Entwicklungschef Weber - EU-CO2-Grenzwerte unterschreiten
Mercedes forciert Öko-Innovationen

Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber erklärt im Gespräch mit den auto motor und sport-Redakteuren Birgit Priemer und Harald Hamprecht, wie der Konzern an allen Stellschrauben dreht, um seine Autos umweltfreundlicher zu gestalten.

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Foto: Schulte

Herr Weber, wie sieht Ihr europäischer CO2-Plan bis 2020 aus?
Weber: Unsere grüne Offensive rollt schon seit einigen Jahren - den genauen Fahrplan haben wir 2007 auf der IAA vorgestellt. Jetzt beginnt sich diese Offensive auszuzahlen. Wir haben 2009 unseren Flottendurchschnitt um 13 Gramm auf 160 Gramm CO2/Kilometer gesenkt. Damit liegen wir vor Audi, obwohl diese Marke viel mehr kleine Autos als wir verkauft. Und BMW sind wir dicht auf den Fersen. Wir sind damit viel besser, als die Öffentlichkeit zum Teil glaubt.

Unsere Highlights

Bis 2012 wollen Sie unter 140 Gramm erreichen. Das sind 20 Gramm weniger in zwei Jahren. Wie wollen Sie das schaffen?
Weber: Dafür setzen wir an allen Stellhebeln an: Am Fahrzeug selbst sowie beim gesamten Antriebsstrang. Und wir profitieren dabei von Öko-Innovationen, für die es aufgrund der positiven Wirkung im Realverbrauch einen extra Bonus geben wird. In diese Berechnung der ACEA geht ein, was bei den Zertifizierungsverbräuchen nicht berücksichtigt wird: Solardach, Schaltanzeigen, Thermo-Management. Alles verbrauchssenkende Innovationen, an denen wir arbeiten. Wir glauben, dass wir uns mittelfristig so bis zu 10 Gramm zusätzlich erarbeiten können.
 
Sind Solardächer auf Autos wirklich realistisch, trotz der kleinen Fläche?

Weber: Heute sind Solardächer in Relation zu den Einspareffekten noch zu teuer. Aber in Zukunft können entsprechende CO2-Credits wichtig sein. Ganz zu schweigen vom positiven Imageeffekt und dem realen Kundennutzen zum Beispiel einer Standklimatisierung.
 
Welche weiteren Hebel bewegen Sie, um das 140 Gramm-Ziel zu erreichen?
Weber: Wir arbeiten am Gewicht, an der Aerodynamik, am Energiemanagement und an den Aggregaten. Das Fünfganggetriebe ersetzen wir durch ein neues verbrauchsoptimiertes Siebenganggetriebe, das künftig auch bei Vierzylindermotoren zum Einsatz kommt. So erreichen wir beispielsweise in der E-Klasse einen sensationell niedrigen Wert von 129 Gramm CO2 pro Kilometer. Das sind nur noch 4,9 Liter! Wer hätte uns das vor ein paar Jahren zugetraut? Die Summe aller Maßnahmen macht den Unterschied. Und da fällt uns jeden Tag etwas Neues ein.
 
Und welchen Wert peilen Sie für 2020 an?
Weber: Nach dem C02-Ziel von 120 Gramm für 2012 wird es weiter gehen. Die europäische Gesamtflotte soll 2020 bei rund 95 Gramm CO2/km liegen. Das wird Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren an die Grenze der Machbarkeit bringen. Genau deswegen arbeiten wir an Hybriden mit und ohne Plug-In. Doch die Physik hat ihre Grenzen. Null Gramm CO2-Ausstoß wird nur mit reinen Elektroantrieben möglich sein. Und ein gewisser Anteil unserer Flotte wird so unterwegs sein. Darauf bereiten wir uns heute bereits vor.
 
Was investieren Sie jedes Jahr in solche Umweltaktivitäten?
Weber: Das Forschungs- und Entwicklungsbudget des Daimler-Konzerns lag 2009 bei
4,2 Milliarden Euro und damit auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Vorjahr. Rund die Hälfte davon investieren wir in grüne Technologien. Inzwischen ist unser gesamtes Unternehmen CO2-getrieben. Das zahlt sich jetzt aus.
 
Wird das dieses Jahr reichen – oder werden Sie sogar mehr Geld in umweltschonende Maßnahmen stecken – und vielleicht sogar Ihr gesamtes F&E-Budget erhöhen?
Weber: Unser Forschungs- und Entwicklungsbudget liegt – auch im Wettbewerbsvergleich – auf einem sehr hohen Niveau. Natürlich könnte man das Budget noch weiter erhöhen, denn Ideen und Arbeit gibt es genug. Aber wir fahren hier einen nachhaltigeren Ansatz: Wir setzen auf Synergiepotenziale durch konsequente Modularisierung, z.B. mit unserem konzernweiten E-Drive Systembaukasten. Darüber hinaus sind wir offen für strategische Partnerschaften an den Stellen, an denen es Sinn macht. Wir sind davon überzeugt, dass dies der effektivere und nachhaltigere Weg ist.
 
