Williams-Teamchef James Vowles im Interview
„Albon hat Weltmeister-Qualitäten“

Williams-Teamchef James Vowles hat eine schwierige Mission vor sich. Er will einen Traditionsrennstall zurück an die Spitze bringen. Wie das gehen soll und warum Alexander Albon Weltmeister-Qualitäten hat, erzählt er uns im Interview.

James Vowles - Williams - Formel 1 - 2023
Foto: xpb

In welchem Zustand fanden Sie im Februar Williams vor und wo steht das Team heute?

Vowles: Als ich zu Williams kam, fand ich viele sehr gute und intelligente Leute. Sie haben zwar in den letzten Jahren nicht viel Licht gesehen und sind ihren eigenen Weg gegangen, das macht sie aber nicht weniger kompetent. Ich habe allerdings auch viele individuelle Gruppen bei Williams vorgefunden und kein Kollektiv von 800 Leuten, die zusammenarbeiten. Das Problem saß überall, weil diese Gruppen in verschiedene Richtungen liefen. Die Infrastruktur ist 20 Jahre hinter der Zeit. Sie reicht gerade, um zwei Autos an den Start zu bringen. Es gibt keinerlei Software, in der die Teile des Autos, ihre Lebensdauer und ihre Geschichte registriert sind. Die Fabrik ist in viele einzelne Räume unterteilt. So können sich die Leute untereinander nicht sehen. So habe ich Williams vorgefunden. Heute ist Williams in allen Bereichen besser, aber noch weit weg von dem, wo wir hin müssen. Wir haben damit begonnen, eine Struktur zu schaffen, in der die Bereichsleiter der Aerodynamik, Fahrdynamik oder der Einsatzleitung an der Rennstrecke miteinander reden. Es geht nicht darum, einem die Schuld zu geben, wenn es nicht läuft oder den Lorbeer einzuheimsen, wenn es gut geht. Es geht darum, dass dieses Team die Verantwortung darüber hat, was wir auf der Rennstrecke abliefern. Dieses System schließt viel mehr Leute und Informationen ein. Wir haben damit aufgeräumt, Feuerwehr zu spielen um Brände zu löschen, die irgendwo auftauchen. Und aufgehört, an das Heute zu denken. Morgen ist entscheidend. Gestern ist die Vergangenheit. Sie bringt uns nicht weiter. Das muss unsere Einstellung sein. Dieser Kulturwechsel hat begonnen, doch bis er vollständig greift, wird es dauern. Die ersten Ergebnisse sehen wir aber bereits. Das Auto wird Schritt für Schritt besser.

Unsere Highlights

Wie lange hat es gedauert, um zu erkennen, was Williams hat und was Williams haben muss?

Vowles: Das große Bild siehst du nach einer Tour durch die Fabrik innerhalb von ein paar Stunden. Viel länger hat es gedauert zu verstehen, wie jeder einzelne Mitarbeiter tickt. Die Leute arbeiten ganz anders als bei meinem alten Team Mercedes. Das muss nicht heißen schlecht. Aber anders.

James Vowles - Williams - Formel 1 - 2023
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James Vowles musste sich erst einmal ein Bild von den Defiziten seiner Williams-Truppe machen.

Was haben Sie mit der Fabrik vor?

Vowles: Wie schon gesagt. Viele der Einrichtungen sind antiquiert. Da die Obergrenze für Kapitalinvestitionen angehoben wurde, haben wir jetzt mehr Spielraum, Dinge zu ändern. Damit haben wir begonnen. Aber du gibst 20 Millionen nicht über Nacht aus. Das ist ein Prozess von Monaten oder Jahren.

Was sind die nächsten Schritte des Wiederaufbaus?

Vowles: Die ersten Schritte sind, das Management-Team aufzustellen. Das ist in allen Bereichen passiert. Wir hatten einen guten Finanzchef und haben darüber hinaus jetzt auch Direktoren für die Abteilungen Technische Entwicklung, Geschäftsleitung, Marketing, Personalwesen. Du kannst nicht alles allein machen, sondern brauchst Schlüsselfiguren, denen du vertrauen kannst. Wir sind also fünf Leute an der Spitze. Jetzt werden die Bereichsleiter in der Ebene darunter installiert. Wir haben die interne Kommunikation verbessert. Jeder im Team weiß heute Bescheid, was wir machen, warum wir es machen und wie uns das nach vorne bringen soll.

