VW ID.X (2021) mit Allradantrieb
So cool fährt die E-Version des Golf R

Ein paar VW-Entwickler haben ausgediente Erprobungsfahrzeuge gefleddert und einen Frankenstein-ID.3 gebaut – mit zwei Motoren aus dem ID.4 und 333 PS – einen ID.3 GTX quasi. Wir konnten ihn ausprobieren.

VW ID.X ID.3 mit Allradantrieb
Foto: VW

Der ID.3 ist nicht nur VWs erstes E-Auto für richtig große Stückzahlen, sondern markiert auch eine Rückkehr zum Heckantrieb wie einst beim Käfer. Dass das nicht nur für drehmomentstarke Elektromotoren Traktions-Vorteile bringt, sondern auch unter fahrdynamischen Gesichtspunkten ein Vorteil ist, müssen selbst GTI-Fahrer zugeben.

Der ID.3 ist ja kraft seines Layouts und seiner Abmessungen sowas wie der elektrische Golf. Von daher könnte man angesichts des zunächst unerwarteten, aber jetzt schon lange anhaltenden Verkaufserfolgs des GTI auch einen besonders sportlichen ID.3 erwarten. Der stärkste Elektromotor auf dessen Hinterachse hat aktuell aber "nur" 204 PS. Das sind zwar mehr, als einst beim Golf GTI der fünften Generation, aber das Elektroauto wiegt etwa 1800 Kilogramm, während selbst der aktuelle GTI mit 245 PS unter 1400 Kilogramm bleibt.

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Elektro-GTI mit Allradantrieb?

Das schwere E-Auto mit dem zwangsläufig höheren Gewicht braucht also auch mehr Leistung, um die GTI-Formel "kleines Auto, großer Motor" in die Zukunft zu übersetzen. Einen elektrischen Antriebsstrang mit mehr Power hat VW grundsätzlich auch im Regal bzw. im ID.4 GTX. Aber der hat zwei Motoren, die permanent erregte Synchronmaschine mit 204 PS hinten und einen 109 PS starken Asynchronmotor vorn. Ergibt 299 PS Systemleistung und Allradantrieb, was zum SUV ID.4 gut passt, aber nicht in den ID.3 – dessen vorderer Überhang ist zu kurz. Eigentlich.

Denn es gibt eine Entwicklungsabteilung bei VW, die das Thema E-GTI reizvoll genug fand, um die Herausforderung anzunehmen. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit des E-Antriebs stöberten die Ingenieure im Fahrversuch nach Brauchbarem, das zum Wegschmeißen zu schade war. Sie fanden: Einen ID.3 1st Max mit 62-kWh-Akku aus einem abgeschlossenen Erprobungslauf, der seiner Verschrottung harrte, einen 82-kWh-Akku aus einer Verschrottung und einen ID.4 GTX, der grade einen Roll-over-Crashtest hinter sich hatte. Weil das vor allem die Karosse zerstört und nicht den Antriebsstrang, war der Organspender für den Antrieb mit zwei Herzen gefunden und wurde mitsamt dem großen 82-kWh-Akku in den grauen ID.3 1st implantiert. Der Name spielt auf die Kreuzung aus zwei Typen, weil die Endziffer der Modellbezeichnung quasi unbekannt ist. Außerdem steht "X" ja gemeinhin auch für Vierradantrieb.

Wie kriegt man den zweiten Motor in den ID.3?

Dazu mussten die Auto-Chirurgen die Antriebswellen um je 20 mm gekürzt, sowie das Kühler-Paket um 10 Grad geneigt im Vorderwagen einbauen und den Gleichtromwandler ins Heck verlegen. Das erforderte eine Vergrößerung der Heckwanne im Kofferraum, der das Fach fürs Ladekabel unter dem Kofferraumboden des ID.3 zum Opfer fiel. Die Position des Wandlers würde ihn bei einem Heckaufprall sicher früh in Mitleidenschaft ziehen, aber das Auto soll ja schnell und immer schon weg sein, ehe jemand hinten reinfahren kann. Für eine Serienproduktion sind die Umrüstungen dennoch ungeeignet – zu eng, zu frickelig, zu aufwendig.

VW ID.X ID.3 mit Allradantrieb
VW
Die Modifikationen am ID.3 auf dem Weg zum ID.3 auf einen Blick.

