Rennanalyse 24h-Rennen Le Mans 2017
Der Sieg der Porsche-Crew und das Toyota-Drama

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Porsche hat gegen alle Prognosen und den Favoriten Toyota den Hattrick geschafft. Die 85. Ausgabe der 24 Stunden von Le Mans war ein Survival-Trip. Die Hybrid-Technik hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Fast hätte ein LMP2-Auto gewonnen.

Porsche 919 Hybrid - Startnummer #2 - Hartley - Bamber - Bernhard - 24h-Rennen Le Mans 2017
Foto: sutton-images.com

Diese 24 Stunden von Le Mans standen unter einem Motto: Einer kam durch. Und der hat gewonnen. Und das auch nicht ohne Kratzer. Die Besatzung des 2er Porsche mit Timo Bernhard, Earl Bamber und Brendon Hartley verbrachte 68 Minuten am Stück in der Boxengarage und lag nach vier Stunden und 40 Minuten mit 19 Runden Rückstand auf Platz 52 im Gesamtklassement.

Normalerweise gewinnt man so ein Rennen nicht mehr. Doch was war schon normal bei der 85. Ausgabe der 24 Stunden von Le Mans unter großer Hitze vor 285.500 Zuschauern? Gar nichts. Die Favoriten fielen aus wie die Fliegen. Und so kam am Ende wieder der zum Zug, der eigentlich schon weg vom Fenster war. Weil er von allen Autos mit Hybrid-Technologie die geringsten Probleme hatte.

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Als wollte keiner gewinnen

Der Langstrecken-Klassiker an der Sarthe war das, was er aufgrund seiner Bestimmung eigentlich sein sollte. Ein Überlebenskampf. Bei der Perfektion moderner Werkzeuge und Datenverarbeitung ist das heute nur noch möglich, wenn die Technik eine Raketenwissenschaft ist und selbst mit den besten Simulationsverfahren und dem größten Testfleiß nicht 100 prozentig beherrscht werden kann. Porsche fuhr im Vorfeld vier 30-Stunden-Tests und wäre trotzdem um ein Haar gescheitert.

Vergessen Sie bei der Analyse des dritten Laufs zur Langstrecken-Weltmeisterschaft die üblichen Rechenspiele und Faktoren wie Reifenwahl, Reifennutzung, Benzinverbrauch, Boxenstopp-Strategie, SafetyCars, die unterschiedlich langen Gelbzonen auf der 13,629 Kilometer langen Strecke, die strikte Durchsetzung der Streckenbegrenzung und das Geschrei um die limitierten Cockpit-Temperaturen als möglichen Spielverderber. Nichts davon spielte eine Rolle.

Es ging nur um eine Frage: Wie überlebe ich diese 24-Stunden-Schlacht? Lange sah es so aus, als wollte keiner der Favoriten gewinnen. Anfangs stürmten zwei Toyota mit zwei überraschend schnellen Porsche auf und davon, und man richtete sich schon auf ein Duell der Giganten ein, als das Schicksal zum ersten Mal zuschlug. Man hätte Verdacht schöpfen sollen.

Um 18.32 Uhr humpelte der Porsche 919 Hybrid mit der Startnummer 2 im Schritttempo an die Boxen. Der Elektromotor an der Vorderachse war ausgestiegen. Fünf Minuten lang rätselten die Porsche-Ingenieure, was die Ursache sein könnte, dann entschieden sie: Wir wechseln nur den Antrieb, aber nicht die ganze Vorderachse. Ihr Verdacht, dass es sich um ein Problem mit dem Umrichter handeln könnte, war wahrscheinlich richtig. Nach der 68 minütigen Reparatur lief das Auto mit der Startnummer 2 wie ein Uhrwerk bis ins Ziel.

