Mercedes S-Klasse (W223 ab 2020)
Technik-Highlights der neuen Oberklasse-Limo

Ein paar Features der neuen S-Klasse möchte Mercedes nicht länger geheim halten, sozusagen im kleinen Kreis präsentieren – wozu die spezielle Hinterachslenkung entscheidend beiträgt. Dazu: MBUX, nächste Generation. Und ein Elefant.

Mercedes S-Klasse W223
Foto: Mercedes

Derzeit findet man das große Vergnügen ja gerne mal im Kleinen, mitunter direkt vor der eigenen Haustür. Aber im nächsten Parkhaus? Eher unwahrscheinlich. Jürgen Weissinger sieht das anders. Der verantwortliche Ingenieur für die Mercedes S-Klasse steuert mit geradezu kindlicher Begeisterung einen Prototyp der Luxuslimousine durch ein Parkhaus am Rande des Werks Sindelfingen. "Passen Sie mal auf!", ruft er nach rechts hinten, dort, wo man eben so sitzt in einer S-Klasse. Viel zu spät lenkt er in die Auffahrt ein, schert nicht aus.

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An Beton schabendes Metall, das über den Randstein rumpelnde linke 20-Zoll-Hinterrad, vielleicht gefolgt von einem Reifenplatzer (wäre bei diesem Tempo kein Wunder) – nichts davon passiert. Der Mercedes biegt einfach ab. Das macht Weissinger noch ein paar Mal, wendet mal hier, mal dort, fährt aus dem Parkhaus raus, steuert die Limousine in einen engen Innenhof, wendet wieder in einem Zug, mit kaum mehr als zwei Lenkradumdrehungen von Anschlag zu Anschlag. Wie das möglich ist? Durch die spezielle Hinterachslenkung. "Dadurch kann an den Hinterrädern ein Lenkwinkel von bis zu zehn Grad anliegen, was eine außergewöhnliche Wendigkeit ermöglicht", erklärt Weissinger.

Deutlich mehr Radstand

Wie außergewöhnlich? "Der Wendekreis reduziert sich um bis zu zwei Meter", sagt er. Und das, obwohl der Radstand von 3035 um 71 auf 3106 Millimeter zulegt – bei der kurzen Variante. Die lange S-Klasse legt um 51 auf 3216 Millimeter zu.

Mercedes S-Klasse W223
Mercedes

Man habe sich dazu entschlossen, da der Verkehrsraum in den Metropolen dieser Welt immer geringer werde und die Kunden das Plus an Handlichkeit sicher zu schätzen wissen. Oder deren Chauffeure. Oder beide. Gut, sie könnten auch ein kleineres Auto kaufen, aber das ist ein anderes Thema. Zumal die neue S-Klasse weit mehr zu bieten haben wird – Technik, die zunächst kleineren Fahrzeugen vorenthalten bleibt. Über das neue MBUX-System habe wir an dieser Stelle bereits informiert.

Die Hinterachslenkung jedenfalls stellte die Entwickler vor allem hinsichtlich des Geräuschkomforts vor große Herausforderungen. Denn dort, wo bei einer normalen Konstruktion mit einem Lenkwinkel zwischen 2,5 und knapp vier Grad gegensinnig Gummilager eingesetzt werden können, müssen nun Gelenke verbaut werden, die Reibung erzeugen. Entsprechende Vibrationen und Geräusche gilt es jedoch zu eliminieren, Luxusklasse eben.

Und: Es ist wichtig, bei der Abstimmung zwischen Vorderachs- und Hinterachslenkung die sogenannte Phase zu vermeiden, also eine für den Fahrer spürbare Disharmonie beim Einlenken. Im Stand übrigens, bei abgeschaltetem Motor, richten sich die Hinterräder automatisch in Null-Stellung aus. Zur Stabilisierung bei hohem Tempo lenken sie dann um bis zu 1,7 Grad gleichsinnig mit den vorderen, wenngleich Weissinger schon auf die Achse selbst stolz ist.

Die Fünflenker-Konstruktion sei sehr seitenkraftuntersteuernd ausgelegt, vermittele also viel Fahrsicherheit und Souveränität. Und trotz der lenkbaren Räder wiege sie weniger als die des Vorgängers. "Überhaupt ist es uns gelungen, durch konsequente Detailarbeit das Gewicht weiter zu reduzieren", betont der Chefingenieur. So steigt allein beim Karosserierohbau der Aluminiumanteil von rund 30 auf über 60 Prozent.