Wie wollen Sie die erhöhten Kapitalinvestitionen nutzen?

Vowles: Von den 65 Millionen Dollar wurden vorher schon 45 ausgegeben. Wir haben jetzt also 20 Millionen mehr in der Hand. Idealerweise hätten wir 142 Millionen gebraucht, um das zu machen, was uns auf dem Stand der Top-Teams bringen würde. Wir mussten also Prioritäten setzen. Das heißt unsere größten Schwächen ausradieren. Zum Beispiel die Produktion. Jedes Teil, das wir nicht intern produzieren, kostet uns drei bis vier Mal so viel und es verschlingt Zeit. Deshalb erhöhen wir die Kapazitäten im Haus. Wir investieren in einen neuen Simulator und Simulationen. Und eine Software, die den kompletten Teileumsatz erfasst.

Williams-Fabrik Grove
Williams

In der Williams-Fabrik in Grove kann jetzt der Modernisierungsprozess starten.

Wann steht Ihnen was zur Verfügung?

Vowles: Der Simulator 2025. Digitale Teile-Erfassung Mitte bis Ende 2024. Produktionsanlagen zwischen 12 und 36 Monaten.

Und der Windkanal?

Vowles: Der Windkanal ist in Ordnung. Wir konnten ihn für kleines Geld modernisieren. Die Investition in den Windkanal wird im Budgetdeckel separat erfasst.

Arbeitet Williams auf der operativen Seite am Budgetdeckel?

Vowles: Ja. Letztes Jahr und dieses Jahr.

Sie sprechen von 800 bis 900 Angestellten. Sollten die Teams unter dem Budgetdeckel nicht kleiner werden?

Vowles: Wissen Sie, wie groß die Topteams sind? Mehr als 1.000 Leute. Ich versuche die Zahl der Angestellten in Relation zur Fahrzeugentwicklung zu optimieren. Mehr Leute heißt weniger Teile und damit weniger Upgrades. Und umgekehrt. Der goldene Mittelweg liegt zwischen 800 und 900 Leuten.

Williams Teamfoto - Formel 1 - GP Abu Dhabi 2023
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Alex Albon und Logan Sargeant werden auch 2024 gemeinsam für Williams auf Punktejagd gehen.

Wie viel von dem, was Sie bei Mercedes gelernt haben, lässt sich auf Williams übertragen?

Vowles: Es hört sich komisch an, aber ich will gar nichts kopieren. Wenn ich das tun würde, würde ich eine Momentaufnahme von Mercedes übertragen. Aber ich würde nichts über das neue Team lernen und dessen Stärken brachliegen lassen. Meine Erfahrung über mein altes Team ist nur eine Referenz. Das bringt dich in der Formel 1 nicht weiter. Du musst dir sagen: Da bin ich, dort will ich hin. Und dann muss ich mir Mechanismen überlegen, die mich dorthin bringen.

Williams ist auf Platz sieben gelandet. War das immer ein realistisches Ziel oder wurden Sie selbst vom Ergebnis überrascht?

Vowles: Nach dem Bahrain-Test waren wir Zehnter. Und im Rennen hatten wir unglaubliches Glück. Die VSC-Phase kam perfekt für unseren Boxenstopp. Das hat uns Zeit geschenkt. Doch seit der Sommerpause haben wir einen echten Schritt gemacht. Mit Ausnahme von Suzuka, wo wir definitiv zu langsam waren, Singapur, wo uns Perez aus den Punkterängen geschossen hat, und Brasilien, wo wir in einen Startcrash verwickelt waren, haben wir bis zum Finale in jedem Rennen gepunktet. Das ist ein ganz anderes Williams-Team als das, was wir Ende 2022 und am Beginn der Saison gesehen haben. Als ich anfing, habe ich mir kein Ziel gesetzt, auf welchem Platz wir die WM beenden. Ich wollte dieses Team wieder auf die Beine stellen. Ich hielt Platz neun für realistisch, Platz acht für einen Traum. Um den siebten Platz haben wir gekämpft, weil Albon einen unglaublichen Job gemacht hat. Er hat sich in Montreal, Silverstone und Monza gegen einen ganzen Pulk von Fahrern verteidigt, die schneller waren als er. Dann ist es uns gelungen, das Paket, das wir haben, so zu verbessern, dass wir aus eigener Kraft in die Punkte fahren konnten. Zwei Zähler hier, zwei dort. Trotzdem müssen wir auf dem Teppich bleiben. Die Topteams machen an einem Rennwochenende nahezu so viele Punkte wie wir im ganzen Jahr. Das ist die Messlatte.