Aber für das Einzelstück konnten sich die Schrauber gleich noch ein paar Maßnahmen für eine fetzigere Optik erlauben. Wobei sich der Aufwand dabei in Grenzen hält, der Effekt aber beträchtlich ist und den ID.X zum gern gesehenen Gast beim GTI-Treffen am Wörthersee machen würde – wenn das jemals wieder stattfindet. Jedenfalls zieren die im Kontrast zum glänzend schwarzen Dach mattgraue Lackierung jetzt ein paar Rauten in Neongelb und Schwarz, die die Linienführung genauso positiv betonen, wie die Regenrinnen und Schwellerstreifen im selben Neon-Ton, der zudem die Linsen der Frontscheinwerfer umrandet und dem freundlichen E-Autogesicht einen deutlich konzentrierteren Blick verleihen. Das Einzige, was es nicht im VW-Regal gab, waren die 21-Zoll-Felgen. Jetzt stehen kantig gestaltete Borbet BY in den Radhäusern und lassen tatkräftig Abstand zu den Radläufen – die Federbeine stammen ebenfalls aus dem ID.4 und würde man darauf die Karosse weiter senken wollen, wäre das der Fahrwerksperformance abträglich.

VW ID.3 GTX ID.X Konzept Studie
Volkswagen
Gelbe Corona-Ringe in den Scheinwerfer. Die dürfen gerne zum Markengesicht des ID.3 GTX werden.

Wie fährt ein ID.3 mit bis zu 333 PS?

Apropos Performance: Wir wollen ja nicht nur bewundernd um den ID.X rumlaufen, sondern fahren. Also rein in den ebenfalls mit Neon-Linien geschickt aufgehübschten Innenraum. Die Topsport-Sitze mit integrierten Kopfstützen umfangen uns mit weicher Bestimmtheit, das griffige Lenkrad mit Spange in – man ahnt es – Neongelb lässt sich in weitem Bereich verstellen. Man sitzt bequem, nicht unbedingt tief, aber bereit für sportliche Herausforderungen. Die fallen zunächst überschaubar aus: Startknopf an der Lenksäule drücken oder einfach nur aufs Bremspedal und der ID.X begrüßt mit einem modifizierten Startbildschirm: "Made with passion and friends" steht da in Handschrift unter einer Neon Fieberkurve über der der Modellschriftzug prangt. Gebrüll? Fehlanzeige. Klar, das ist trotz Kriegsbemalung und Aufwand ein Auto mit elektrischem Allradantrieb. Letzterer sorgt für 245 kW, 333 PS nach alter Währung. Der Motor hinten gibt 20 kW mehr ab als im ID.4 GTX. Das würde freilich nur bedingt hilfreich sein, wenn die Batterie nicht mehr Leistung anbieten könnte. Ein geändertes Management lässt sie jetzt bis zu 285 kW (388 PS) freigeben, zumindest 18 Sekunden lang. In der Serie ginge das auf die Haltbarkeit, da kämen womöglich ein paar Garantiefälle mehr zusammen.

Viel Kraft, wenig Krach

Aber wir sitzen ja nicht in einem Serienauto, sondern in einem sündteuren Einzelstück. Also oben rechts neben den Instrumenten auf "D" stellen, ganz ohne Geräusch und rauf aufs rechte Pedal, auf dem wie beim ID.3 üblich, ein Play-Button eingeprägt ist. Selten passte das besser. Wir wollen nur spielen. Der ID.X schnalzt auf die Schnellfahrbahn des Testgeländes in Wolfsburg, als wäre ihm ein TGX der Konzernschwester MAN ins Heck gerauscht – wir denken kurz an den Gleichstromwandler im Heck. Aber okay, wer je in einem Tesla saß, wird abwinken, lächerliche Beschleunigung ist das noch nicht.

Kurz, aber erwachsen und mit Fahrwerkskompetenz

Doch die Kombination aus Kompaktheit und lautlosem, völlig mühelosem E-Auto-Punch bietet durchaus einen spezifischen Reiz und als die Geschwindigkeitsanzeige über der Bahn vor der Steilkurve nach sehr kurzem Anlauf irgendwas mit 130 km/h anzeigt, weicht die anfängliche Lust mit dem nur 4,26 Meter langen ID.X ein wenig Slalom zu fahren, einer gewissen Anspannung, ob der Kraftzwerg stabil genug liegt. Die Sorge ist völlig unbegründet. Das ID.4-Fahrwerk arbeitet auch im ID.3 bzw. ID.X extrem souverän, spricht so sensibel an, dass man ihm auch viel Komfort zutraut, saugt sich dabei aber derart an der Fahrbahnoberfläche fest, dass die Straßenlage keine Grenzen zu kennen scheint. Die Kompression in den Steilkurven verstärkt den Eindruck. Sie drückt den Piloten erbarmungslos in die Topsportsitze, bis die Körperkonturen die der Seitenwangen scheinbar nicht mehr überragen. Willig folgte der Allradler dem Verlauf der Steilkurven wie im unsichtbaren Schlitz einer Carrera-Bahn gezogen. Mutiger geworden lässt der Pilot die E-Motoren stromern, was die Batterie hergibt. Zwar käme es weder bei unserer noch bei anderen Testfahrten auf die Reichweite an, aber die Entwickler konnten sich trotzdem nicht dazu durchringen, die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit rauszuprogrammieren – bei 160 km/h endet die Beschleunigung.

