60 Jahre Mercedes 300 SL
Das schönste Auto aller Zeiten

Der Mercedes 300 SL ist nicht nur eines der schönsten Autos aller Zeiten, er hat mit seinen Flügeltüren, seiner Leichtbau-Konstruktion und seinem direkteinspritzenden Reihensechszylinder auch technisch Maßstäbe gesetzt.

Mercedes 300 SL, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Es wäre so eine schöne Geschichte gewesen: Dem Mercedes 300 SL verlieh damals ein visionärer Designer Flügel, der beim Zeichnen des Autos aus seinem Strandhaus versonnen den balzenden Möwen zuschaute. Schnitt. Indes – die Realität schreibt viel interessantere Geschichten: Monsieur Acat ist nämlich schuld an den Gullwings, also den Möwenschwingen. So lautet auch der englische Kosename für den gewählten "Sportwagen des Jahrhunderts". Der Sportkommissar des Automobile Clubs de l’Ouest teilte am 14. März 1952 Daimler-Benz mit, wie die Türen des neuen Rennwagens abzuändern seien, damit sie seinen Segen für das Rennen in Le Mans bekämen. So, dass die Karosserie dem Reglement entsprach und der Fahrer trotzdem einsteigen konnte.

Monsieur Acat verlieh dem Mercedes 300 SL also seine extravaganteste Attraktion, die großen Flügeltüren, und ließ die Träume der Automobilfans fliegen – bis heute. Flügeltüren sind immer noch das Symbol eines Luxus-Sportwagens schlechthin. Auch wenn sie inzwischen ein wenig aus der Mode gekommen sind und Mercedes bei der Einladung zur Vorstellung des Nachfolgers des flügeltürigen SLS AMG, dem GT, ausdrücklich darauf hinweist, dass der Neue auch ohne dieselben ein besonderes Auto sei. Er feiert auf dem Pariser Autosalon im Herbst Premiere.

Mercedes 300 SL wiegt nur 1,3 Tonnen

Dass der Mercedes 300 SL – oder W198, wie sein Mercedes-Code lautet – ein besonderes Auto ist, darauf muss heute wahrhaft niemand mehr hinweisen. Der Mercedes Superleicht (SL) ist einer der bekanntesten, begehrtesten und teuersten Oldtimer überhaupt. Einer, der das augenzwinkernde Paradoxon schafft, dass inzwischen mehr davon auf der Straße fahren als je gebaut wurden. Bei manchen ist jedoch – wenn überhaupt – höchstens die Fahrgestellnummer original.

Der 300 SL ist wie Phönix aus der Asche aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs auferstanden. Es darf ohne Übertreibung als automobiles Geniestück bezeichnet werden, was der deutsch-englische Ingenieur Rudolf Uhlenhaut damals, 1952, in notdürftig wiederaufgebauten Mercedes-Produktionsstätten auf die Räder stellte. 1954 schaffte die deutsche Nationalmannschaft das Wunder von Bern – und Uhlenhaut mit der Serienversion des Mercedes 300 SL das Wunder von Stuttgart.

Noch lange bevor Leichtbau zur Marketingfloskel wurde, setzte Uhlenhaut diesen beim Mercedes 300 SL konsequent durch. Der für den Rennsporteinsatz entwickelte und aus vielen kleinen stabilisierenden Dreiecken zusammengesetzte Gitterrohrrahmen wiegt nur 82 Kilogramm, das ganze Auto unter 1,3 Tonnen. Werte, bei denen heute jeder Porsche vor Neid rot anläuft, auch wenn eine Gitterrohrkonstruktion längst nicht mehr Stand der Technik ist. Wer wollte, konnte die komplette Karosserie übrigens ganz aus Alu statt aus Stahl bestellen, was das Gewicht noch mal um 80 Kilogramm drückte.

Erster Serien-Direkteinspritzer

Der wohl größte Geniestreich des Mercedes 300 SL steckt aber unter der Motorhaube: ein drei Liter großer Reihensechszylinder mit – Achtung, 1954! – Direkteinspritzung. Der aus dem Vorgänger W186 abgeleitete M198-Motor tauschte als erster in Serie gebauter Viertakter den damals und noch lange dominierenden Vergaser gegen eine für damalige Verhältnisse extrem komplizierte Direkteinspritzung ein. Wer den im ungewöhnlichen Winkel von 45 Grad liegenden Reihensechser fahren darf, ist heute noch begeistert von Ansprache, Drehfreude und natürlich dem Sound des Aggregats. Wenn die Nadel des Drehzahlmessers die 4.000er-Marke hinter sich gelassen hat, packt den Motor ein Temperament, das auch 60 Jahre danach immer noch Begeisterung erzeugt.

Tempo 220 erreichte der Mercedes 300 SL aus 215 PS und mit der kürzeren Serienübersetzung. Mit länger übersetzter Hinterachse sollen sogar 267 km/h möglich gewesen sein. Noch mal zur Erinnerung: 1954! Allzu viel Euphorie sollte den Piloten bei solchen Geschwindigkeiten aber nicht überwältigen. Denn so fortschrittlich der Motor, so konventionell die Komponenten, die das Feuer auf der Straße wieder bremsen mussten: Vier damals übliche Trommelbremsen zwingen den 300 SL mit allem, was die Backen hergeben, wieder in den Stand.

Über seine berüchtigte Pendelachse können ergraute Sportfahrer Horrorgeschichten erzählen. Wenn der 300 SL ins Instabile kam, musste der Volant-Artist schon reichlich fahrerisches Talent besitzen, um ihn wieder zu bändigen. Wie schrieb auto motor und sport beim ersten Test: "Der Mercedes 300 SL kann dann plötzlich ausbrechen und vergibt keinen Übermut." 1957 wurde beim Roadster die Pendelachse durch eine Eingelenk-Konstruktion verbessert, und erst 1961 erhielt er an allen vier Rädern Scheibenbremsen. All das hatten Karl Kling und Beifahrer Hans Klenk nicht, als sie 1952 trotz Geier-Einschlags in der Frontscheibe die legendäre Carrera Panamericana gewannen: Sie fuhren 3.111 km mit einem Durchschnittstempo von 165 km/h.

Und das alles in der Enge des Innenraums, der sich backofenartig aufheizt. Wer Kühlung brauchte, musste mit den Flügeln schlagen. Um den Einstieg in das Coupé zu erleichtern, ließ sich das Lenkrad nach unten wegklappen. Eine Idee die zwar keine Schule machte, jedoch exemplarisch für das Besondere am 300 SL steht.

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