Ein Defekt, wie er noch nie auftrat

Zunächst einmal bestimmten andere die Musik. Der Toyota Nummer 7 mit dem Trainingsschnellsten Kamui Kobayashi, Mike Conway und Stéphane Sarrazin. Der 1er Porsche mit Neel Jani, André Lotterer und Nick Tandy. Und der Nummer 8-Toyota, der von Sebastien Buemi, Kazuki Nakajima und Anthony Davidson gesteuert wurde. Das dritte Auto von Toyota mit Nicolas Lapierre, Yuji Kunimoto und José Maria Lopez hielt sich mit einer knappen Runde Rückstand vornehm als Absicherung im Hintergrund.

Um 22.49 Uhr gab es den nächsten Alarm. Der 8er Toyota parkte mit dem gleichen Schaden wie zuvor der Porsche in der Box. Auch hier hatte der Elektromotor an der Vorderachse seinen Geist aufgegeben. Toyota wechselte alles. E-Maschine, Fahrwerk und die Batterie. Deshalb dauerte der Tausch 2 Stunden und 3 Minuten, fast doppelt so lang wie bei Porsche. Buemi/Davidson/Nakajima setzten ihr Rennen an 52. Stelle mit 29 Runden Rückstand fort. Aussichtslos, sollte man meinen. Doch das dachte man im Porsche-Camp über das 2er Auto auch.

Bei Porsche und Toyota regierte Fassungslosigkeit über einen Defekt dieser Art. „Das hatten wir noch nie. Der Elektromotor hat alle vier 30-Stunden Tests ohne Probleme überstanden“, beteuerte Porsche LMP1-Chef Fritz Enzinger. Toyota-Motorsport Teamdirektor Rob Leupen bestätigte: „Bei uns geht dieses Teil erst nach 15.000 Kilometer in Revision. Es gab noch nie Ärger damit. Vielleicht war es ein Materialfehler oder ein Lager, auf jeden Fall eine kleinere Sache.“

Die heiße Stunde des Rennens begann ganz harmlos um 0.30 Uhr mit einem Dreher von Neel Jani hinter dem Safety Car. Der Porsche-Pilot wollte aus dem Pulk in die Boxengasse abbiegen und gab dabei einfach zu viel Gas. Der Schaden war gering im Vergleich zu dem, was in den nächsten 60 Minuten mit den beiden Toyota passierte, die zu diesem Zeitpunkt das Tempo bestimmten.

Auch Toyota nutzte die erste von drei Safety Car-Phasen zu einem Boxenstopp. Kobayashi begab sich nach dem Tanken zur Boxenausfahrt, um auf eines der drei Safety Cars zu warten, die das Feld einsammelten. Als der Posten an der Boxenausfahrt ein Zeichen gab, fuhr Kobayashi los, hörte aber umgehend am Funk, dass er sofort anhalte solle, weil noch gar kein Safety Car da war. Toyota wollte eine Strafe vermeiden. Da sich der Japaner bereits außerhalb der Boxenbegrenzung befand, schaltete die Elektronik den Motor auf Normalmodus. Kobayashi fuhr nicht elektrisch, sondern mechanisch an und hielt sich dabei nicht an die korrekte Prozedur. Das killte die Kupplung.

Der Trainingsschnellste schlich ausschließlich mit Elektrokraft an der Vorderachse um die elend lange Strecke, schaffte es aber nur bis zur Indianapolis-Kurve. Ohne funktionierende Kupplung konnte kein Gang eingelegt werden, und weil sich im Leerlauf die Batterie nicht laden ließ, war irgendwann der Saft zu Ende und das Auto ein Abschreibposten. Um exakt 1.08 Uhr fiel der Rollbalken.

Erfolglose Fahrt mit dem Elektromotor

Damit ruhten die Hoffnungen von Toyota auf der Nummer 9, jenem Auto, das eigentlich nur als Lebensversicherung vorgesehen war. Doch sechs Minuten später schwanden auch diese Hoffnungen. Gleich nach dem Re-Start wurde der Toyota von einem LMP2-Auto beim Anbremsen der Dunlop-Schikane hinten links getroffen. Der Stoß von Simon Trummer war hart genug, den Hinterreifen aufzuschlitzen und die Verkleidung zu zerfleddern.

