VLN Titelendspurt auf der Nordschleife
Renault Clio mit besten Meisterschafts-Chancen

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Beim VLN-Finale läuft alles auf einen Dreikampf zwischen Renault Clio, Audi TT RS und Porsche 911 RSR hinaus. Mit dem kleinen Clio-Team hat ausgerechnet der David im Trio die besten Chancen auf den Titel - denn beim achten Lauf strauchelten Porsche und Audi über die Technik.

VLN, Rennszene, Nordschleife
Foto: BR-Foto

Treffen sich ein Porsche 911 RSR, ein Audi TT RS und ein Renault Clio und fahren gegeneinander ein Rennen. Na, wer gewinnt? Nein, nicht der Porsche, sondern der Renault Clio. Kein schlechter Witz, sondern eine Konstellation, wie es sie wohl nur in der VLN Langstreckenmeisterschaft gibt. Am Ende jeder Saison richten sich die Scheinwerfer der großen Motorsportbühne auf diejenigen, die das ganze Jahr über im Schatten der GT3-Armada fahren.

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Ausgeklügeltes VLN-Punktesystem mit Renault Clio in Führung

Von Gesamtsiegen können sie meist nur träumen, vielmehr kämpfen sie um ihren eigenen Triumph – die Meisterschaft in der VLN Langstreckenmeisterschaft. Das ausgeklügelte Punktesystem der Breitensport-Serie macht es möglich, dass ein Renault Clio einen Porsche schlagen kann. Je mehr Starter in einer Klasse antreten, desto mehr Zähler sind im Jackpot.

Die Meisterschaftskandidaten, die nach dem achten Lauf noch im Rennen sind, bilden die komplette Bandbreite der Rennserie ab: Vom Renault Clio aus der Klasse Cup 3 über den Audi TT RS aus der Klasse SP3 T von 1,6 Liter bis 2,0 Liter Hubraum mit Turbolader bis hin zum Porsche 911 RSR aus der Klasse SP7 von 3,5 Liter bis 4,0 Liter Hubraum.

Die besten Chancen vor dem Finale dürfen sich die Clio-Kutscher ausrechnen. Die Brüder Tim und Dirk Groneck führen die Tabelle mit 69,73 Punkten vor dem Wochenspiegel-Porsche von Georg Weiss, Oliver Kainz und Michael Jacobs mit 65,08 Punkten an. Auf Platz drei liegen Christoph Breuer und Elmar Deegener im Audi TT RS mit 60,75 Punkten.

Sollten die Groneck-Brüder beim letzten Lauf unter die Top 6 kommen, dann ist die Meisterschaft so gut wie eingetütet. Sie sind die Einzigen, die aus eigener Kraft den Titel holen können.

Breitensport an der Spitze

Die beiden sind ein klassisches Beispiel, wie man in der VLN im übertragenen Sinn vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann. "Im ersten Jahr kamen wir noch mit einem Pritschenwagen, im zweiten Jahr hat uns ein Sponsor einen Sprinter ermöglicht, und jetzt haben wir einen Auflieger“, sagt Tim Groneck und grinst. Der 29-Jährige erinnert mit seiner schlaksigen Gestalt und den blonden Haaren ein wenig an Michel aus Lönneberga.
Der Auftritt macht im Fahrerlager Eindruck, doch den Groneck-Jungs ist es wichtig, immer noch als Amateur-Team gesehen zu werden. "Der Auflieger ist nur dazu da, um unsere Gäste zu betreuen“, stellt Dirk klar. "Wir machen alles nach Feierabend, unsere Helfer sind unsere Kumpels.“

Dass sie plötzlich um die Meisterschaft kämpfen, überrascht die beiden selbst. "Wir sind in diese Situation hineingeraten, wir hatten nie das Ziel oder das Budget dafür.“ Den Clio fahren sie bereits seit drei Jahren. Am Anfang war die Technik ein böhmisches Dorf für die Gronecks. "Wir haben zwar gemerkt, wenn das Auto nicht lief, wussten aber nicht, wo wir anpacken sollen. Wir waren wirklich blauäugig und wurden glücklicherweise von Roadrunner Racing und Ring Racing unterstützt“, erinnert sich Dirk Groneck an die Anfangszeit.

In dieser Saison muckte der Clio kaum auf und zog zuverlässig seine Kreise. Nur einmal verweigerte in einem Regenrennen der Wischer seinen Dienst. Das andere Mal hatte die Scheibenheizung keine Lust – Tim saß mit dem Putzlappen in der Hand hinterm Steuer, um die beschlagene Windschutzscheibe zu wischen. Im achten Lauf lief alles nach Plan. Der zweite Platz in der Klasse bescherte ordentlich Punkte, und noch während des Rennens machte sich Tim Groneck auf den Weg in die Heimat nach Melle – weil er zum zweiten Mal Vater wurde.

Drama bei den Titelkandidaten

Das Punktepolster in der Tabelle verdanken die Brüder teilweise dem Drama, das sich bei den anderen Titelkandidaten abspielte. "Als ich in die Boxengasse gefahren bin und den Knopf für den Speedlimiter gedrückt habe, hat es einfach Knack gemacht“, sagte Oliver Kainz. Der Wochenspiegel-Porsche verharrte rund eine halbe Stunde in der Box, weil eine gebrochene Antriebswelle getauscht werden musste. Danach trompetete man jedoch zur Aufholjagd und holte mit Platz neun in der Klasse immerhin noch 4,33 Punkte.