Klar ist aber auch: Durch das umfangreichere Angebot an Sonderausstattungen kann eine S-Klasse am Ende dann doch wieder mehr wiegen als der Vorgänger. Dazu trägt etwa das neuartige Head-up-Display bei. Es projiziert Informationen zehn Meter weit vor das Auto, damit der Fahrer wirklich den Blick auf der Fahrbahn behalten kann. Zudem ermöglicht es die sogenannte Augmented Reality, beispielsweise bei aktivierter Navigation Richtungspfeile auf die Fahrbahn zu legen.

"Die Box, die dazu im Armaturenträger steckt, hat ein Volumen von 27 Litern. Das beeinflusst die Gestaltung des Autos sehr – allein die Neigung der Frontscheibe sowie der Verlauf der notwendigen Kühlkanäle, aber auch die Position des Lenkrads", erklärt Weissinger.

Deutlich mehr zu bedienen

Alles was im Infotainment-System steckt, fällt in den Fachbereich von Pedro Ribeiro Monteiro. "Eine der wichtigsten Neuheiten ist, dass sich MyMBUX nun von allen vier Sitzplätzen individuell bedienen lässt, vorausgesetzt, das Rear Seat Entertainment ist an Bord. Dazu gibt es noch ein herausnehmbares Tablet", erläutert der Director Infotainment Systems MBUX. Am auffälligsten ist jedoch der zentrale Monitor mit einer Bilddiagonale von 12,8 Zoll und einer Auflösung von 1888 x 1728 Pixel, also einer Punktdichte von 201 dpi.

Mercedes S-Klasse W223
Mercedes

Alle Icons darauf wenden sich Fahrer oder Beifahrer zu, je nachdem, wessen Hand sich nähert. Natürlich hört das System auch aufs Wort, und zwar "auf beliebig viele Kommandos direkt hintereinander", wie Monteiro betont. Dazu gibt das System gerne auch den Erklärbären, wenn etwa im Kombiinstrument ein Warnsymbol aufleuchtet. Auf Nachfrage folgt die Erläuterung der Bedeutung.

Außerdem reicht MBUX nun ein zugerufener Begriff wie "Wasser", um in verschiedenen Kategorien unterteilt Kontakte, Navigationsziele und Sonderziele aufzulisten – darunter sogar Restaurants in der Nähe, die an einem See liegen. Teilen sich mehrere Personen eines Haushalts eine S-Klasse, kann jede ihr persönliches Anwendungsprofil geschützt speichern, sich per Gesichtserkennung, Sprache oder Fingerprintsensor identifizieren.

Im 3-D-fähigen Kombiinstrument steckt eine Kamera, die das ermöglicht. Mehr noch: "Auch ohne gespeichertes Profil richten sich mithilfe der Kamera die augmentierten 3-D-Objekte im Head-up-Display passend zur ihrer Blickhöhe aus. Und sie registriert den Lidschlag, um so bei Müdigkeit eine Pause anzumahnen", sagt Monteiro.

Deutlich mehr Intuition

Bis der nächste Parkplatz angesteuert werden kann, startet dann die S-Klasse ein Programm aus dem Energizing-Comfort-Repertoire, mit belebender Sitzmassage und Ambientebeleuchtung, entsprechendem Duft sowie passender Musik. Generell soll der Mercedes seinen Insassen viel Arbeit abnehmen, sich trotzdem intuitiv bedienen lassen, unter anderem mit einer Mischung aus Aktion, Sprache und Gestik, jedoch keiner bewusst herbeigeführten.

Kleines Beispiel? Bitte sehr: Wenn der Fahrer den Rückwärtsgang einlegt und seinen Kopf in Richtung Heckfenster dreht, wird automatisch das Heckrollo abgesenkt. Dreht er den Kopf nicht, geht das System davon aus, dass das Rundum-Kamera-Bild im Monitor zur Orientierung genutzt wird – das Rollo bleibt oben. Entsprechend komplex geriet My MBUX: "Allein die Head-Unit beinhaltet rund 30 Millionen Zeilen Softwarecode wegen der weit über 1000 Funktionen des Systems", sagt Monteiro.

Ebenso schätzt er den Unterhaltungswert, den das eigene Auto vor der Tür bieten kann, das große Vergnügen im Kleinen. So könne die S-Klasse beispielsweise Witze erzählen. Oder aber: "Hey Mercedes, wie macht ein Elefant?" fragt der Ingenieur. Und aus dem Audiosystem des Mercedes trompetet ein Elefant.

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Fazit

Irre, wie viel Technik in der neuen S-Klasse stecken wird. Unnötig? Tja nun, Luxus eben. Die Darstellbarkeit des Machbaren, der Anspruch, in allem das Beste zu bieten, dazu dem Fahrer den Umgang mit dem Auto so leicht und natürlich wie möglich zu gestalten. Apropos leicht: Wenn der Mercedes nun tatsächlich weniger wiegt als das (noch) aktuelle Modell, haben die Entwickler alles richtig gemacht.