Zum Saisonende hat sich Alpha Tauri zum großen Gegner von Williams aufgeschwungen. Mit einer völlig anderen Taktik als Williams. Fast jedes Rennen kamen neue Teile ans Auto. Williams hat nur wenige Upgrades gebracht. Warum?

Vowles: Wir wollten uns früh genug auf 2024 konzentrieren. Auch wenn damit das Risiko bestand, von Alpha Tauri überholt zu werden. Ich weiß, dass ich da meinen Fahrern und dem Rennteam viel abverlangt habe. Sie sollten Platz sieben mit einem Arm am Rücken verteidigen. Sie haben das als Herausforderung angenommen und gekämpft. Der Alpha Tauri war ein schnelles Auto, das im Sprint von Brasilien einen Mercedes und einen Ferrari hinter sich gelassen hat. Das zeigt die Qualität. Aber es geht mir nicht um Platz sieben, acht oder neun heute, sondern um den großen Schritt morgen.

James Vowles - Williams - GP Abu Dhabi - Formel 1 - 2023
Williams

Der siebte WM-Platz kam unerwartet. Williams hatte schon früh in der Saison die Entwicklung eingestellt.

Wenn Sie den positiven Trend bei Williams fortsetzen können, dürfen wir dann von dem Team erwarten, nächstes Jahr eine Stufe höher gegen Alpine und Aston Martin zu fahren?

Vowles: Das ist nicht realistisch. Ich kenne den wahren Abstand zu den beiden Teams und ich kenne unsere Entwicklungsgeschwindigkeit. Das, was wir ändern wollen, ist noch zu weit weg, als dass es uns schon nächstes Jahr diesen Schritt erlaubt. Ich bin zuversichtlich, dass wir nächstes Jahr besser dastehen werden. Aber ich werde nichts tun, das unser Langzeit-Ziel gefährdet.

Wie gut ist Alexander Albon?

Vowles: Sehr gut.

Was heißt das?

Vowles: Der Alex, den Sie heute sehen, ist ein anderer als der Alex, als er bei Red Bull war oder der Alex zu Saisonbeginn. Da fehlte ihm noch der Glaube an sich selbst. Den hat er jetzt. Er ist happy, er ist ein Leader, er hat Selbstvertrauen, er arbeitet strukturiert und gibt die Richtung vor. Das hört sich alles einfach an. Doch das Einfachste ist oft das Schwerste. Du weißt nie, wie gut ein Fahrer im Vergleich zu einem anderen ist, bis du ihn zur gleichen Zeit in das gleiche Auto steckst wie den anderen. Wenn andere Fahrer morgen einen Williams fahren müssten, würden sie sich wahrscheinlich schwertun. Heute weiß ich von Alex, dass er zu jeder Zeit das Maximum aus dem Auto herausholt, das ihm zur Verfügung steht. Und jedes Mal, wenn du ihn unter Druck setzt, hält er dem Druck stand. Und er kommt mit einem schwierig zu fahrenden Auto zurecht. Diese Erfahrung kann für ihn mal ein Vorteil sein. Für mich hat Alex die Fähigkeiten, einmal Weltmeister zu werden. Ich meine das ehrlich.

Logan Sargeant haben Sie trotz vieler Unfälle das Vertrauen gegeben. Warum waren Sie mit ihm so geduldig?

Vowles: Sie müssen den Logan der letzten Rennen bewerten. Als Rookie musste er viel lernen. Die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Selbst in der jüngeren Vergangenheit. Piastri durfte vor seinem Debüt 11.000 Testkilometer in einem alten Formel-1-Auto abspulen. Bei der Generation davor waren es 20.000 Kilometer. Logan hatte nur 800. Das ist nicht einfach zu verdauen. Doch seit Suzuka fehlte ihm nicht mehr viel auf Alex. Er hat Rennen für Rennen Fortschritte gemacht. Relativ zu sich selbst und auch zu Alex. Er hat die Fehlerrate reduziert. Und er tut das, worum wir ihn bitten. Manchmal musst du Leuten eine Chance geben.

Nach welchen Kriterien haben Sie sich dann für Sargeant entschieden?

Vowles: Ich habe ihm gesagt, dass ich eine ständige Verbesserung sehen will. Und dass er die Chancen nutzen muss, wenn er Punkte holen kann. Das hat er getan.

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