Wann werden alle Mercedes-Verbrennungsmotoren mit Start-Stopp ausgerüstet sein?
Weber: Den Roll out haben wir letztes Jahr gestartet. Stand heute ist Start-Stopp noch limitiert auf Benzinmotoren mit Schaltgetriebe. Das wäre aufgrund des hohen Automatik-Anteils bei Mercedes jedoch nur ein kleiner Teil aller Fahrzeuge. Deshalb kombinieren wir unsere Start-Stopp Funktion in Kürze auch mit Dieselmotoren und ab Herbst auch mit Automatikgetrieben. Bis Ende nächsten Jahres wird unser ECO-Start-Stopp also über alle Kernbaureihen ausgerollt sein.
 
Darüber hinaus bringen wir unser neues, komplett überarbeites Siebengang-Automatikgetriebe, das allein bis zu fünf Gramm zusätzlich spart – zum Beispiel dank ECO-Schaltprogramm und weiterentwickelter Wandlerüberbrückungskupplung.
 
Wie treiben Sie das Thema Brennstoffzelle weiter voran?
Weber: Wir haben uns gemeinsam mit anderen Herstellern vereinbart, ab 2015 zusammen weltweit über hunderttausend Elektrofahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb in den Markt zu bringen. Daher muss jetzt auch Bewegung in die Infrastruktur kommen. EnBW, Linde, OMV, Shell, Total und Vattenfall arbeiten an einem flächendeckenden Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur in Deutschland. Ähnliche Überlegungen gibt es in Japan. Die Amerikaner haben ihre Aktivitäten aufgrund der Krise derzeit stark herunter gefahren. Trotzdem bin ich sicher, dass auch dort wieder Bewegung entsteht. Vergangenes Jahr haben wir mit einer Kleinserienproduktion der B-Klasse mit Brennstoffzelle gestartet. Auch im Nachfolgemodell wird es wieder ein Elektrofahrzeug mit Brennstoffzelle geben.
 
Die nächste größere Erneuerung im Portfolio ist die C-Klasse, die 2014 in den Markt kommt. Dann auch gleich mit Hybrid?
Weber: Wie alle unsere Modelle wird auch die C-Klasse für eine Hybrid-Option ausgelegt sein. Wir werden in allen Autos besonders sparsame und saubere Antriebe verfügbar haben.
 
Werden Sie die C-Klasse-Modellreihe ausbauen?
Weber: Ein Coupe wird sicher kommen. Wir arbeiten an einer Architektur für heckgetriebene Fahrzeuge, sodass wir aus einem modularen Baukasten schneller und flexibler attraktive Varianten generieren können. Damit erschließen wir uns ein großes zusätzliches Absatzpotenzial – und vermeiden gleichzeitig frühere Einschränkungen zum Beispiel bezüglich Rechtslenker- oder Allradfähigkeit. Die Frage ist also nicht mehr, ob wir Varianten bringen können – sondern ob wir es wollen. Lassen Sie sich überraschen.
 
Welche Kosteneinsparungen ergeben sich daraus?
Weber: Aus Wettbewerbsgründen wollen wir die nicht nennen. Aber sie sind beträchtlich. Basierend auf dieser neuen Architekturphilosophie und unserem Komponentenbaukasten sind wir darüber hinaus wesentlich schneller und mit Top-Qualität am Markt.
 
Das heißt, Sie brauchen eigentlich gar keine Kooperation mit BMW?
Weber: Wir haben einen sehr produktiven Prozess mit BMW. Zum Beispiel im Einkauf von nicht-markendifferenzierenden Teilen läuft die Zusammenarbeit ausgesprochen gut mit entsprechend positiven Effekten. Wir wollen aber nicht so weit gehen wie diverse Wachmaschinenhersteller, deren Produkte sich teilweise nur noch durch Nameplates unterscheiden. Das darf beim 3er und der C-Klasse nicht passieren.
 
Der VW-Konzern schafft es doch aber auch, große Synergien zwischen etwa VW Golf und Audi A3 zu ziehen und trotzdem erfolgreich zu differenzieren.
Weber: Die beiden Modelle sind auch nicht so stark verwandt, wie man denken mag. Und Skoda und VW bringt nicht nur Vorteile, sondern auch Substitutionseffekte. Solche Effekte sind vielleicht innerhalb des Unternehmens zu managen, in zwei unabhängigen Konzernen ist das weit schwieriger. Dennoch gehen wir mit BMW weit über einfache Komponenten hinaus. Wir stellen uns beispielsweise auch vor, zukünftig gemeinsame Sitzstrukturen auf relativ gleicher Architektur zu entwickeln und gemeinsam einzukaufen.. Hier sehen wir großes Potenzial, ohne die jeweilige Marke zu verwässern.