Die Fahrt ging nicht lange gut. Eine Hydraulikleitung war gebrochen. Es bahnte sich das gleiche Drama an wie im 7er Auto. Das Getriebe steckte im fünften Gang. Weil sofort wieder das Safety Car auf die Strecke ging und der Reifen immer mehr Zerstörungen anrichtete, war der hohe Gang für das geringe Tempo zu hoch. Also wieder Umschalten auf Elektrokraft, diesmal immerhin vorne und hinten. Auch die war vor Erreichen der Boxengasse erschöpft. Ganze 300 Meter vor dem Ziel.

Der Ausfall der favorisierten Toyota stempelte die Speerspitze von Porsche zum Sieger. Jani, Lotterer und Tandy erfüllten die Erwartungen auch, teilweise mit bis zu 11 Runden Vorsprung. Bis um 11.16 Uhr Lotterer der Funkspruch erreichte, den Motor abzustellen. Der Öldruck war ins Bodenlose abgesackt. Die Elektrofahrt führte auch im Fall Porsche nicht zum Ziel. Das geht vielleicht in Fuji oder in Silverstone gut, nicht aber auf einer so langen Strecke.

Porsche rettete die Ehre der Spaceshuttles

Es mutete fast wie ein Witz an, dass nach dem Ausfall des Porsche die LMP2-Klasse in den Blickpunkt rückten. Autos, die 483.000 Euro kosten und mit einem 600 PS starken Vierliter V8-Einheitsmotor ausgerüstet sind. Drei Oreca-Kunden stritten sich um den Sieg. Nelson Piquet, Mathias Beche und David Heinemann Hansson für Rebellion, Ho Pin-Tung, Oliver Jarvis und Thomas Laurent für Jackie Chan DC und Alexandre Negrao, Nelson Panciatici und Pierre Ragues für Signatech Alpine. Die kleine Klasse landete am Ende auf den Plätzen 2 bis 8.

Der zweite Porsche rettete die Ehre der Spaceshuttles, die ein Budget von 120 bis 150 Millionen Euro pro Jahr verschlingen. Er kehrte mit Riesenschritten zurück und schnupfte die LMP2-Eindringlinge mit Rundenzeiten auf, die zwischen 10 und 15 Sekunden pro Runde schneller waren. Der 8er Toyota TS050 hätte es auch geschafft, doch sein Rückstand war einfach schon zu groß. Die Aufholjagd führte das schnellste Auto im Feld nur noch auf den 9. Platz.

Alle in der Serie atmeten auf. Welche Blamage wäre es gewesen, wenn die hochgelobte Technik in ihrem dritten Jahr auf der ganzen Linie versagt und sozusagen die zweite Bundesliga vor der ersten gewinnt. Der veranstaltende ACO hätte sich fragen müssen, ob es klug war über 2020 hinaus an der Hybridtechnologie festzuhalten und mit Plugin-Elementen eine weitere Komplikation hinzuzufügen.

Im Prinzip spricht ja nichts dagegen, wenn der Faktor Unberechenbarkeit das Renngeschehen würzt. Im Gegenteil. Die Ausfallorgie von Le Mans schrieb eine Story, an die sich jeder erinnern wird. Da muss der Sport auch mit Verlusten leben können. Doch dann sollten genügend Fahrzeuge vorhanden sein, dass wenigstens einer ins Ziel kommt.

Genau da steckt das Problem der WEC. Nur Porsche und Toyota finden sie attraktiv. Peugeot zögert, weil zu teuer und zu hochgestochen. Wenn die Franzosen nicht kommen, könnte die ganze Serie innerhalb der nächsten drei Monate wie eine Seifenblase zerplatzten. Bei Porsche soll es schon Alternativen geben: Formel 1 und/oder Formel E. Toyota hat keinen Plan B.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten