Neue Chevrolet Corvette C8.R
Die Technik des Mittelmotor-Rennwagens erklärt

Chevrolet ordnete bei der neuen Corvette C8 alles der Performance unter und setzte auf Mittelmotor. Das hatte weitreichende Auswirkungen auf das Rennauto C8.R.

Chevrolet Corvette C8.R - Rennwagen
Foto: Corvette Racing

Die Amis haben es tatsächlich getan, und bei der Corvette von Front- auf Mittelmotor umgestellt. Übrigens auch deshalb, weil der Mittelmotor im Rennsport mehr Performance verspricht.

Wie bei den Rennmodellen C6.R und C7.R lief die Entwicklung von Straßen- und Rennauto parallel, sodass beide C8-Versionen nahezu zeitgleich der Öffentlichkeit präsentiert werden konnten. Sollten im Januar 2020 alle Homologationsfragen zur Zufriedenheit von FIA und ACO abgearbeitet sein, wird die Corvette C8.R bereits beim IMSA-Saisonstart, dem 24h-Rennen in Daytona (23. bis 26.1), ihr Debüt geben – noch vor der Markteinführung des Straßenautos.

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Seit nunmehr zwei Jahren tüfteln Straßenauto-Entwickler und Rennteam an der neuen C8. „Das parallele Arbeiten mit dem neuen Mittelmotorkonzept war unabdingbar, damit beide Seiten voneinander lernen konnten“, sagt Corvette-Chefdesigner Ed Piatek, der für das Straßenauto verantwortlich ist.

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Corvette Racing
Ein 5,5 Liter großer Achtzylinder sitzt zwischen Fahrerkabine und Hinterachse.

Freiheit bei der Aerodynamik

Die Mittelmotor-Bauweise verlangte von allen Abteilungen ein Umdenken und neue Ansätze. „2016 veränderte sich das GTE-Reglement in der Art, dass man mit größeren Front- und Heckdiffusoren arbeiten konnte“, sagt Ben Johnson, C8.R-Projektleiter bei Corvette Racing und Teammanager des Corvette-Werksteams.

Die Chancen konnte Corvette mit dem neuen Konzept jetzt viel besser nutzen: „Wir haben den Aero-Leuten gesagt: ‚Das sind die Boxen, wo ihr euch laut FIA austoben dürft. Viel Spaß!‘ Die Aero-Regeln sind zwar strikt eingegrenzt, um die Kosten im Zaum zu halten, außerdem ist ein Korridor für den maximalen Abtrieb vorgegeben“, sagt Johnson. „Aber gleichzeitig kann man mit wenigen Änderungen bei der Aero die Gesamtperformance trotzdem stark beeinflussen, zum Beispiel die Reifennutzung und die Konstanz im Stint. Oder man kann die Empfindlichkeit in Bezug auf die äußeren Bedingungen wie Wetter oder Lufttemperatur minimieren – da liegt sehr viel Potenzial und Performance.“

Weil der Motor nun in der Mitte sitzt, hatte das Designteam viel mehr Freiheiten, um aus dem Front- und Heckdiffusor die maximale Performance herauszukitzeln. „Wir waren nur hinten durch das Getriebe leicht limitiert, aber da hat uns Partner Xtrac mit einem neuen und eigenständigen Getriebedesign für die C8.R wirklich sehr gut weitergeholfen“, sagt Johnson.

Gleichzeitig wurde der Unterboden so designt, dass der Luftstrom ruhig anliegt und Front- und Heckdiffusor perfekt miteinander harmonieren. „Im Prinzip versuchen alle im GTE-Sport, den Heckflügel so weit wie möglich nach hinten und oben zu setzen, weil das in der Interaktion mit dem Heckdiffusor die effizienteste Lösung ist“, erklärt Johnson. „Und hier lag auch unser Fokus bei der C8.R, da wir durch den Wechsel auf Mittelmotor mehr Platz und mehr Freiheiten hatten, um diese Interaktionen zu optimieren.“

Anderer Lufteinlass für das Rennauto

Im ersten Schritt versuchte das Designteam, die Abtriebswerte an der Vorderachse zu optimieren, die Hinterachse wurde dann immer so weit nachgezogen, wie es nötig war, um das Auto aeromäßig in der Balance zu halten. „Theoretisch könnte man noch mehr Abtrieb draufpacken, aber dann stimmt halt die Balance nicht mehr“, spricht Johnson über die Grenzen. „Außerdem spielen andere Fahrphänomene wie zum Beispiel die Pitch- und Nick-Anfälligkeit sowie die Gesamtbalance und Fahrstabilität eine Rolle, die in Abhängigkeit zur Aero-Verteilung stehen und die man gerne kontrollieren will.“

Gelegentlich mussten die Aerodynamiker auch vom Design des Straßenautos abweichen, zum Beispiel beim Lufteinlass für den Motor: Die Straßen-Corvette zieht die Ansaugluft beidseitig durch die großen seitlichen Lufteinlasskanäle in den Flanken. Das Rennauto hingegen nutzt einen großzügigen Lufteinzug in der Heckscheibe, also direkt oberhalb des V8-Saugmotors.