VW ID.X ID.3 mit Allradantrieb
VW
In der Steilkurve saugt sich der ID.X regelrecht an die Fahrbahn an. Nur das ESP kann mit der schrägen Oberfläche nichts anfangen.

Die sollten es dann schon sein in der Steilkurve, oder? Das macht den Blick enger als ein Nadelöhr und wenn der Horizont nach rechts abkippt, selbst unterhalb der Sonnenblende nur mehr gebogener Asphalt zu sehen ist, krümmen sich Raum und Zeit der eigenen Wahrnehmung. Ein eigenartiges Gefühl zwischen Nacken und Hinterkopf lässt den Fahrer vom Gas gehen. Schlechte Idee: Ein deutlicher ESP-Eingriff reduziert die Leistung spürbar, das Popometer sendet kurz ein Alarmsignal – setzt das Heck zum Überholen an? Nein, das nicht, alles bleibt im grünen Bereich, die Geschwindigkeit sinkt rasch, eine Lenkbewegung Richtung Fahrbahninnenseite rückt den Horizont in die Waagrechte. "Die Fahrwerkselektronik hat halt keine Steilkurvenerkennung", erläutert Sven Wachendorf, der maßgeblich an der Realisierung des ID.X mitgewirkt hat – wer also in der Schräge vom Gas geht, verwirrt die Elektronik und die macht den elektrischen Hot Hatch vorsorglich langsamer.

Der VW ID.X punktet bei Beschleunigung mal Länge

Also lieber noch ein paar Mal die kräftige Beschleunigung aus dem Stand genießen. Zuerst anhalten. Die Bremsen greifen super, ungeachtet dessen, dass auch der ID.X hinten nur "trommelt". Dann herrscht Stille im schwarzen Kompakten. Der Druck aufs "Play-Pedal" entfesselt scheint’s auch beim fünften Mal immer die gleiche Kraft: kein Krach, keine Traktionsprobleme, nur lautloser Vortrieb. Fast wie im Taycan, für den Porsche 10 Mal 0 bis 200 km/h in 10 Sekunden verspricht. Klar, im ID.X geht’s nicht ganz so schnell, aber die Reproduzierbarkeit ist da. Und die entspannte Sitzposition, der gute Überblick sowie das Bewusstsein, dass der Wagen nur wenig vor der Windschutzscheibe und gar nicht so weit hinter dem Fahrersitz endet, vermitteln 1A-GTI-Feeling. Der klassische Kompaktsportler ist ja auch nicht so schnell wie ein Panamera Turbo und fühlt sich doch leichtfüßiger an.

VW ID.3 GTX ID.X Konzept Studie
Volkswagen
Die Intergralsitze passen zur sportlichen Grundausrichtung, sind aber bereits heute für alle ID-Modelle zu haben.

Die Clubsport-Variante des GTI hat der ID.X übrigens beschleunigungstechnisch schon im Sack. Und der allradgetriebene Golf R ist als nächstes dran: Eine kleinere Batterie (62 kWh) soll 200 Kilogramm Gewichtsersparnis bringen, ein weiter modifiziertes Batteriemanagement soll ihr erlauben, mit 300 kW Leistungsabgabe umzugehen. Warum? Weil eine Performance-Version des Hinterachsantriebs 30 Nm Überlast als Boost vertragen und 40 kW mehr Leistung haben soll. Das wären dann 286 PS allein an der Hinterachse. Eine schöne Perspektive für einen Serien-GTX, auf den man wohl 2023 hoffen darf. Dem fehlen dann zwar die 80 kW des vorderen E-Motors, aber auch dessen Gewicht sowie das seines Einganggetriebes und der Gelenkwellen. Das macht das X in der Typenbezeichnung weniger logisch, aber den elektrischen GTI zu einem sicher spaßigen Hecktriebler. Während der ID.X praktisch das gleiche Gewicht auf beide Achsen bringt, aber angeblich trotzdem ein ordentliches Driftpotenzial bietet, könnte ein ID.3 GTX deutlich hecklastiger und entsprechend unterhaltsamer werden – wenn VW ihn lässt. Dann bräuchten wir auch keine Steilkurvenerkennung und der Wandler müsste nicht ins Heck.

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Fazit

Seit Tesla sind Sprintstärke und E-Auto quasi Synonyme. So gesehen ist der ID.X nichts Besonderes. Aber bei ihm liegt die Würze in der Kürze. Ein Model 3 ist gut 40 Zentimeter länger und taugt einfach nicht zum klassischen Hot Hatch. Außerdem faszinieren Baukasten-Gedankenspiele schon bei Verbrennern. Und natürlich das GTI-Prinzip: Man nehme ein kompaktes Brot- und Butter-Auto, packe einen kräftigeren Motor hinein und modifiziere das Fahrwerk – fertig ist der spaßige Alleskönner. Und so einer ist der ID.X, und der ID.3 GTX dürfte auch so einer werden.