Die gelb-grüne Speerspitze von Manthey fiel auf Siegeskurs ebenfalls mit Antriebswellendefekt aus. Beim Wochenspiegel-Porsche standen 19 Stunden Laufzeit für die Antriebswelle zu Buche, beim gelb-grünen RSR gerade mal zwölf Stunden. Die Empfehlung für einen Wechsel liegt eigentlich bei 30 Stunden.

Olaf Manthey war verständlicherweise wenig beeindruckt: "Es ist wirklich eine Schande, dass die Antriebswellen nach so vielen Jahren immer noch ein Thema sind. Bei dieser Laufzeit bräuchten wir bei einem 24-Stunden-Rennen ja einen Schnellverschluss, um sie zu wechseln“, unkte er. "Ich habe keine Erklärung dafür und werde mich in Zukunft mal nach Alternativen für dieses Bauteil in Amerika umsehen.“

Wochenspiegel-Häuptling Georg Weiss nahm den Rückschlag im Titelkampf recht gefasst hin. Es scheint, als könnte ihn nach der Pechsträhne in der vergangenen Saison, als unter anderem sein RSR einmal komplett abbrannte, nichts mehr so leicht aus der Ruhe bringen. "Wir geben die Hoffnung nicht auf“, sagte er. Das Wochenspiegel-Trio hatte die Meisterschaft nicht als Saisonziel ausgegeben. Denn die SP7-Klasse hat sich in der Vergangenheit nie als Meistermacher-Kategorie bewährt. Zuletzt gewann 1999 mit der Dodge Viper ein Auto dieses Kalibers den Titel. Für Porsche wäre es ohnehin eine Premiere.

Porsche 911 in der VLN noch mit Chancen

Dass die drei nun trotzdem ein Wörtchen um die Krone mitreden, lässt sich an mehreren Faktoren festmachen. Zum einen tummelten sich zwischen 14 und 18 Autos in der Klasse – entsprechend hoch ist die Punkteausbeute. Dass Teamchef Olaf Manthey seinen RSR auf 4,4 Liter aufgerüstet hat und damit in die SP8 wechselte, kam dem Wochenspiegel-Trio natürlich entgegen – so spuckte man sich im Team nicht gegenseitig in die Suppe. Die Groneck-Brüder betrieben diese Taktikspielchen übrigens genau andersherum, indem sie noch einen zweiten Renault Clio bei manchen Rennen einsetzten – somit fiel die Starterzahl und damit auch das Punktekontingent automatisch höher aus.

Konstanz als Erfolgsgeheimnis

Ein weiterer Bestandteil des Erfolgsgeheimnis, der bei allen Meisterschaftskandidaten als besonders wichtig eingeordnet wird: Konstanz. "Wir fahren seit 2009 in dieser Konstellation. Wir sind ein homogenes Team und es gibt keinen Wechsel“, sagt Weiss. Nicht zu vergessen: die menschliche Komponente. "Das vergangene Jahr, das für uns ja wirklich ein Seuchenjahr war, hat uns noch mehr zusammengeschweißt“, sagt Kainz. Und Michael Jacobs ergänzt: "Georg ist die gute Seele im Team. Er knurrt auch mal, aber er kümmert sich einfach um alles.“

Christoph Breuer und Elmar Deegener hatten 2010 schon einmal die Chance, sich die VLN-Krone zu schnappen, strandeten im letzten Rennen allerdings mit einem Motorschaden. In diesem Jahr spielten Technikdefekte nur noch eine untergeordnete Rolle, weil man von der 2,5-Liter-Version des TT RS, bei der das Getriebe eine Achillesferse war, auf einen 2,0-Liter-Vierzylinder-Serienmotor mit Seriengetriebe umstieg. "Damit haben wir uns die Zuverlässigkeit zurückgeholt“, sagt Breuer.

Doch dieses Mal ereilte den Audi TT RS von Raeder Motorsport ironischerweise das gleiche Schicksal wie die Manthey-Porsche – ebenfalls eine defekte Antriebswelle. Das Rennen war für Deegener und Breuer damit gelaufen. Sie haben nur noch reelle Chancen, wenn die Titelkonkurrenten beim Finallauf ausfallen sollten.

Zerplatzte Titelträume

Auch Rolf Derscheid verging nach dem vorletzten Saisonrennen das Lachen. Der 53-Jährige hatte mit seinem Teamkollegen Michael Flehmer vor dem Rennen noch klitzekleine Außenseiterchancen auf die Meisterschaft. Die Ausfälle des Porsche und des Audi hätten ihm voll in die Karten gespielt. Doch Derscheid verlor im Karussell die Kontrolle über seinen BMW 325i und legte eine Rolle übers Dach hin.

Zu diesem Zeitpunkt führte er seine Klasse mit 30 Sekunden Vorsprung an. "Ich ärgere mich wahnsinnig über mich selbst“, sagte er. Als Dirk Groneck von all den Ausfällen der Konkurrenz über Funk erfuhr, nahm er Tempo raus und schaute nur noch, dass er den Clio sicher ins Ziel steuerte.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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