. Er zahlt lieber einen überschaubaren Restbetrag aus eigener Tasche und hat dafür eine weltweite Bühne für seine CNC-Maschinen.

In diesem Jahr wollte Haas mit einem guten Budget im Rücken weiter wachsen. Doch nach einem ordentlichen Saisonstart, der das Team kurzzeitig bis auf Platz sieben führte, brachen die Ergebnisse plötzlich ein. Der VF-23 produzierte zu wenig Abtrieb und fraß seine Reifen. Schuld daran war eine instabile Aerodynamik, eine Hinterradaufhängung, die den Reifen zu viel Last aufbürdet und ein ineffizientes Bremsbelüftungssystem, das die Reifen über die Felgen zusätzlich aufheizt.

Nico Hülkenberg und Kevin Magnussen mussten die wenigen Gelegenheiten, in denen die Reifenabnutzung keine so große Rolle spielte, in Punkte ummünzen. Es ist nur fünf Mal gelungen. Nach der Sommerpause kam ein einziger Punkt auf das Konto.

Haas & Ferrari - GP Miami 2023
xpb

Die Abhängigkeit von Ferrari hilft Haas, wenn es gut läuft. Wenn die Scuderia krankt, leidet aber auch das US-Team.

Bremsklotz Reifenabnutzung

Der hohe Reifenverschluss war laut Hülkenberg der größte Bremsklotz: "Auf eine Runde konnten wir mit unserem Auto in die Top Ten fahren. Da haben frische Reifen die Defizite kompensiert. Wurden die Reifen aber älter, dann wurde es bitter. Dann war ich wie ein Sonntagsfahrer unterwegs. Wurden die Dinger ein Mal zu heiß, gab es kein Zurück mehr. Ganz besonders schlimm war es, wenn ich im Verkehr steckte oder Wind dazu kam. Dann brach der Abtrieb zusammen, das Auto rutschte, und du warst mit den Reifen sofort im roten Bereich."

Mit zwölf Zählern auf dem Konto stand der US-Rennstall seit dem GP Mexiko an letzter Stelle im Klassement. Viele werfen Haas vor, auf zu kleiner Flamme zu kochen. Mit 250 Mitarbeitern kann man nicht gegen Rennställe antreten, die 500 Menschen und mehr beschäftigen.

Steiner verteidigt sich: "Ferrari liefert mir viele Komponenten, die wir nicht besser machen könnten, wenn wir sie selbst entwickeln und bauen würden. Das Getriebe zum Beispiel gewinnt dir keine Rennen. Es verliert sie höchstens, wenn es kaputtgeht. Würde ich die Leute zählen, die ich einstellen müsste, wenn ich nicht von Ferrari einen Großteil des Autos bekäme, dann hätten wir ungefähr 400 Angestellte. Damit kann man sich im Mittelfeld behaupten."

Nico Hülkenberg - Haas - Formel 1 - GP Las Vegas  - 18. November 2023
xpb

Nach einigen Frust-Rennen fand Nico Hülkenberg in der zweiten Saisonhälfte deutliche Worte.

In der Hand von Ferrari

Doch die Abhängigkeit von Maranello ist für die amerikanische Patchwork-Familie auch ein Fluch. Die Haas-Ingenieure orientierten sich natürlich auch bei den Teilen, die sie selbst entwickeln müssen, an ihrem Technikpartner. Es ist kein Zufall, dass der Haas VF-23 dem Ferrari SF-23 ähnlich sah.

Und es darf nicht verwundern, dass auch Ferrari Probleme mit dem Reifenmanagement hatte, das Problem aber besser in den Griff bekam, weil dort drei Mal so viele Menschen an der Lösung arbeiten. "Wenn es bei Ferrari gut geht, ist unsere Abhängigkeit eine Stärke. Umgekehrt erben wir die Schwachstellen mit."

Deshalb traf das Team im Juli die Entscheidung, sich wenigstens aerodynamisch von Ferrari abzunabeln. "Das alte Konzept war an seine Grenzen gestoßen. Die neuen Teile, die wir ans Auto geschraubt haben, haben das Auto nicht mehr schneller gemacht. Das Delta zwischen Simulation und Rennstrecke wurde immer größer", erklärt Steiner den Kraftakt, den er als den größten in der Geschichte des Teams bezeichnet.

Innerhalb von drei Monaten entstand eine B-Version des VF-23, die mehr wie ein Red Bull als ein Ferrari aussah. Beim GP USA in Austin feierte sie Premiere. Doch der Kalender nimmt keine Rücksicht auf Upgrades. Der erste und dritte Einsatz fand an Sprint-Wochenenden mit begrenzter Vorbereitungszeit statt, der zweite auf einer wenig aussagekräftigen Strecke in Mexiko-City, 2.230 Meter über dem Meer, und der vierte in Las Vegas, auf einer Strecke, die keiner kannte.

Nico Hülkenberg - Haas - Formel 1 - GP Las Vegas  - 18. November 2023
xpb

Neues Spiel, neues Glück: 2024 will Haas mit einem komplett erneuerten Auto wieder angreifen.

Alles neu für 2024

Bei diesem Crashkurs war es schwierig zu eruieren, wie viel Fortschritt der Radikalumbau brachte. "Wenn überhaupt, dann minimal", urteilt Hülkenberg. "Die Reifenabnutzung war eine Spur besser, aber von der Rundenzeit hätte ich mir einen größeren Schritt erwartet." Hülkenberg stieg bei den letzten beiden Saisonrennen sogar wieder auf das alte Modell um.

Teamchef Steiner betont vor allem den Lerneffekt: "Es hätte schlimmer kommen können. So ein großer Umbau kann auch richtig nach hinten losgehen. Wichtig war für uns herauszufinden, ob die Richtung stimmt und was wir mit dem 2024er-Auto korrigieren müssen. Wenn ich das erst bei den Wintertests zwei Wochen vor Saisonstart herausfinde, ist es zu spät."

Haas zählt zu den Teams, die 2024 mit einer komplett anderen Architektur des Autos antreten, um die Aerodynamik ähnlich auszureizen wie Red Bull. Dafür wird das Chassis länger, das Getriebe kürzer und beides an der Unterseite wie ein Kajak zugeschnitten. Das schafft mehr Freiheiten bei den vorderen Venturi-Kanälen und dem Diffusor im Heck.

Die rampenförmigen Seitenkästen sind eine Abkehr vom Inwash- zum Downwash-Prinzip, bei dem man die extrem kritische Strömung zwischen Hinterrädern und Bodenplatte besser kontrollieren kann. Steiner ist auch davon überzeugt, dass Ferrari beim Fahrwerk den richtigen Schritt machen wird. "Die haben verstanden, was da schiefgelaufen ist und was wir brauchen, um 2024 die Reifen besser in Schuss zu halten."

An seiner schlanken Infrastruktur will der Querdenker zuerst einmal nicht viel verändern. "Wir werden einige wichtige Abteilungen etwas verstärken, doch es bringt nichts, wenn ich jetzt alles aufstocke und selber mache. Ich hätte in unserer Fabrik in England auch gar nicht den Platz, so viele Leute unterzubringen."

Live
GP Imola