„Wir haben schnell festgestellt, dass der Lufteinlass in der Heckscheibe viel effizienter ist, weil so auch noch der Luftstrom zum Heckflügel positiv beeinflusst wird“, erklärt Ben Johnson. „Dazu steigt bei dieser Lösung auch der Staudruck im Ansaugsystem des V8-Motors.“ Sein Gegenpart auf der Straßenseite, Ed Piatek, konnte mit dieser Option aber nichts anfangen: „Dann wäre die Sicht nach hinten für den Fahrer völlig verbaut gewesen.“

Vom Lufteinlass in der Heckscheibe profitierte auch das Thermomanagement, da sich die Kühlung für Motor und Getriebe den Platz in den schnittigen Öffnungen der seitlichen Flanken nicht mehr mit der Luftansaugung für den Motor teilen musste. „Das war ein sehr kritisches Thema“, sagt Johnson, „denn im Vorgängermodell war die Kühlung leichter aufzuteilen, weil der Motor vorne saß und das Getriebe hinten. Jetzt teilen sich aber beide Komponenten den Bauraum in der Mitte und der Heckpartie.“

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Die Mittelmotor-Position schafft mehr Freiheiten bei der Aerodynamik.

Neues Auto, neue Hitzenester

Der Ingenieur führt weiter aus: „Vorher konnten wir also das Thermomanagement vorne und hinten splitten, während beim neuen Auto die Hitzenester allesamt im hinteren Bereich liegen, was auch andere Baugruppen wie zum Beispiel die Lichtmaschine beeinflusst: Die wurde vorher beim Frontmotorkonzept wegen der Einbaulage passiv mitgekühlt – jetzt benötigen wir eine aktive Kühlung und eine bessere Hitzeabschirmung, weil das Umfeld deutlich heißer ist. Und dafür benötigen wir eben auch mehr Kühlluft hinten.“

Die Flüssigkeitskühlung für den Motor wanderte indes nach vorne, wo ein großer zentraler Kühler perfekt angeströmt werden kann. „Das war ein logischer Schritt, denn erstens half uns das bei der Gewichtsverteilung, zweitens kann die heiße Abwärme des Kühlers nun seitlich hinter den vorderen Radhäusern entweichen, was ein Vorteil ist, denn laut Reglement darf man die Radhäuser ja nicht aktiv entlüften. Außerdem optimiert die austretende Kühlluft die Anströmung zur Heckpartie – das war also ein wichtiger Sprung beim Thermomanagement und beim Aeropaket.“

Eine weitere wichtige Änderung im Vergleich zur alten C7.R betraf die Bremsanlage: Corvette Racing folgte hier bei der Auswahl des Zulieferers einem Trend, der bereits von Aston Martin gesetzt worden war: Statt Brembo ist nun Alcon der Zulieferer für die deutlich größer dimensionierte Bremsanlage. „Es galt, bei der Auslegung der Bremsanlage die veränderte Gewichtsverteilung zu berücksichtigen“, erklärt Ben Johnson. „Wir können nun mehr Bremskraft nach hinten verteilen, gleichzeitig wollten wir die vorderen Bremsen vergrößern, um mehr Spielraum beim Verschleiß zu haben – etwa bei Rennen über die Ultradistanz von 24 Stunden.“

C8.R – good Vibrations?

Laut Johnson ist aber noch nicht ausgemacht, ob Corvette in Zukunft bei den ganz langen Rennen wirklich ohne einen Tausch der Beläge und Bremsscheiben auskommen wird. „Das wird sich erst noch erweisen, denn hier spielen viele Faktoren hinein. Mit speziellen Belägen kann man eventuell einen Wechsel sparen, hat aber auf der anderen Seite einen Kompromiss bei der Performance, weil die Piloten vorsichtiger mit der Bremsanlage umgehen müssen. All das muss man im Detail immer gründlich abwägen, zumal ja auch Abtrieb und Reifengrip die Bremsleistung zentral beeinflussen“, sagt Johnson. Ein Hintergedanke: Bisher gab es in Le Mans wegen der Boxenstoppregeln keinen direkten Penalty für einen Bremsentausch – doch das ändert sich mit den neuen Regeln für 2020.

Corvette Racing optimierte natürlich auch das Chassiskonzept: Da man mit einem weißen Blatt Papier loslegen konnte, sind nun erstmals die Aufhängungspunkte des Fahrwerks beim Rennauto und Straßenauto absolut identisch. Dazu gab es beim Chassis viel Detailarbeit beim Gewicht, bei der Schwerpunktlage sowie der Steifigkeit. Konkrete Zahlen zur neuen Gewichtsverteilung rückt Johnson aber natürlich nicht heraus: „Weil Gewichtsverteilung und Aero-Balance miteinander verknüpft sind, haben wir früh das operative Fenster in Simulationen sowie im Windkanal abgeprüft und bestimmt, denn daran hängt ja auch die Qualität der Reifennutzung. Was ich sagen kann, ist: Wir haben ein ziemlich breites Fenster, um die Gewichtsverteilung individuell anzupassen.“

Die Fans lieben seit 20 Jahren den grimmigen V8-Sound der Corvette ganz besonders. Die Musik kommt beim neuen Renner von einer Weiterentwicklung des bereits bisher verwendeten V8-Saugmotors mit 5,5 Litern Hubraum – das Grollen hat also überlebt. Doch die Tonalität hat sich verschoben, weil erstmals eine flache Kurbelwelle mit einem Hubzapfenversatz von 180 Grad zum Einsatz kommt. „Die flache Welle verbessert den Durchsatz und das Ansprechverhalten, ist aber anfällig für Vibrationen“, gibt Ben Johnson zu.

In der Tat soll es in der Testphase dazu gekommen sein, dass sich sogar Bauteile losvibriert haben. „Die Vibrationen sind eine Herausforderung, aber wir wussten, was auf uns zukommt. Daher waren wir vorbereitet und hatten Vorkehrungen getroffen. Deshalb hatten wir bisher keine fundamentalen Probleme – und wir hoffen, dass das auch für das erste Rennen in Daytona so bleibt.“ Insider sagen: Das glauben wir erst, wenn wir es sehen.